Experte werden – oder doch ins Management?
Der Karriereberater Heiko Mell diskutiert über das Thema, ob man sich auf eine Expertenlaufbahn konzentrieren oder den Schritt ins Management wagen sollte. Dabei geht er auf die unterschiedlichen Perspektiven und Herausforderungen ein, die beide Karrierewege mit sich bringen, und gibt wertvolle Ratschläge für den Übergang von der akademischen in die berufliche Welt.

Karriereberater Heiko Mell gibt Einblicke in die Wahl zwischen einer Expertenlaufbahn und dem Einstieg ins Management.
Foto: PantherMedia / Andriy Popov
Frage/1:
Meine Zeit am Institut einer TU neigt sich langsam dem Ende entgegen. Ich werde voraussichtlich mit einer Promotion abschließen.
Dafür habe ich aus verschiedenen Gründen (Institutswechsel, Professorenwechsel durch Pensionierung) etwas länger als üblich gebraucht.
Ist es Ihrer Meinung nach ratsam, diese Gründe genau so zu nennen oder ist es besser, diesen Aspekt anders darzustellen?
Übergang in die Welt der Berufsausübung
Antwort/1:
Sie stehen jetzt vor dem Übergang von der relativ wohlgeordneten Welt der Schule und Universität, in der nahezu alles geregelt ist, in die von „freien Gestaltungsmöglichkeiten“ geprägte Welt der Berufsausübung in kommerziellen Unternehmen. Die Promotionszeit mag als eine Art Zwischenstadium gelten.
In dieser Berufswelt, in die Sie hineinstreben, gilt ein Prinzip, an das sich mancher Berufseinsteiger erst gewöhnen muss: Gefragt sind Erfolge, weniger gute Ausreden für Misserfolge. Ob die von Ihnen ausgewählte Tätigkeit eines Tages pauschal entfällt, ob Ihre Branche total „stirbt“, ob Ihr Arbeitgeber in die Insolvenz geht oder ob Sie an den „schwierigsten Chef aller Zeiten“ geraten – grundsätzlich ist das Ihr Risiko. Gefragt sind – dennoch – Erfolge.
Ob Sie für Misserfolge etwas „können“ oder absolut schuldlos daran sind, bringt Ihnen bei der Betrachtung Ihrer Situation anlässlich einer Bewerbung vielleicht ein paar kleinere Entlastungspunkte ein – aber ob das hilft, ist fraglich. Es geht bei Bewerbungen nämlich nicht um eine generelle, gerechte und verständnisvolle Würdigung des „Gesamtkunstwerks“, das Ihre Person mit allen berufsrelevanten Details darstellt – es geht für den Bewerbungsempfänger schlicht darum, den aus seiner subjektiven Sicht besten von vielleicht 30 Bewerbern auszuwählen.
Und nun stellen Sie sich vor, da sind noch drei Mitbewerber mit vergleichbarem Studienergebnis und ähnlichem Dissertationsthema, die aber sehr viel weniger Zeit für das Erreichen bestimmter Resultate gebraucht haben. Warum sollte der Bewerbungsempfänger jene mit ihren tollen Eckpunkten im Lebenslauf zurückstellen und Sie denen vorziehen?
Stellen Sie sich weiterhin vor, einer von denen würde mir hier schreiben – zutiefst verbittert, weil man bei der Besetzung seiner Traumposition nicht ihn mit den Super-Fakten, sondern Sie mit den etwas kritischer zu sehenden Details sowie mit guten „Ausreden“ eingestellt hätte. Er habe doch, so würde er ausführen, alles richtig gemacht und die ihm gestellten Aufgaben perfekt gelöst!
Überlegungen dieser Art gelten für alle Arten von Beeinträchtigungen im Werdegang.
Nun müssen Sie aber nicht verzweifeln. In dieser „freien“ Welt der kommerziellen Unternehmen gibt es zum Ausgleich diverse Einflussfaktoren, die durchaus eine gegenteilige, für Sie förderliche Wirkung entfalten können.
Ein paar Beispiele dafür:
- ein eklatanter Fachkräftemangel oder reiner Zufall kann dazu führen, dass sich außer Ihnen um eine bestimmte Stelle nur noch ein halbwegs ähnlich qualifizierter Kandidat bewirbt. Also lädt man beide ein und Sie haben Ihre Chance;
– oder der andere Mitbewerber lässt sich zu einer exorbitanten Gehaltsforderung hinreißen, während Sie damit im Rahmen bleiben, schon sind Sie Spitzenkandidat; - oder der Entscheidungsträger beim Bewerbungsempfänger hat ein Kind, dem gerade das Nämliche widerfahren ist; schon ist er aufgeschlossen für Bewerber, die einfach nur „Pech“ hatten; oder er hat selbst „Flecken auf der Weste“, was seine Promotionszeit angeht;
- oder, auch das gibt es, das suchende Unternehmen weiß, dass es aus Bewerbersicht auf dem Arbeitsmarkt nicht „1. Wahl“ ist (oder dass der Standort bzw. die Firma Nachteile hat, die man erst nach Dienstantritt bemerkt). Dann befürchtet man dort, dass sich ein neu eintretender Bewerber, bei dem alles tadellos ist, schnell wieder anderweitig umsieht, während ein Kandidat mit Handikaps, der sich schwerer tut, sofort Alternativen zu finden, ein größeres „Leidensvermögen“ mitbringt und länger „bei der Fahne“ bleibt.
Fazit: Da Sie nicht wissen (können), was hinter den Kulissen des suchenden Unternehmens vorgeht, gilt: Unverdrossen weitermachen mit den Bewerbungen, diese breit streuen – und sich nicht nur auf die wenigen „leuchtenden Sterne“ am Unternehmenshimmel mit Sitz in den angesagtesten Großstädten konzentrieren.
Zur Kernfrage: Es gilt der Grundsatz, dass man dem Bewerbungsempfänger an der Stelle, an der er auf ein Problem (in seinen Augen) stößt, wenn schon nicht die Lösung, so doch wenigstens eine Erklärung dafür anbieten sollte. Also schreiben Sie in Klammern hinter jene Phase im Lebenslauf etwa: „(Aus Gründen, die mit dem Thema meiner Dissertation zu tun hatten, sah ich mich zu einem Institutswechsel veranlasst. Die nicht vorhersehbare frühzeitige Emeritierung meines Doktorvaters führte leider zu einer zusätzlichen Verlängerung meiner Promotionszeit)“.
Das hat noch einen zusätzlichen Vorteil: Sie zeigen, dass Ihnen das Handikap als solches zumindest bewusst ist und dass Sie später nicht argumentieren werden: „Lange gebraucht? Sehe ich als Vorteil! So war ich besonders gründlich und habe mich intensiv mit der Materie vertraut gemacht.“ Solche Leute gibt es auch, manche Bewerbungsempfänger denken mit Schrecken daran, sich so etwas anhören zu müssen.

Karriereberater Heiko Mell.
Wenn man eine Expertenlaufbahn wählt…
Frage/2:
Mein aktuelles Ziel ist eine Expertenlaufbahn, da ich mir derzeit eine reine Managementkarriere nicht vorstellen kann. Gerne würde ich die fachliche Arbeit so lange wie möglich beibehalten, weil mir diese zurzeit sehr gefällt.
Antwort/2:
Das klingt auch, ich kenne diese Distanzierung gegenüber Führungsaufgaben, durchaus typisch für einen bestimmten Typ von Berufseinsteigern.
Was macht eigentlich ein Manager? Er war in der Regel nach dem Studium zunächst in üblicher Form ausführend in der Lösung rein fachlicher Aufgaben tätig. Dabei wurde er – wenn das auch nicht so bezeichnet wurde – durchaus zum „Experten“ (also Fachmann) für ein Fachgebiet. Diese Funktion hat er etwa drei bis fünf Jahre erfolgreich(!) zur besonderen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ausgeübt. Dabei haben diese Interesse an weitergehenden Aufgaben (Beförderungen) und Potenzial für die Übernahme entsprechender Positionen erkannt.
Unser Muster-Manager bekam nun die erste Verantwortung für einige Mitarbeiter, er wurde z. B. Teamleiter. Das ist eine Art „Ober-Fachmann“ auf dem vertrauten Fachgebiet. War er bisher etwa Entwicklungsingenieur für links drehende Turbinen, wird er jetzt verantwortlich für die zunächst nur fachliche Leitung von drei bis sieben Entwicklungsingenieuren im Turbinenbereich. Er vergibt nun an die Mitglieder seines Teams fachliche Aufgaben, klärt entsprechende fachliche Probleme, beantwortet fachliche Fragen seiner Mitarbeiter und hilft ihnen, wenn sie auf Probleme stoßen. Er ist täglich(!) mit Fragen aus seinem angestammten Fachgebiet beschäftigt. Oft bearbeitet er sogar auch noch ein definiertes Gebiet als ausführender Fachmann selbst, hat also eine Art Doppelfunktion.
Er unterstützt seinen vorgesetzten Abteilungsleiter bei der disziplinarischen Führung seines Teams, wird also bei der Einstellung, bei Gehaltsfestsetzungen und sonstigen Disziplinarmaßnahmen gehört, ist aber i. d. R. dort noch nicht entscheidungsbefugt.
Und nein, er ist entgegen entsprechenden Gerüchten in dieser ersten Führungsebene weder seinem angestammten Fachgebiet entrückt, noch etwa „nur noch mit Verwaltungsaufgaben“ beschäftigt, wie ein gängiges Vorurteil lautet.
Wenn er will, kann er Teamleiter bis zur Rente bleiben. Im Normalfall jedoch (wie ich an anderer Stelle schon sagte, kommt der „Appetit beim Essen“) sucht er den weiteren Aufstieg über den Abteilungs zum Bereichsleiter etc. Dabei entfernt er sich immer mehr von den „letzten Details“ seines alten Fachgebietes und wird „Experte für die Führung von Fachleuten“. Jetzt kann er etwas bewegen, hat er Gestaltungsfreiheit, trifft er nahezu ständig Entscheidungen. Er wird Mitglied des unternehmensweiten Managementteams und bekommt ersten, noch bescheidenen Einfluss auf strategische Konzepte und Maßnahmen.
Und auch: Das hierarchische System, in dem wir uns bewegen, ist für Wege wie den hier geschilderten konstruiert, der Weg nach oben ist dabei nicht die seltene Ausnahme für „exotische“ Möchtegern-Führer, sondern Standard.
Und nicht zuletzt: Es hat, ich weise immer wieder darauf hin, einige bittere Konsequenzen, diesen systemimmanenten Aufstieg bewusst zu verweigern: Als Nur-Fachmann von 53 Jahren kann man einen Chef von 33 Jahren bekommen, der nicht nur alles besser weiß, sondern dem man das auch noch schriftlich bestätigt hat. Und sollte man im angesprochenen Alter ohne eigene Schuld zum Arbeitgeberwechsel gezwungen sein, ist mit Vorbehalten des Arbeitsmarktes zu rechnen. „Der ist wohl nicht besonders gut, schließlich hat ihn nie jemand befördert.“
Sehr beliebt ist schließlich bei Leuten wie mir auch der Hinweis auf das Gehalt. Die Unternehmen knausern bei normalen Mitarbeitern mit jedem 100 €-Schein, zahlen aber einem Abteilungsleiter sehr viel mehr als dem besten seiner ausführenden Mitarbeiter. Sie honorieren damit den besonderen Wert der Führung.
Also überlegen Sie sich Ihre Zielsetzung gut. Dass Ihnen im zeitlichen Zusammenhang mit Examen und Promotion rein fachliche Aufgaben so reizvoll vorkommen, ist erst einmal ganz normal. Als Trost: Zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs ist keine solche Entscheidung fällig, auch der promovierte Bewerber steigt in der Regel zumindest in größeren Firmen nicht gleich ins Management ein, sondern muss sich seine „Sporen“ erst einmal mit der überzeugenden Arbeit in eher ausführenden Tätigkeiten verdienen.
Spagat zwischen Firma oder dem Jobinhalt
Frage/3:
Aus meiner Sicht würden sich daher vor allem Konzerne mit großen Forschungsabteilungen für meinen Einstieg eignen.
Allerdings sind mir in den Stellenausschreibungen auch ein paar kleinere Ingenieurbüros/Dienstleister aufgefallen, die ähnlich interessante Jobs ausgeschrieben haben. Ist für eine erfolgreiche Expertenlaufbahn eher die Firma oder der Jobinhalt interessant? Und falls ich doch noch in die Managementlaufbahn wechseln möchte?
Antwort/3:
Mit der „Forschung“ ist das so eine Sache: Der Hauptzweck jedes Industrieunternehmens ist das operative Geschäft, also Umsatz und über diesen „Umweg“ Gewinn zu machen. Forschung ist dazu ein Hilfsmittel. Viele Unternehmen haben zwar einen F&E-Bereich, aber darin kaum etwas, das den Begriff „Forschung“ wirklich verdient.
Managementfunktionen gibt es – sehr begrenzt – auch in der reinen Forschung. Aber ungleich mehr Jobs gibt es in der Entwicklung. Wobei „Vorentwicklung“ meist für die grundsätzliche Entwicklung, für die Erarbeitung prinzipieller Lösungen steht, während die „Serienentwicklung“ direkt auf das verkaufsfähige, am Kundenbedarf orientierte Produkt zielt.
Dieser letztgenannte Bereich (es ist auch der mit den jeweils meisten Arbeitsplätzen) ist unverzichtbar – wie sehr das Unternehmen auch zum Sparen gezwungen sein mag. Für die anderen Segmente gilt das weniger.
Nach zehn Jahren „Forschung“ wäre ein Wechsel in einen klassischen Entwicklungsbereich schwierig – man gilt als „geprägt“ von diesem besonderen Metier.
Große Arbeitgeber verleihen Bewerbern mit ihrem Image „Schubkraft“ auf dem Arbeitsmarkt, in kleineren Firmen ist die Arbeit oft interessanter, mit mehr Gestaltungsfreiheit verbunden. Aber der spätere Wechsel von dort in Konzerne hinein ist meist schwierig.
Das dahinterstehende Prinzip: Es gibt mehrere Ziele und ebenso viele Wege dorthin. Wäre nur einer allein richtig, hatte sich das herumgesprochen – und die anderen wären längst verschwunden. Jeder Berufstätige muss selbst sehen, wo er glücklich wird, eine pauschale Empfehlung ist nicht möglich.
Und falls Sie doch noch Karriere im allgemeinen Management machen möchten? Dann suchen Sie sich jetzt schon einen Unternehmenstyp, der Ihren Zielen entspricht – und entfernen Sie sich beim Einstieg nicht zu weit vom operativen Geschäft (was übrigens, aber nur dort, für den Arbeitgebertyp Forschungsinstitut die Forschung ist).
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