Gefährdung in der Probezeit durch nachgereichte schlechte Bewertung?
Frage 1:
Angenommen, ich bewerbe mich erfolgreich aus ungekündigter Position heraus um einen neuen, externen Job. Der neue Arbeitgeber ist begeistert von mir, alle Fakten sprechen für mich. Zum Zeitpunkt der Bewerbung liegt mir, wie üblich, noch kein Arbeitszeugnis vom alten Arbeitgeber vor. Der neue Arbeitgeber weiß also nichts darüber, wie gut oder schlecht mich mein alter Arbeitgeber bewertet.
Sie schreiben, der neue Arbeitgeber will – verständlicherweise – in jedem Fall das Zeugnis des alten Arbeitgebers nachgereicht bekommen, sobald es verfügbar ist.
Antwort 1:
Ich muss hier spontan einhaken, sonst festigt sich eine nicht ganz richtige Auffassung bei manchen Lesern:
Korrekt ist, dass Sie als Bewerber in jedem Fall damit rechnen (!) müssen, dass der neue Arbeitgeber dieses Dokument nachträglich vorgelegt bekommen will. Was wiederum bedeutet: Bestehen Sie beim alten Arbeitgeber unbedingt darauf, am letzten Arbeitstag Ihr Zeugnis in Händen zu haben. Wenn Wochen des neuen Arbeitsverhältnisses vergehen, ohne dass Sie dem Wunsch nach Vorlage des Zeugnisses entsprechen, machen Sie sich langsam „verdächtig“, ein sehr schlechtes Dokument zu haben – und nur zu behaupten, der alte Arbeitgeber hätte noch nicht geliefert.
Jetzt kommt die gute Nachricht: Viele der neuen Arbeitgeber vergessen schlicht das Nachfordern des Dokumentes. So wie Personalabteilungen zu überlastet sind, um ausscheidenden Angestellten rechtzeitig ein Zeugnis auszustellen, so sind etwa ebenso viele dieser Administrationsabteilungen zu sehr eingespannt, um an das Nachfordern des „alten“ Zeugnisses eines neuen Mitarbeiters zu denken. Aber: Sie dürfen sich auf diesen „Schmutzeffekt“ des Systems nicht verlassen!
Frage 2:
Was passiert, wenn das Arbeitszeugnis wider Erwarten des neuen Arbeitgebers schlecht ist? Ich schätze, das Nachreichen des Arbeitszeugnisses fällt üblicherweise in die Probezeit. Muss ich bei einem schlechten Zeugnis des alten Arbeitgebers mit einer Kündigung in der Probezeit rechnen?
Antwort 2:
Ihre Frage ist sachlich völlig berechtigt und logisch überzeugend aufgebaut. Ich muss darauf mit Aussagen aus der betrieblichen Praxis antworten, die Ihnen vielleicht merkwürdig oder sogar unbefriedigend erscheinen. Aber es ist nun einmal so, dass unser gesamtes System ziemlich unvollkommen ist (Mell: „von unvollkommenen Menschen für unvollkommene Menschen geschaffen“), wir wursteln uns in der Praxis irgendwie so durch – es „menschelt“ allerorten:
1.Wenn Sie Glück haben, vergisst der neue Arbeitgeber das Nachfordern. Dann erledigt sich die Frage (siehe Antwort 1). Viel gewonnen haben Sie damit langfristig nicht: Bei Ihrer nächsten Bewerbungsaktion (z. B. in fünf Jahren), mit der Sie stets rechnen sollten, ist jenes „alte“ Zeugnis ein zentraler Baustein Ihrer Bemühungen.
2.Als zentrale Anforderung: Ein Angestellter, der auf sich hält, ehrgeizig ist und stets um die Erhaltung bzw. Steigerung seines Marktwertes auf dem Arbeitsmarkt bemüht ist, hat niemals schlechte Zeugnisse. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, ist das Ziel eines Beschäftigungsverhältnisses immer (!) ein gutes, besser ein sehr gutes Zeugnis. Die Sache ist eigentlich recht einfach: Man arbeitet „stets zur vollsten Zufriedenheit“ des Arbeitgebers, dann ist alles in bester Ordnung. Das ist möglich, viele Bewerber schaffen das. Ich habe nicht gesagt, dass es immer einfach ist.
