Dem Chef die Meinung sagen oder einfach kündigen?
Antwort:
Antwort/1:Bis dahin (und bevor wir tiefer einsteigen, was immer schwierig ist, da wir es mit zwei Konfliktparteien zu tun haben, aber nur über die Schilderung aus einer der beteiligten „Ecken“ verfügen) sind schon einmal folgende Aussagen möglich:Sie sind als Angestellter nach offizieller, allseits anerkannter Definition „abhängig beschäftigt“ und in der Ausübung Ihrer Tätigkeit weisungsgebunden. Das setzt allzu hohen Ansprüchen an Stolz und Selbstwertgefühl Grenzen. Wobei die Ansprüche daran individuell verschieden sind: Wo der eine Mitarbeiter bereits tief verletzt reagiert und sein Selbstwertgefühl in Gefahr sieht, winkt bei identischen „Vorkommnissen“ ein anderer ab mit der Bemerkung: „Dafür ist er Chef, das ist nun einmal so. Mein Trost ist, dass auch er einen Vorgesetzten hat, der ihn piesackt.“Unser System ist auf die Empfindungen durchschnittlicher Menschen in dieser Frage abgestimmt. Zwei Aussagen kann man dazu noch treffen:1. Maßstab sind die anderen Mitarbeiter unter diesen Chefs. Wenn die alle noch da sind und über das übliche Murren hinaus weder Volksaufstände noch den Massenexodus einleiten, überprüfe man seine eigenen Maßstäbe in dieser Angelegenheit.2. „Beliebtes“ Argument eines Betroffenen ist: „Den anderen tut er ja auch nichts, es geht immer nur speziell gegen mich.“ Das überzeugt Fachleute nicht. Denn dann muss es einen besonderen Grund geben für das Chefverhalten diesem Mitarbeiter gegenüber. Und genau den gilt es herauszufinden.Aus extrem umfangreicher Praxis kann ich folgende Aussage vertreten, die Betroffenen nicht immer gefällt: Chefs fangen in der Regel nicht damit an, einem bestimmten Mitarbeiter bewusst auf die Füße zu treten, sein Selbstwertgefühl zu zerstören, ihm besonderes Misstrauen entgegenzubringen. Sie agieren in diesen Punkten nicht, sie reagieren. Wenn mir heute jemand mit entsprechenden Klagen über seinen Chef kommt, frage ich sofort: „Womit haben Sie ihn geärgert, wie haben Sie ihn gereizt?“ Konkret: Nur allzu oft hat, wer sich vom Chef „getreten“ fühlt, in dessen Augen angefangen. Das können Kleinigkeiten sein, das hat der Betroffene vielleicht nicht einmal bemerkt. Schlimmer noch: Meist hat er es nicht beabsichtigt, weil „es ja nur um die Sache gegangen war“. Das ist doppelt falsch, weil es nie um die Sache geht und schon gar nicht nur.Als zentrale Warnung: Meist geht es um Missachtung, um vermuteten fehlenden Respekt dem Chef gegenüber. Damit kommen wir zum Kernpunkt, der Kritik am Vorgesetzten:Die Industrie ist keine Basisdemokratie, sondern hierarchisch aufgebaut. Die Prinzipien, nach denen ein solches System funktioniert, sind seit vielen Jahren nahezu unverändert.Zu unserem Thema gehört auch die Frage, was Kritik überhaupt ist. Der Fremdwörter-Duden beginnt mit der (wissenschaftlichen oder künstlerischen) „Beurteilung, Begutachtung, Bewertung“. Damit fängt es schon einmal ganz gefährlich an: Steht etwa in Ihrem Arbeitsvertrag „Er beurteilt und bewertet die Handlungen und Entscheidungen seines Vorgesetzten“? Weiter heißt es im Duden bei „Kritik“: „Beanstandung, Tadel“. Das geht, sagt in anderem Zusammenhang unsere Bundeskanzlerin, nun gar nicht. Mehr sagt der Duden nicht in unserem Sinne, der Rest bezieht sich nur noch auf die wissenschaftliche/künstlerische Bedeutung des Begriffs.Das heißt konkret: Kritik am Vorgesetzten ist nicht vorgesehen (oder nicht statthaft, nicht denkbar – wie Sie wollen). Wenn man in Fragen der Kommunikation fast ein Künstler ist, dann kann man sich in homöopathischen Dosen (ganz, ganz wenig, eher kaum, fast gar nicht) an diese Sache