Heiko Mell 23.04.2024, 08:00 Uhr

Arbeitsvertrag: Erst unterschrieben, dann doch abgesagt

Es gibt verschiedene Gründe, warum jemand nach Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags absagt. Heiko Mell diskutiert mit seinem Leser, was man in dieser Situation am besten machen kann.

Kündigund des Arbeitsvertrages

Warum Menschen nach Vertragsunterzeichnung absagen?

Foto: PantherMedia / Wolfgang Filser

Frage/1:
Ich bin Dipl.-Ing. (FH) Maschinenbau. Mein aktueller Arbeitgeber, ein Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern, ist mehrfach verkauft worden, zuletzt an eine amerikanische Gesellschaft. Dort wurden wir sehr eng in die Gesamtunternehmensstruktur eingegliedert. Im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern empfand ich die nachfolgenden Veränderungen als durchweg positiv. Ich bekam einen neuen Chef direkt von der Muttergesellschaft. Der förderte mich, meine Fähigkeiten verbesserten sich durch sein Coaching deutlich (so etwas liest man leider extrem selten; H. Mell).

Ich hatte als Entwicklungsingenieur angefangen, bin zum Projektkoordinator in der Entwicklung ernannt worden und in die Projektleitung aufgestiegen. Dann übertrug man mir noch die Rolle des Prozess¬eigners für einen Bereich. Ich leite Projekte zur Produktneueinführung bei einem großen Kunden und habe Entwicklungsverantwortung für ein nennenswertes Budget. Außerdem leite ich interne Strukturprojekte im Rahmen des Produktentwicklungsprozesses. Ich berichte im Rahmen meiner verschiedenen Funktionen teils an einen Manager, der direkt an den deutschen Geschäftsführer berichtet und teils an einen Vice President in den USA. Ich bin noch tariflich eingestuft (40 h + Leistungszulage).

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Antwort/1:
Ich habe Ihre sehr klare und offene Schilderung zu Ihrem Schutz etwas verschwommener wiedergeben müssen, aber ich hoffe, man spürt auch so noch: Sie sind oder waren bis dato hochzufrieden – und zwar mit allen nur denkbaren Details. Ihr neuer Chef hat Sie gefördert. Man überhäufte Sie mit Verantwortung, Sie sind „oben“ in Ihrer deutschen Gesellschaft und bei der amerikanischen Mutter gut vernetzt und bestens bekannt.

Ich war gespannt, was denn jetzt wohl noch kommen konnte. Ich hätte es wissen müssen: Wenn es der Kuh zu wohl ist, geht sie aufs Eis – und dann wird es ungemütlich. Der Vergleich mit dem Rindvieh ist nicht böse gemeint, das Sprichwort lautet halt so.

Eine neue Anstellung aus familiären Gründen gefunden

Frage/2:
Aus familiären Gründen möchten wir unseren Wohnsitz nach A-Stadt verlegen. Dort leben die Schwiegereltern, was die Betreuung unseres Kindes vereinfachen würde. Meine Frau ist ebenfalls in einer anspruchsvollen Position tätig. Da wir noch ein zweites Kind möchten, sehen wir uns dieser organisatorischen Herausforderung allein nicht mehr gewachsen, weshalb wir uns zum Umzug entschlossen haben.

Aus diesem Grund habe ich mir eine neue Anstellung in A-Stadt gesucht. Ich habe hier bewusst das Familiäre über das Berufliche gestellt – darüber kann man denken wie man möchte. Ich bin auch nicht auf meinen Chef zugegangen, um eine Lösung zu finden. Es hatte schon Schwierigkeiten bei der Anmeldung meiner dreimonatigen Elternzeit gegeben – ob das wirklich sein müsse! Wobei ich das durchaus nachvollziehen konnte. Meine Position ersetzt man nicht so einfach. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber mir das Recht eingeräumt – und ich sah keinen Grund, davon nicht Gebrauch zu machen.

