Karriere 12.10.2018, 10:17 Uhr

Wann sollte ich eine Beförderung annehmen?

Frage:
Seit meinem Berufseinstieg lese ich Ihre „Karriereberatung“ mit großem Interesse. Vor ca. zehn Jahren haben Sie mir schon einmal bei einer wichtigen Frage in Ihrer Serie einen guten Rat gegeben, dem ich gerne gefolgt bin. Ich habe mich seitdem beruflich gut entwickelt und arbeite heute als Leiter einer Gesellschaft in einem größeren Konzern, in den ich vor über zehn Jahren eingetreten bin.

Obwohl ich erst seit recht kurzer Zeit in diesem neuen Job tätig bin, fragt man mich nun intern, ob ich Interesse hätte, einen wiederum neuen Posten auf der nächsthöheren Hierarchieebene wahrzunehmen. Eigentlich war ich davon ausgegangen, die jetzige Position für mehr als fünf Jahre zu halten.

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Veränderungen gegenüber bin ich grundsätzlich offen. Die angebotene Position beinhaltet aber durchaus gewisse Risiken und ist mit Dienstsitz in einer anderen Region der Welt verbunden. Weiterhin kann ein so früher Wechsel sowohl in der Innen- als auch in der Außenwirkung negativ interpretiert werden. Die positive hierarchische Entwicklung wäre nicht für jeden sofort ersichtlich. Wichtige Kennzahlen (z. B. Umsatz) wären dort noch kleiner als in meiner heutigen Verantwortung. Aber die neue Aufgabe wird von sehr ranghoher Stelle an mich herangetragen. Mein heutiger Chef, mit dem ich vertrauensvoll zusammenarbeite, ist nicht wirklich glücklich darüber.

Was tue ich nun? Die mögliche Position bietet mir große Chancen (ganz vage und unverbindlich werden – bei Erfolg natürlich – für später weitere sehr interessante Entwicklungen ins Gespräch gebracht),schließt aber auch ordentliche Risiken ein. Verändere ich mich nicht und sage ab, habe ich doch wohl erstmal vieles richtig gemacht (?).

Antwort:
Sie sind im richtigen Aufstiegsalter, Ihr bisheriger Weg im Konzern verläuft sehr erfolgreich, die Kurve der verschiedenen eingenommenen Positionen zeigt nach oben. Nur zur Information der übrigen Leser: Sie haben mir weitere Details anvertraut, die ich aber nicht in dieser Form veröffentlichen kann. Tasten wir uns gezielt an den Kern des Themas heran:

  1. Die Abneigung Ihres heutigen Chefs gegen das Wechselprojekt darf Sie nicht beeinflussen. Er denkt – was ganz natürlich ist – vorrangig an seine Gesamtverantwortung und betrachtet sicher sorgenvoll die Lücke, welche Sie reißen würden und die er dann schließen müsste. Was wiederum nicht ausschließt, dass er in der Sache dennoch völlig richtig liegt.
  2. Berücksichtigen müssen Sie hingegen, dass das an Sie herangetragene Angebot selbstverständlich nicht erdacht wurde, um endlich einmal Ihre Karriere in Schwung zu bringen. Sie sind nur der eher beiläufig ins Blickfeld geratene „Stopfen“, mit dem die Unternehmensleitung ein irgendwie entstandenes „Loch im Eimer“ schließen will. Die ganze Geschichte ist auf höchster Ebene abgestimmt – und es geht hier um ein Anliegen des Unternehmens, dem man sich nicht so ohne weiteres verschließt. Es gibt viele Konzerne, in denen die erste Absage einer Führungskraft auf ein solches Angebot hin bereits karrierebedrohend und eine eventuelle zweite Absage das Ende aller Aufstiegshoffnungen wäre. Bei den Abwägungen auf Ihrer Seite gilt also auch das Argument: Es wäre eine nicht zu beanstandende Entscheidungsvariante, als loyaler Angestellter einfach der Bitte der „höheren Stellen“ zu folgen (das ist tatsächlich eine solche recht dringliche Bitte um Ihre Mitwirkung bei der Lösung eines Problems des Unternehmens, die nur in die Form eines Angebotes an Sie gekleidet ist). Selbst wenn später etwas schiefgeht, hätten Sie mit der Annahme kaum etwas wirklich falsch gemacht („Was hätte ich denn damals tun sollen, als die Konzernleitung rief?“).
  3. Das wiederum heißt: Bei einer möglichen Ablehnung müssten Sie sich ein Mehrfaches an Mühe geben als bei einer Annahme. Man sagt eben auf eine „Bitte“ von höchster Stelle nicht ungestraft „nein“ – auch dann nicht, wenn man Ihnen das Gegenteil ausdrücklich zugesichert hätte.
  4. Private Aspekte (Familie) mögen gegen eine Veränderung dieser Art sprechen. Berücksichtigen Sie diese in angemessenem Umfang ruhig bei einer Entscheidungsfindung, aber führen Sie sie nicht als zentrale Begründung an.
  5. Und auch das muss gesagt werden: So, genau so, macht man oft eine „große Karriere“. Plötzlich öffnet sich gegen jede planerische Vernunft eine außergewöhnlich reizvolle Seitentür – man geht hindurch und erreicht ggf. Ziele, die man vorher kaum zu formulieren gewagt hätte. Nun, mitunter ist hinter so einer „Tür“ auch bloß ein Abgrund. Man fällt hinein und ist spontan raus aus dem Rennen. Von diesen Pechvögeln spricht dann niemand mehr. So ist das Leben … Wüsste man alles vorher, wäre es ja nicht so spannend.
  6. Ihre sachlichen Bedenken sind absolut berechtigt: Ihre kurze Dienstzeit bei erstmalig getragener Gesamtverantwortung für eine Gesellschaft ist ein Risiko. Aber nur, wenn in der neuen Position etwas schiefginge. Dann nämlich müssten Sie sich extern bewerben – auf einer Basis, die nach zweifachem Scheitern aussähe. Der zunächst kleinere Verantwortungsumfang in der neuen Position wirkte wie eine Degradierung, danach käme der Verdacht auf ein Versagen im letzten Job.
  7. Und wieder gibt es ein „Aber“: Wer ganz weit nach oben will, darf nicht ängstlich sein, ohne großes Risiko sind große Erfolge nicht zu haben.