heranwagen, der Normalsterbliche lässt es besser.Nun könnte man das im Extremfall beinahe so formulieren: Der Angestellte sei gehalten, alle Aussagen, Anweisungen, Handlungsweisen seiner Vorgesetzten kritiklos hinzunehmen. Das gilt aber nun auch nicht!Erlauben Sie mir einen kurzen Sprung zurück. Die Standardanforderungen an einen Angestellten lauten vereinfacht: Genau so, wie Sie es im dritten abgedruckten Absatz Ihrer Frage schildern, darf es nicht laufen. Es ist Ihre Aufgabe, so zu sein, zu handeln, zu arbeiten, dass es eben keine ständigen Meinungsverschiedenheiten mit dem Chef gibt. Dass es nicht „kein Vertrauen mehr in meine Person“ gibt, dass Sie nicht „wenig wertgeschätzt“ werden. Und dass man Ihnen eben kein gewisses Miss-, sondern bitte starkes Vertrauen entgegenbringt. Das wäre Ihr Job gewesen, dem sind Sie nicht gerecht geworden.Der Tenor einer Kritik am Vorgesetzten geht etwa so: Direkte, offene, brutale („das ist falsch“) Kritik scheidet aus; Hinweise darauf, dass Sie nicht glücklich sind mit diesem oder jenem, gehen eventuell in Ordnung, der Ton macht die Musik.Also nicht: „Neuerdings spüre ich ein permanentes Misstrauen Ihrerseits mir gegenüber. Was ich auch mache, Sie sind unzufrieden, vertrauen mir nicht. Ich finde das absolut unangemessen. Ich tue doch nun wirklich alles, um mein Projekt voranzubringen. Erst letzte Woche habe ich … Wenn Sie etwas Konkretes vorzubringen haben, sagen Sie es bitte. Aber diese permanenten Verdächtigungen bitte ich zu unterlassen.“Sondern etwa: „Es ist meine Aufgabe, Ihre Vorgaben zu erfüllen, Ihre Anweisungen umzusetzen, Sie mit meiner Tätigkeit zufriedenzustellen. Bitte seien Sie versichert, dass ich genau das jeden Tag anstrebe. In letzter Zeit habe ich jedoch das Gefühl – ich kann mich auch irren –, dass ich Ihren Vorstellungen nicht mehr in dem Umfang entspreche, wie Sie das erwarten können. Sollte das so sein, sagen Sie es mir bitte, damit ich mich auf Ihre Kritik einstellen und Ihren Erwartungen möglichst weitgehend gerecht werden kann. Es wäre schade, wenn da ein Missverständnis zwischen uns stünde.“Natürlich können Sie auch abweichende Sachmeinungen vorbringen. Aber am besten nur unter vier Augen und nicht mit der Einleitung: „Das sehe ich völlig anders.“ Beispielsweise so: „Ich verstehe, dass Sie so vorgehen möchten, wie Sie es gerade ausgeführt haben und sehe auch die Argumente, die dafür sprechen. Ich sehe jedoch auch die Gefahr, dass aus dieser Konstellation heraus folgende Probleme entstehen könnten: … Wenn wir nun einen etwas anderen Weg gingen, ließe sich diese Klippe vielleicht umschiffen. Das würde bedeuten, … Ich könnte das Konzept dazu kurzfristig vorlegen.“ Und wenn er das dann doch nicht will (was sein gutes Recht ist), bleibt Ihnen nur ein freundlich-positives: „Gut, dann gehe ich wie von Ihnen gewünscht vor.“ Er darf seine sachlichen Intentionen Ihnen gegenüber durchsetzen, vergessen Sie das nicht. Antwort/2:Die Sache ist ziemlich klar: Ihr Konzern A hat zwei Personen in Ihre beiden Vorgesetzten-Ebenen gehoben. Mit beiden liegen Sie im Konflikt. Jetzt wollen Sie, dass der Konzern A Sie, der Sie ja die Ernennung der beiden für falsch halten, seinerseits in eine dieser Ebenen erhebt. Das wird nicht so einfach sein. Bedenken Sie bitte auch, was Ihre beiden Chefs wohl ihrerseits von Ihnen halten. Wenn es um interne Beurteilungen oder Auskünfte an anfragende Empfänger Ihrer internen Bewerbungen geht, müssen Sie mit Einschränkungen rechnen (es sei denn, man lobt Sie „über den grünen Klee“, um Sie schnellstens loszuwerden).Das alles gilt schon für interne Wechsel auf gleicher Ebene. Bei Aufstiegspositionen