Ich weiß nicht, wo ich mich noch bewerben soll
Frage/1: Ich hatte ein Ingenieurstudium an einer TU begonnen und bis zum bestandenen Vordiplom (befriedigend) durchgezogen. Danach bin ich in ein persönliches Tief gefallen. Ich isolierte mich aufgrund meiner persönlichen Probleme mehr und mehr von meinen Mitstudenten. Das Studium habe ich dann an einer FH fortgeführt und „gut“ abgeschlossen. Ich habe den Wechsel freiwillig vollzogen ohne die typischen Gründe wie erfolgloser dritter Prüfungsversuch o. Ä. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich mein TU-Studium zu Ende führen können, wenn meine persönlichen Probleme nicht überhandgenommen hätten.
Frage/2: Nach meinem Studienabschluss habe ich in meiner Wahlheimat Norddeutschland keine Stelle für eine Diplomarbeit gefunden, war dann aber in einer Stadt in Bayern erfolgreich. Danach aber habe ich in Bayern nicht Fuß fassen können (drei erfolglose Bewerbungsgespräche) und bin zurück nach Norddeutschland gezogen.
Frage/3: In der vertrauten Wohnregion habe ich bei dem Ingenieurdienstleister A eine Anstellung als Prozessingenieur bekommen und wurde an Firma A1 verliehen. Der Job war stark formell/verwaltend ausgerichtet. Nach wenigen Monaten habe ich mich bei A1 direkt beworben und wurde angenommen. Das Aufgabengebiet blieb unbefriedigend, Vorsprachen beim Vorgesetzten blieben erfolglos. Noch während der Probezeit bekam ich im Zuge von europaweiten Personaleinsparungsmaßnahmen ein Abfindungsangebot, das ich annahm.
Frage/4: Auf eine Empfehlung hin bekam ich eine Anstellung bei dem Spezial-Anlagenbauer B. Der Job war von Anfang an mit großen Problemen verbunden. Die vorgegebene Aufgabe war für mich kaum anständig lösbar, ich geriet mit einer wichtigen Führungskraft aneinander. Dazu kamen Arbeitszeiten von 7 bis 22 Uhr sowie Einsätze an Samstagen, alles ohne Ausgleich.Aus der letzten Bewerbungsaktion hatte ich noch einen Kontakt zu einem anderen Arbeitskräfte-Verleiher C. Ein ehemaliger Studienkollege war dort angestellt und bald vom Kunden fest übernommen worden. Ich ließ mich dort einstellen, nachdem ich bei B gekündigt hatte.
Frage/5: Ich bin seit einigen Monaten bei C, werde an den Kunden C1 verliehen und arbeite dort an einem Projekt mit. Der Projektleiter ist unkommunikativ. Die Einarbeitung war absolut unzureichend. Ich habe kaum etwas zu tun. Eine Erweiterung meiner Aufgaben ist nicht möglich, da mein Vorgesetzter sich nicht darum kümmern möchte. Nach mehreren Versuchen habe ich es aufgegeben und sitze mindestens 50% meiner Arbeitszeit relativ untätig da.
Ich möchte meinen Arbeitsplatz wechseln und auch nicht mehr als „Leihingenieur“ tätig sein. Bei einem neuen Unternehmen D habe ich mich beworben und wurde auch eingeladen, bekam dann aber eine Absage. Weitere Bewerbungen führten zu Ablehnungen ohne Gespräch. Ich habe fast alle möglichen Arbeitgeber abgearbeitet. Ich weiß auch nicht, ob ein Wechsel in dieser Phase der richtige Weg ist. Können Sie mir weiterhelfen?
Antwort:
Antwort/1: Sie stehen unter starkem Druck, diesen Wechsel von der TU zur FH zu begründen oder im Detail zu rechtfertigen. Dazu folgende Erläuterungen:
a) Wechsel von der TU/Uni an die FH kommen häufig vor. Der Leser einer Bewerbung ist daran gewöhnt und zuckt die Schultern. Ihn interessieren eigentlich nur noch:
– Wie lange hat nun die ganze Studiererei bei Ihnen gedauert und- welches Resultat ist beim FH-Examen schließlich herausgekommen?
