Wie sollte ich reagieren, wenn der Arbeitgeber sein Aufstiegsversprechen nicht hält?
Frage/1: Ich bin Dipl.-Ingenieur, Ende 40, zuletzt AV-Leiter mit entsprechendem Führungsumfang. Vor einigen Jahren bot mir mein damaliger Arbeitgeber wegen wirtschaftlicher Probleme einen Aufhebungsvertrag an. Man hatte bereits den Geschäftsführer gekündigt, viele Leistungsträger hatten das Unternehmen verlassen, auch ich war auf der Suche nach einer neuen Stelle und hatte bereits erfolgreich Kontakte geknüpft.
Ich nahm den angebotenen Aufhebungsvertrag an und unterschrieb einen neuen Arbeitsvertrag beim heutigen Arbeitgeber (Konzerntochter). Es gelang mir, den Übergang lückenlos zu gestalten.
Frage/2: Bei der Stellenausschreibung für meine neue Anstellung handelte es sich um eine Führungsposition. Im ersten Entwurf des Arbeitsvertrages, der mir beim zweiten Gespräch ausgehändigt wurde, war das auch eindeutig ausgewiesen.
Im dritten Gespräch wurde mir dann mitgeteilt, dass die Übernahme der Führungsfunktion erst mit dem Ausscheiden des Bereichsleiters erfolgen könne. Dann würde der heutige Inhaber „meiner“ Stelle die Bereichsleitung übernehmen und ich würde entsprechend nachrücken. Als Zeitrahmen wurde ein Jahr genannt. Im neuen Vertrag stand nur ein Vermerk, dass nach Ablauf eines Jahres eine „Überprüfung“ im Hinblick auf meine Funktion als Leiter erfolgen werde.
Frage/3: Inzwischen sind mehrere Jahre vergangen. Der Bereichsleiter ist mehr als zwei Jahre nach meinem Eintritt ausgeschieden. Ich habe sehr eng mit ihm und meinem direkten Vorgesetzten zusammengearbeitet. Beide haben mir versichert, dass sie meine Leistung und mein Engagement sehr schätzen und meine Übernahme der Führungsposition unterstützen würden.
Trotz mehrmaligen Bemühens meiner Vorgesetzten passierte bis jetzt nichts. Mein Chef ist als Bereichsleiter weiterhin zusätzlich auch Leiter seiner „alten“ Einheit, die ich ursprünglich leiten sollte. Im Rahmen dessen hat er mir nun die fachliche Verantwortung für diese Gruppe übertragen. Die Begründung für meine fehlende disziplinarische Führungsverantwortung steht weiterhin aus. Der Bereichsleiter hatte angedeutet, dass der frühere Geschäftsführer die Beantragung der Führungsposition bei der vorgesetzten Konzerneinheit gescheut hätte und dies seinem Nachfolger überlassen wollte. Der neue Geschäftsführer ist nun seit einigen Monaten bei uns tätig, geschehen ist weiterhin in meiner Angelegenheit nichts.
Antwort:
1. Ich bleibe. Prinzipiell fühle ich mich sehr wohl, das Klima ist sehr gut, alles stimmt, mit meinem Vorgesetzten verstehe ich mich hervorragend. Inzwischen habe ich praktisch alle fachlichen Aufgaben des mir ursprünglich zugedachten Fachgebietes übernommen.Andererseits habe ich mehr als zehn Jahre Führungserfahrung. Oft fällt es mir schwer, nur Vorschläge machen zu können und keine Entscheidungsgewalt zu haben. Das macht mich zunehmend unzufriedener. Auch der finanzielle Aspekt spielt eine Rolle: Im Bewerbungsgespräch war für die ursprünglich vorgesehene Führungsposition ein deutlich höheres Gehalt in Aussicht gestellt worden. Auch spätere Bewerbungen werden schwierig (Bruch im Lebenslauf).
