Heiko Mell 08.06.2018, 09:06 Uhr

Konzerninterner Wechsel in eine Position als Vice President

Frage/1

Seit über 25 Jahren bin ich begeisterter Leser Ihrer Karriereberatung. Ihre pointierten und kompetenten Hinweise waren für meinen bisherigen Berufsweg äußerst hilfreich – vielen Dank!

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Ich bin Anfang 50 und seit vielen Jahren bei dem XY-Konzern in wechselnden Führungspositionen tätig. Seit einigen Monaten bin ich Hauptabteilungsleiter im Engineering mit mehr als 200 Mitarbeitern, die mir teils disziplinarisch, teils fachlich in unseren weltweiten Standorten unterstellt sind. Davor war ich u. a. Hauptabteilungsleiter in anderen Funktionsbereichen.

Zur Abrundung: Vor ca. vier Jahren wurde von Ihnen bereits meine Frage in den VDI nachrichten beantwortet. Ihre damalige Empfehlung „Bleiben im Konzern + Verzicht auf weiteren Aufstieg – Sichern des Erreichten“ habe ich beherzigt, dieses Vorgehen hat sich bisher auch bewährt. Ich fühle mich wohl in dieser Position, auch mein Vorgesetzter ist mit mir zufrieden.

Inzwischen nehme ich aber in meinem Umfeld gewisse Tendenzen und Veränderungen wahr, die es m. E. notwendig machen, das bisherige Vorgehen zu überdenken:

Es gibt strukturelle Veränderungen in der gehaltlichen Eingruppierung: Bisher gab es eine gemeinsame Gehaltsgruppe für Hauptabteilungsleiter/Leiter einer „großen Abteilung“ (trifft ebenfalls für mich zu) und Vice Presidents. Diese Gruppe wird ausgedünnt, hier verbleiben im Wesentlichen nur noch die Vice-President-Positionen. Im Zuge einer Reorganisation hat man eine neue Hierarchieebene eingezogen. Mein neuer Vorgesetzter ist als Vice President auf gleichem Eingruppierungslevel wie ich.

Bei dieser Reorganisation war ich nach Aussage meines früheren Chefs „ganz oben“ auf der Kandidatenliste für eine der neu geschaffenen Vice-President-Positionen. Aber „knapp vorbei“ ist nun mal auch daneben … Dieser frühere Chef hat mir zu verstehen gegeben, dass meine bisher sehr positive Gehaltsentwicklung keinen weiteren Spielraum nach oben bietet.

Eine zunehmende Anzahl von leitenden Mitarbeitern, die nun nicht mehr in das Gefüge passen, verlässt das Unternehmen (eher nicht freiwillig). Angesichts dieser Situation bin ich durchaus froh, im Rahmen der Umorganisation meine heutige Position erlangt zu haben.

Antwort/1

Als Erläuterung für Leser, die nicht so intensiv mit Konzerngepflogenheiten vertraut sind:

In großen Unternehmen, die übrigens ständig umorganisiert werden „müssen“ (ob das wirklich immer sein muss, ist umstritten, aber reorganisiert werden sie jedenfalls tatsächlich in relativ kurzen Zeitabständen), wird das Prinzip einer neuen Regelung stets höher gewertet als ein davon tangiertes Einzelschicksal oder auch als mehrere davon. So kann eine neue Struktur durchaus den Verlust einer ganzen Führungsebene nach sich ziehen, wobei die betroffenen Manager dann „übrig“ sind und um ihre Existenz fürchten müssen. Mit ihrer individuellen Leistung hat das im Regelfall nichts zu tun. Ein solches Vorgehen ist keine bewusste Missachtung menschlicher Schicksale – aber so große Organisationen lassen sich nur nach objektiven Grundsätzen führen.

