Wann ist es zu früh für einen Berufswechsel?
Antwort:
Ich fürchte, Ihre Freundin wird aus meinem Fanclub austreten, wenn ich mit Ihrem Anliegen fertig bin. Aber hier sitze ich und kann nicht anders. Na, seien wir ehrlich: Können könnte ich schon, aber wollen will ich nicht. Wegen der Sache, nicht aus Prinzip:Hier ist endlich einmal ein junger Ingenieur, bei dem beruflich alles ganz hervorragend läuft, aber wirklich alles: Er hat einen weit über Deutschlands Grenzen hinaus renommierten Konzern als Arbeitgeber, sein Chef offeriert ihm den hierarchischen Aufstieg, andere Abteilungen wollen ihn haben. Und er? Er verrät sich im zweiten Satz dieser Einsendung: „… sehe ich einen guten Wechselzeitpunkt, denn meine Freundin … Ein Umzug ist eingeplant.“Was für eine Begründung für einen solchen Schritt! Wer ahnte nicht, was da wirklich vorgeht?Nein, ich fange jetzt nicht mit Adam, Eva und dem Apfel im Paradies an, ich argumentiere viel moderner: Junge Leute lieben doch dieses „internationale Kauderwelsch“ so sehr. Und was ich hier brauche, ist die Work-Life-Balance. Wenn das eine Balance (übrigens ein aus dem Französischen kommendes Wort) ist, dann müssen beide auszubalancierenden „Gewichte“ etwa gleichwertig sein. Dann sind Beruf und Privatbereich zwei Bereiche, die beide „stimmen“ müssen, wenn der Mensch zufrieden sein soll. Sagen wir, wie zwei Säulen, die einen Torbogen tragen. Beide sind wichtig; nehmen wir eine weg, fällt der Rest in sich zusammen.Bei beiden können Baumaßnahmen erforderlich werden, sei es, dass sie verstärkt oder repariert werden müssen. Aber jeder vernünftige Mensch wird einsehen: Niemals breche man die Steine, mit denen man eine Säule renoviert, aus der anderen heraus. Es zahlt sich, wie man auch als Nicht-Bauingenieur erkennt, niemals aus – man verlagert höchstens ein Problem von einer Seite auf die andere.Und genau das, geehrter Einsender, sind Sie im Begriff zu tun: „… denn meine Freundin …“ Und dann kommen Ihnen haufenweise Bedenken, türmen sich Fragen über Fragen auf. Warum sollte so kompliziert sein, was doch angeblich gut und logisch ist? Weil es falsch ist. Ich weiß es, und Sie ahnen es immerhin.Nein, Ihre „Säule Beruf“ ist hervorragend in Schuss, da brechen Sie mir auch nicht das kleinste Steinchen heraus. Wenn Ihre zweite Säule „baulichen Bedarf“ hat, dann lösen Sie das Problem im Markt für Bau, nicht auf dem für Arbeit. Und falls das noch nicht deutlich genug war: Man wechsele nicht den Arbeitgeber, weil die Partnerin das wünscht und man wechsele nicht die Freundin, weil die alte dem Chef nicht gefällt.Genug der Gleichnisse, hin zu Ihren Fragen:1. Die entsprechende Regel lautet: Man achte darauf, etwa fünf Jahre pro Arbeitgeber mindestens aufweisen zu können; wenn es gut läuft, eher mehr. Dem „Ausnahmefall Berufseinsteiger nach dem Studium“ billigt man in seiner ersten Stelle zwei Jahre als Untergrenze zu – weil er ist halt noch jung (das fürchterliche Deutsch im zweiten Halbsatz ist Absicht, es unterstreicht ein bisschen dieses „Die Jugend eben“, was nicht böse gemeint ist). Ihr zentrales Problem (Dienstzeit weniger als drei Jahre) existiert also gar nicht.2. Niemals, nie, überhaupt nicht und keinesfalls wechselt man den Arbeitgeber aus regionalen Gründen. Punkt. Man löst stets dasjenige Probleme, das man hat oder zu haben glaubt – aber man ruiniert nicht eine „Säule“, um die andere (vielleicht) zu optimieren.3. Mit dem beruflichen Umfeld so