2. Ich wechsele den Arbeitgeber. Ich habe derzeit konkrete Anfragen. Dabei sehe ich auch als Risiko, dass ich bei den beiden letzten Arbeitgebern jeweils nur drei bis vier Jahre beschäftigt war. Aufgrund meines Alters dürfte eine Fehlentscheidung kaum mehr korrigierbar sein. Wie könnte ich bei Bewerbungen meine Beweggründe darlegen, ohne dass der Bewerbungsempfänger von fehlendem Führungspotenzial ausgeht?
Über Ihre Risikoeinschätzung und Handlungsempfehlungen freue ich mich sehr.
Antwort/1:
Bei einem Menschen mit meinem Erfahrungsspektrum besteht immer die Gefahr, dass er „die Flöhe husten“ hört – mitunter sogar dann, wenn da gar keine kleinen Biester dieser Art sind. Aber hier husten sie nach meinem Empfinden überdeutlich. Und so glaube ich, dass alle Probleme, die weiter unten noch kommen, auf die oben geschilderte, so „harmlos“ klingende Ausgangssituation zurückgehen. Die natürlich niemals wirklich harmlos war, sondern die unter jene hier schon öfter zitierte Warnung fällt, die da lautet: „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären“ (Schiller, Wallenstein). Es bedeutet schlicht: Aus einer falschen Handlung kann nichts Gutes herauskommen.Was war geschehen? Der alte Arbeitgeber hatte Probleme, musste Kosten sparen und Personal loswerden. Er bot auch Ihnen einen Vertrag an, der Ihren bis dahin geltenden Arbeitsvertrag aufheben würde (ob das in dem Moment eine pauschale, für alle geltende Offerte oder speziell auf Sie zugeschnitten war, wissen wir nicht). Das Unternehmen wäre jedenfalls froh gewesen, Sie loszuwerden und brauchte dringend Ihre Unterschrift unter diesem Aufhebungsangebot.Freiwillig gibt niemand diese Unterschrift, also muss man ihn locken, „überzeugen“ – was auch immer. Das Instrument dazu heißt Geld, Abfindung genannt. So schnell – und, wie er meint, so einfach – kommt ein Arbeitnehmer sonst kaum an solche Summen. Nun, wenn eine Versuchung nicht auch reizvoll erschiene, wäre es ja keine.
Das Lockmittel, um Ihre Unterschrift zu bekommen, war also die Abfindung. Und gleichzeitig wurde etwas Druck ausgeübt, das Druckmittel heißt Zeit. Pauschale Abfindungsangebote sind meist befristet bis zum …, individuelle Aufhebungsverträge kann man auch nicht „ewig“ unentschieden liegen lassen. Entweder sind auch sie befristet bis zum … oder die Drohung lautet sogar „unterschreiben bis zum …, sonst müssen wir Ihnen kündigen“.
Etwas vereinfacht ausgedrückt, steht der arme betroffene Angestellte damit unter dem Druck, binnen kurzer Zeit extern die „Traumposition seines Lebens“, für die sich ein externer Wechsel auch wirklich lohnt, auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Zeitdruck jeder Art ist jedoch „tödlich“ für diese Suche, das weiß man.Und so hat man dann in der Regel zwar seine Abfindung, aber die Sache mit der Traumposition geht schief.
Merkwürdig dabei: Wer noch gar keine Anschlussposition in Aussicht hat, wenn er den Aufhebungsvertrag unterschreibt, riskiert zwar Arbeitslosigkeit, weiß aber wenigstens genau, was er da tut. Wer jedoch eine zweit- oder drittklassige Position in Aussicht hat, betrachtet dieselbe durch die rosarote Brille der Abfindungssumme, findet dabei „die Braut doch schöner als befürchtet“ – und schlägt zu. Da steht er dann. Sehen wir uns das einmal an:
Antwort/2:
Und das war der Zeitpunkt, an dem Sie sich hätten höflich von diesem Unternehmen verabschieden sollen. Aber dann hätte es vermutlich Schwierigkeiten mit der Abfindung gegeben, die bei der Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag winkte.