So, und unser Einsender steckt jetzt in einer Gehaltsbandbreite (von … bis …), die eigentlich nur noch Vice Presidents vorbehalten ist – ein Rang, den man ihm nach sorgfältiger Prüfung nicht gewährt hat. Nun ist er für seine Position nicht nur so hoch bezahlt, dass keine Weiterentwicklung mehr möglich ist – ihm droht auch weiteres Ungemach: Im Augenblick hat das Unternehmen genug Probleme und personellen Ärger, da lässt man ihn eine Weile in Ruhe. Aber der Grundsatz „Prinzip vor Einzelschicksal“ gilt natürlich weiter. Und irgendwann durchforstet jemand die Gehaltsgruppen und stellt fest, dass da ein Hauptabteilungsleiter wie ein über dieser Stufe angesiedelter Vice President bezahlt wird (und auch noch etwa ebenso viel verdient wie sein Chef, was nicht sein darf und diesem Vorgesetzten in der Regel auch nicht gefallen dürfte). Das muss dann „bereinigt“ werden. Die theoretisch denkbare spätere Ernennung zum Vice President kommt nicht infrage, Gehaltskürzungen führt auch der Arbeitgeber nicht gern durch, aber siehe die Bemerkung des Einsenders oben: „Eine zunehmende Anzahl von leitenden Mitarbeitern, die nun nicht mehr in das Gefüge passen, verlässt das Unternehmen (eher nicht freiwillig)“ – und er passt ebenfalls nicht.

Damit muss sein heutiger Status als „auf Dauer bedroht“ gelten.

Frage/2

Mittelfristig übrigens sehe ich die wirtschaftliche Situation unserer Einheit bestenfalls stabil bzw. mit nur moderatem Wachstum, d. h. ich habe nur begrenzte Möglichkeiten, meine Position weiter auszubauen.

Ich könnte mir aber auch einen langfristigen Verbleib in der heutigen Position („Sichern des Erreichten“) vorstellen, wenn es da nicht die erwähnten problematischen Randerscheinungen bzw. Bedrohungen gäbe.

Ich sehe folgende Handlungsmöglichkeiten:

  1. Zielsetzung: Verbleib im heutigen Status. Risiko: Meine heutige Position passt irgendwann nicht mehr in die sich verschiebenden Aufgabenprofile meiner Gehaltsgruppe. Für einen konzerninternen Wechsel in eine höherwertige Aufgabe bin ich dann zu alt und auch zu lange im heutigen Umfeld tätig. Eine stets mögliche negative wirtschaftliche Entwicklung mit dann zu erwartenden strukturellen Anpassungen würde das Risiko erhöhen.
  2. Zielsetzung: Konzerninterner Wechsel in eine Position als Vice President, um meine heutige Gehaltsgruppe abzusichern. Solche Möglichkeiten sind im Konzern sehr begrenzt. Als Ausnahmen kämen ggf. Auslandseinsätze oder Positionen beim Aufbau neuer Geschäftsfelder infrage. Ich habe meine grundsätzliche Bereitschaft dazu gegenüber Vorgesetzten und Personalabteilung deutlich gemacht.
  3. Einen externen Wechsel schließe ich aus.

Sie ahnen es vermutlich schon: Mein Kopf sagt: „Die noch relevanten zehn bis 15 Jahre hältst du im heutigen Status noch durch, es kommt schon alles nicht so schlimm (also Variante 1); mein Bauch sagt: „Ich will kämpfen und mich beweisen“ (also Variante 2). Der interne Wechsel wird auch dadurch schwierig, dass aus den entsprechenden Anbahnungen ein Automatismus entstehen kann, der sich durch mich nur noch begrenzt steuern lässt (wenn mein Chef von konkreten Sondierungen meinerseits erfährt, beginnt er mit der Planung meiner Nachfolge).

Meine Fragen: Lohnt sich das Risiko, das mit dem Versuch verbunden ist, eine Vice-President-Position zu erringen oder ist es nicht sogar zwingend, einen solchen Schritt zu planen?

Antwort/2

Ich liste vorsichtshalber noch einmal die Eckpunkte Ihrer Situation auf:

  • a) Sie sind über 50. Generell (und natürlich nur sehr pauschal) geht man davon aus, dass man in diesem Alter erreicht hat, was zu erreichen war. Die (Karriere-)Sturm und Drangzeit ist vorbei, die Sicherung des Erreichten hat Vorrang. Der Manager dieses Alters vermarktet, was er kann, ist und gemacht hat, nicht mehr sein Potenzial für „mehr“. Es gibt immer wieder einmal Ausnahmen, aber die Regel bremst weitere Ambitionen.
  • b) Sie sehen die zentrale Lösung für Ihr Problem darin, eine bestimmte höhere Hierarchieebene (Vice President) zu erreichen. Aber Ihr Motiv dafür liegt weder in dem entsprechenden Karriereziel, noch in der Behauptung, Sie könnten in jener Stufe Ihre Talente besonders gut entfalten und Ihrem Unternehmen maximalen Nutzen erwirtschaften. Sie wollen in jene Ebene nur zur Absicherung Ihrer gehaltlichen Einstufung, die in Ihrem Denken (fast) alles dominiert.