Hören wir auf mit diesen Abwägungen: Wie Sie sicher schon vermutet hatten, steht nahezu jedem Argument für die eine Entscheidung eines für die andere Seite gegenüber.

Es kommt jetzt auf Ihre Persönlichkeit an: Sind Sie eher der Draufgänger mit extrem hohen Zielen, der notfalls „Karriere um fast jeden Preis“ machen will, dann müssen Sie das Angebot annehmen und eben „auf Sieg“ setzen. Da das Unternehmen ein entsprechendes Anliegen hat und Sie seit vielen Jahren kennt, dürfen Sie den Intuitionen derart hochgestellter Manager ruhig vertrauen. Sind Sie hingegen eher der an einem soliden Weg nach oben interessierte Manager, der zwar nicht risikoscheu ist, aber auf ein ausgewogenes Verhältnis von Chancen zu jenen Aspekten achtet, an denen ein Angestellter auch scheitern kann, dann wäre eher Ablehnung angesagt.

Von mir dürfen Sie trotz aller zweiseitigen Betrachtungen auch eine Empfehlung erwarten: Ich neige zur Ablehnung und zum Weitermachen in der heutigen Position, die anspruchsvoll ist, hohes weiteres Karrierepotenzial hat und Ihnen viel Freude macht. Für den Fall, dass Sie dem folgen, muss Ihre besondere Aufmerksamkeit der Form und damit Ihren Formulierungen gelten. Schließlich sagen Sie „nein“ auf eine Bitte der „obersten Führung“, ihr aus der Verlegenheit zu helfen. Auch wenn man es in ein Angebot zu Ihrem Besten kleidet. Stichworte für Sie sind: Dank für das Vertrauen, das man Ihnen entgegenbringt, Freude über die große Chance, die man Ihnen eröffnet und erkennbarer Stolz, dass man Ihnen nach so kurzer Bewährung in der heutigen Aufgabe schon diese weitere Herausforderung eröffnet und Ihnen eine derartige Verantwortung anbietet. Auch der Hinweis, wie gern Sie generell für das Haus tätig sind etc., kann nicht schaden.

Aber Sie hätten sich nach einigen schlaflosen Nächten doch zu der Bitte entschlossen, Sie die gerade erst angefangene Arbeit in der heutigen Position den gesetzten Zielen entsprechend erfolgreich abschließen zu dürfen. Sie hätten sonst ein schlechtes Gewissen oder Gefühl denjenigen Entscheidern gegenüber, die Sie in die heutige Funktion berufen hätten. Und Sie bäten vielmals um Verständnis für diese Ihre Entscheidung, bedankten sich nochmals und hofften sehr, dass man Ihnen diese Antwort nicht übelnähme und dass Sie diese Angelegenheit nicht von weiteren Chancen ausschlösse. Sie seien immer wieder aufgeschlossen für Neues und gern bereit, auch in Zukunft, …; aber gerade jetzt und hier glaubten Sie, so reagieren zu müssen. Vielleicht bereuten Sie das in einigen Jahren – und Sie hofften, diesen Topmanagern jetzt keine Unannehmlichkeiten mit Ihrer Festlegung bereitet zu haben.

Und dann gehen Sie zu Ihrem heutigen Chef und bringen dem die positive Nachricht. Ihm können Sie sogar sagen, dass seine Argumente wesentlich zu Ihrer Entscheidung beigetragen hätten. Das freut ihn – und gibt ihm etwas „moralische Mitverantwortung“ für Ihr weiteres Wohlergehen dort, denn auch seinetwegen haben Sie ja letztlich das Angebot abgesagt …

Sehr geehrter Einsender, ich gehe fest davon aus, dass Sie auf Ihrer Verantwortungsebene diese Begründungen auch allein zustande gebracht hätten. Ich formuliere sie deshalb so ausführlich, um anderen Lesern zu zeigen, wie man Chefs auch behandeln kann – und mitunter sollte. Für viele insbesondere der jüngeren Leser ist da ganz sicher etwas dabei, das ebenso neu wie vielleicht sogar völlig unverständlich ist.

Service für Querleser:
Auch ein internes Angebot zur Übernahme einer Aufstiegsposition kann so viele Bedenken auslösen, dass eher eine Ablehnung angesagt ist. Diese ist dann sehr sorgfältig vorzubereiten und geschickt zu formulieren (wer vermeintliche „Geschenke“ ablehnt, beleidigt schnell den „Schenker“, vor allem, wenn der eigentlich damit eigene Probleme lösen will).

Frage-Nr.: 2.972
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 41
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2018-10-12

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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