Ist eine Karriere ohne Personalverantwortung möglich?
Die Probleme eines Fragestellers aus Ihrer Serie haben mir zu denken gegeben. Könnten Sie eventuell ein paar Ratschläge an Ingenieure richten, die im Laufe ihrer „Karriere“ keine Personalverantwortung übernehmen, sondern technische Experten auf ihrem Gebiet werden wollen?
Ich befinde mich noch ganz am Anfang meiner Karriere und möchte keine Personalverantwortung übernehmen, jetzt nicht und später auch nicht. Trotzdem möchte ich mit 50 möglichst noch einen gewissen Wert auf dem Arbeitsmarkt haben.
Antwort:
Was Sie da vorhaben, ist gar nicht so einfach. Ich will versuchen, wichtige Aspekte aufzulisten:
1. Noch relativ harmlos ist die Frage, ob bei Ihrem Wunsch überhaupt noch der Begriff „Karriere“ gerechtfertigt ist. Eigentlich fasst man darunter eine „Laufbahn mit steigender Verantwortung für Sachen und Personal“, Sie haben dem Rechnung getragen, indem Sie den Begriff in Ihrer Zuschrift einmal in Anführungszeichen gesetzt haben und dann wieder nicht. Bevor wir uns in eine Diskussion über Begriffe verstricken: Sprechen Sie von „Laufbahn“ oder „Werdegang“, dann gibt es keine Probleme.
2. Ihr „jetzt nicht und später auch nicht“ stört mich etwas:Wenn Sie gerade erst am Anfang Ihrer Laufbahn stehen, ist „jetzt nicht“ kaum originell – man hätte Ihnen ohnehin keine entsprechende Position übertragen. Mit „später (auch) nicht“ wäre ich vorsichtig. Mit steigender Erfahrung und zunehmendem Alter verändern sich Ihre Persönlichkeit, Ihre Einstellung zu den Dingen, Ihre Maßstäbe und Ihre Ansprüche. Der Volksmund sagt „Man soll nie nie sagen“ oder „Der Appetit kommt oft beim Essen“. Und sogar „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand“.
Viele Angestellte gehen in Pension aus einer Position heraus, an die sie nach dem Studium nicht einmal im Traum gedacht hatten.Sie müssen sich ja nicht sofort um Führung reißen, aber warten Sie erst einmal gelassen ab, wie sich die Dinge entwickeln.
3. „Personalverantwortung“ ist ein Begriff, dessen Definition extrem weit gespannt wird. Schön, da ist der Entwicklungsleiter eines Großunternehmens mit 300 unterstellten Ingenieuren, die er in einer tiefgestaffelten Organisation führen muss („darf“ sagt der richtige Bewerber). Da ist aber auch der Team-/Gruppenleiter, dem in seiner Funktion drei Mitarbeiter zugeordnet sind: Er ist alterfahrener Ingenieur, von den Mitgliedern seiner Gruppe ist eines ein junger Techniker, eines ist eine Bürokraft mit nicht-technischer Ausbildung und das dritte ist Technischer Zeichner in Halbtagsstellung. Und denen ist er auch nur fachlich vorgesetzt. Er arbeitet selbst entscheidend an den Problemen, gibt seinen Mitarbeitern fachliche Richtlinien und Anweisungen, sie unterstützen ihn. Mit Disziplinarangelegenheiten wie Einstellung, Entlassung, Gehaltserhöhung etc. hat er in der Regel gar nichts zu tun, das macht der vorgesetzte Abteilungsleiter. So anspruchsvoll in Sachen „Führung“, dass sich eine strikte Ablehnung rechtfertigen ließe, ist das gar nicht. Und: So furchtbar „anders“ als die Funktion des heute überall zu sehenden Projekt-/Teilprojektleiters ist das auch nicht.
