Berufsweg gestalten: Wie treffe ich die richtigen Entscheidungen?
Der berufstätige Mensch trifft in den vierzig oder mehr Jahren seiner Tätigkeit immer wieder auf Situationen, in denen er in eigener Sache aktiv entscheiden muss oder eine Gelegenheit nicht verpassen darf. Wer das versäumt und behauptet, nicht anders gekonnt zu haben, gebraucht eine Ausrede.
3.196. Frage/1:
Ich hatte mich bereits als einen extremen Spätentwickler gesehen, der sich gefragt hatte, ob er noch Karrierechancen suchen sollte und wie er die verlorene Zeit aufholen könnte.
Nun durfte ich plötzlich ein für unser Unternehmen sehr anspruchsvolles und wichtiges Projekt leiten. Das ganze Projektteam war dabei sehr erfolgreich. Und bis in die Vorgesetztenebene direkt unter dem Vorstand wurde anerkannt, dass ich dieses Vorhaben sehr engagiert und professionell geleitet habe.
Was mich besonders bewegt hat: Der frühere Werkleiter, der mich gemeinsam mit einigen seiner Kollegen eher nicht als Führungskraft gesehen hatte, rief mich vor seiner Pensionierung an. Er lobte nochmal meine in seinen Augen sehr professionelle Projektleitung und gab mir den Ratschlag, mehr Zutrauen zu mir zu haben und durchaus auch eine Führungsposition anzustreben. Er schloss fast schon bedauernd oder entschuldigend mit dem Satz, dass er mein entsprechendes Potenzial nicht vorher erkannt hatte.
Welche Entscheidungsfreiheiten hat der Arbeitnehmer?
Nun, ich hatte mein Potenzial sicher nicht gut genug auf dem Markt feilgeboten und muss dabei auch die eigene Teilschuld akzeptieren.
Die Frage jedoch, die mich umtreibt: Wie hätte ich meine Entwicklung anders gestalten können? Welche Freiheit hat ein Mensch wirklich, seine diesbezüglichen Entscheidungen zu treffen?
Rückblickend betrachtet kann ich oft ziemlich genau sagen, was ich hätte anders machen können – aber ich erinnere mich auch, dass ich zur jeweiligen Zeit keine andere Chance hatte, als so zu entscheiden, wie ich es damals getan habe. Trotz des Gefühls, dass die jeweilige Entscheidung nicht richtig oder zumindest nicht gut war.
Wenn ich einen Arbeitnehmer betrachte, der vielleicht schon zehn Jahre bei einer Firma ist, der spürt, dass er den Absprung verpassen wird, aber trotz des permanenten Drucks nicht „den Hintern hoch“ bekommt und sich dann wundert, wie schnell doch zwanzig Jahre in dieser einen Firma vergehen – welche Möglichkeiten hat dieser Mensch?
Vielleicht kann ein Mitarbeiter mit entsprechender Anstrengung seinem Berufsweg eine um 1 – 2 Grad andere Richtung geben. Auf die gesamte Berufsstrecke gesehen ist das dann irgendwann tatsächlich der große Unterschied zwischen Weiterentwicklung und Stagnation. Was aber kann initial sein für diese Richtungsänderung?
Antwort/1:
Ich muss hier eine Zäsur machen und das bisher Geschriebene abarbeiten, sonst folgen uns bei zu viel philosophischen Betrachtungen an einem Stück zu viele Leser nicht mehr:
- Zum Typ „Spätentwickler“, soweit Verantwortungsübernahme und Einstieg in die Führungslaufbahn betroffen sind: Das ist vorrangig ganz allein Ihr Problem!
Sie als Betroffener müssen eine positive berufliche Entwicklung zunächst einmal wollen. Dabei kann man Ihnen von außen her schlecht helfen. Es ist wie mit den Projekten „Aufhören mit dem Rauchen“, „Ausstieg aus dem Alkoholmissbrauch“, „Abnehmen“ oder „Gesünder leben durch mehr Sport“. Der Betroffene muss sein (!) Problem erkennen, es loswerden wollen – und bereit sein, etwas dagegen zu tun, aktiv oder meinetwegen auch initiativ oder sogar „proaktiv“.
Da fällt mir ein, ich als Außenstehender kann eine Hilfestellung zumindest versuchen. Indem ich erkläre, dass für einen Angestellten mit Studium eine weitere Entwicklung in Richtung „mehr Verantwortung, Führung, Karriere“ im industriellen Umfeld der Normalfall ist. Von dem man nur ausnahmsweise abweichen soll, wenn man dafür ganz spezielle Gründe hat.
Denn die Unternehmen, bei denen man angestellt ist, sind selbst darauf ausgerichtet, sich „nach oben hin“ weiterzuentwickeln – in Sachen Umsatz, Gewinn, Marktanteile. Und darum passen am besten Menschen (Mitarbeiter) zu ihnen, die ihrerseits an ihrer entsprechenden Weiterentwicklung interessiert sind.
Weiterentwicklung im Beruf ist eine Sache des Wollens
Für beide, das Unternehmen und seine Mitarbeiter, gilt: Wer sich weiterentwickeln will, muss das wollen – als Mindestvoraussetzung. Das Unternehmen will es „definitionsbedingt“, der Angestellte sollte dem entsprechen.
Das heißt also: Für den gut ausgebildeten Akademiker im Unternehmen ist die berufliche Weiterentwicklung der anzustrebende Normalfall. Wer nach zehn Berufsjahren merkt, dass er den Absprung verpassen wird, muss etwas tun. Jetzt, sofort. Das geht!
Und was genau wird in der Praxis von einem solchen Mitarbeiter erwartet, der dem Standard „positive Weiterentwicklung“ entsprechen will? Überzeugende, überdurchschnittliche Leistungen in der bisherigen Position, erkennbares Potenzial für die berufliche Weiterentwicklung („der kann noch mehr als ihm heute abverlangt wird“) und deutlich gemachtes Interesse an einer solchen Entwicklung.
Man hat immer eine Chance, anders zu handeln
Das alles haben Sie damals, als es an der Zeit gewesen wäre, nicht „gebracht“ – und sagen nun, Sie hätten zwar manches anders machen können, hätten aber in der damaligen Situation keine andere Chance gehabt als so zu entscheiden, wie Sie es getan haben. Was bedeutet: „Ich bereue es heute, würde es aber in der damaligen Situation wieder tun.“
Jetzt gehen mir langsam die Argumente aus. Natürlich hätten Sie eine Chance gehabt, seinerzeit anders zu handeln. Ihr Beispiel eines Menschen, der „den Hintern nicht hoch bekommt“ und sich zu nichts aufraffen kann, überzeugt mich nicht. Entweder ist dieser Mensch krank, dann gehört er in eine entsprechende Behandlung. Oder er ist es nicht und bloß antriebsschwach, kann keine Initiative entwickeln, sich für keine Aktivität entscheiden und nur „so eben vor sich hinarbeiten“, dann hält man ihn auch besser von anspruchsvolleren Aufgaben fern. Denn er wäre denen auch nicht gewachsen.
- Ihre Vermutung, ein Mitarbeiter könne seinem Berufsweg eine Richtungsänderung von höchstens 1 – 2 Grad geben, teile ich absolut nicht: Ich sehe in Lebensläufen ständig neue Richtungen, die bis zu 90 Grad vom Bisherigen abweichen. Die Chancen sind da, man muss nur entschlossen zugreifen (wollen). Wobei derartige Abweichungen die „Verkaufbarkeit“ eines Werdegangs auf dem Arbeitsmarkt oft eher verschlechtern als verbessern – aber darum geht es hier nicht.
Ich habe ein wenig das Gefühl, wir beide sind etwa an folgendem Punkt angelangt: Ich erkläre hier, wie diese Leistungsgesellschaft funktioniert, und Sie fragen, was aus jemandem wird, der über eine lange Zeit nicht in diesem Sinne „funktionieren“ will oder kann.
Dann kann meine Antwort nur lauten: Entweder dieser Mensch zwingt sich, den Regeln zu entsprechen (auch ich muss mich des Öfteren zu bestimmten Aktivitäten zwingen, allein um z. B. in den vielen Jahren der Laufzeit dieser Serie bisher keinen einzigen Abgabetermin für meine Manuskripte versäumt zu haben). Oder er verpasst seinen „Einsatz“ – was er dann später durchaus bereuen kann. Denn es gibt für alles im beruflichen Bereich den richtigen Zeitpunkt, wie „im Leben“ da draußen auch.
Wer „den Hintern nicht hoch bekommt“, darf später nicht jammern
Und das lasse ich mir nicht ausreden: Wir sind – nicht total, aber doch nennenswert – Herr unserer Entscheidungen. Wer wie der Mensch in Ihrem Beispiel nach zehn Dienstjahren „den Hintern nicht hoch bekommt“, der hat nicht nur die Entscheidung für den Aufstieg versäumt, er hat sich aktiv für das diesbezügliche Nichtstun entschieden. Das ist erlaubt, darf aber später nicht zum Jammern über verpasste Gelegenheiten führen.
- Ich sage es ganz offen: Alles, was ich nicht erreicht habe, geht ganz wesentlich auf meine Fehler, meine Versäumnisse, meine verpassten Gelegenheiten zurück. Oder ich habe in bestimmen Situationen die aus heutiger Sicht nicht optimalen Prioritäten gesetzt. Aber ich habe immer ein breites Feld möglicher Entscheidungsalternativen gehabt und auch gesehen – und sehe diese noch heute vor mir.
