02.01.2016, 08:00 Uhr

Berufswechsel trotz genereller Zufriedenheit?

Ich habe das Glück (oder Pech, wie man´s nimmt), nach beinahe zehn Jahren noch bei meinem ersten Arbeitgeber nach Abschluss meines Maschinenbaustudiums beschäftigt zu sein. Kleinere und größere Unzufriedenheiten sind sicherlich vorgekommen in dieser Zeit; aber machen wir uns nichts vor, sie sind bestimmt normal.Insgesamt stellt sich bislang immer eine überwiegende Zufriedenheit ein (manchmal musste ein klärendes Gespräch mit dem Vorgesetzten vorweg gehen). Hin und wieder bekomme ich Jobangebote von Mitbewerbern. Finanziell sind sie manchmal in der Tat verlockend. Geld ist aber auch nicht alles, wenn man sich genau anschaut, wie die anderen Angebote aussehen. So habe ich mir bislang einige davon genauer angeschaut, sie aber letztlich doch verworfen. Irgendwie geht es mir ja gut.Wo ist das Problem, mag der Leser jetzt denken. Aber es gibt sie eben doch, diese Unzufriedenheit – nicht konkret mit meiner Stelle, aber doch generell. Und die Frage „kann oder soll das so weitergehen?“ quält einen fast jeden Tag. Ein Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber bringt doch auch neue Impulse, führt zu neuen Kontakten, neuen Wahrnehmungen und natürlich zu neuen Chancen. Aber es birgt natürlich auch Risiken. Soll man den Job wechseln, wenn man im Grunde zufrieden ist?O. K., Minuspunkte gibt es auch: Ich bin mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem ich keine rechte Perspektive, keine Herausforderung sehe. Ein nächster Sprung auf der Karriereleiter ist nicht in Sicht. Ich arbeite in einer kleinen Firma mit flacher Hierarchie – und da gibt es eben nur die Mannschaft und den Chef. Fachlich habe ich mich gut weiterentwickeln können, aber wirklich aufgestiegen bin ich dadurch nicht. Ich kann kein Personal einstellen, kann die Unternehmensführung nicht oder nur unwesentlich beeinflussen usw.Wie kann oder sollte man einem Vorgesetzten begegnen, der fachlich zwar die gleiche Qualifikation hat, aber dennoch immer bestimmen wird, wo es langgeht?Generell frage ich mich:1. Bis zu welcher Dauer der Betriebszugehörigkeit ist ein Wechsel überhaupt möglich? Ab wann werden Personaler stutzig („der gehört doch schon zum Inventar“)?2. Braucht ein „guter“ Lebenslauf nicht einige berufliche Stationen in verschiedenen Firmen?3. War ich eine Ausnahme und hatte einfach Glück mit der ersten Auswahl?

Antwort:

Zunächst zum Grundsätzlichen: Sie liefern, ohne es zu merken, die „Untermalung“ oder sogar die Begründung für einige sehr bewährte Regeln, über die ich hier immer wieder spreche:a) Das Arbeiten in „flacher Hierarchie“ ist vor allem interessant für Berufsanfänger. Wer selbst (noch) „nichts“ ist, findet es toll, wenn alle anderen auch nichts sind. Nach drei Jahren beginnen dann die ersten, Aufstiegsperspektiven zu vermissen: „Soll ich denn bis zur Pensionierung im immer gleichen Rahmen vor mich hinarbeiten?“ Irgendwann kennt man alles – der wache menschliche Geist des Akademikers sucht den Fortschritt, die persönliche Weiterentwicklung – oder doch wenigstens die Abwechslung, das Neue.Wenn es nun intern keine Weiterentwicklungsmöglichkeit gibt, dann folgt – je nach Temperament – der Arbeitgeberwechsel oder die zunehmende Frustration beim weiteren Verbleiben im gleichbleibenden Job. Insofern sind Ihre Empfindungen ganz „normal“.b) Wer in ein Unternehmen mit flachen Hierarchien eintritt, muss also, ein kleines bisschen Ehrgeiz vorausgesetzt, von vorneherein mit einem Arbeitgeberwechsel nach fünf, sechs oder meinetwegen auch acht Jahren rechnen.c) Sehr kleine Unternehmen (Ihres ist eines) können kaum Chancen bieten, selbst wenn sie ein ausgebautes System gestaffelter Hierarchiepositionen haben: Denn der Aufstieg oder die Weiterentwicklung beim vorhandenen Arbeitgeber setzt voraus:- es muss eine geeignete Stelle im Organigramm geben,- eine solche Stelle muss gerade frei sein oder in Kürze werden.Im Konzern lässt sich eine passende und freie Stelle irgendwo finden – in einer anderen Division, im anderen Produktbereich, bei der Mutter-, einer Tochter- oder Schwestergesellschaft. Im Kleinbetrieb nützt Ihnen die einzige vorhandene Aufstiegsposition für Sie gar nichts, wenn darauf ein guter Mitarbeiter sitzt und sitzen bleibt.Für Sie treffen b + c gleichermaßen zu – die Konsequenz liegt auf der Hand.Dabei gilt: Was im Zuge der persönlichen Weiterentwicklung im Konzern der Abteilungswechsel ist, das ist für den Mitarbeiter im Kleinunternehmen der Arbeitgeberwechsel. Beides ist ein Routinevorgang und für Lebensläufe des jeweiligen Zuschnitts absolut normal.d) Die persönliche Weiterentwicklung muss nicht zwangsläufig in hierarchischem Aufstieg bestehen. Aber auch wer daran nicht interessiert ist, sollte nicht unbedingt vom ersten Tag nach dem Studium bis zum letzten Tag vor der Rente in einem Unternehmen immer dieselbe Tätigkeit ausüben. Er darf das sowohl anstreben als auch tun, hat aber schlechte Karten, sofern er nach dreizehn oder achtzehn Jahren einen neuen Arbeitsplatz extern suchen will oder muss. Also sind nach jeweils etwa fünf bis zehn Jahren externe (Arbeitgeber-) oder interne (Abteilungs-) Wechsel auch dann angesagt, wenn eigentlich gar nichts „drückt“.e) Andere vor mir haben schon herausgefunden: Jeder hat sein persönliches Entwicklungspotenzial. Das reicht bei manchen zum Gruppenleiter, bei anderen zum Vorstand.Man spürt dieses eigene Entwicklungspotenzial, kann es aber nicht beweisen und kennt die Obergrenze nicht. Aber daraus erwächst der Wunsch, die nächste Stufe zu erreichen, sich dort zu bewähren, es zumindest zu versuchen. Wenn man einmal Gedanken dieser Art hat, wird man sie nie wieder los. Man kann sich noch einige Zeit zwingen, „Ruhe zu geben“, aber dann sind diese Überlegungen wieder da.Da man seine „Entwicklungs-Obergrenze“ selbst nicht kennt – und da andere sie ebenfalls nicht sicher herausfinden können -, gibt es die bewährte Strategie, Schritt für Schritt vorzugehen. Sie, geehrter Einsender, müssten jetzt versuchen, anderswo z. B. Gruppenleiter zu werden. Und