Sie waren beim alten Arbeitgeber Leiter, waren es bei dem davor auch schon gewesen. Jetzt kam nur eine neue Stelle als Leiter infrage. Schon die eventuelle Garantie, das erst nach einem Jahr zu werden, wäre inakzeptabel gewesen. Der Vertragspassus mit der „Überprüfung“ (absolut ohne Garantie) war eine Katastrophe. Die Kombination von „Wir schreiben eine Führungsposition aus und formulieren im Vertrag, dass es keine ist, dass wir aber nach einem Jahr unverbindlich überprüfen wollen, ob es vielleicht jemals eine werden könnte“ ist nichts als die Aufforderung, die Bewerbung zurückzuziehen – denn wer das auf der Basis Ihres damaligen Werdeganges unterschreibt, disqualifiziert sich damit selbst.Ich möchte nicht missverstanden werden: Mir liegt es fern, Sie, geehrter Einsender, für Ihre Handlung zu kritisieren – was hätte ich auch davon. Mir geht es, dem Ziel der Serie entsprechend, um die Abschreckung möglicher Nachahmer.
Welche „guten“ Gründe Sie auch immer zur Annahme dieses im Laufe der Gespräche deutlich verschlechterten Angebots bewogen haben mögen: Nun standen Sie da, die Abfindung des alten Arbeitgebers in der Tasche, aber einer höchst ungewissen Zukunft beim neuen Unternehmen ausgeliefert (befristet war der Vertrag auch noch!).
Antwort/3:
Ich muss Sie mit einigen gravierenden Indizien (die aber keine Beweise sind, wie der Begriff schon sagt) konfrontieren:
a) Ihre beiden vorigen Arbeitgeber waren solide Mittelständler, Ihr heutiges Unternehmen ist eine – wenn auch sehr kleine – Konzerntochter. Es ist grundsätzlich denkbar, dass Sie nach den Maßstäben des Mittelstands Eignung zur Führungskraft hatten, nach denen des Konzerns aber nicht.
b) Gemerkt haben das die Konzernleute noch während des Bewerbungsprozesses, innerhalb dessen man Sie zwischen dem zweiten und dritten Gespräch entsprechend hinunterstufte. Als „in der Wolle gefärbte“ Führungskraft hätten Sie das niemals akzeptieren dürfen, das nur nebenbei – denn Sie konnten deutlich erkennen, wie man Sie diesbezüglich einschätzte.
c) Dann lernte man Sie in Ausübung Ihrer Tätigkeit kennen – außer der Darbietung neuer „pflaumenweicher“ Ausreden geschah nichts. Das riecht doch alles zum Himmel! Die Übertragung der fachlichen Verantwortung für „Ihre“ Gruppe, die der Vorgesetzte disziplinarisch schön weiter selbst führt, unterstreicht das Urteil über Sie: fachlich kompetent + tüchtig, für die disziplinarische Führung aber wohl eher zu schwach. Diese Konzern-Einschätzung klingt endgültig und lässt nur wenig Raum für Zweifel daran.
d) Da Sie sich einer wichtigen Altersgrenze nähern, gilt vermutlich: Wenn Sie bleiben, bleiben Sie, was Sie sind. Als Konsequenz eigener Fehler. Denn man geht nicht im fortgeschrittenen Alter vom Mittelstand in den Konzern – und übersieht dann auch noch die „Paukenschlag“-Warnsignale in den Vertragsverhandlungen.