Nett ist Ihr Beispiel mit dem jetzt pensionierten vorgesetzten Werkleiter, der nach Ihrer beeindruckenden Leistung als Projektleiter nun bedauert, Ihr entsprechendes Potenzial nicht früher erkannt zu haben. Das ist sehr freundlich von ihm, nützt aber jetzt nichts mehr. Diese Geschichte muss nach den Regeln zu einer ganz klaren Aussage führen: Es war Ihr Fehler. Ein Vorgesetzter erkennt Talente, wenn er sie sieht. Er sieht sie, wenn sie ihm demonstriert werden, er ist kein Leser im Kaffeesatz. Es ist dabei durchaus üblich, über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren diese Talente unübersehbar zeigen zu müssen, um dann eines Tages den „Gewinn“ aus diesen ganzen Bemühungen mitnehmen zu können. Aber wer keine entsprechenden Talente aktiv demonstriert, bekommt auch keine diesbezügliche Anerkennung.
Ich kann das alles auch wesentlich kürzer sagen: In einer Leistungsgesellschaft führt die Aussage eines Teilnehmers in der Richtung „Und wenn ich nun zwar mehr könnte, aber nicht will oder mich nicht dazu aufraffen kann?“ zu einem Schulterzucken. Und das war es dann. Es heißt ja nicht umsonst „Leistungs-“Gesellschaft. Von nichts kommt halt wenig.
Frage/2:
Ich finde für mich auch rückwirkend keine Lösung. Sich professionelle Hilfe zu holen, erfordert erst einmal einen hohen Leidensdruck sowie eine ehrliche Bereitschaft dazu. Ratschläge müssen erst einmal gewollt, verstanden und angenommen werden.
Bei diesen Gedankengängen bewundere ich Menschen, die Berater werden. Ich hätte sie (damit meine ich ganz allgemein gute Berater) dringend gebraucht, aber gleichzeitig hätten diese bei mir damals keine Chance gehabt, mich zu erreichen. Was wiederum bedeuten würde, dass ein Berater erst dann etwas bewirken kann, wenn der Klient dazu bereit ist.
Antwort/2:
Ihre Aussage mit dem hohen Leidensdruck für das Einholen professioneller Hilfe stimmt absolut nicht. Es ist bei mir wie beim Zahnarzt: Ein Teil der Patienten erscheint prophylaktisch, ist also um reine Vorsorge bemüht – ohne aktuell den geringsten Leidensdruck zu verspüren. Man könnte das mit der Routine-Inspektion beim Auto vergleichen.
Eine zweite Gruppe ahnt, dass sich in ihrem Umfeld ein Problem entwickeln könnte und fragt – rechtzeitig – nach einer Abwehrstrategie („Gegenmaßnahmen“).
Die dritte Gruppe hat tatsächlich ausgeprägten Leidensdruck. Da ist die Degradierung schon vollzogen, der Aufhebungsvertrag liegt auf dem Tisch (oder ist, was unbedingt vermieden werden sollte, schon beiderseits unterschrieben). Natürlich kann man auch hier oft noch wirksam helfen, aber statt einer vorbeugenden Tablettengabe bleibt dem „Arzt“ (Berater) dann oft nur noch die aufwendige und riskante Notoperation.
Holen Sie sich professionellen Rat bei der Planung des Karrierewegs
Also lautet mein – bei Anlegen strenger Maßstäbe vielleicht nicht ganz uneigennütziger – Rat: Gerade wenn Sie dem in dieser Einsendung charakterisierten Persönlichkeitstyp entsprechen: Holen Sie sich professionellen Rat. Dazu kann man sich durchaus selbst überzeugen oder zwingen.
Damit geben Sie dem Berater erst einmal eine Chance, Sie von einer Verhaltensänderung (denn darum geht es) zu überzeugen. Vielleicht findet er Argumente, die neu für Sie sind – oder er formuliert wie der Zahnarzt wenigstens Drohungen, von denen Sie sich bewegen lassen („wenn wir jetzt nichts tun, faulen Ihnen demnächst fünf Zähne unter großen Schmerzen weg“).
Selbstverständlich kann der Berater erst dann etwas bewirken, wenn der Klient zur Annahme seiner Vorschläge bereit ist. Aber das kann der Klient doch frei entscheiden, dann kann er sich jederzeit selbst motivieren oder schlicht zwingen.
Selbstmitleid nicht als Ausrede gebrauchen
In Ihrem Ausspruch „ich konnte damals nicht anders und würde unter gleichen Umständen wieder nicht anders können“ steckt mir zu viel Selbstmitleid, das hier als Ausrede gebraucht wird.
Und wie geht es nun weiter? Bleiben Sie auf dem durch Ihr erfolgreiches Projekt erschlossenen Erfolgspfad, melden Sie Ansprüche auf „mehr“ (nicht Geld, das ist hier uninteressant) an, mindestens auf die Leitung eines weiteren anspruchsvollen Projektes. Seien Sie aktiv, seien Sie präsent, bleiben Sie für „die da oben“ sichtbar, machen Sie etwas aus sich. Begeistern Sie täglich (na gut, wenigstens einmal pro Woche) Ihre Chefs.
Und unterstellen Sie einfach einmal, „der Mell“ könnte mit diesem ganzen langen Artikel einfach nur recht gehabt haben. Gelegentlich nämlich ist ihm das durchaus schon widerfahren.
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