gilt das verstärkt.Es gilt auch: Sie liegen nicht mit Ihren beiden Vorgesetzten „über Kreuz“, sondern mit Ihrem Konzern, dieser wird vertreten durch diese Chefs. Dass eben dieser Konzern daraufhin Sie nun per Versetzung befördert, ist nicht wahrscheinlich, Sie haben ja „Krach“ mit diesem Konzern (in Gestalt Ihrer Chefs). Antwort/3:Zunächst ganz klar: Von Ihren unter a) bis d) aufgeführten Einzelvorhaben rate ich dringend ab. Sie würden damit Ihre Position als Mitarbeiter Ihres Chefs überziehen, er müsste Ihre Vorwürfe ebenso wie Ihre Forderungen als „pure Provokation“ empfinden. So etwas ist „unmöglich“.Als Konsequenz hätten Sie damit zu rechnen, mittelfristig den Konzern verlassen zu müssen, weil kein Vorgesetzter mehr mit Ihnen arbeiten wollen würde. Dass diese „offene Kritik“ das Ende aller Ihrer konzerninternen Karriereträume einleiten würde, kann man fast garantieren.Ich fasse die Antwort auf den Rest Ihrer Fragen einmal so zusammen: Für den Stammtisch ist es überzeugend zu fragen, ob man sich nun alles gefallen lassen muss, ob man nicht auch für seine Rechtfertigung und um den Erhalt (oder die Wiedergewinnung) seines Stolzes kämpfen darf. Kämpfe gegen starke Gegner jedoch pflegen verlustreich zu enden. Die Chefs sind stärker; in der Regel kann der Mitarbeiter gegen sie nicht gewinnen.Die Lösung liegt nicht in dem aussichtslosen Versuch, gegen jede Vernunft doch noch zu „siegen“, „sein Recht zu bekommen“, die Lösung besteht darin, es gar nicht erst zu solchen Konflikten kommen zu lassen. Das war Ihr entscheidender Fehler – der jetzt kaum noch zu korrigieren ist.Wenn es ständige „Meinungsverschiedenheiten“ gab, haben Sie Ihrem Chef ständig widersprochen. Wenn er Ihnen misstraut, haben Sie ihm aus seiner Sicht Grund dazu gegeben. Beides darf nicht sein. Und wenn er nun stets im Unrecht ist? Es gibt hier gar kein objektives „Recht“ – es gibt nur von ihm gestellte Aufgaben, die es von Ihnen zu lösen gilt. Im Zweifelsfall auf von ihm vorgegebenen Wegen. Als das Unternehmen ihn ernannte, hat es ihm die Vollmacht erteilt, so vorzugehen und so zu urteilen. Und bei dem Unternehmen sind Sie angestellt. Opponieren Sie gegen den Chef, legen Sie sich mit dem Unternehmen an – das Sie befördern soll.Ursachen solcher Konflikte pflegen darin zu liegen, dass Mitarbeiter wie Sie (Sie sind nicht allein) Angelegenheiten wie Ihre Projekte immer nur nach bestem Wissen auf sachlicher Ebene beurteilen – und da könnte ein Chef durchaus auch einmal im Unrecht sein. Aber es ist falsch, alles immer nur unter vermeintlich objektiven Sach-Maßstäben zu sehen.Sie sind Teilprojektleiter. Wie definiert das System einen guten Teilprojektleiter? Es sagt: Ein guter Teilprojektleiter ist jemand, den sein Vorgesetzter für einen guten Teilprojektleiter hält. Und Ihrer hält Sie nicht dafür. Ihr Fehler, sagt das System.Und wenn der Chef nun absolut falsch liegt und „lauter Blödsinn“ von Ihnen fordert? Für diesen Fall hat man einen einwandfreien Lebenslauf in der Schublade, bewirbt sich – und verlässt das Unternehmen, bevor der Chef gemerkt hat, was sich da an Ärger anbahnt. So aber haben Sie Ihrer Sache geschadet, als Sie den Konflikt hochkommen ließen. Oder sind Sie schlicht wütend, weil Sie selbst gern befördert worden wären?
Kurzantwort:
Der Status des Angestellten als „abhängig Beschäftigter“ setzt allzu hohen Ansprüchen („Ich behalte meinen Stolz“ oder „Ich lasse mir nichts gefallen“) enge Grenzen.
Frage-Nr.: 2749
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 16
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2015-04-16
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