Das ist ein bisschen schwach. Denn die Regel lautet natürlich: Das Gehalt folgt der Rangstufe der Position, für die man sich im Unternehmen qualifizieren konnte und in die man eingesetzt wurde. In Wirklichkeit geht es gar nicht um den Aufstieg zum Vice President; gäbe man Ihnen in Ihrer heutigen Position die Garantie, in dieser Gehaltsstufe bleiben zu können, wären Sie ja zufrieden. Wenn ich zu diesem Schluss komme, könnte Ihr Arbeitgeber das auch so sehen – dann aber hat er keine große Lust mehr, Sie zu befördern.

Hart formuliert: Ihnen geht es letztlich nur um die Absicherung eines Gehalts, das für Ihren erreichten hierarchischen Status nach neuester Regelung schlicht zu hoch ist (sagt Ihr Arbeitgeber).

  • c) Das Unternehmen hat bei der jüngsten Strukturreform Ihre Ernennung zum Vice President geprüft – und verworfen (die netten Worte dabei in Richtung „fast“ sind nur Schall und Rauch). Diese Entscheidung kann auch eine generelle Absage an Ihre weitergehenden Ambitionen enthalten.
  • d) Wie bereits dargestellt, ist Ihr Gesamtstatus (für die Position zu hoch bezahlt) mittelfristig gefährlich – große Unternehmen lieben solche Ausreißer nicht und neigen irgendwann zur „Bereinigung“ (vorrangig durch Ausscheiden des Mitarbeiters).
  • e) Ihr Chef ist mit Ihnen in einer Gehaltsstufe. Da Sie dort offenbar schon an der Obergrenze angesiedelt sind, verdienen Sie vermutlich eher mehr als weniger im Vergleich zu ihm. Sollte er behaupten, das mache ihm nichts aus – trauen Sie ihm nicht. Nach den geltenden Regeln muss er das Problem irgendwann irgendwie loswerden. Sonst wäre er ein Engel – und die werden nur selten Chef.
  • f) Ich stimme Ihnen zu: Ein Arbeitgeberwechsel in diesem Alter und mit dieser Dienstzeit scheidet aus.

Situationsanalyse und Handlungsempfehlung: Ich glaube, Ihre Gesamtposition ist mittelfristig bedroht. Einfach abzuwarten, kann als Lösung nicht empfohlen werden. Die Mühlen eines Konzerns mahlen langsam, aber mit unerbittlicher Konsequenz.

Natürlich wäre eine Aufstiegsposition im Range Vice President im In- oder Ausland eine vordergründige Lösung. Im Inland wird sie kaum zu erreichen sein – und der Weg ins Ausland, nur um eine bestimmte Gehaltseinstufung abzusichern, erscheint mir zu weit hergeholt. Auch hier gilt doch: Sie wollen gar nicht vorrangig ins Ausland, es geht nur um den Effekt „Gehalt“. Ein solches Konzept überzeugt nicht.

Andererseits muss etwas geschehen. Der aus der neuen Gehaltsstruktur des Konzerns kommende Druck wird sonst auf Dauer zu groß.

Sie sind nun einmal „nur“ Hauptabteilungsleiter (mit großer Abteilung und anspruchsvoller Zusatzverantwortung). Für diese Führungskräfte muss es doch auch eine – jetzt vom Konzern gewollte – Gehaltseinstufung geben. Mir ist klar, dass diese Bezahlung unter Ihrer heutigen läge – aber wäre das wirklich das Ende der Welt? Sie würden sich dort eingestuft wiederfinden, wo der Konzern das als angemessen ansieht; einen weiteren Aufstieg hat er gerade geprüft und abgelehnt. Sie würden als regelgerecht bezahlter Hauptabteilungsleiter ohne Druck und Gefährdung in Ruhe weiter arbeiten können. Natürlich ist es sehr unangenehm, plötzlich weniger zu verdienen als bisher. Aber es gibt ja auch keinen Beweis dafür, dass Ihr heutiges Gehalt irgendwie „gerecht“ gewesen ist.

Überlegen Sie einmal, ob Sie unter diesen Umständen nicht ein Gespräch führen in Richtung „freiwillige Herabstufung in die neuerdings korrekte, vom Unternehmen gewollte Gehaltsgruppe“ mit dem Ziel „Existenzsicherung“.

Frage-Nr.: 2.952
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 23
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2018-06-08

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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