Antwort/2:
Ich kann Ihre Situation verstehen und Ihre Gedanken grundsätzlich nachvollziehen. Aber:

  1. Ihre Existenz ruht, auf das Beispiel bin ich durchaus stolz, auf zwei Säulen. Auf einer steht „privat“, auf der anderen „beruflich“, verbunden sind beide oben durch den Querbalken „Existenz“. Wird eine Säule beschädigt oder ist sie überlastet etc., muss sie repariert werden. Dazu braucht man Steine. Die goldene Regel lautet: Diese Steine nimmt man unter absolut keinen Umständen aus der anderen Säule, dann verlagert man bloß das Problem, löst es aber nicht. Der 
Verstoß gegen diese Regel ist ein Standard-Fehler, der „sehr gern 
genommen“ wird.
  2. Wenn Ihnen die Politik aus z. T. höchst subtilen Gründen (die es hier gab!) ein Recht einräumt, dürfen Sie es zwar in Anspruch nehmen. Aber Ihr wichtiges Umfeld darf sich dennoch darüber ärgern. Man tut besser nicht alles, was man dürfte, sondern sucht einen Interessenausgleich zwischen allen Personen, die von der – erlaubten – Handlung betroffen sind. „Ich habe immer juristisch korrekt gehandelt“ ist kein Argument, um befördert zu werden. Also, wenn man ein Problem im Privatbereich hat, löst man es dort. Wie, ist zum Glück nicht meine Angelegenheit. Ich betreue nur die andere Säule – die, der Sie Steine entnehmen wollten und die vorher ein „Bild von einer Säule“ gewesen war. Das durfte nicht gut gehen, schauen wir es uns einmal an.

Frage/3:
Ich habe auch eine neue Stelle gefunden, die nicht ganz so lukrativ wie die jetzige ist (ca. 15 % weniger), ein Teil des Gehalts ist provisionsabhängig, ich bin nicht tarifgebunden. Auch ist das Unternehmen deutlich kleiner. Allerdings sprachen mich die Firma und meine Gesprächspartner sehr an, weshalb ich schlussendlich zusagte. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich Einschnitte hinnehmen musste.

Heiko Mell

Karriereberater Heiko Mell.

Antwort/3:
Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist: Derselbe Mann, der unter „Frage/1“ bis in alle Details hinein erläutert, was es mit seiner Position, mit Zuständigkeiten und komplizierten Berichtswegen in seiner Ausgangsposition für dieses Experiment auf sich hatte, erwähnt bei der Darstellung der am Wunschort gefundenen „Ersatzlösung“ nichts davon. Er berichtet nicht einmal, wie denn die Positionsbezeichnung dort lautet. Was da für Sie angestanden hätte, war der erste Schritt auf dem Weg, in spätestens sechs Monaten todunglücklich zu werden. Darüber hätte auch die Nähe zur Schwiegermutter nicht hinwegtrösten können.

Unerwartete Reaktion nach der Kündigung

Frage/4:
Nach Kündigung beim derzeitigen Arbeitgeber ergab sich eine unerwartete Reaktion meines Chefs und des Geschäftsführers. Sie waren höchst bestürzt und fragten sofort, was sie tun könnten, damit ich bleibe. Ich war angenehm überrascht, hatte ich doch eher nur ein „Achselzucken“ erwartet. Mir wurde angeboten: Gehaltserhöhung, Homeoffice-Regelung mit ein bis zwei Tagen Anwesenheit pro Woche nach eigenem Ermessen und Übernahme von Hotelkosten am Firmensitz, falls einmal eine längere Anwesenheit dort erforderlich sein sollte. Mein Umzug nach A-Stadt wurde damit akzeptiert.

Antwort/4:
Man nennt das in unserem Metier: Sie wurden vom bisherigen Arbeitgeber „zurückgekauft“, ein durchaus üblicher Vorgang. Das entsprechende Angebot war überzeugend, Sie dürfen stolz darauf sein, derart wertgeschätzt zu werden.

