Heiko Mell 02.01.2016, 06:43 Uhr

Suche Tipps für das Bewerbungsanschreiben

Sie wurden mir empfohlen von einem Arbeitgeber, der auch festgestellt hat, dass ich in Bewerbungsschreiben viele Probleme habe. Könnten Sie mir wertvolle Tipps geben, was Sie an dieser Stelle schreiben würden bzw. wo man weitere Informationen zu Anschreiben und Lebenslauf finden kann?

Ich suche seit mehr als zwei Jahren nach einer Anstellung. Hatte davor Wirtschaftsingenieurwesen/Maschinenbau studiert und mit dem Bachelor mit Gut abgeschlossen. Leider habe ich weder Berufs- noch Bewerbungserfahrung. Auch meine Vorstellungsgespräche sind in den zwei Jahren weniger als zehn gewesen.

Meist stellten die Arbeitgeber schnell fest, dass ich sehr unerfahren, sehr nervös und sehr allgemein in meinen Aussagen war.

Ich zweifle mittlerweile an mir selbst. Jetzt bin ich eine Akademikerin, die von keinem eingestellt wird und somit auch nie die Chance hat, die fehlenden Berufserfahrungen zu erwerben.

Ich wäre Ihnen für Ihre Hilfe sehr dankbar.

Antwort:

Ich will Ihnen im Rahmen meiner Möglichkeiten tatsächlich helfen, nichts sonst. Wenn Anmerkungen von mir kritisch klingen, dann weil die Praxis das in Ihrem Fall so sieht – und Sie wissen müssen, wo in Ihrer Gesamtqualifikation Schwachpunkte sind. Denn nur dann können Sie etwas dagegen tun. Was ich sagen will: Auch wenn manches hart klingt, meine ich es nicht böse, ich analysiere einfach nur Fakten.

Riskieren wir es:

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1. Sie sind weiblich, in Deutschland geboren und aufgewachsen, haben die deutsche Staatsangehörigkeit und einen Migrationshintergrund. Ihre Deutschkenntnisse sind nicht gut, für eine deutsche Akademikerin absolut nicht gut genug. Besonders deutlich wird das in Ihrem Schreiben an mich, beim Abdruck habe ich das geglättet. Es sind lauter Kleinigkeiten, die sich addieren.

2. Sie haben auf der Basis einer nicht ganz deutlich werdenden Schulbildung zunächst mehrfach als Service-Mitarbeiterin in Hotels gearbeitet. Bei näherer Betrachtung merkt man, dass „mehrfach“ ein Fehlurteil ist – Sie haben einfach im Lebenslauf eine Tätigkeit zwei Mal in derselben Rubrik aufgeführt, vom Zeitrahmen bis zum Hotelnamen völlig identisch. Das ist unentschuldbar (es gibt, dies zur Vorsicht gesagt, in Lebensläufen keine Tippfehler, es gibt nur Fehler).

3. Zwischen „Ende Hotel“ und der nächsten „berufsrelevanten“ Phase fehlen 1,5 Jahre (ohne Erklärung).

4. Dann folgt als Basis-Ausbildung (Lehre) eine „Kauffrau für Bürokommunikation“ – keine ideale Grundlage für die spätere Ingenieurin. Anschließend in Abendform die „Fachoberschulreife“, ohne dass eine Tagestätigkeit genannt wird.

5. Unmittelbar anschließend das FH-Studium des Wirtschaftsingenieurwesens. Es tut mir leid, aber das ist Unfug. Mit Ihrer „Fachoberschulreife“ hätte man Sie nie an die FH gelassen. Vermutlich haben Sie, schauen Sie mal in Ihre Unterlagen, an einer Fachoberschule eine „Fachhochschulreife“ erworben. Der Fehler ist auch unentschuldbar – Sie müssen ja nur richtig abschreiben von Ihrem eigenen Dokument.

6. Das Bachelor-Studium mit Schwerpunkt Maschinenbau schließt mit 2,4 ab, das ist akzeptabel. Die wichtige „Brücke“ zum Berufseinstieg, das Thema der Bachelor-Arbeit, dreht sich jedoch um Personalführung und Personalmanagement, ist also weit abgelegen vom Maschinenbau-Schwerpunkt und vom Thema der Lehrausbildung. Insgesamt fehlt Ihnen ein durchgängiger „roter Faden“ von der Lehre bis zur Bachelor-Arbeit.

7. Das Studium ist vor mehr als zwei Jahren abgeschlossen worden, es gibt keine Anstellung seitdem. Es gibt nur eine mehrmonatige „Modulare Qualifizierung für Akademiker“, das sieht aus wie eine Arbeitsamts-Förderung für Arbeitslose und ist sicher gut gemeint.

8. Ihr beigefügtes Anschreiben bezieht sich auf eine Traineeposition. Für Berufsanfänger bedeutet „Trainee“ immer eine Art Elite – davon sind Sie leider sehr weit entfernt, da hatten Sie nie eine Chance.

9. Das Anschreiben ist auch nicht schlechter als das anderer junger Leute. Eine textliche Optimierung allein hilft hier nicht weiter.

Denn Sie haben neben mehreren kleinen kritischen Punkten jetzt ein alles überlagerndes Zentralproblem, das den Leser sofort anspringt – und das Sie vollständig ignorieren: In den mehr als zwei Jahren seit Studienende hat Sie niemand für eine klassische Wirtschaftsingenieurposition eingestellt – warum auch immer nicht. Jetzt tut das garantiert niemand mehr.

