Ein neuer Chef: Wann wechselt man den Vorgesetzten?
Beim Chefwechsel stellt sich oft die Frage, wie man sich am besten an die neuen Gegebenheiten anpasst; der Karriereberater Heiko Mell erklärt seinen Lesern und Leserinnen, wie man diesen Übergang erfolgreich meistern kann.
In Frage 3.258 war der Chefwechsel das zentrale Thema. Ich regte an, mir eigene Erfahrungen speziell zu diesem Aspekt zu übermitteln, hier ist die erste; H. Mell):
Grund für den Vorgesetztenwechsel
Leser A: Ich habe in den fast 26 Jahren bei einem amerikanischen Großunternehmen inzwischen den zwölften Chef. Gerade durch das Lesen Ihrer Karriereberatung bin ich mit den jeweils verbundenen Veränderungen bei einem Wechsel besser zurechtgekommen. Hierbei waren mir die folgenden Punkte hilfreich:
- Sensibilität: Erst durch das Lesen Ihrer Serie wurde mir bewusst, dass jeder Chef-Wechsel auch einen erheblichen Einfluss auf meine Karriere hat. Ihre Grundregel „Ein guter Mitarbeiter ist jemand, den sein Chef dafür hält“ war eine wichtige Erkenntnis. Ich prüfe regelmäßig, ob ich mich auch so verhalte bzw. frage aktiv bei meinem Vorgesetzten nach.
- Der erste Eindruck zählt: Eigentlich ist dies eine Binsenweisheit. Aber ich habe oft genug beobachtet, dass keineswegs alle danach handeln. Gerade in den ersten Wochen der gemeinsamen Zusammenarbeit ist es enorm wichtig, den Vorstellungen des frisch ernannten Chefs zu entsprechen (und später natürlich auch). Insbesondere meinem neuen Chef die volle Loyalität zu zeigen, war für mich eine Priorität. Und es ging mir darum sicherzustellen, dass er dies auch so sieht. Es gibt auch einen (neuen) ersten Eindruck, wenn man die Person seines neuen Vorgesetzten schon lange kennt: Als ein langjähriger Kollege mein Chef wurde, war es für mich klar, dass ich ihn als Vorgesetzten anerkenne – und das auch zeige.
- „Wie tickt mein Chef?“: In den ersten Wochen oder Monaten zu beobachten, wie der Chef arbeitet, war für mich immer sehr hilfreich. Und auch hier stimmt Ihr Satz „Alles zurück auf Anfang“. Ich hatte (neue) Chefs, die mir völlige Freiheit gaben und mit denen ich mich nur bei Bedarf abgesprochen habe.Wenn dann danach ein Nachfolger kommt, der wöchentliche Checkins macht, ist dies schon eine Umstellung. Aber es bietet auch die Chance, neue Einblicke zu bekommen und neue Methoden kennenzulernen.Ein anderer wichtiger Punkt ist der Grund für den Vorgesetztenwechsel. Hier ist insbesondere ein Wechsel im Zuge einer Umorganisation zu beachten. Damit ist klar, dass es Veränderungen geben wird. Und es stärkt die eigene Position, von vorneherein zu zeigen, dass man dem aufgeschlossen gegenübersteht.Eine weitere Erfahrung konnte ich sammeln, wenn der neue Chef von außerhalb kam. Dabei ist es wichtig zu beobachten, wie das Umfeld auf ihn reagiert und ob der Chef es schafft, sich durchzusetzen und ein Netzwerk aufzubauen.
- Vertrauensverhältnis: Aus meiner Sicht ist es überlebenswichtig, dass sich über die Zeit ein Vertrauensverhältnis zum Chef aufbaut. Ohne geht es nicht. Aber die Intensität ist nicht immer die gleiche. Ich hatte Chefs, die mich von Anfang an in Veränderungsprozesse einbezogen haben. Andere informierten mich erst im Rahmen der Umsetzung über die längst beschlossenen Pläne (dass ich oft durch mein eigenes Netzwerk vieles vorab mitbekommen habe oder es mir aufgrund meiner Erfahrung denken konnte, behielt ich immer für mich).
