Heiko Mell 02.01.2016, 08:40 Uhr

Ist meine Kündigungsfrist zu lang?

Frage/1: Um ehrlich zu sein, ist Ihre Rubrik ein Muss für mich. Das Studium Ihrer Antworten und Ansichten hat mir bereits bei einigen Entscheidungen geholfen beziehungsweise beeinflusst.

Frage/2: Ich bin Ende 40 und führe eine Abteilung in einer internationalen Gruppe.Kürzlich bewarb ich mich extern und hatte ein Vorstellungsgespräch. Das Positionsangebot, der Standort, die Betriebsgröße und die Branche entsprachen sehr meinen Vorstellungen. Ich erhielt später die Nachricht, dass ich an dritter Stelle bei der Kandidatenauswahl gelegen hätte. Der Grund für meine schwächere Einstufung sei meine lange Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende gewesen.

Mich hat diese Entscheidung sehr nachdenklich gemacht. Schließlich hatte man mir weder in der Anzeige noch im Gespräch einen Ziel- Einstellungstermin genannt. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass mir die Kündigungsfrist zum Nachteil werden könnte. Bei der damaligen Einstellung beim jetzigen Arbeitgeber war diese Frist nicht verhandelbar gewesen.

Ist diese Frist in meiner Hierarchie-Ebene unangemessen hoch oder habe ich auf die falsche Anzeige geantwortet? Ist eine solche Frist nicht auch eine Wertschätzung meiner Funktion? Verhält es sich nicht so, dass nach Zugehörigkeit von mehr als fünf Jahren der Gesetzgeber entsprechende Kündigungsfristen zum Schutz für den Arbeitnehmer vorsieht?

Wie geht man zukünftig damit um?

Antwort:

Antwort/1: Vorsichtshalber bestätige ich hier in aller Öffentlichkeit noch einmal, dass ich im Grunde meines Wesens ein recht netter und überwiegend freundlicher Mensch bin. Auch wenn ich Menschen korrigiere, obwohl sie mich loben. Aber ich kann nicht anders:

Streichen Sie einmal im letzten der beiden abgedruckten Sätze „bereits bei einigen Entscheidungen geholfen beziehungsweise“, dann bleibt „… hat mir beeinflusst“. Das aber geht nicht. Es müsste z. B. heißen „… hat mir bereits … geholfen beziehungsweise mich beeinflusst“. Man sieht so etwas auch sehr oft in Bewerbungen und in anderen wichtigen Briefen, daher mein Hinweis. Und ich bedanke mich für das Lob.

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Antwort/2: Folgende Aspekte spielen eine Rolle:

1. Die tatsächlich vorhandene/geltende Kündigungsfrist, ob sie nun individuell im Vertrag steht, ob sie durch Tarifvertrag und/oder Gesetz beeinflusst wird, ist ein Problem des Bewerbers. Er muss sie kennen und in der Bewerbung bzw. im Vorstellungsgespräch zutreffend und verbindlich nennen können. Ihn allein treffen auch die Nachteile, die sich eventuell daraus ergeben.

2. Bewerbungsempfänger (zukünftige Arbeitgeber) machen ihre Entscheidung im Hinblick auf eine Einstellung u. a. von folgenden Kriterien aufseiten der Bewerber abhängig:Fachliche Qualifikation, persönliche Ausstrahlung, positionsgerechtes „Format“, Sympathie-Empfindung des künftigen Vorgesetzten, Spezialkenntnisse, Alter, Geschlecht, Zeugnisse, Werdegang, Gehalt – und eben auch „Verfügbarkeit“.

Und natürlich spielen die Mitbewerber eine Rolle. Unter Blinden ist zwar der Einäugige König – aber auch der beste von zwanzig Kandidaten kann letztlich absolut gesehen noch nicht gut genug passen und bekommt eine Absage.

An jedem der genannten Punkte können(!) Sie scheitern. Oder am Foto. Oder an einem „ungebildet“ wirkenden falschen Gebrauch eines Fremdwortes (im Extremfall). Oder eben an einer subjektiv als zu lang empfundenen Kündigungsfrist.

3. Auf Arbeitgeberseite gibt es unterschiedliche Bedarfssituationen (die der Bewerber meist nicht kennt) und die zu unterschiedlichen Prioritäten in der Auswahl führen. So kann der ganze, bisher in geordneten Bahnen laufende Auswahlprozess plötzlich kippen, weil ein entsprechend tätiger Mitarbeiter des suchenden Unternehmens unerwartet ausfällt (Kündigung, Krankheit, Tod) und aus einer ruhigen Suche nach einem Nachfolger des Abteilungsleiters das hektische Streben nach einem möglichst schnell verfügbaren Kandidaten wird.

4. Vorsichtshalber sei gesagt: Es gibt innerhalb dieses Prozesses nichts, was es nicht gibt. Zum Glück sind das Einzelfälle – aber Ihrer könnte ein solcher sein.

