Können Kollegen Freunde sein?
Frage:
Wie viele andere Einsender kann auch ich wohl sagen, dass mir Ihre Ratschläge und Überlegungen in Ihrer Karriereberatung, die ich über die letzten 25 Jahre gelesen habe, gefallen und geholfen haben. Ich finde mich in der Praxis oft in ihnen wieder.
Ich bin Dipl.-Ing., Mitte 40, und arbeite seit mehreren Jahren bei einem großen Automobilzulieferer in der Entwicklung. Nach einigen Jobwechseln in meinem Berufsleben frage ich mich neuerdings und rückblickend, ob es möglich ist, dass Kollegen Freunde sein können. Obgleich bei allen Beschäftigungen in mittleren und großen Unternehmen das Betriebsklima gut war und ich mich mit vielen Kollegen sehr gut verstand, war ich doch meist sehr vorsichtig (und bin es immer noch), wenn es darum ging, etwas mit diesen in der Freizeit zu unternehmen.
Andere, vorwiegend jüngere Kollegen aus dem Team scheinen sich dagegen privat oft zu treffen. Ich jedoch halte mich, gerade auch bei den neuen Kommunikationswegen (WhatsApp) heraus. Es wurmt mich, ständig überlegen zu müssen, dass in einem „Ernstfall“ eine Freundschaft verbrannt werden könnte. Auf der anderen Seite kann das ja auch ohne jeden beruflichen Bezug geschehen. War man aus einer Firma raus, empfand ich es als sehr viel angenehmer, mit den ehemaligen Kollegen privat etwas zu unternehmen und Kontakt zu halten.
Es wird mit zunehmendem Alter nicht unbedingt leichter, nach oder neben der Arbeit neue Freunde zu finden, die man so einschätzen kann, wie man das bei Kollegen zu können glaubt. Freunde sind Freunde, Kollegen bleiben Kollegen. Sind Privates und Berufliches weiterhin strikt zu trennen? Möglicherweise sehe ich die Sache ein wenig zu vorsichtig; wie beurteilen Sie das Verhältnis grundsätzlich, wo liegen die Fallen oder auch Vorteile?
Antwort:
Beginnen wir mit dem, was vorgegeben ist und was Sie nicht ändern können: Die Mitarbeiter einer organisatorischen Einheit (Gruppe, Abteilung etc.) sind Kollegen. Sie bleiben es, auch wenn sich manche nicht ausstehen können oder sogar aktiv bekämpfen. Außer durch Abteilungs- oder Firmenwechsel wird man den Status „Kollege“ nicht wieder los, der Mitarbeiter steckt in einer systemimmanenten Zwangsmitgliedschaft.
Für den einzelnen Mitarbeiter ist es unbedingt erstrebenswert, ja oft überlebenswichtig, mit den Kollegen (möglichst mit allen) ein sachliches, neutrales, freundliches, harmonisches – eben ein kollegiales – Verhältnis zu haben. Man arbeitet mit, nicht gegeneinander, man hilft sich, steht im Zweifel auch einmal gegen den Chef zusammen, haut sich gegenseitig nicht in die Pfanne, kann sich aufeinander verlassen. Mehr ist grundsätzlich nicht erforderlich, weniger ist oft nachteilig.
Für den Vorgesetzten einer Einheit ist genau das ebenfalls erstrebenswert. Wenn seine Mitarbeiter gegeneinander arbeiten, sich gegenseitig hereinlegen und „schlecht aussehen“ lassen, sich über Fehler der anderen freuen und wenn nur jeder für sich darum bemüht ist, letztlich bei ihm gut dazustehen, leidet die Produktivität seiner Einheit – und er steht bei seinem Chef in seiner Rolle als Führungskraft nicht gut da („er hat seinen Laden nicht im Griff“).
Schön, manchmal treibt der Chef zwei ehrgeizige Hoffnungsträger in einen internen Leistungswettbewerb oder nutzt anderweitig die speziellen Teamstrukturen für seine Interessen, aber grundsätzlich gilt: Sowohl der Arbeitgeber, vertreten durch den Chef, als auch die einzelnen Mitarbeiter sind an einem „kollegialen“ Verhältnis der Angestellten einer organisatorischen Einheit interessiert, es dient den Belangen aller Beteiligten.
