Heiko Mell 02.01.2016, 08:56 Uhr

Ich soll mich um meinen eigenen Job bewerben

Bei meinem mittelständischen Arbeitgeber läuft seit Kurzem in einem Teilbereich eine Umstrukturierung aufgrund nicht zufriedenstellender Zahlen.

Dabei wird von den Mitarbeitern – ebenso wie von den betroffenen Führungskräften – verlangt, dass sie sich um ihre bisherigen Stellen erneut bewerben, wenn sie diese behalten wollen. Fällt ihre Stelle im Rahmen der Umstrukturierung weg, müssen die Mitarbeiter sich um eine ihnen benannte neue Position bewerben.

Offizielle Aussagen zu betriebsbedingten Kündigungen gab es noch keine. Einem Kollegen wurde jedoch von seinem Vorgesetzten gesagt, dass er sich extern einen neuen Job suchen müsse, wenn er sich nicht bewirbt.

Ich bin von diesem Prozedere sehr überrascht. Dass man sich intern um neue Stellen bewirbt, wenn die bisherige Position gestrichen wird, verstehe ich teilweise. Aber dass man sich bewerben soll, wenn die bisherige Stelle und Tätigkeit erhalten bleiben, verstehe ich nicht.

Was ist die Motivation des Unternehmens dahinter? Die Bewerbungsempfänger wissen doch, wen sie da vor sich haben. Warum der Aufwand? Was für eine Bewerbung wird da erwartet, reicht ein Dreizeiler? Die wesentlichen Unterlagen liegen doch in der Personalakte vor. Kann man aus einem solchen Verhalten auf den generellen Umgang des Unternehmens mit den Mitarbeitern schließen? Ich kann ansonsten über das Unternehmen bisher nichts Nachteiliges sagen.

Antwort:

Wie immer reden wir nicht über die arbeitsrechtliche Situation („Dürfen die das überhaupt?“). Nehmen wir einmal an, der Arbeitgeber hätte das geprüft.

Ich sehe den Hintergrund der Aktion so:

1. Die Zahlen sind „rot“, es muss etwas geschehen, es muss Veränderungen geben.

2. Sofort und tiefgreifend helfen nur radikale Kostenreduzierungen. Die lassen sich schnell und nachhaltig fast nur über Personaleinsparungen realisieren. Die ganze Aktion dürfte also auch zum Ziel haben, hinterher dort weniger Leute zu beschäftigen als vorher.

3. Eine andere, aber in dieselbe Richtung zielende Überlegung könnte darin bestehen, eine Reihe von hoch (über-)bezahlten Mitarbeitern hinterher nur für Jobs (vielleicht sogar ihre alten) mit geringerer Bezahlung zu akzeptieren.

4. Ich habe warnend schon öfter darauf hingewiesen, dass viele Unternehmen viele ihrer heutigen Angestellten nicht für deren heutigen Job einstellen würden, sollten sie sich von außen her darum bewerben. Und falls doch, dann nicht zum heutigen Gehalt.

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Es ist einfach eine Tatsache, dass im Laufe der Zeit Mitarbeiter auf Positionen rutschen und dort belassen werden, die sie extern nicht erringen könnten. Das bedeutet: Das Qualifikationsniveau (fachlich und/oder persönlich) bleibt deutlich hinter Idealanforderungen zurück. Eines Tages sind diese Angestellten zwanzig Jahre auf ihrer Position tätig, frühere Vorgesetzte hatten Korrekturmaßnahmen versäumt oder schlicht um des lieben Friedens willen nicht gewagt. Bis die roten Zahlen plötzlich ein dramatisches Zeichen setzen: „So geht es nicht weiter.“

5. Aus der Sicht der Unternehmensleitung ist es eine geradezu faszinierende Lösung, mit einem Schlag die völlig verkrusteten Strukturen im organisatorischen und personellen Bereich aufzubrechen und einen Neuanfang zu wagen. Man betrachtet den Ist-Zustand als beendet, schafft eine neue Organisation und bietet dem vorhandenen Personal die Chance, sich zuerst und damit bevorzugt um die neuen – darunter können auch unveränderte alte sein – Jobs neu zu bewerben (die Personalabteilung wird wissen, wie diese Bewerbungen technisch gestaltet werden sollen).

Von solchen Mitarbeitern, die man nicht mehr will, lehnt man die Bewerbung ab (und muss dann natürlich die Kündigung aussprechen). Anderen „Bewerbern“, die man weiter beschäftigen möchte, bietet man einen bestimmten Job in einem bestimmten Rahmen an, den können sie dann nehmen oder sie bewerben sich extern.

6. Wichtiger als die Frage, ob und wie das arbeitsrechtlich funktioniert, scheint mir für Sie die Erkenntnis zu sein: „So etwas“ will die Unternehmensleitung, das wird sie durchzusetzen versuchen; wer dagegen ist, ist Gegner. Es kann sein, dass dies die einzige verbliebene Überlebensstrategie für diesen Unternehmensbereich ist.

Und: Das unterstreicht einmal wieder, dass es keine absolute Sicherheit gibt – man muss immer wieder damit rechnen, sich extern bewerben zu müssen. Also ist es ratsam, sich immer wieder einmal zu fragen: Ist meine Gesamtqualifikation so, dass ich es relativ problemlos schaffen würde, extern einen Job wie meinen wieder zu erringen?

Kurzantwort:

Frage-Nr.: 2649
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 42
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2013-10-17

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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