wenn Sie dann nach etwa fünf Jahren so weit sind wie heute (nur auf höherem Niveau), dann suchen Sie in- oder extern den Aufstieg zum Abteilungsleiter. Also nur, wenn Sie den Job darunter so souverän beherrschen, dass er Sie – wie Ihrer heute – fast schon langweilt (was aber außer Ihnen niemand merken darf).So entgehen Sie dem nach Laurence J. Peter benannten Prinzip, dass in einer Hierarchie jeder Beschäftigte dazu neigt, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit (level of incompetence) aufzusteigen.Wenn man das alles weiterdenkt, dann gilt: Ein glücklicher, rundum zufriedener, ausgefüllter und ausgelasteter Abteilungsleiter soll lieber nicht sagen: „Ich möchte gern noch etwas glücklicher, noch zufriedener, noch ausgefüllter und ausgelasteter sein – man mache mich zum Hauptabteilungsleiter.“ Er könnte schon die höchste Fähigkeitsstufe erreicht haben, ihm könnte sein level of incompetence bevorstehen.Ein gelangweilter, unglücklicher, unausgelasteter und sich nach fünfjährigem Tun unterfordert fühlender Abteilungsleiter hingegen könnte durchaus das erforderliche Potenzial für „mehr“ haben.Wenn das stimmt, hätten wir zumindest eine Erklärung dafür, warum so viele ranghohe Vorgesetzte so missmutig über die Flure laufen: Das ist eine Aufstiegsvoraussetzung! (Dieser kleine letzte Absatz ist nicht ganz so ernst gemeint wie der Rest – ich sage das, weil einige Leser alles, was hier steht, für eine Glosse halten, was aber falsch ist.)f) Ihre Frage, wie man einem Vorgesetzten begegnen soll, der fachlich „nur“ die gleiche Qualifikation hat, wie man selbst, muss etwa so beantwortet werden:“Fachlich“ ist in dem Zusammenhang ein gefährlicher Begriff. Eine „nur“ vergleichbare Ausbildungsqualifikation zu haben, ist bei Vorgesetzten durchaus Standard, sogar eine eher geringere kommt vor (ein FH-Ingenieur als Chef von TU-Ingenieuren etc.).Auf dem Gebiet, das der Untergebene mit „fachlich“ meint, kann, darf, ja soll der Mitarbeiter eher mehr können als der Chef. Der Entwickler kann besser entwickeln als der Entwicklungsleiter, der Fahrer kann besser fahren als der Fuhrparkleiter und der Sänger kann besser singen als der Chorleiter. Das gilt immer und überall: Dass der CAD-Konstrukteur versierter mit der entsprechenden Software umgeht als der Konstruktionschef, wird nicht nur toleriert, sondern gewollt.Es gibt zwei Definitionsmöglichkeiten, um das zu untermauern: Entweder sagt man, die fachlichen Anforderungen an den Chef sind ganz andere als die an seine Mitarbeiter (delegieren, kontrollieren, motivieren, budgetieren, Ziele fixieren etc.). Oder Sie sagen, jene fachlichen Fähigkeiten, die fast 100% der Mitarbeiterqualifikation ausmachen, bilden beim Abteilungsleiter nur 50% seiner Gesamtqualifikation. Der Rest geht in Richtung „Persönlichkeit“. Ein Berechnungsingenieur muss nicht übermäßig durchsetzungsfähig sein, die Hauptsache ist, er berechnet gut und schnell. Sein Chef jedoch könnte allein damit nicht überleben.Bei der Gelegenheit: Liebe Mitarbeiter in ausführenden Funktionen, stellen Sie sich das tägliche erfolgreiche Führen eines „Haufens“ aus Leuten wie Ihnen bloß nicht zu einfach vor. Ohne Grund zahlen die stets so kostenbewussten Unternehmen dem Chef nicht ein deutlich höheres Gehalt als Ihnen.Das heißt für Sie, geehrter Einsender: Die Qualifikationsanforderungen an Ihren Chef sind um ziemlich genau den Aspekt höher, den Sie heute in Ihrer Zuständigkeit vermissen: Personal einstellen, die Unternehmensentwicklung steuern etc.Leider kommt an der Stelle ein Aspekt ins Spiel, der die Sache verkompliziert: Wenn der Mensch erst einmal Chef ist, dann geht er gern davon aus, nun