5. Zurück zur Kündigungsfrist: Im Normalfall wird ein Bewerber gesucht, der in ungekündigtem Arbeitsverhältnis steht, eine seiner heutigen Position entsprechende solide Kündigungsfrist hat (die das ungekündigte Verhältnis so richtig glaubhaft macht) – und der sehr kurzfristig anfangen kann.

Sie meinen, das widerspräche sich? Na und? Wo steht, dass ausgerechnet Firmen nur logisch denken dürfen?

6. Die Veränderungsgeschwindigkeit im gesamten Wirtschaftsprozess nimmt immer mehr zu. In einem wohlgeordneten Großunternehmen sitzt nach zwei Jahren kaum noch jemand auf seinem heutigen Stuhl, eine konkrete Personalplanung für einen längeren Zeitraum betreibt schon fast niemand mehr.

„Wir müssen extrem schnell reagieren, die Märkte verlangen das, die Wettbewerber tun es auch. Was gestern Kernkompetenz war, fliegt heute raus – und umgekehrt (es fliegt wieder rein).“

Und in diesem Umfeld wird eine Abteilungsleiterposition neu besetzt. Warum auch immer. Vorgestern wurde darüber entschieden, gestern hat man inseriert, heute redet man mit einem Bewerber. Die Position ist wichtig (natürlich, sonst hätte man sie gestrichen), die Erwartungen an den neuen Inhaber sind hoch: Das übergeordnete Management will Ergebnisse der neuen Struktur und/oder der neuen Besetzung. Oder alles soll so bleiben wie es war, aber der Abteilungsleiter ist weg und so lange arbeitet der Laden dort nicht effizient. Nur die Mitarbeiter denken immer, es ginge auch ohne Chef, das Management sieht das völlig anders.Wie auch immer – der neue Abteilungsleiter muss her. Am liebsten gestern, schlimmstenfalls morgen; alles fiebert ihm entgegen.

Bitte sagen Sie nicht, wenn das so ist, dann könnte man doch wenigstens den Entscheidungsvorgang „Besetzung“ deutlich verkürzen. Das jedoch geht irgendwie nicht. Sie finden das merkwürdig? Na und? (Siehe oben.)

Also: Schnell muss der neue Abteilungsleiter da sitzen und Resultate bringen. Aber arbeitslos soll er natürlich auch nicht sein. Nun denkt man etwa so:

„Zwei Monate brauchen wir noch für den Auswahlprozess. Dann unterschreibt der Kandidat seinen Vertrag. Dann kündigt er. Dann läuft seine Kündigungsfrist. Sechs Monate zum Monatsende, das sind mit ein bisschen Pech fast sieben. Jetzt ist es November, da kommt der hier zum 01.08. n. J. an. Dann ist Haupturlaubszeit, da läuft hier gar nichts. Also beginnt er seine Einarbeitungszeit etwa am 15.09. Dafür braucht er mindestens drei Monate. Dann ist Weihnachten. Also bekommen wir im nächsten Jahr noch nichts an Ergebnissen von dem Neuen zu sehen. Vielleicht taugen die Ideen von ihm ja nicht einmal etwas. Dann haben wir dieses ganze Jahr verloren. Der Vorstand will aber Resultate, und er will sie jetzt! So geht es also nicht – gibt es nicht einen Bewerber, der keine so dämliche Kündigungsfrist hat?“ Den Rest kennen Sie.

PS: Eine Analyse der Verhältnisse bei diesem suchenden Unternehmen könnte ergeben, dass dort ausnahmslos alle Abteilungsleiter auch sechs Monate zum Monatsende haben, einige sogar zum Quartalsende. Das pflegt man aber schulterzuckend abzutun: „Na und?“

7. Arbeitsverträge werden von Arbeitgebern gestaltet und vorformuliert, einschließlich der Kündigungsfristen.

Mit einer verhältnismäßig langen Frist sichert sich das Unternehmen gegen plötzlich ausscheidende Mitarbeiter in Schlüsselpositionen ab. Gleichzeitig, das muss man anerkennen, sichert man so auch den Arbeitnehmer gegen plötzlichen Einkommensverlust ab.

Aber es ist wie mit dem Salz in der Suppe: Zuviel davon macht die Geschichte ungenießbar. Für den Mitarbeiter. Und das geht so: Gibt man Abteilungsleitern etwa Fristen von neun Monaten zum Quartal, finden sie überhaupt keinen neuen Job „draußen“ mehr, wenn der heutige Arbeitgeber nicht großzügig einer Verkürzung zustimmt – womit man aber vorher nicht rechnen darf. Das ist so lange „originell“ für das Unternehmen, bis jemand ausrechnet, dass dann auch jede Entlassung sehr viel Geld kostet – und bis man merkt, dass man auf dem Arbeitsmarkt niemanden mehr findet, der ein solches Vertragsangebot unterschreibt. Aber bei den Mitarbeitern, die man unter Vertrag hat, bestimmt dann allein der heutige Arbeitgeber, ob sie jemals ausscheiden (weil sie nur einen neuen Job bekommen, wenn man ihrem vorzeitigen Ausscheiden zustimmt).