Mit ein wenig Bereitschaft zum persönlichen Zurückstecken könnten Sie das alles vielleicht sogar akzeptieren und halbwegs glücklich werden.
e) Ein Wechsel ginge nur in den Mittelstand hinein. Dort dürfen Sie dann tüchtig auf den „unmöglichen Konzernbetrieb“ schimpfen: Erst „lockte“ man Sie mit der Anzeige einer schönen Führungsposition, dann teilte man Ihnen mit, die eigentliche Aufgabe könne erst im Rahmen einer in einem Jahr fälligen Nachfolge übernommen werden. Wegen des „großen Namens“ dieses Konzerns akzeptierten Sie die mündlichen Versprechungen. Dann verschob sich die Nachfolge um Monate, dann um Jahre. Immer wieder neue Versprechungen, Vertröstungen („Sie sind so toll, Sie sind unser Mann“). Dann gestand man Ihnen ein, der alte Geschäftsführer wolle den Einspareffekt, der in der Doppelfunktion Ihres Chefs lag, nicht verlieren, man warte auf den neuen GF. Der sei nun da, müsse sich aber erst einarbeiten, bevor er so etwas Wichtiges entschiede. Das könne dauern. Und nun hätten Sie genug! Zwar bekämen Sie ständig Anerkennungen, Lobe und dergleichen, dürften auch fachlich alles verantworten – aber disziplinarische Zuständigkeitsveränderungen gingen nur mit der Zustimmung des GF. Und der – siehe oben.Glaubwürdigkeit Ihrer Geschichte: um 50% (die Hälfte glaubt es irgendwie). Konzerne machen so etwas – aber Leute, die zu schwach zum Führen sind, gibt es auch hinreichend. Also teils, teils. Von dem verschlechterten Vertragstext nach dem zweiten Gespräch dürfen Sie übrigens nichts erzählen, sonst ist Ihren Gesprächspartner plötzlich „alles klar“ (die Verschlechterungen sind in den Gesprächen nur mündlich dargelegt worden, es hat nur einen Vertragstext gegeben).
Und dann ist noch wichtig, wie Ihre beiden letzten Zeugnisse aussehen. Hoffentlich enthalten die keine Anhaltspunkte hinsichtlich „zu wenig Durchsetzungsvermögen“, „zu schwach als Führungskraft“ (in völlig anderen Worten, versteht sich).
Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten Ihre Anfrage ein Jahr nach Dienstantritt gestellt. Dann wäre mir die Entscheidung leichter gefallen. So neige ich dazu, Ihnen zum Zurückstecken und Bleiben zu raten – also zur Fortsetzung Ihrer seit mehreren Jahren praktizierten Politik. Die Alternative würde einen Kämpfer erfordern – sind Sie einer?
Da ich ja auch noch so meine ganz eigene Bosheit habe: Sie wohnen lt. Lebenslauf in einer Stadt, von der man Ihren heutigen, Ihren vorigen und Ihren davor liegenden Arbeitgeber täglich erreichen kann. Das sagt dem Fachmann: Das waren alles Arbeitgeberwechsel ohne Umzug. Dabei haben Sie in Ihrer Jugend sechs wertvolle Jahre in ein ziemlich elitäres, für Ihren späteren Werdegang nicht zwingend erforderliches Zweitstudium gesteckt. Wer so deutlich „A“ gesagt hat, sollte später ebenso deutlich „B“ sagen, sonst lohnt sich das alles nicht.
Kurzantwort:
1. Eine im Zusammenhang mit einem angebotenen Aufhebungsvertrag erreichte Abfindung kann das „am teuersten verdiente“ Geld des Arbeitslebens sein.
2. Die Grundregeln sind einfach: „Ungestraft“ dürfen Arbeitgeber im Verlaufe von Bewerbungsgesprächen ihr Angebot nicht reduzieren, Bewerber dürfen ihre Forderung dafür nicht aufstocken (tut eine Seite so etwas dennoch, sollte die jeweils andere einen Rückzug erwägen).
3. Der Weg (insbesondere im fortgeschrittenen Alter) vom Mittelstand in den Konzern, ist regelwidrig und kann sehr, sehr „dornig“ sein.
Frage-Nr.: 2567
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 25
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2012-06-21
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