Als Führungskraft zwischen zwei Angeboten
Eine Führungskraft mit einem Ingenieurstitel und knapp unter 50 Jahren hat zwei ähnliche mündliche Jobangebote erhalten. Heiko Mell gibt Tipps für diese Situation.
Frage/1:
Ich bin Dipl.-Ing., knapp unter 50, seit einer Reihe von Jahren auf einer der unteren disziplinarischen Führungsebenen bei einem großen Zulieferer tätig. Ich strebe nochmals einen Wechsel an – teils, weil ich Chancen nutzen will, bevor ich möglicherweise als zu alt und unflexibel gelte, teils aber auch, weil mein Arbeitgeber in meinem Umfeld in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage steckt.
Ein Aufstieg zum Abteilungsleiter in meinem aktuellen Unternehmen ist nicht ausgeschlossen, aber aufgrund von Beförderungssperren und Stellenabbau nicht kurzfristig realistisch. Zwar ist das Arbeitsklima belastet, meine Anstellung ist jedoch nicht konkret bedroht.
Über ein Jahr hinweg führte ich durch Berater vermittelte Vorstellungsgespräche. Nun bin ich in der angenehmen Situation, zeitgleich zwei sehr ähnliche – bisher nur mündlich formulierte – Angebote vorliegen zu haben.
Wenn man viel Zeit für eine Entscheidung braucht
Antwort/1:
Mir liegt an der Unterstreichung Ihres Berichtes darüber, wie sich die Suche nach einer passenden Position hinziehen kann. Fragt man entsprechende Bewerber nach dem größten Ärgernis bei einer solchen Stellenwechsel-Aktion, kommt regelmäßig der Hinweis, die suchenden Unternehmen zögen den Prozess geradezu unsinnig in die Länge. Nach jedem Kontakt mit potenziellen Arbeitgebern vergingen viele Wochen oder auch mehrere Monate bis zur nächsten Entscheidung über das weitere Vorgehen. Unser Einsender hier stand nicht unter Druck und hatte – der Lebenslauf liegt mir vor – absolut interessante Voraussetzungen zu bieten. Aber es hat ein Jahr gedauert, bis akzeptable Angebote eingingen. Er berichtet übrigens auch noch von weiteren Offerten, die aber „nicht gepasst“ hätten.
Was diese Zeitschiene bedeutet, wenn man als Bewerber auch noch unter Druck steht (Kündigung, Aufhebungsvertrag), kann man sich gut vorstellen.
Das heißt, auch wenn Sie noch drei oder sechs Monate Zeit bis zum letzten Beschäftigungstag haben: Lassen Sie sich davon nicht in Sicherheit wiegen, diese Frist vergeht nur allzu schnell und dann droht Arbeitslosigkeit. Und fahren Sie nicht nach der Freistellung „erst einmal in den Urlaub“, sondern planen Sie diesen, wenn ein neuer Vertrag unterschrieben ist (das steigert die Freude an einer Kreuzfahrt außerordentlich). Zeit ist das kostbarste Gut, das Sie in diesem Augenblick haben.
Und es bedeutet für Unternehmen, die sich vom allgegenwärtigen Fachkräftemangel gebeutelt fühlen: Mit extrem schneller Abwicklung des Einstellvorgangs machen Sie auf dem Arbeitsmarkt unbedingt „Punkte gut“ – Bewerber reagieren auf eine Einladung unmittelbar nach Bewerbungseingang und auf mündliche Vorentscheidungen unmittelbar nach den Vorstellungsgesprächen äußerst positiv! Das geht durchaus – sofern man es will und konsequent durchzieht.
Zwei Angebote – eine Entscheidung
Frage/2:
Angebot A wäre ein geradezu klassischer Wechsel: Das grundsätzlich im vergleichbaren Metier (Zulieferer) tätige Unternehmen ist kleiner als mein aktueller Arbeitgeber, dafür könnte ich in die von mir angestrebte Abteilungsleiterebene mit gleichem Führungsumfang wie heute aufsteigen. Die Quartalszahlen des Unternehmens sind „noch ordentlich“, die mir vertraute Branche steht jedoch unter starkem Kostendruck, so dass ich die langjährige Perspektive für ungewiss halte. Alle Wettbewerber ringen bereits mit Entlassungen. Das Arbeitsklima gilt als angespannt, aber gut.
Angebot B kommt von einem Top-OEM. Dort fährt man lt. Geschäftsbericht ordentliche Gewinne ein. Das Arbeitsklima gilt als sehr gut, man investiert in die Mitarbeiter. Die Stelle ist jedoch tiefer als meine heutige auf der untersten Führungsebene angesiedelt (die Führungsspanne ist ebenfalls geringer).
Die Aufgaben unterscheiden sich etwas, kommen aber beide für mich infrage. Die Gehälter sind vergleichbar, sie würden eine Steigerung von 15% gegenüber heute bedeuten.
Welche Aspekte sollte ich bei der Entscheidung heranziehen?