komplett zufrieden zu sein, ist auch für junge Ingenieure in dieser Zeit ein Geschenk, für das Sie dankbar sein sollten. Andere gäben ihren „linken Arm“ dafür.4. Wenn wir einmal in ganz alten, längst vergessenen Tugenden graben, dann stoßen wir auf solche wie Dankbarkeit, Fairness, Gutes mit Gutem vergelten etc. Ihr Konzern war gut zu Ihnen, hat Sie im dualen Studium ausgebildet, hat in Sie investiert. Ein bisschen mehr als 2,5 dort verbrachte Dienstjahre hat der dafür doch eigentlich verdient, oder? (Es gibt hierfür keine feste Regel.)5. Dass Sie nach 2,5 Ingenieurdienstjahren auch einmal „etwas anderes“ sehen wollen, ist absolut normal. Vielleicht hilft es Ihnen schon zu wissen, dass fast alle so empfinden, dann wird man besser damit fertig. Ein interner Wechsel in eine andere Abteilung böte sich an. Ihr Konzern ist doch groß genug.6. Die Aussagen Ihres Chefs zur späteren Führung und die Angebote fremder Abteilungen sind tatsächlich Signale sehr positiver Art.7. Richtig, jetzt gäbe man Ihnen bei einem Wechsel noch keine Führungsfunktion. Als „Leiter“ braucht man etwa fünf Jahre an Berufserfahrung (mindestens) und eine gewisse „persönliche Reife“, welche den Nachwuchs-Mitarbeitern – als ganz grobe Faustregel – so ab etwa 30 Jahren zugesprochen wird. Dabei gilt pauschal: Je größer das Unternehmen, desto mehr an Berufs- und Lebenserfahrung wird vor der Ernennung vorausgesetzt, desto langsamer verläuft Ihre Entwicklung in Sachen „Aufstieg“.8. Wenn Sie sich denn doch bewerben, gilt: Sie sind ein „guter Mann in einem guten Unternehmen“, alles ist gut. Sie bewerben sich aus „ungekündigtem, absolut unbelastetem Arbeitsverhältnis“. Nach sechs Jahren in diesem Konzern (einschl. Ausbildung, dabei können Sie sie ruhig mitzählen) wollen Sie neue Eindrücke sammeln, Ihr Wissen in neue Aufgaben einbringen. Bewerben Sie sich beim Mittelstand, können Sie ein bisschen(!) Enttäuschung über die Unbeweglichkeit des Großunternehmens (starre Hierarchien, lange Entscheidungswege) anklingen lassen.9. Interesse am Aufstieg sollten Sie in Ihrem Alter aus der schriftlichen Bewerbung heraushalten und auch im Vorstellungsgespräch nur „für später“ als möglich darstellen. Erst einmal finden Sie den neuen Job toll, um den Sie sich konkret beworben haben.10. Man geht vom großen zum kleineren Unternehmen, um den „Schub“, den Ihnen der „große Name“ beim kleineren Bewerbungsempfänger verleiht, in Aufstieg umzusetzen. Da dieser derzeit nicht infrage kommt, ist auch der Wechsel zum deutlich kleineren Unternehmen jetzt nicht sinnvoll. Wenn Sie schon beim Wechsel nicht aufsteigen können, dann behalten Sie wenigstens die Unternehmensgröße bei (oder steigern Sie sie). Und: Der Wechsel „zurück“, also vom Mittelstand zum Konzern, ist schwieriger – vor allem, wenn man dabei aufsteigen will.11. Damit kein Missverständnis aufkommt, hier meine Empfehlung: Bleiben Sie im Konzern, wechseln Sie ggf. intern, halten Sie sich weiterhin Ihre Vorgesetzten gewogen. Wenn Sie mit dreißig noch immer keine Führungsaufgaben haben, dann wechseln Sie extern, direkt in eine „Leiter“-Position beim etwas kleineren Unternehmen. Es wird schon werden mit Ihnen!
Kurzantwort:
Service für Querleser:
Man wechselt nicht den Arbeitgeber dem Partner zuliebe – und nicht den Partner wegen des Chefs.
Frage-Nr.: 2753
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 21
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2015-05-21
Ein Beitrag von: