Was Sie über Ihre Vorgesetzten wissen sollten
Neugierige Mitarbeiter lernen ihr Leben lang – doch vor allem bei Vorgesetzten kommt Neugierde nicht immer positiv rüber. Heiko Mell gibt Rat.
Notizen aus der Praxis /Berufsalltag
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Nun ist der Begriff „Neugier“, der sich in einer solchen Überschrift ganz gut macht, leider nicht ausschließlich positiv belegt, um es vorsichtig auszudrücken. Also formuliere ich die Aufforderung etwas neutraler: Sammeln Sie relevante Informationen, so viele wie Sie bekommen können, Sie werden es nicht bereuen.
Es ist erstaunlich, was viele Mitarbeiter auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen alles nicht wissen. Das fängt mit ganz banalen Selbstverständlichkeiten an: Hat Ihr Chef ein TH- oder einen FH-Studium? Welche Laufbahn hat er vor der Übernahme seiner heutigen Position durchlaufen? Hat er Kinder, haben die vielleicht besondere Probleme in der Schule oder im Studium? Was hat er im Hinblick auf seine eigene Karriere vor, wo will er hin? Und ganz besonders wichtig und sehr oft nicht gewusst: Was hält er von Ihnen – was würde er einem Vertrauten, z. B. einem alten Schulfreund, über Sie erzählen?
Neugierde ist der Motor der Kreativität
Wenn Sie perfekt vorbereitet sein wollten, z. B. auf die Anforderungen einer weiterführenden Laufbahn, müssten Sie das alles wissen. Und natürlich noch viel mehr: Ähnliche Fragen stellen sich im Hinblick auf den Chef-Chef und – mit etwas Abstand – auf die Führungskräfte der Nachbarabteilungen. Und falls Ihr Chef-Chef noch nicht der Geschäftsführer oder der Vorstand bzw. Inhaber ist, gilt das auch für diese!
Ich spreche mit Menschen, die berufliche Probleme haben, und frage sie u. a., wem das Unternehmen gehört, und ob die Geschäftsführer auch die Gesellschafter sind und wie es in deren Familien mit möglichen Nachfolgern aussieht. Und sie haben oft nicht die geringste Ahnung.
Gar nicht zu reden von langfristigen strategischen Überlegungen, über die man irgendwo spricht – und die Sie kennen sollten. Selbst wenn in einer fremden Abteilung etwas vorgeht, sollten Sie dem Aufmerksamkeit schenken – wissen kann man nie genug. Spätestens jetzt muss ich die Geschichte eingrenzen, sonst vermuten Sie hier noch Ansätze in einer ganz falschen Richtung:
1. In der ersten Phase, wenn Sie also noch Anfänger in der Informationsbeschaffung sind, reicht ein interessiertes Zuhören aus. Um das allerdings müssen Sie sich bemühen. Die Erfahrung lehrt: Es gibt in Organisationen, in denen Menschen miteinander arbeiten, auf Dauer keine Geheimnisse. Die Leute reden halt. Am liebsten über andere, recht gern aber auch über sich selbst.
Dies ist keine Aufforderung an Ungeübte, aktiv nach Informationen zu graben und zu versuchen, bestimmte Menschen gezielt auszuhorchen. Das wäre gefährlich – und könnte Ihnen schnell ein bestimmtes Image eintragen, das nicht schmeichelhaft wäre. Zuhören reicht also, aber Sie müssen das aktiv praktizieren: Wenn in der Kantine Mitarbeiter der Nachbarabteilung über ihren oder Ihren Chef reden, stehen Sie nicht gelangweilt auf, sondern sammeln Sie Informationen.
2. Selbstverständlich erfahren Sie bei diesem zufallsbedingten Sammeln von Fakten, Vermutungen und Gerüchten auch eine größere Menge an „Schrott-Fakten“, die Sie vermutlich niemals brauchen werden. Aber erstens kann man nie vorher wissen, worauf man eines Tages zurückgreifen könnte und zweitens zählen die wenigen brauchbaren Fakten, die Sie dabei sammeln, doppelt und dreifach.
3. Alles, was Sie erfahren, ist nur für Sie bestimmt, nur Sie allein nutzen es für Ihre ureigenen Belange. Sie geben möglichst nichts davon weiter, Sie verbreiten keine Gerüchte, Sie setzen niemanden mit Ihrem Wissen unter Druck. Wir reden hier selbstverständlich nicht einmal andeutungsweise etwa von Erpressung o. Ä.