8. Mein Appell an Arbeitgeber: Mitarbeiter, insbesondere Manager, sollen beim Unternehmen bleiben, weil sie das wollen. Nur dann sind sie motiviert, engagiert, mit Freude und Überstundenbereitschaft dabei. Wer nur noch „bei der Fahne steht“, weil überlange Kündigungsfristen seinen längst beabsichtigten Weggang verhindern, ist „totes Kapital“, mehr nicht.

Das gilt auch für Inhaber ausgesprochener Schlüsselpositionen. Diese richtig zu führen, heißt auch, sie so zu betreuen, dass man weiß, was sie bewegt, welche Ambitionen und Wünsche sie noch haben, wo ihre Ziele liegen. Dann kann man rechtzeitig reagieren und Abwanderungstendenzen entgegensteuern.Und wenn ein Manager dann schließlich gekündigt hat und noch neun Monate bleiben muss – was haben Sie in dieser Zeit noch von ihm? Er denkt nach vorn, seine Zukunft liegt im neuen Unternehmen, das ihn dringend erwartet. Was soll er hier noch entscheiden, wenn er die Konsequenzen nicht mehr tragen muss, was planen, wenn er die Realisierung nicht mehr „erlebt“?Nicht ohne Grund stellen manche Konzerne Manager bestimmter Ebenen grundsätzlich frei, wenn sie gekündigt haben.

9. Vorschläge für Angestellte, wie sie mit dem Problem umgehen:

a) Vorsicht bei der Vertragsunterschrift. Zwar tun manche Unternehmen so als würden sie keinen Millimeter nachgeben – aber nach der x-ten Bewerberabsage aus diesem Grund bewegen sie sich dann doch. Und, liebe Bewerber, Sie haben ja auch keine Probleme damit, Angebote wegen des falschen Standorts, wegen zu geringen Gehalts oder wegen fehlender Aufstiegschancen abzulehnen. Eines Tages wegen einer zu langen Kündigungsfrist festzusitzen, ist auch nicht erstrebenswert (siehe den speziellen Fall des Einsenders).

b) Im Anschreiben von Bewerbungen sollten Sie der Hoffnung Ausdruck geben, dass eine Verkürzung möglich ist (die Hoffnung stirbt zuletzt), das verpflichtet Sie nicht wirklich.c) Mit Ihrem derzeitigen Arbeitgeber können Sie vorher nicht „so ganz unverbindlich“ über eine „denkbare Verkürzung der Frist im Falle einer Kündigung“ sprechen, das verbietet sich. Sie können nur kündigen und dann um eine Verkürzung bitten. Da Sie die eventuell nicht bekommen, brauchen Sie im neuen Arbeitsvertrag einen Dienstantrittstermin zu einem Zeitpunkt nach Ablauf Ihrer regulären Kündigungsfrist (eventuell mit dem Zusatz: „Herr Müller bemüht sich, von seinem heutigen Arbeitgeber eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen; das Unternehmen verpflichtet sich, ihn zu jedem Termin vor dem genannten spätesten Eintrittstermin einzustellen“).

Mehr können Sie nicht tun.

10. Besonders begeistert ist der Bewerbungsempfänger nicht über die „Wertschätzung“, die Sie mit Ihrer langen Frist (in seinen Augen) genießen: Sie stört seine Kreise, gilt vermutlich ohne Ansehen der Person für alle Manager Ihrer Ebene in Ihrem Unternehmen und wiegt das späte mögliche Eintrittsdatum nicht auf.

11. Ich versuche einmal Empfehlungen. Als ebenso marktüblich wie relativ unproblematisch können etwa gelten (kleinere Abweichungen inbegriffen):Sachbearbeiter: 4 Wochen zum Monatsende / 4 oder 6 Wochen zum Quartalsende

AT-Mitarbeiter, Team-/Gruppenleiter: 3 Monate zum Monatsende / 3 Monate zum QuartalsendeAbteilungsleiter: 3 Monate zum Monatsende / 3 Monate zum Quartalsende / 6 Monate zum Monatsende / (6 Monate zum Quartalsende)

Es gilt jeweils: Wenn Sie sich bewerben, sind meist die kürzeren Fristen günstiger. Wenn Ihnen die Kündigung droht, verspricht jedoch die längere Frist mehr finanzielle Sicherheit.Und damit Sie nicht meinen, das sei schon eine erschöpfende Behandlung des Themas gewesen: Es kommen immer wieder einmal Bewerbungen auf den Tisch, in denen ist von „6 Monaten zum Halbjahr“ oder von „6 Monaten zum Jahresende“ die Rede. Wer einen solchen Arbeitsvertrag unterschrieben hat, ist praktisch unvermittelbar.

Was auch geht: Sie haben eine lange Kündigungsfrist, kündigen erst und bewerben sich dann. Aber das ist hoch riskant und wird nicht empfohlen.

Kurzantwort:

Bewerbungen scheitern durchaus auch an einer vom
Empfänger als zu lang empfundenen Kündigungsfrist
des Kandidaten, also Vorsicht bei der
Vertragsunterschrift.

Frage-Nr.: 2640
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 33
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2013-08-16

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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