Der finale Karriereschritt: Soll ich es noch einmal versuchen?
Karriereberater Heko Mell beleuchtet den „finalen Schritt“ in der Karriere. Anonymisierte Einzelfälle zeigen die „Spielregeln des Systems“ und liefern allgemeine Empfehlungen.
3.274. Frage:
Aller guten Dinge sind drei. Nachdem Sie mir schon zweimal mit Rat zur Seite standen – einmal ganz zu Beginn meiner Karriere und ein weiteres Mal auf dem Weg zur Führungsposition – versuche ich es nun in der zweiten Hälfte meiner Karriere erneut.
Ich bin seit über 20 Jahren im Berufsleben und meine Karriere teilt sich grob in zwei Phasen: Die ersten zehn Jahre habe ich (M. Eng. + MBA) in verschiedenen Positionen der Beratung verbracht, bevor ich vor ca. 11 Jahren zu einem internationalen Technologiekonzern gewechselt habe. Dort bin ich zweimal befördert worden und aktuell in einer globalen Führungsrolle im mittleren Management in einer großen europäischen Hauptstadt tätig.
Zur Einordnung: Im Konzern gibt es insgesamt mehr als 4.000 Personen auf einer hierarchisch höhergestellten Position als meiner.
Im Unternehmen stehen die Zeichen momentan eher auf Konsolidierung und Effizienzsteigerung, d. h. es gibt so gut wie keine Möglichkeit zur Beförderung in Positionen oberhalb meines Levels.
Seit einiger Zeit spiele ich daher mit dem Gedanken, mich beruflich zu verändern. Hauptsächlicher Treiber sind meine derzeit geringen Entwicklungsmöglichkeiten, die nur geringe Bedeutung meiner Abteilung für die regionalen Geschäftseinheiten in meinem internationalen Zuständigkeitsbereich (ich bin in einer zentralen, aus den USA geführten Stabsfunktion tätig) sowie die Natur meiner aktuellen Position, die mehr das Leiten großer Programme beinhaltet, aber weniger Einfluss auf den Geschäftserfolg hat.
Ich sehe als Optionen
a) den internen Wechsel (schwierig, bei weiterem Warten darauf würde meine Dienstzeit im Konzern immer länger),
b) den Wechsel zu einem vergleichbaren Unternehmen in anderer Funktion (z. B. Business Development),
c) Wechsel zu einem kleineren Unternehmen in höherer Position.
Mir ist bewusst, dass ich keinen akuten Druck habe und bei einem sehr renommierten Unternehmen mit extrem guter Bezahlung arbeite (sogar exorbitant großzügiger Bezahlung aus deutscher Sicht; ich kann die mir anvertraute Summe hier aus Diskretionsgründen nicht veröffentlichen; wenn Sie, liebe Leser, sie schätzen wollen: tun Sie das, seien Sie dabei großzügig – und dann verdoppeln Sie den Zahlenwert; H. Mell). Erschwerend kommt hinzu, dass hier die vorgegebenen Titel nicht unbedingt den Marktgegebenheiten entsprechen: Extern eingestellte Mitarbeiter von Wettbewerbern auf meinem Level wurden häufig Director oder Senior Director (Sie sind lt. beigefügtem Lebenslauf „Head of …“ für einen großen Länderbereich; H. Mell). Ich müsste also meine gegebene, aber in der Positionsbezeichnung nicht enthaltene Seniorität in einem Bewerbungsprozess extern besonders „verkaufen“.
Der finale Karriereschritt?
Raten Sie zu einem finalen Karriereschritt? Übersehe ich Alternativen?
Antwort:
Diese Serie dient, wenn schon nicht der Allgemeinheit, so doch der Information eines größeren Leserkreises über die „Spielregeln des Systems“. Der einzelne Einsender mit seinen individuellen Fragen und Gegebenheiten steht jeweils im Mittelpunkt, die anonymisierte Aufbereitung jedoch richtet sich bewusst an ein größeres Publikum. Und dieser Fall eignet sich nahezu perfekt zur Demonstration von Regeln und pauschalen Empfehlungen. Schauen wir einmal, welche meiner Standard-Themen hier betroffen sind:
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- Das Alter: Ich habe mühsam, aber erfinderisch ausgerechnet bzw. aus anderen Daten geschlossen, dass Sie, geehrter Einsender, etwa 47 Jahre alt sein müssen. Im Lebenslauf fehlt das Geburtsdatum (diese Abstinenz mag in Ihrem derzeitigen Beschäftigungsland üblich sein, in Deutschland ist das Weglassen unsinnig – es steht in jedem Schul, Examens und Arbeitgeberzeugnis).