Frage/5:
Den Vertrag bei der neuen Firma habe ich zwar schon unterschrieben, der Dienstantritt liegt aber noch mehrere Wochen in der Zukunft. Ich habe mich entschieden, das Angebot meines bisherigen Arbeitgebers anzunehmen.

Ja, mir ist bewusst, dass ich schon einen anderen Vertrag unterschrieben habe, den ich vorab kündigen werde. Ich werde dort persönlich vorsprechen, meine Beweggründe darlegen und ggf. der Firma Auslagen ersetzen. Mir ist bewusst, dass ich diese Firma für mich damit „verbrenne“.

„Rückkauf“ durch den alten Arbeitgeber

Antwort/5:
Unternehmen, die externe Bewerber einstellen, fürchten diese Konstellation ungemein. Dazu gehören jener „Rückkauf“ durch den alten Arbeitgeber ebenso wie plötzlich auftauchende Angebote anderer Bewerbungsempfänger, die zwar zu spät, aber mit Superkonditionen aus der Versenkung auftauchen und den Kandidaten in Versuchung führen. In Ihrem Falle gilt:

  1. Der potenzielle neue Arbeitgeber ist nicht ganz unschuldig an der Entwicklung – und besonders überrascht kann er auch nicht sein: Wer in Zeiten des Fachkräftemangels einem noch recht jungen, ehrgeizigen und erfolgreichen Hoffnungsträger eine Einkommenseinbuße von 15% anbietet, darf nicht damit rechnen, dass er damit glücklich wird. Immerhin schreiben viele Unternehmen bereits vorsichtshalber in ihre Verträge: „Eine Kündigung vor Dienstantritt ist ausgeschlossen“, was sie vielleicht beruhigt, aber das Problem nur verschiebt.
  2. Dass Sie dort persönlich auftreten und Ihre Gründe darlegen wollen, ist anständig. Letztlich bleibt dem Unternehmen gar keine andere Chance als Sie gehen zu lassen. Schließlich unterliegen Sie ja anfangs der kurzen Kündigungsfrist in der Probezeit. Wenn Sie am ersten Arbeitstag kündigten, hätte das Unternehmen auch nichts davon – außer Kosten.

Frage/6:
Sicherlich hätte ich vorher das Gespräch mit meinem Chef suchen können, aber aufgrund meiner Erfahrung mit der Elternzeit hatte ich mir keine Hoffnungen gemacht.

„Doppeltes“ Engagement zeigen

Antwort/6:
Ich würde sehr gern sagen, Sie hätten vorher mit dem Chef reden sollen, teile aber Ihre Skepsis. So hatten Sie mit Ihrer Kündigung Fakten geschaffen, auf die Ihre Chefs reagieren konnten – mit dem üblichen „Wir reden ihm gut zu, vertrösten ihn, versprechen viel und halten wenig“ war nun nichts mehr zu machen. Und Sie haben völlig korrekt gehandelt, niemand kann Ihnen „Erpressung“ vorwerfen.

Als Tipp: Zeigen Sie nun „doppeltes“ Engagement, vermeiden Sie jeden Ansatz eines Verdachts, dies sei für Sie nur eine Übergangssituation, „irgendwann demnächst“ würden Sie doch gehen. Und: Seien Sie im Büro so präsent wie möglich – eher mehr als vereinbart.
Zwei Nachteile hat die Geschichte: Erneut kündigen können Sie in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht, Sie machten sich damit lächerlich. Und Sie haben Ihrem Arbeitgeber gezeigt, dass bei Ihnen im Extremfall gilt: „Privat geht vor“, das kann Sie für das höhere Management weniger interessant machen

Immer wieder mahnend von mir erwähnt werden muss auch: Wer beruflich an einen einzigen Standort strebt, reduziert seine Chancen damit gegenüber dem Standortoffenen pauschal etwa auf (!) ein Fünfzigstel. Glückwunsch dem, der sich das leisten kann.

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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