3.Richtig schlechte Zeugnisse sind selten! Einmal zwingen Gesetz und Rechtsprechung zur Schönfärberei. Dann sind die Arbeitgeber beim Ausscheiden schlecht beurteilter Mitarbeiter meist so froh, dieselben endlich los zu sein, dass sie „mit Rücksicht auf die Eltern“ eine bessere als die verdiente Bewertung abgeben. Das kostet nichts, Papier ist geduldig und man hat sich sozial verhalten.
4.Niemals darf ein Mitarbeiter, wenn er denn wirklich einmal ein schlechtes Zeugnis erhält, davon überrascht werden! Dann nämlich hätte er seine Hausaufgaben nicht gemacht. Wenn er seinen Chef schon enttäuscht oder verärgert, dann muss er das während des Beschäftigungsverhältnisses wenigstens merken. Noch besser ist es, er ahnt das zurückhaltende Urteil seiner Vorgesetzten – und tut rechtzeitig etwas dagegen.
5.Ein „schlechtes Zeugnis“ ist nicht absolut zu definieren. Das Prädikat hängt auch vom Verwendungszweck, von der jeweiligen Betrachtungssituation und vom ggf. vorhandenen Wettbewerb ab. Gehen wir einmal von einem vorhandenen Zeugnis mit der Bewertung „2-“ aus:
Bei einer Bewerbungsaktion mag der Arbeitgeber vielleicht dreißig Zuschriften bekommen. Davon sind nach Lebenslaufanalyse etwa fünf grundsätzlich interessant (diese angenommene Quote ist recht hoch). Mit seiner „2-“ kann unser Beispielkandidat schon an das Ende dieses Feldes rutschen – und bleibt draußen, wenn der Bewerbungsempfänger nur vier Interessenten einlädt.
Wenn der Kandidat aber einmal eingestellt worden ist, reicht dasselbe (z. B. nachgereichte) Zeugnis nicht aus, um daraus eine Kündigung abzuleiten. Das ist kein juristischer Aspekt, der spielt in der Probezeit keine Rolle.
Die hier angesprochene Regel lautet: Ein Angestellter mit negativ zu sehenden Aspekten der Größe X kann bei einer Bewerbung daran scheitern. Um gezielt entlassen zu werden, braucht es jedoch negative Kriterien der Größe X+.
Ein Beispiel: Färben Sie einmal Ihre komplette Bewerbung als Entwicklungsingenieur in ein durchgehendes kräftiges Rosa. Das reicht in der Regel absolut aus, um nicht eingeladen zu werden. Wenn Sie aber einen Job haben und eines Tages Ihrem Chef einen Bericht in ebendieser Farbe vorlegen, riskieren Sie irgendeine Art von Kritik (vielleicht auch eine heftige), aber entlassen werden Sie allein deswegen nicht.
Man könnte das auch technischer formulieren: Im Bewerbungsprozess herrscht Gleitreibung, alles ist im Fluss. Die Störkraft X kann ausreichen, um eine Bewerbung über den Rand des Tisches zu schieben. Ist der Mitarbeiter jedoch eingestellt, herrscht Haftreibung, es besteht ein eher statisches Gefüge. Die Störkraft X reicht jetzt nicht mehr aus, um den Mitarbeiter abstürzen zu lassen.
6.Jetzt wird es psychologisch. Die Situation: Der neue Mitarbeiter ist eingestellt, arbeitet seit sechs Wochen, allen seiner ehemaligen Mitbewerber hat man inzwischen abgesagt. Wenn jetzt Aspekte auf den Tisch kommen, die Zweifel an der rundum weißen Weste des Neuen aufkommen lassen, dann sprechen folgende Argumente wiederum eher für das Verbleiben des Mitarbeiters:
6.1 Der Vorgesetzte beim neuen Arbeitgeber wollte mit dem neuen Mitarbeiter eine schmerzliche Lücke im Team schließen. Bisher sind seit Beginn der Besetzungsaktion etwa drei Monate vergangen. Im Augenblick besteht Hoffnung, dass der Lückenschluss gelungen ist. Entlässt der Chef den Neuen, steht er wieder vor dem Nichts, muss weitere drei Monate die Lücke überbrücken und hat nicht die geringste Garantie, dass er dann besser dran ist als jetzt. Geld hätte er auch vergeudet: Das Gehalt des Neuen war zum Fenster hinausgeworfen, die alten Inserate haben gekostet, die jetzt erneut erforderlichen werden wieder kosten. Das belastet seine eigene Bilanz.
6.2 Was steht denn hier zur Debatte? Eine sorgfältig vorbereitete, in einem mehrstufigen Prozess „gehärtete“ Einzelfallentscheidung des Chefs. Kann die falsch gewesen sein, darf die falsch gewesen sein? Na also. So etwas spricht sich intern herum, auch der Chef hat Chefs und steht unter Beobachtung. Also, was sagt er im Normalfall über das nachgereichte schwächere Zeugnis zu seinem Stellvertreter? „Heften Sie das Ding ab und beobachten Sie den Neuen, ob wir die umrissenen Schwachpunkte hier auch erkennen!“ Und dann vergisst er in der Regel den Fall. In der Beurteilung des neuen Mitarbeiters dominiert dann mit jedem weiteren Tag der Eindruck, den der Chef aus der täglichen Zusammenarbeit heraus gewinnt.
6.3 Natürlich gibt es auch den – seltenen – Extremfall: Dem neuen Chef ist in den ersten sechs Beschäftigungswochen aufgefallen, dass der neue Mitarbeiter stur bei seiner Meinung bleibt bzw. sogar zur Aufmüpfigkeit neigt. Daraufhin macht er sich so seine Gedanken darüber, ob seine Einstellentscheidung wohl richtig war. Und dann reicht der Mitarbeiter sein altes Zeugnis nach, in dem es heißt: „Herr Müller kam jeweils schnell zu einem endgültigen Urteil, von dem er auch bei schwerwiegenden Gegenargumenten nicht mehr abwich.“ Dann, und nur dann, könnte der Chef aus Zweifeln eine Gewissheit machen – und handeln.
7.Auf einen anderen Aspekt, den wir hier bisher nicht angesprochen haben, will ich unbedingt noch hinweisen:
Selbstverständlich sind Bewertungen im Zeugnis ein zentraler Aspekt von hoher Bedeutung. Gerade beim Nachreichen spielen jedoch auch simple Fakten eine große Rolle: Wenn die im Lebenslauf angegebene Beschäftigungszeit nicht stimmt, wenn die Positionsbezeichnung im Zeugnis deutlich „harmloser“ klingt als in der Bewerbung behauptet worden war – und insbesondere wenn die „Umstände des Ausscheidens“ plötzlich eine neue Dimension aufweisen, ist von starker Verärgerung des neuen Arbeitgebers auszugehen. Das kann durchaus bis zur Entlassung reichen. Denn über Bewertungen könnte man noch streiten, wenn aber aus dem behaupteten Fall „Bewerbung aus ungekündigter Position“ plötzlich ein „Rausschmiss durch den Arbeitgeber“ wird („schied im gegenseitigen Einvernehmen aus“), sind Enttäuschung oder sogar Wut beim neuen Chef unbedingt zu befürchten.
Service für Querleser:
Entlassungen in der Probezeit wegen nachgereichter Zeugnisse alter Arbeitgeber mit schlechter Bewertung sind theoretisch denkbar, in der Praxis jedoch äußerst selten. Entsprechende Befürchtungen sind nicht gerechtfertigt. Viel kritischer ist es, wenn wesentliche Fakten (!) des nachgereichten Dokuments z. B. dem Lebenslauf widersprechen.
Frage-Nr.: 3.029
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 37
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2019-09-13
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