Die Antwort auf die erste Frage ist leider eine Katastrophe: Siebzehn Semester, davon trotz bestandenen TU-Vorexamens noch einmal volle neun an der FH. Das alles ist kritisch, da geht berufslebenslang im Kopf des Betrachters eine rote Warnlampe an, er wird alles, was danach kommt, mit kritischer Vorprägung betrachten.
Das FH-Examen ist „gut“. Sie waren dabei etwa 30 Jahre alt, das ist bedenklich, aber Umwege kosten eben Zeit.
b) Lassen Sie sich unter keinen Umständen dazu hinreißen, in der schriftlichen Bewerbung oder im Vorstellungsgespräch eine Begründung wie hier mir gegenüber zu geben. Wer das mit den „persönlichen Problemen“ hört, geht sofort auf Distanz zu Ihnen. Ich habe den Verdacht, dass Sie diesen Fehler gemacht haben – vor lauter Angst, man könnte Sie als „nicht intelligent genug für die TU“ einstufen.c) Die Lösung für diesen Aspekt: Sie haben ein Abitur schlechter als 2,5. Nach allgemeinen Erfahrungen ist auf der Basis ein TU-Besuch möglich, aber riskant. Ein späterer Wechsel an die FH ist unter diesen Aspekten normal im Sinne von häufig vorkommend. Nun gehe ich ans Eingemachte, aber es muss sein: Lassen Sie schriftlich und mündlich jeglichen Hinweis auf das bestandene TU-Vordiplom weg, das wirft nur Fragen auf.
Nein, geben Sie folgendes Bild ab: Abi befriedigend, TU-Studium „ohne Abschluss“ (wörtlich!) abgebrochen, üblicher Wechsel zur FH, dort (erwartungsgemäß, die Statistik untermauert das) mit einer Note besser als beim Abi abgeschlossen, insgesamt ein bisschen alt geworden. Mehr aber ist bis dahin nicht, keine sonstigen Probleme.
Nachteil: Jeder denkt, Sie hätten den Anforderungen der TU nicht entsprechen können. Leben Sie damit, es ist das kleinere Übel. FH-Absolventen sind ganz prächtige Menschen, ich weiß das aus sicherer Quelle. Man muss sich dessen nicht schämen.
Sie haben noch eine Besonderheit, die man nicht übergehen darf: Es gibt einen klaren Migrationshintergrund, vom Namen über den Geburtsort bis zum Foto. Aber Sie haben die Schulen hier in Deutschland besucht, das Studium hier absolviert. Sie haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Grundsätzliche Bedenken wird man Ihnen deshalb nicht entgegenbringen, im Gegenteil: Jeder versteht, dass Sie hier größere Schwierigkeiten hatten, dass Sie sich erst mühsam eingewöhnen mussten, dass Ihre Eltern Ihnen vermutlich nichts mitgeben konnten, was Ihnen die Planung und Realisierung eines Studiums an deutschen Hochschulen etwa hätte erleichtern können (was dann auch für das spätere Berufsleben gilt).
Auf der Basis der inzwischen erreichten Sprachkenntnisse (nach über zwanzig Jahren im Lande sollten Sie nahezu akzentfrei sprechen können; Ihr Schriftdeutsch ist in Ordnung) sollte das alles für einen normalen Berufseinstieg gereicht haben.
Antwort/2: Haken wir dieses Intermezzo kurz ab: Der Süden brummt industriell gesehen, dort gibt es in vielen Bereichen mehr Chancen, das wird oft berichtet. Dass Sie nicht in jedem Teil Deutschlands gleichermaßen glücklich werden können, ist eine Beobachtung, die Sie mit vielen Menschen teilen, mit Bayern hat das gar nichts zu tun.