4. Wenn Sie diese passive Informationssammlung so etwa zwei Jahre lang betrieben und Gefallen daran gefunden haben, können Sie im Einzelfall bestimmte Informationslücken auch einmal gezielt zu schließen versuchen. Aber dafür braucht man Talent, das ist nichts für Menschen, die den Ruf haben, mit der Tür ins Haus zu fallen. Also bitte nicht übertreiben.
Bewerbung in Zeiten von Corona: Die wichtigsten Empfehlungen
Spätestens jetzt könnten Sie fragen, was Sie nun mit dem ganzen erworbenen Wissen anfangen sollen. Es geht um zwei Aspekte:
A) Nachteile vermeiden: Erst wenn Sie als Dr.-Ing. z. B. wissen, dass Ihr Chef FH-Absolvent ist, können Sie Ihr Auftreten in fachlichen Dingen ihm gegenüber so gestalten, dass Sie auf gewisse häufig gegebene Befindlichkeiten des vermeintlich schwächer Ausgebildeten Rücksicht nehmen. Denn selbst wenn Sie ihn in der Diskussion gar nicht belehren wollen, könnte er es so empfinden (ein weit verbreitetes Phänomen). Oder wenn Sie promoviert haben, Ihr Chef aber früher mit seinem Promotionsprojekt gescheitert ist, was Sie aber nicht wissen: Je mehr Sie über Ihre lustige Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter erzählen und wie Sie Ihren betreuenden Professor ein bisschen „ausgetrickst“ haben, desto mehr schmerzt das ‧Ihren Chef. Oder er ärgert sich einfach – weil er denkt, Sie wüssten etwas und wollten ihn bewusst demütigen (Niederlagen sitzen tief). Oder: Wenn Sie wissen, dass der Sohn des Chefs sein Studium hat abbrechen müssen, wäre es unklug, ständig mit dem eigenen Sohn und seinen Supernoten zu glänzen. Es gibt zahlreiche Fettnäpfchen im Umfeld von Vorgesetzten aller Ebenen, die man erst einmal kennen muss, um auch nicht versehentlich dort hineinzutreten. Denken Sie daran: Ein Vorgesetzter muss nicht nur Ihre fachlichen Leistungen anerkennen, er muss Sie auch „als Mensch schätzen“.
B) Vorteile sichern: Je mehr an Hintergrundwissen Sie haben, desto größere Erfolgsaussichten erschließen Sie sich für Ihre persönlichen Vorhaben und für Ihre langfristigen Strategieprojekte. Nehmen wir einmal an, Ihr Chef geht nach 20 Dienstjahren dort in den Ruhestand und Sie bewerben sich intern um die Nachfolge. Mit ein bisschen Pech – und ohne weitergehende Informationen – stützen Sie sich auf das Wohlwollen Ihres scheidenden Vorgesetzten und auf dessen Empfehlung. In der Realität aber warten die für die Besetzung der Position allein maßgeblichen Chef-Chefs schon ungeduldig auf den Wechsel, weil sie vom Nachfolger „neue Impulse auf breiter Front“ erhoffen und mit dem Vorgänger schon lange unzufrieden waren. Und Ihre Bewerbung klingt leider wie ein „Weiter so in der bewährten Art und Weise“. Aus der Traum.
Für den – durchaus wahrscheinlichen – Fall, dass Empfehlungen dieser Art nicht jedem Leser gefallen, hier noch einige Eingrenzungen dazu: Sie müssen es ja nicht tun, Sie sollten es nur. Es sind Empfehlungen, mehr nicht. Und ja, man kann auch versuchen, allein durch gute fachliche Arbeit nach oben zu kommen. Aber glauben Sie mir, das ist ein sehr steiniger, von besonders vielen Rückschlägen und Enttäuschungen bedrohter Weg.
Und bedenken Sie: Ich spreche hier vorrangig vom Aufsammeln von Informationsbrocken, die quasi auf der Straße liegen, nicht vom aktiven Ausspähen auf Geheimagenten-Niveau. Die ganze Geschichte fällt unter „taktisch geschicktes Vorgehen“ – das ist eine Erfolgskomponente von allergrößter Bedeutung. Ich glaube, dass in der Industrie mehr Akademiker wegen fehlender oder falscher Taktik scheitern als wegen fachlicher Fehlleistungen. Leider kommt diese „Kunst“ als Lehrfach an Hochschulen nicht vor. Nun, ich bin ja auch noch da.
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