Antwort:
Zunächst zu den geschilderten Rahmenbedingungen: Die 26 Jahre der Betriebszugehörigkeit bei ständig wechselnden Chefs könnten den Eindruck hervorrufen, Sie hätten immer den gleichen (oder fast gleichbleibenden) Job ausgeübt. Dem ist aber nicht so. Aus einer Randbemerkung in Ihrer Zuschrift ersehe ich, dass Sie „nebenbei“ auch noch über mehrere Stufen bis zum Abteilungsleiter aufgestiegen sind. Das unterstreicht den Wert Ihrer Erkenntnisse absolut – und relativiert die erdrückende Zahl von zwölf verschiedenen Chefs, die Sie in diesem Unternehmen schon kennenlernen durften (und die zumindest zum Teil mit Ihrem eigenen Aufstieg verbunden waren). Bei immer gleicher Funktion und zwölf Chefs hätte man sich gefragt: „Warum tut der Mann sich das an?“
Womit ich wieder einmal darauf hinweise, dass für den Analytiker oder Ratgeber begleitende Sachinformationen von besonderer Bedeutung sind. Konkret: Je mehr ich über einen Fragesteller bzw. Einsender weiß, desto besser kann ich seine Aussagen oder sein Anliegen einordnen.
Zu Ihren Detailpunkten, beginnend mit 1. Sensibilität: Ich frage mich nach so vielen Berufsjahren gelegentlich, was eigentlich bleibt (oder vielleicht bleiben könnte), wenn man eines Tages gehen muss. Und obwohl es mir fast banal, weil eigentlich selbstverständlich, vorkommt, muss ich davon ausgehen, dass jene Antwort auf die Frage nach dem guten Mitarbeiter wohl eine meiner erfolgreichsten „Leistungen“ war. Zwar bin ich auf Gesprächspartner gestoßen, die zunächst verblüfft, mitunter sogar skeptisch reagierten, wenn ich diese Definition vorstellte. Aber noch nie hat ein berufserfahrener Angestellter sie als falsch zurückgewiesen. Und neue Gesprächspartner begrüßen mich oft mit dem Hinweis, sie würden mich kennen, ich sei doch der mit dem „Ein guter Mitarbeiter ist jemand …“. So viel positive Resonanz ist selten – vielleicht war das schon mein höchstpersönlicher Höhepunkt. Aber noch arbeite ich an weiteren „Schöpfungen“ dieser und ähnlicher Art.
„Kollege als neuer Chef“
Zu 2. Der erste Eindruck: Ich kann das nur unterstreichen. Aber Sie müssen, worauf ich immer wieder hinweise, dem neuen Chef auch Gelegenheit geben, überhaupt einen Eindruck von Ihnen zu gewinnen – Sie müssen in seinen ersten Wochen präsent (und nicht etwa in Urlaub) sein. In dieser Zeit macht der Vorgesetzte sich ein Bild, aber nur von dem, was er auch „sieht“!
Der Fall „Kollege als neuer Chef“ hat ganz spezielle Problemzonen. Dem müssen wir uns, wenn jemand die entsprechende Frage stellt, ausführlich widmen.
Zu 3: Wie tickt mein Chef? Hier ist vom Mitarbeiter Einfühlungsvermögen ebenso gefordert wie die Einsicht in die Tatsache, dass alles, was man sich beim alten Chef mühsam erarbeitet hatte, völlig „weg“ ist und jeder bisher erreichte Status neu erarbeitet werden muss („Alles auf Anfang“). Das ist mühsam für den, der sich beim Vorgänger etwas erarbeitet hatte – und kann eine Chance sein für denjenigen Mitarbeiter, der sich vom alten Chef stets unverstanden fühlte.