Aber eigentlich dienen Diplomarbeiten den Unternehmen dazu, spätere Mitarbeiter kennenzulernen. Rechnen Sie also im Bewerbungsprozess mit der Frage, warum jenes Unternehmen Sie anschließend nicht übernehmen wollte.
Antwort/3: Viele Bewerbungsempfänger schauen gerade bei Menschen, deren Ausbildungs-Werdegang schon irgendwelche Probleme erkennen lässt, ob sie sich denn nun „wenigstens in der Praxis haben problemlos integrieren können“. Je mehr „rote Warnlampen“ aufgrund des davorliegenden Lebenslaufes im Kopf des Betrachters angingen, desto kritischer wird dieser Blick. Bei Ihnen sind es nach Studienende schon wieder drei Aspekte, die auffallen:
– Je nachdem wie Sie es darstellen, beginnt es mit „ich konnte in Bayern nicht Fuß fassen“ und „mein Diplomarbeits-Partner wollte mich nicht haben“.
– Dann folgen aus formaljuristischer Sicht einige Monate bei Arbeitgeber A,
– danach kommen einige Monate bei Arbeitgeber A1. Das sieht in der Gesamtbetrachtung nicht gut aus.
Lösungsansatz für diesen Aspekt:
– Das Problem „Sie in Bayern“ gab es nie. Sie suchten bewusst – wegen des zu erweiternden Horizonts – bundesweit einen Partner für die Diplomarbeit, fanden den in der XY GmbH, waren erfolgreich, kamen planmäßig zurück, Ende des Themas. Auf die Idee, in der bayerischen Provinz dauerhaft zu arbeiten, sind Sie nie gekommen (falls jemand entsprechend fragt), das ist Ihr gutes Recht.
– Die beiden formal getrennten Beschäftigungsverhältnisse A und A1 ziehen Sie im Lebenslauf unter einer gemeinsamen (also längeren) Zeitangabe und dem zentralen Arbeitgeber A1 zusammen. Dann schreiben Sie in Klammern unter die Firmenangabe („von … bis … dort eingesetzt vom Ingenieurdienstleister Schulze OHG“), das ist dann korrekt genug.
Auch hier kann man das Problem weniger schlimm erscheinen lassen, wegzaubern kann man es jedoch nicht.
Antwort/4: So langsam gehen mir die Lösungsideen aus. Das war wieder nur die Probezeit. Schwierigkeiten und Überstunden hin oder her – Ihre Reputation war angeschlagen, es war Durchstehen angesagt, Sie jedoch sind vor dem Problem weggelaufen. Nun, es ist noch nicht zu Ende.
Antwort/5: Ein Unternehmen hat langjähriges Stammpersonal. Zur Abdeckung von Auftragsspitzen fordert es Leih-Arbeitnehmer an. Diese haben als Arbeitgeber ihren Verleiher, sie sind nur bei dessen Kunden eingesetzt. Was glauben Sie, wie engagiert sich so ein durchschnittlicher Vorgesetzter des Kunden um einen weiteren neuen Leih-Ingenieur zu kümmern bereit ist? Diese Zusatzkräfte kommen und gehen, disziplinarisch zuständig (Einstellung, Beförderung, Gehaltsvereinbarung, Zeugnis) ist er für diese Mitarbeiter nicht, für ihre fürsorgliche Betreuung fühlt er sich auch nicht verantwortlich. Der Gerechtigkeit zuliebe muss gesagt werden, dass es auch andere Erfahrungen von entliehenen Arbeitnehmern gibt. Aber Ihren heutigen „Vorgesetzten“, der den Kopf voller Tagesgeschäft hat, kann man beinahe auch ein bisschen verstehen.
Und noch etwas: Nehmen wir einmal an, es gäbe „gute“ und „weniger“ gute Leiharbeitnehmer-Einsätze. Was glauben Sie, was Sie mit Ihrer berufsrelevanten Vorgeschichte – vielleicht noch „gestützt“ durch taktisch ungeschickte Darstellungen im Bewerbungsprozess – wohl für Einsätze bekommen?