Hier klopft, das muss man ganz sachlich feststellen, die Midlife-Crisis an die Tür: Die Jahre verstreichen, der zeitliche Spielraum wird geringer – entweder jetzt noch einmal durchstarten oder nie mehr. In fünf Jahren sind die Chancen z. B. im Hinblick auf einen externen Wechsel keinesfalls besser als jetzt – und Sie hätten dann sechszehn Konzernjahre im Werdegang und sieben davon in der heutigen, für eine solide Profilierung weniger ideal geeigneten Position. Das wäre noch keinesfalls das Aus für alle Chancen – aber wenn dann gerade Wirtschaftskrise wäre, müssten Sie doch sehr nervös werden. - Leser aus ganz anderen Umfeldern mögen über die beklagten 4.000 höherrangigen Manager bzw. die vermissten „Director“- oder „Senior“-Titel ihr weises Haupt schütteln – aber Sie verhalten sich normgerecht und erwartungsgemäß. Genau aus dem Grund, den Sie hier vorführen, gibt es diese feinsinnigen Abstufungen. Ihr jeweiliger aktueller Status ist Belohnung für Geleistetes, die „höherwertigen“ Stufen sollen Anreiz für noch größere Leistungen sein, um noch höhere Ziele zu erreichen – und bei der Gelegenheit dem Konzern zu noch größerem Gewinn zu verhelfen.
In solchen Konzernen denkt man so! Ihr Chef tut es, seine Chefs tun es, die meisten Ihrer Kollegen denken entsprechend und die ehrgeizigen unter Ihren Mitarbeitern tun es auch. Es ist Teil der Unternehmenskultur.Und dass frisch „von draußen“ eingestellte Führungskräfte Titel etc. zugestanden bekommen, die Sie vergeblich anstreben, ist leider ziemlich normal. Das beginnt mit der alten Volksweisheit „Der Prophet gilt nichts im eigenen Vaterlande“, setzt sich fort mit dem schwierigen Unterfangen auf dem Markt gute Leute zu finden (Fachkräftemangel), denen man etwas zum Anreiz „bieten“ muss – und endet bei einer unvollkommenen, aber üblichen Personalpolitik, die es dann versäumt, nun auch die vorhandenen Mitarbeiter neu einzuordnen.
Die Praxis zeigt, dass ehrgeizige Kandidaten, die alle fünf bis acht Jahre den Arbeitgeber wechseln und dabei immer weiter nach oben klettern, in der Regel weiter kommen als „treu zur Fahne“ stehende Mitarbeiter. Ob sie damit glücklicher werden, ist eine andere Frage.
- Das Alter: Ich habe mühsam, aber erfinderisch ausgerechnet bzw. aus anderen Daten geschlossen, dass Sie, geehrter Einsender, etwa 47 Jahre alt sein müssen. Im Lebenslauf fehlt das Geburtsdatum (diese Abstinenz mag in Ihrem derzeitigen Beschäftigungsland üblich sein, in Deutschland ist das Weglassen unsinnig – es steht in jedem Schul, Examens und Arbeitgeberzeugnis).