„Stellen Sie sich vor, Sie wären Ihr Chef.“
Nicht ohne Grund rate ich allgemein: „Stellen Sie sich vor, Sie wären Ihr Chef.“ Das hilft in vielen Konfliktsituationen und kann besonders helfen, wenn man sich auf einen neuen Vorgesetzten einstellen muss.
Es gilt absolut: Solange Sie Ihren Chef nicht verstehen (Sie müssen wissen, warum er so denkt und handelt, Sie müssen das aber weder gut noch richtig finden), haben Sie kaum eine Chance, ein harmonisches Verhältnis zu ihm aufzubauen.
Der Grund für den Vorgesetztenwechsel (warum ging der alte Chef, warum wurde gerade dieser neu berufen) fällt in die Kategorie: Ihre berufliche Umgebung ist schon ein ziemliches Minenfeld, auf dem Sie nicht nur überleben müssen, sondern auch noch erfolgreich sein sollen. Dazu brauchen Sie alles an Informationen, was Sie überhaupt bekommen können. Auch für vermeintlich überflüssige oder gar unsinnige Details gilt: Speichern Sie sie ab, manches davon kann morgen der Schlüssel zur Lösung eines Problems sein. Sie müssen halt von möglichst vielen „Minen“ wissen, wo sie liegen.
Zu 4. Vertrauensverhältnis: Das ist ein hohes Ziel – und nicht immer erreichbar. Manchmal stößt man einfach auf einen „Typ Chef“, mit dem ist der Aufbau einer solchen Beziehung kaum möglich. Dann setzen Sie auf einen „langen Atem“ – und geben Sie ihm wenigstens keinen Anlass, von Ihnen in diesem Bereich enttäuscht zu werden („Der hat mein Vertrauen missbraucht“). Und wenn er sich auch noch als misstrauisch erweist, reicht es nicht zu wissen: „Ich habe nichts gemacht, was zu beanstanden sein könnte“ – dann muss Ihre Devise lauten: „Ich habe nicht nur nichts getan, was er missbilligen könnte – ich war auch so vorsichtig, ihm nicht einmal Anlass zur Vermutung zu geben, ich hätte vielleicht etwas gemacht, was er missbilligen würde.“
Der Aufbau von Vertrauensverhältnis
Das klingt kompliziert, ich sollte ein realistisches Beispiel liefern. Also dann:
Ihr neuer Chef ist (noch) sehr unsicher, wenig selbstbewusst und als Folge davon äußerst misstrauisch gegenüber jedem Anschein von „Verrat“. Ihr Chef-Chef hingegen, der Sie seit Jahren kennt, ist ein souveräner, leutseliger und kommunikationsfreudiger Mann. Er winkt Ihnen in der Kantine zu und bittet Sie mit Ihrem Essenstablett an seinen Tisch, vielleicht fühlt er sich einsam. Sie folgen ihm, man plaudert, man lacht über seine Scherze, es ist ein Bild voller Harmonie. Tatsächlich kommt nichts zur Sprache, was die Arbeit oder gar Ihren Chef betrifft. Aber der weiß das nicht, sieht Sie beide und wittert Verrat – man lacht über ihn! Mit ein wenig Pech läutet das eine Abwärtsspirale in Ihrer Beziehung ein.
Was Sie hätten tun können (und in einem solchen Fall auch sollten): Danken Sie dem Chef-Chef für seine freundliche Einladung, zeigen Sie, wie gern Sie ihr gefolgt wären; Sie bedauern außerordentlich, aber Sie wären leider schon verabredet und müssten zu Ihrer Zusage stehen. Mag der Chef-Chef ein wenig verstimmt sein, das gibt sich wieder. Und es ist in jedem Fall das berühmte „kleinere Übel“ gegenüber dem Hass, den Ihr direkter Chef vermutlich im anderen Fall entwickelt hätte.
Das ist das Hinterhältige am so erstrebenswerten Vertrauensverhältnis: Der Aufbau kann drei oder fünf Jahre dauern – mit noch dazu ungewissem Ausgang. Aber zerstören oder unmöglich machen kann man es in zehn Sekunden.
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