10. Ihre Bachelor-Qualifikation ist „vorläufig tot“ oder zumindest verschüttet; dort einfach wieder anzuknüpfen, wird aussichtslos sein. Vor allem: Jeder Bewerbungsempfänger wird davon ausgehen, dass Sie in diesen zwei Jahren Hunderte von Bewerbungen im ganzen Bundesgebiet gestreut haben, dass entsprechend Hunderte von Personalleuten Ihre Unterladen analysiert und/oder mit Ihnen gesprochen – aber Sie nicht eingestellt haben. Also, so schließen diese Leute, lohnt eine nähere Beschäftigung mit Ihnen nicht, da man ja mit Sicherheit zum gleichen negativen Ergebnis käme wie die anderen.

11. Nein, Sie sind nicht völlig chancenlos, das ist man als junger Mensch so gut wie nie. Sie müssen sich nur auf die Gegebenheiten einstellen, die voranstehenden 10 Punkte akzeptieren und dann kämpferisch durchstarten:

11.1. Sie brauchen dringend, sofort, kompromisslos Berufspraxis, Sie müssen raus aus der Arbeitslosigkeit und rein ins Berufsleben.

11.2. Selbstverständlich müssen Sie, so wird es Ihnen dann vorkommen, deutlich „unter Wert“, also deutlich unter Ihrer formalen akademischen Qualifikation einsteigen. Wichtig ist nicht, was Sie tun, sondern dass Sie acht Stunden am Tag regelmäßig und erfolgreich überhaupt etwas tun. Alles ist besser als nichts – jetzt haben Sie „nichts“. Ob Sie Kisten packen oder im Büro die Ablage machen, ist unerheblich. Am besten suchen Sie sich einen Betrieb, der etwas mit Maschinenbau zu tun hat und der Ihnen schon von daher Chancen bietet, nach etwa 6- bis 24-monatiger Bewährung bei den „niederen Arbeiten“ intern langsam aufzusteigen.

Während dieser Zeit sollten Sie Ihr altes Studienwissen immer wieder auffrischen – damit Sie vielleicht eines Tages immerhin in die Nähe von Aufgaben kommen, für die Sie ursprünglich ausgebildet worden waren.

12. Für das Anschreiben einer Bewerbung gemäß 11. kann es kein Standardschema geben, da es sich ja bei Ihrem Anliegen um eine Ausnahme-Angelegenheit handelt. Und natürlich müssen Sie mit erheblichen „Ausfallquoten“ rechnen. Ich stelle mir das Bewerbungsanschreiben etwa so vor:

„Fa. MustermannPersonalabteilungHochmotivierte Bewerberin sucht Chance zum Berufseinstieg – offen für jede Art von Tätigkeit

Sehr geehrte Damen und Herren,vor zwei Jahren habe ich zwar ein Studium zum Bachelor of Engineering (Wirtschaftsingenieur) mit noch gutem Ergebnis abschließen können, habe aber seitdem keine Anstellung gefunden. Heute ist mir klar, welche Fehler ich gemacht habe bzw. um welche Zusammenhänge ich mich zu wenig gekümmert hatte und was letztlich zu diesem katastrophalen Ergebnis geführt hat:

– meinem Lebenslauf, angefangen von einer ersten Beschäftigung nach der Schule, über eine Lehre, die Ausrichtung des Studiums und das Thema der Bachelor-Arbeit fehlt der „rote Faden“ einer durchgängigen Fachorientierung;

– nach bestandenem Examen habe ich mich zu lange auf vermeintliche Idealpositionen lt. Studienausrichtung konzentriert und die Gefahr einer sich abzeichnenden Arbeitslosigkeit unterschätzt;

– in den jeweiligen Vorstellungsgesprächen war ich sehr nervös und konnte offenbar keine durchgängig überzeugende berufliche Konzeption präsentieren (was sicher auch ein Zeichen dafür war, dass ich den Anforderungen der angestrebten Idealposition nicht gerecht werden konnte).

Ich habe daraus gelernt und suche jetzt nach einer Chance, mich zunächst einmal überhaupt im Berufsleben zu bewähren. Dabei ist mir bewusst, dass ich keinesfalls hoffen darf, nach zweijähriger Arbeitslosigkeit meiner Ausbildung entsprechend eingesetzt zu werden. Ich will einfach zeigen, dass ich arbeiten will und kann und bin absolut flexibel – vom Einsatz in der Produktion bis zu Routine-Bürotätigkeiten. Ich möchte Sie auf diesem Wege überzeugen und mich dann allmählich für anspruchsvollere Tätigkeiten qualifizieren dürfen.

Ich stehe Ihnen gern für ein Gespräch zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen“

Und dann reden Sie auch mit Zeitarbeitsfirmen, die Arbeitnehmerüberlassung betreiben. Das alles wird nicht leicht, ist aber nicht hoffnungslos.

Kurzantwort:

1. Die einzelnen berufsrelevanten Schwerpunkte eines Ausbildungsweges (Lehre, Studium, Diplomarbeitsthema, Praktika) sollten zueinander passen und insgesamt einen „roten Faden“ ergeben. Sonst wirkt leicht der ganze Mensch konzeptionslos.

2. Nach deutlich mehr als einjähriger Arbeitslosigkeit sind Versuche, sich stur weiter um Positionen zu bemühen, die der früher einmal besessenen Qualifikation entsprechen, weitgehend sinnlos. Wichtig wird es allein, überhaupt irgendwo regelmäßig zu arbeiten – und auf den allmählichen Aufstieg in der Ausbildung angemessene Tätigkeiten zu hoffen.

Frage-Nr.: 2546
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 10
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2012-03-08

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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