Der einzelne Mitarbeiter nun ist sowohl im ureigenen Interesse als auch in Umsetzung der Ziele seines Chefs aufgerufen, dieses kollegiale Verhältnis der Mitarbeiter zu fördern. Wenn die Hälfte der Abteilung kegeln geht, kann er frei entscheiden; gehen alle anderen, spricht mehr dafür, dass er sich anschließt. Was immer die Kollegen (im vertretbaren Rahmen) tun: mitzumachen ist erwägenswert, sich abzusondern will gut überlegt sein, aktives Verweigern ist nicht ratsam.
Dazu gehört auch der ernsthafte Versuch, Abneigungen gegen einzelne Mitglieder der Gruppe weitgehend zu unterdrücken, sich nicht an aktiven Intrigen o. Ä. zu beteiligen und niemanden auszugrenzen. Es ist schon ein wenig guter Wille und Aufwand erforderlich, um diesen Standard auf Dauer zu halten. Dieser Einsatz wird von allen Mitarbeitern erwartet.
Freundschaften können kollegiales Verhältnis stören
So weit, so gut. Nun ergibt es sich immer wieder, dass einzelne Kollegen besonders gut miteinander harmonieren und Freunde werden. Will man das bewerten, muss man auch ganz deutlich sagen: Weder aus der Sicht des Chefs noch aus der des einzelnen Mitarbeiters ist das unbedingt erstrebenswert. So etwas ergibt sich, man wird es grundsätzlich akzeptieren müssen, aber ab dieser Schwelle beginnt die Vermischung von beruflichen mit eher privaten Aspekten. Wenn in einer Gruppe von zwanzig Mitgliedern jeweils zwei Untergruppen von zwei oder drei Kollegen zusätzlich befreundet sind, während die anderen definitionsgemäß davon ausgeschlossen bleiben – dann kann das ganz harmonisch verlaufen, es kann aber auch das allgemeine kollegiale Verhältnis stören.
Für den Chef ergeben sich daraus eher neue mögliche Komplikationen: Gilt es, aus dem Mitarbeiterkreis eine Beförderungsposition zu besetzen, spielt bei seiner Auswahl ggf. der „Freundschaftsaspekt“ ebenso eine Rolle wie bei vertraulichen Gesprächen mit einzelnen Gruppenmitgliedern („wem kann ich hier noch uneingeschränkt vertrauen?“).
Fazit: Ein gutes kollegiales Verhältnis ist unbedingt anzustreben, es liegt im Interesse von Mitarbeitern und Chefs. Einzelne Freundschaften von Kollegen untereinander kann niemand verhindern, aber grundsätzlich angestrebt und gefördert werden müssen sie eher nicht. Wer als Mitarbeiter besonders ehrgeizig ist und Beförderungen erwartet, ist hier im Zweifelsfall besonders zur Zurückhaltung aufgerufen.
Als Trost: Zwar gibt es durchaus Freundschaften, die sich aus kollegialer Zusammenarbeit entwickelt haben und die ein Leben lang halten. Vielfach aber zeigt sich, dass das gemeinsame Erleben am Arbeitsplatz der „Kitt“ war, der das Verhältnis zusammenhielt. Fällt der plötzlich weg, lebt man sich leicht auch wieder auseinander. Und seien wir doch einmal ehrlich: Hat es nicht auch Vorteile, wenn unsere Freunde unseren Chef nicht kennen, nicht jede unserer beruflichen Niederlagen hautnah miterleben und nicht Mitbewerber bei der nächsten Aufstiegsrunde sind? Es spricht viel dafür, sie sich vorrangig „draußen“ zu suchen.
Service für Querleser
Ein gutes kollegiales Verhältnis der Mitarbeiter einer organisatorischen Einheit ist sowohl für den einzelnen Angestellten als auch für den Chef unbedingt erstrebenswert – und rechtfertigt den dafür erforderlichen Aufwand. Darüber hinausgehende Freundschaften einzelner Kollegen untereinander sind kaum zu verhindern, aber auch nicht unbedingt dem Gesamtziel förderlich.
Frage-Nr.: 3.022
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 32-33
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2019-08-09
Sie wollen Heiko Mell live erleben?
Dann kommen Sie auf den VDI nachrichten Recruiting Tag nach Dortmund am 13. September 2019 und stellen Sie ihm Ihre Fragen zu Ihrer Karriere.
Ein Beitrag von: