„Freiwilliges“ Ausscheiden mit Abfindung: Was steht im Zeugnis?
Frage 1:
Seit 25 Jahren lese ich mit großem Interesse, Vergnügen und persönlichem Gewinn Ihre Karriereberatung.
Zu mir: Nach dem Abitur als Z12 zur Bundeswehr, dort Ing.-Studium, vorzeitig ausgeschieden nach der Wiedervereinigung (zu viel Personal), Erziehungsurlaub und Aufbaustudium (Wirtsch.-Ing.), danach verschiedene Funktionen in der Projektleitung eines Unternehmens (u. a. Auslandseinsätze, zuletzt stv. Abteilungsleiter). Vor mehr als fünfzehn Jahren Wechsel zu einem großen Finanzdienstleister, zuletzt dort Referatsleiter von zwei Teams. Vor einem Jahr Aufhebungsvertrag im Rahmen eines Freiwilligenprogramms, nahtloser Wiedereinstieg bei einem anderen Dienstleister dieser Branche.
Zurzeit gibt es immer wieder Nachrichten über diverse Firmen, die mit Freiwilligenprogrammen den Stellenabbau forcieren. Auch mein früherer Arbeitgeber hatte mit diesem Ziel ein solches Programm aufgesetzt. Dies hatte ich genutzt, auch weil ich eine neue Stelle in Aussicht hatte.
Antwort 1:
Mir gefällt die Wortschöpfung „Freiwilligenprogramm“ nicht. Ein solcher Begriff sollte den speziellen Kern der Geschichte treffen. Dass nun jemand freiwillig ein Unternehmen verlässt, ist nichts Besonderes, sondern der stets anzustrebende Standard. Jeder Angestellte hat in seinem Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist, die er nur einzuhalten braucht – dann kann er, so ihm danach zumute ist, „freiwillig“ (auf eigenen Wunsch) ausscheiden. Dafür braucht man kein besonderes Programm.
Hier geht es jedoch um etwas anderes: Das Unternehmen will, meist mit dem Ziel kurzfristiger Kosteneinsparung, Mitarbeiter loswerden. Man könnte gezielt weniger geschätzten Angestellten kündigen, aber das ist in Deutschland schwierig, schlecht fürs Arbeitgeber-Image in der Öffentlichkeit – und das Verfahren „zieht sich“. Also ermuntert man pauschal die Mitarbeiter (ggf. auch nur ausgewählte Gruppen): Bitte nutzt doch eure Möglichkeiten und geht von euch aus (freiwillig). Was gestern noch undenkbar war (Mitarbeiter zum Wechsel zu ermuntern), ist heute plötzlich Herzenswunsch des Arbeitgebers. Allein, es nützt nichts, kaum jemand geht. Wer den Wechsel nicht bereits vorbereitet hatte, scheut das Risiko eines Ausscheidens zum nicht selbst geplanten Zeitpunkt – und bleibt schön, wo er ist.
Also versucht das Unternehmen, überzeugende Argumente in die Diskussion einzubringen. Bewährt hat sich Geld: Wer innerhalb einer bestimmten Frist freiwillig geht, bekommt eine – z. T. sehr verlockend hohe, meist von den Dienstjahren dort abhängige – Abfindung. Also wäre „Abfindungsprogramm“ schon eine bessere Bezeichnung. Die Mitarbeiter werden mit dem Lockmittel größerer Summen dazu „motiviert“, etwas zu tun, was sie ohne diesen Anreiz nicht getan hätten.
Also gilt: Dieser „freiwillige“ Schritt dürfte deutliche Nachteile haben, über die der betroffene Mitarbeiter aber wegen der gezahlten Summen hinwegsieht. Wäre dies nicht so, müsste er nicht mit viel Geld gelockt werden.
Zwei Szenarien eines Abfindungsprogramms
Für den Angestellten, der über die Teilnahme am Abfindungsprogramm nachdenkt, sind zwei unterschiedliche Szenarien denkbar:
Die Idealkonstellation
1.1 Er ist hinreichend lange beim Unternehmen tätig, sodass der Termin des Ausscheidens keine Fragen späterer Lebenslauf-Betrachter aufwirft.
1.2 Er schafft es, am Tage nach dem vereinbarten Ausscheiden eine neue Anstellung zu haben, sodass sich im Lebenslauf keine Lücke (Arbeitslosigkeit) ergibt. Das ist in der Regel nicht zu machen, wenn man erst bei Anlaufen des Abfindungsprogramms mit Bewerbungen beginnt. Aber es gibt die zufällige Konstellation, dass ein Angestellter ohnehin gerade wechseln wollte, schon ein neues Angebot hat – und die Abfindungssumme einfach nur „mitnimmt“. Das gilt allgemein als „ganz schön clever“.
1.3 Er bekommt ein sehr gutes Zeugnis, in dem nichts auf die Teilnahme am Abfindungsprogramm hindeutet, sondern das Ausscheiden auf eigenen Wunsch bescheinigt wird (Achtung: Wenn nach dem Ausscheiden kein neues Arbeitsverhältnis, sondern Arbeitslosigkeit folgt, wäre der Mitarbeiter ja „arbeitslos auf eigenen Wunsch“ geworden, was Bewerbungsempfänger meist gar nicht schätzen).
1.4 In dieser Idealkonstellation hat der Mitarbeiter also einen vollkommen unauffälligen Wechsel vollzogen, der in keinem Punkt zu beanstanden ist – und er hat eine erhebliche Summe zusätzlich „obendrauf“ bekommen, von der kein Außenstehender etwas erfährt. Was der Leser schon geahnt hat: Ideallösungen dieser Art sind selten.
Die nicht dem Ideal entsprechende Konstellation
2.1 Die Dienstzeit ist für einen Wechsel deutlich zu kurz. Dieser Fall ist kaum relevant, weil dann auch die Abfindung nicht hoch genug wäre, um einen Anreiz auszuüben.
2.2 Er geht nach dem Ausscheiden erst einmal in die Arbeitslosigkeit. Bewerbungen aus diesem Status heraus sind jedoch weniger erfolgversprechend, insbesondere bei gehobenen Ansprüchen an die neue Position (Aufstieg/Karriere).
2.3 Er bekommt ein Zeugnis, aus dem berufslebenslang das eigentlich unfreiwillige, letztlich nur durch die Abfindung begründete Ausscheiden hervorgeht. Es gibt Bewerbungsempfänger, die das nicht schätzen, wiederum insbesondere nicht bei gehobenen Ansprüchen an die neue Position (Aufstieg/Karriere).
2.4. In dieser Konstellation, die der Regelfall sein dürfte, wird der Mitarbeiter also arbeitslos und trägt auf Dauer die besonderen, nicht gerade als Empfehlung geltenden Umstände seines Ausscheidens in den Papieren mit sich herum.
Nicht ohne Grund schrieb ich schon an dieser Stelle, dass Abfindungen dieser Art „das am teuersten verdiente Geld des ganzen Berufslebens“ sein können.
(Habe ich nun durch diese Ausführungen der deutschen Wirtschaft die Möglichkeit zur schnellen, unauffälligen Personalreduzierung verbaut? Aber nein, gegen den Lockruf des Geldes komme ich mit meinen Ermahnungen nicht an. Die Mitarbeiter werden es weiter dennoch „freiwillig“ tun, aber ich habe sie gewarnt und selbst ein gutes Gewissen. Übrigens: Mit der Abfindung bei klassischer arbeitgeberseitiger Kündigung hat das alles nichts zu tun; wer davon betroffen ist, erhält einen hilfreichen finanziellen Ausgleich für seine äußerst unangenehme Situation, die er oft nicht vermeiden konnte.)
Sie, geehrter Einsender, haben jedenfalls gem. 1.2 meiner Idealkonstellation einen durchaus vertretbaren Schritt getan. Die Anforderungen von 1.1 hatten Sie auch erfüllt, bleibt die Zeugnisfrage nach 1.3:
Frage 2:
Nun habe ich das Arbeitszeugnis bekommen und möchte gern Ihre Meinung dazu wissen. Insbesondere finde ich es befremdlich, dass dort steht, ich würde die Firma „im Rahmen eines Freiwilligenprogramms“ verlassen.
Die Bewertung finde ich gut bis sehr gut. Auch dazu interessiert mich Ihre Meinung.
Antwort 2:
Das Dokument schildert zunächst Ihre verschiedenen Positionen während der langen Dienstzeit dort. Dann werden sehr gute Fachkenntnisse bescheinigt. Es ist weiterhin die Rede von einer sehr guten Auffassungsgabe – und Sie seien „deshalb in der Lage“ gewesen, schnell sehr gute Lösungen zu finden. Das ist nicht sauber durchdacht: Man findet nicht schnell sehr gute Lösungen „aufgrund einer sehr guten Auffassungsgabe“ – dazu gehört mehr. Aber immerhin: Vermutlich ist es positiv gemeint.
Dann kommt in einem Absatz das Lob besonderer Belastbarkeit doppelt (in zwei verschiedenen Sätzen). Das wird wegen der Verwendung mäßig durchdachter Textbausteine so langsam Standard. Aber auch diese Aussagen sind sehr gut.
Schließlich ist von immer „herausragenden Arbeitsergebnissen“ die Rede. Und Ihre Leistungen hätten „jederzeit und in jeder Hinsicht die vollste Anerkennung gefunden“ – besser geht es kaum.
Dann wurden Sie wegen Ihres Wesens „in hohem Maße geschätzt“, es wird nicht gesagt, von wem. Und Sie „erfreuten sich größter Beliebtheit“: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Kurz gesagt, man kann und soll zwar von seinen Chefs gelobt werden und darf auch bei denen beliebt sein, aber es gilt der pauschale Rat, die Bestätigung allgemeiner Beliebtheit lieber nicht im Arbeitszeugnis zu haben. Geschätzt, geachtet, anerkannt ja, beliebt lieber nicht. Es steht in keinem Arbeitsvertrag, in keiner Stellenbeschreibung, dass der Mitarbeiter überall beliebt sein soll. Dann aber wird Ihr Verhalten mit der positiven Höchstnote bewertet.
Wichtiger aber ist die alles krönende Formulierung über das Ausscheiden. Ein Super-Lob verliert doch sehr an Wert durch ein „Wir haben mit ihm unseren besten Mann gefeuert“. Und bei Ihnen steht nun, Sie wären „im gegenseitigen Einvernehmen“ ausgeschieden. Das gilt absolut eindeutig als arbeitgeberseitige Entlassung! Dann steht dahinter, dies sei „im Rahmen eines Freiwilligenprogramms“ geschehen. Man bedaure dies sehr („wir haben ihn erschossen, aber es tut uns leid“ – etwas überspitzt gesagt), es wird noch einmal von einem „sehr guten Mitarbeiter“ und „stets sehr guten Leistungen“ gesprochen. Diese Super-Aussagen sind z.B. bei unverschuldeten arbeitgeberseitigen Entlassungen nicht unüblich, man „verschenkt“ sie häufig als Abschiedsgeschenk (das nichts kostet).
Das sind in einem Text-Absatz lauter Puzzle-Teile, die nur schwer zu einem harmonischen Bild zusammengesetzt werden können. Ich bezweifle nicht, dass die Umstände des Ausscheidens völlig korrekt formuliert worden sind. Ich kann mir sogar vorstellen, dass ein solcher Hinweis auf die Arbeitgeberinitiative („Wir wollten, dass er geht“) durchaus hilfreich sein kann bei der steuerlichen Bewertung der Abfindung. Ganz sicher ist, dass die meisten Teilnehmer am Abfindungsprogramm anschließend erst einmal arbeitslos sind und entsprechend Geld von der Bundesanstalt für Arbeit haben wollen. Und die sperrt sich und den Antragsteller, wenn sie den Verdacht hat, er sei „auf eigenen Wunsch“ arbeitslos geworden, sie liest lieber den Beweis für eine Trennung auf Arbeitgeberinitiative hin.
Also ist alles korrekt – nur nicht gut für Sie mit Ihrem rechtzeitig vorliegenden neuen Angebot. Da wäre ein „scheidet aus auf eigenen Wunsch“ viel besser gewesen. So „riecht“ Ihr langjähriges, eigentlich erfolgreiches Arbeitsverhältnis nach Problemen am Schluss.
Ich erinnere an die goldene Regel für Angestellte: Halten Sie Ihre Papiere sauber! Was immer Sie tun: Ihre Unterlagen sollten keine Fragen aufwerfen. Und: Es geht nicht immer nur um den jeweiligen konkreten Fall. Sie wissen nie, was im nächsten oder übernächsten Arbeitsverhältnis auf Sie zukommt. Mit ein bisschen Pech wird man schnell als „Wiederholdungstäter“ abgestempelt („Wo immer der Mann tätig ist – am Schluss will man ihn loswerden“).
Als Tipp: Bevor Sie eine Vereinbarung im Rahmen einer solchen Abfindungsregelung unterschreiben, fragen Sie doch einmal, was denn zum Thema „Ausscheiden“ im Zeugnis stehen wird. Kaum ein Angestellter unterzeichnet, ohne sich die Abfindung auf Euro und Cent ausgerechnet zu haben. Geld ist schnell ausgegeben, das Zeugnis jedoch bleibt Ihnen „auf ewig“ erhalten. Also verhandle man darüber ebenso engagiert wie über die letzten 100 €. Es ist alles eine Frage der Prioritäten; die generelle Bedeutung gerade dieses Aspektes ist nachzulesen auf meiner Homepage unter „Karriere-Basics“ (Nr. 87 von 115).
Frage-Nr.: 3.024
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 34
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2019-08-23
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