alles(!) besser zu wissen und zu können als seine Mitarbeiter. Bliebe es bei dem Gefühl, wäre das nicht so schlimm, aber nur zu oft schlägt sich das in detaillierter Ausführungskritik oder in penibler Ausführungskontrolle nieder. Konkret: Der Chef ist nicht nur in Strategie- und Führungsfragen die Nr. 1 und hat in fachlichen Dingen im Zweifelsfall das letzte Wort, er sagt dann gleich auch noch „im Vorübergehen“ beispielsweise dem Maler, wie er den Pinsel halten soll.Ich wage es nicht, hier öffentlich zu behaupten, ich sei gefeit gegen diese ewige Versuchung, denen ein Chef ausgesetzt ist – meine Mitarbeiter könnten diesen Beitrag schließlich lesen und entschieden den Kopf schütteln. Ich kann tatsächlich kaum an einem frisch konzipierten Text – z. B. einer im Kundenauftrag erstellten Stellenanzeige – vorübergehen, ohne die eine oder andere erfolgsentscheidende Verbesserung „vorzuschlagen“. Aber ich habe das Problem erkannt und eine Lösung gefunden: Ich gehe nicht mehr unnötig dorthin, wo diese Konzepte bei uns im Büro entstehen: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Aber das ändert nichts daran, dass ich innerlich zutiefst überzeugt bin, das eigentlich besser zu können. Dagegen komme ich nicht an – aber ich kann mich zwingen, auf die ständige öffentliche Demonstration dieser vermeintlichen Überlegenheit zu verzichten.(Wenn Sie diese Anmerkung für übertrieben halten, dann fragen Sie einmal jene Mitarbeiter, die dem Konzernvorstand eines Automobilherstellers ein neuentwickeltes Automodell vorstellen. Kaum ein Vorstand verzichtet darauf, persönlich z. B. einer eigentlich eher unbedeutenden Rückleuchte den entscheidenden „letzten Schliff“ zu geben).Zu den konkreten Fragen:Zu 1: Erste, noch sehr zurückhaltende Bedenken beginnen so ab zehn Jahren Betriebszugehörigkeit, massiver werden sie so ab fünfzehn Jahren. Interne Aufstiege mildern die Vorbehalte sehr deutlich, interne Aufgaben- oder Abteilungswechsel ohne hierarchischen Aufstieg mildern sie auch nennenswert.Zu 2: Er braucht vor allem Veränderung, positive Weiterentwicklung. Ein Aufstieg so ca. alle fünf Jahre in- oder extern ist ideal. Der Hintergrund: Eine externe Bewerbung zielt auf ein neues Unternehmen, also auf eine erhebliche Veränderung. Wer nun siebzehn Jahre in einer Firma denselben Job gemacht hätte, mag offensichtlich keine Veränderung und hat keine Erfahrung in deren Umsetzung/Verarbeitung. Beides macht ihn als Bewerber nicht besonders attraktiv.Zu 3: Gemessen am Standard sind Sie schon eine Ausnahme, viele wechseln ihren Arbeitgeber alle zwei bis drei Jahre (das ist zu früh!). Ob das in Ihrem Fall nun an einem tollen Unternehmen und/oder einem besonders „langmütigen“ Mitarbeiter liegt, kann ich nicht beurteilen.Fest steht: Noch ist bei Ihnen nichts verloren, alles ist im „grünen Bereich“. Wenn Sie in den nächsten ein bis zwei Jahren den Arbeitgeber wechseln und dabei einen Aufstieg realisieren können, liegen Sie noch voll im Toleranzrahmen.

Kurzantwort:

Sehr viel länger als fünf Jahre hält ein „hellwacher“, leistungsstarker, ehrgeiziger und dynamischer Mitarbeiter mit akademischer Ausbildung eine gleichbleibende Tätigkeit in derselben Abteilung desselben Unternehmens kaum aus. Die Bosheit des Systems liegt hier im gern praktizierten Umkehrschluss gegenüber Bewerbern (wer es ausgehalten hat, kann kaum … sein).
Frage-Nr.: 2607
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 7
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2013-02-15

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Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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