Ich will es einmal ganz vorsichtig ausdrücken: Ihre Bewährung im beruflichen System Ihrer neuen Heimat ist gefordert. Sie haben Ihr erstes Studium geschmissen, waren – auch deswegen – beim Abschluss des zweiten zu alt, haben formal in knapp zwei Jahren das vierte Arbeitsverhältnis und liebäugeln mit dem fünften. Die Maßstäbe in dieser freien Gesellschaft sind hart: Es geht um Erfolge, nicht um gute Gründe für Misserfolge. Merken Sie, wie Ihre Erklärungen über unzumutbare Arbeitsumfelder sich ähneln?
Im Augenblick haben Sie eine Chance. Mit keinem größeren Problem als dem, nicht ausgelastet zu sein. Kurz zuvor stöhnten Sie noch über Arbeitszeiten bis 22 Uhr. Geben Sie die für Sie langsam „lebensgefährliche“ Suche nach Ihrer Idealposition auf und setzen Sie sich das Ziel, den heutigen Job erfolgreich durchzustehen. Was auch kommt!
Erfolg haben Sie, wenn Sie Ihren „Vorgesetzten“ beim Kunden in höchstem Maße zufriedenstellen. Tun Sie, was er will, machen Sie ihn glücklich, aber nerven Sie ihn nicht. Wenn er Sie sieht, sind Sie engagiert und zufrieden bei Ihrer Arbeit. Sie setzen sich ein, machen ein paar (auch unbezahlte) Überstunden. Sie denken sich in die Probleme dieses Chefs hinein – und lassen sich selbst Aufgaben einfallen. Entwickeln Sie Ideen, arbeiten Sie Vorschläge aus, entdecken Sie Probleme (gibt es immer) und arbeiten Sie behutsam und vorsichtig Lösungen aus. Das alles geht grundsätzlich, andere haben so etwas schon geschafft.
Vielleicht gehören Sie, Ihrer Persönlichkeitsstruktur entsprechend, auf einen ganz anderen Arbeitsplatz bei einer ganz anderen Unternehmung. Und auch die sicher mitunter vorkommende etwas nachlässige Betreuung von Leiharbeitnehmern ist vermutlich nichts für Sie. Aber da stehen Sie nun einmal, der Job ist – fast, denn nichts ist wirklich endgültig in diesem Zusammenhang – vermutlich Ihre letzte halbwegs solide Chance zum Aufbau eines halbwegs vernünftigen beruflichen Fundaments.
Wenn Sie jetzt wechseln und auch das geht schief (die Wahrscheinlichkeit ist hoch!), dann sind Sie vermutlich wirklich „draußen“. Daher: Machen Sie Ihren derzeitigen Vorgesetzten vor Ort so glücklich, dass er Sie gern fest in seiner Mannschaft hätte und Sie übernehmen will – und machen Sie auf diesem Wege den zuständigen Disponenten Ihres Verleih-Arbeitgebers glücklich, indem er von seinem Kunden nur Gutes über Sie hört.
Damit wir uns richtig verstehen: Sagen Sie nicht, damit Sie ihn glücklich machen können, müsste Ihr Vorgesetzter Ihnen erst mehr zu tun geben. Das mit dem vorbildlichen Angestellten, der sich Aufgaben sucht, ist völlig ernst gemeint. Nur getan zu haben, was angeordnet worden war, reicht zwar manchmal, um nicht gefeuert zu werden. Aber wer „mehr“ will – Sie wollen raus aus der Leiharbeit und anspruchsvollere Aufgaben haben -, der muss auch „mehr“ tun.
Kurzantwort:
1. Mitunter trifft man, z. T. sicher auch herkunfts- oder mentalitätsbedingt, auf die Auffassung, wenn man ein passendes Studium absolviert habe, seien die wesentlichen beruflichen Probleme gelöst. Richtig ist: Sie fangen dann erst an.
2. Anpassungsbereitschaft ist eine wichtige Voraussetzung, um als Angestellter dauerhaft erfolgreich sein zu können.
Frage-Nr.: 2671
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 7
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2014-02-13
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