- Ihre „aus den USA gelenkte Stabsfunktion ohne direkten Einfluss aus das hiesige operative Geschehen“ ist aus zweifacher Sicht typisch bzw. systemimmanent: In solchen Konzernen kommen die entscheidenden Impulse stets aus der Konzernhauptverwaltung jenseits des „großen Wassers“.Und als langjähriger Unternehmensberater mit zehn entsprechenden Berufsjahren sind Sie nahezu „automatisch“ in eine Stabsfunktion gerutscht – Ihrem Werdegang fehlte die Basis, um Ihnen eine größere operative Verantwortung anzuvertrauen (obwohl es auch dafür immer wieder einmal Beispiele gibt).Mit diesem „Paket“ auf dem Rücken wird es schwer, extern den Doppelsprung zu machen: In der Hierarchie nach oben und im Fachgebiet vom Stab in die Linie. Bei einem kleineren Unternehmen, das ehrfürchtig auf den großen Namen Ihres heutigen Arbeitgebers schaut, ginge das vielleicht. Aber ich bezweifle, dass Sie in die dortige, ganz andere Arbeitsumgebung passen würden.
- Das Geld: Es macht, Sie demonstrieren es, letztlich doch nicht glücklich. Obwohl ich vermute, dass ein sehr hoher zweistelliger Prozentsatz unserer Leser schwören würde, man wäre für dieses Gehalt zu nahezu allem bereit – bedeuten Ihnen einzelne Sprossen auf der Hierarchie-Leiter und Titel doch irgendwie mehr, das ist erfreulich.
„Wir arbeiten halt nicht vorrangig für Geld, sondern für Erfolg“
Wir arbeiten halt nicht vorrangig für Geld, sondern für Erfolg, Erringung von Zufriedenheit, Anerkennung, Stolz auf die eigene Leistung, ein solides berufliches Umfeld etc. Oberhalb einer gewissen Grenze büßt das Gehalt seinen Wert als Motivationsfaktor ein – es ist wie mit dem Salz in der Suppe.
Ich sehe für Sie folgende Handlungsalternativen:
- Tun Sie gar nichts. Das klingt nicht sehr originell, ist aber in schwierigen Situationen oft eine Lösung, die man guten Gewissens empfehlen kann – während sich etwa aus einer gewissen Panik heraus getroffene Entscheidungen schnell als Einstieg in größere Probleme erweisen.
Sie haben aus der Sicht des Arbeitsmarktes (also „absolut“ betrachtet) einen guten Job an einem attraktiven Platz bei einem Top-Unternehmen mit einem gerade unverschämt guten Einkommen. Alles, was Sie bedrückt, gilt nur intern, „draußen“ weiß niemand etwas darüber. Es geht Ihnen um die „relative“ Gerechtigkeit im Vergleich mit Kollegen. So wie Sie abends die Firma verlassen, ist das alles gegenstandslos. - Aufbauend auf 1.: Halten Sie intern die Augen offen, trotz der schwierigen Situation. Da Sie – siehe 1. – nicht unbedingt sofort etwas tun müssen, haben Sie noch etwas Zeit, können ein bis zwei Jahre warten und intern suchen. In dieser Zeit kann (!) sich die interne Situation ändern.
- Externe Bemühungen um einen Wechsel: Ich fürchte, das wird nicht einfach. Denn seit elf Jahren zieht sich ein spezieller Fachbegriff durch Ihre Stellenbezeichnungen, mit dem wohl nur die Ihrem Arbeitgeber vergleichbaren Unternehmen etwas anfangen können. Und davon gibt es nicht so viele.
Ob Ihre ganze Branche so gut zahlt, weiß ich nicht. Vielleicht hat das auch mit Ihrem heutigen Standort im Ausland zu tun. Ihr Ist-Einkommen könnte also Probleme machen. Und das alles auf sich nehmen – mit den damit verbundenen Risiken –, nur um „Director“ oder „Senior-“ zu werden, wäre mit der erforderlichen Bereitschaft verbunden, einen hohen Preis für ein kleines Ergebnis zu zahlen.
In einem solchen Fall muss immer auch der Blick auf die Ursachen einer Entwicklung erlaubt sein (sprich: Fehleranalyse): Sie waren zu lange Berater. Man geht dort entweder nach einigen Jahren und nutzt die Erfahrungen als Sprungbrett – oder man bleibt bis zum Ende und wird Partner. Der Mittelweg kostet oft mehr Zeit als er an Karriereerfolg einbringt. Nach zehn Beraterjahren fehlt dann doch die operative Erfahrung – man rutscht bevorzugt wieder in stabsähnliche Spezialpositionen hinein.
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