4. Von einigen sehr großen Unternehmen (auch nicht allen!) abgesehen, haben wir gar keinen systematischen Weg in die Personalführung. Häufig wird schlicht der beste Sachbearbeiter in eine der unteren Führungsebenen befördert. Dort dient er nach allgemeiner Auffassung dem Unternehmen noch besser – also wird erwartet, dass er eine solche Berufung im Interesse des Arbeitgebers freudig annimmt.Sie, geehrter Einsender, wollen doch ein guter Sachbearbeiter sein. Wenn nun Ihr Vorgesetzter Ihnen eine Aufstiegsposition anbietet, weil er ein personelles „Loch“ stopfen will und Sie für geeignet hält, dann ist eine Ablehnung dieses Chef-Wunsches gar nicht so einfach.Natürlich könnten Sie schon vorbeugend immer wieder verkünden: „Ich will keine Führungsaufgaben.“ Was in etwa heißt: „Wenn das Unternehmen mich braucht und für geeignet hält, verweigere ich mich.“ Ganz so unproblematisch ist auch das nicht.
5. Nicht zu wollen ist also auf Dauer ein bisschen merkwürdig. Nicht zu können, das geht in Ordnung. Das merken dann aber meist auch die anderen (die Chefs z. B.) und Sie bekommen gar keine entsprechenden Angebote. Statt „Ich will nicht“ ist also „Ich traue mir das nicht zu“ das letztlich überzeugendere und problemloser akzeptierte Argument.
6. Am Anfang der Laufbahn ist Verweigerung des Aufstiegs oder bewusster Verzicht auf denselben relativ unproblematisch. Wenn Sie aber 46 sind, 20 Jahre intensiver fachlicher Praxis haben und man Ihnen den dritten „rüstigen Anfangsdreißiger“ als Gruppenleiter vor die Nase setzt, der Ihnen im Detail sagt, was fachlich „Sache ist“, kann das schon anders aussehen, unterschätzen Sie das nicht.
7. Facherfahrung ist gefragt, ohne jeden Zweifel. Aber wieviel davon? Nach fünf Erfahrungsjahren im Metier fällt die Zugewinn-Kurve ab, ob Sie dann 12 oder 18 Jahre lang den gleichen Job tun, ist nicht mehr von Vorteil. Mit 18 Jahren Praxis sind Sie aber älter, (vermeintlich) unflexibler, (vermeintlich) weniger aufgeschlossen für Neues – und (ganz sicher) teurer!Achten Sie einmal auf Stellenanzeigen: Die höchste Zahl, die üblicherweise bei Jahren an Berufspraxis im ausführenden Bereich gefordert wird, ist fünf, selten heißt es zehn. Natürlich steht nirgends „ab zwölf Jahren uninteressant“ – aber man nimmt dann oft den jüngeren Entwicklungsingenieur mit etwa fünf Jahren Praxis. Auch weil der billiger und vermutlich leichter zu führen ist sowie Potenzial für eine eventuell im Firmeninteresse liegende Weiterentwicklung mitbringt.
8. Blicken Sie einmal auf die Nr. 4 zurück. Daraus resultiert die oft zu hörende Bemerkung (nicht immer, aber eben oft): „Seit 17 Jahren Sachbearbeiter. Na schön. Aber wenn er sehr gut gewesen wäre, hätte ihn sicher schon jemand befördert.“ Ein Vorurteil, keine Frage, aber ein massives.
9. Manche (Groß-)Unternehmen haben eine eigene „Fachlaufbahn“. Prinzip dabei: Status eines Sachbearbeiters, aber mit zunehmender Erfahrung und Kompetenz verdienen wie ein Gruppen- oder Abteilungsleiter. Das ist toll, löst für die Mitarbeiter dort das hier angesprochene Problem – und führt zu fast unlösbaren Schwierigkeiten, wenn Sie eines Tages wechseln wollen oder müssen (um das Wollen zu verhindern, macht man es ja). Der Wechsel in die Mehrheit der Firmen ohne Fachlaufbahn ist fast unmöglich.
10. Das bisher war: Seien Sie vorsichtig mit vorschnellen Festlegungen. Wenn Sie es dennoch wollen: Seien Sie bestrebt, einen fachlichen roten Faden (Tätigkeit, Branche, Firmentyp) durchzuhalten, zeigen Sie dennoch Flexibilität, übernehmen Sie alle paar Jahre neue Aufgaben (auch in anderen Abteilungen, auch in anderen Unternehmen). Besonders kritisch: 22 Jahre Tätigkeit in derselben Firma, derselben Abteilung in demselben Job. Das „kauft“ später niemand gern.
Kurzantwort:
Frage-Nr.: 2476
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 13
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2011-03-31
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