Antwort/2:
Diese Frage müssen Sie unter Einbeziehung Ihrer speziellen Persönlichkeit, Ihrer Wünsche, Ängste und Hoffnungen beantworten. Zunächst ein Trost: Die Festlegung, die Sie nun treffen werden, kann nicht „falsch“ sein: Selbst wenn Sie einige Zeit nach Ihrer Wahl beruflich unglücklich werden sollten, wissen Sie nicht, wie unglücklich Sie bei der Festlegung auf die Alternative geworden wären. Und falls Sie eines Tages den Kandidaten treffen sollten, der Ihre abgelehnte Variante akzeptiert und darauf ein tolle Karriere aufgebaut hat, beweist das noch nichts: Er ist eine andere Person mit anderen Stärken und Schwächen – niemand weiß, ob Sie an seiner Stelle seine Erfolge hätten erringen können (oder natürlich auch umgekehrt: Scheitert er, ist nicht bewiesen, dass auch Sie …).
Formal ist die Entscheidungslage ziemlich klar: Das kleinere Unternehmen zu A ist ihrem heutigen ähnlich, die Position bietet das, was eigentlicher Kern Ihrer Wechselambitionen war (Abteilungsleiter), die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ist – noch – in Ordnung; die Zukunft lässt sich ohnehin nicht sicher vorhersagen, ein Risiko bleibt immer. Dagegen ist mit Angebot B ein Rückschritt verbunden, vom sehnlichst angestrebten Abteilungsleiter ist dort keine Rede.
Sie sind bald 50, haben noch Ehrgeiz, wollen es noch einmal wissen. Wenn B wenigstens eine Ihrer heutigen Position vergleichbare Stelle geboten hätte – aber eine klare hierarchische Rückstufung? In dieser vertretbaren Argumentationskette spricht nahezu alles für A.
Verpacken wir die Argumentation aber einmal etwas anders: B ist eine jener Top-Adressen, von denen man gemeinhin träumt (außer man ist dort seit Jahren tätig, dann merkt man, dass in vielen Bereichen auch nur mit Wasser gekocht wird, aber der Name bleibt natürlich ein besonderes Argument).
Und überhaupt: Was ist schon ein Abteilungsleiter? Der ist auch nur eine Stufe auf einer Treppe, deren Ende irgendwo oben in den „Wolken“ zu suchen ist und das Sie doch nicht mehr erreichen.
Und die Solidität, die mit Recht zu vermutende langfristige Sicherheit, das Image des Hauses „draußen in der Welt“, das Ende der in jedem Quartal wieder fälligen Zitterpartie (gibt es eine neue Entlassungswelle?) und damit die Chance, sich voll und ganz auf die anspruchsvolle fachliche Aufgabe konzentrieren zu können, das alles spricht für B.
Wenn ein hierarchischer Rückschritt im Spiel ist
Unter uns gesagt: Den hierarchischen Rückschritt des B-Angebotes registrieren doch nur Sie und ich. Und vielleicht Ihre heutigen Kollegen – die Sie in Kürze völlig aus den Augen verlieren werden. Konkret: Heute nennen Sie sich „Manager“ für irgendetwas, bei B würden Sie Team oder Gruppenleiter sein. Sollten Sie sich irgendwann einmal von B wegbewerben, was ohnehin unwahrscheinlich ist, sieht niemand in dem damaligen Wechsel einen Rückschritt – der Sprung zum großen OEM überstrahlt alles. Und die Zahl der zugeordneten Mitarbeiter korrigieren Sie bei der heutigen Position im Lebenslauf nach unten oder lassen Sie schlicht weg, dann gab es nach außen hin nie einen Rückschritt.
Nein, wenn Sie so denken wie hier, ist B absolut akzeptabel.
Nun könnten Sie anmerken, das sei alles gut und schön, aber eine brauchbare Entscheidungshilfe sei das nicht gerade. Da nun kommen Sie ins Spiel: Sie müssen sich dahingehend prüfen, was Ihnen letztlich mehr am Herzen liegt, welcher Erfolg bei der Erringung einer neuen Position Ihnen mehr bedeutet. Für andere lassen sich beide Varianten später einmal nachvollziehbar darstellen, das habe ich angedeutet.
Aber Sie müssen mit Ihrer Wahl glücklich werden: Ist Ihr Ziel „Abteilungsleiter“ die Spitze eines Eisbergs, bei dem der größere Teil unter Wasser verborgen liegt? Gibt es lange „schwärende“, noch aus der Studienzeit oder aus den anschließenden Berufsjahren herrührende gefühlte Versäumnisse, die Sie vor Erreichen der imaginären Altersgrenze gern noch ausgleichen möchten? Brauchen Sie den klaren Hierarchiesprung nach oben vor Ihren heutigen Kollegen, vor Freunden und Bekannten oder Ihrer Partnerin? Hier kann es wichtige Aspekte für Ihre Entscheidung geben.
Die immer wieder angestrebte persönliche Zufriedenheit ist davon abhängig, in welchem Umfang wir die uns selbst gesetzten Ziele erreichen. Ob andere das nachvollziehen können, ist dabei nur bedingt ein maßgebliches Kriterium.
Ich könnte Ihre Entscheidung für jede Variante verstehen. Und vor allem: Beide könnten Sie, so das eines Tages erforderlich werden sollte, dem Arbeitsmarkt gegenüber überzeugend vertreten. Nur sich selbst überzeugen – das können nur Sie.
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