Erkenntnisse nach langjähriger Laufbahn
Karriereberater Heiko Mell gibt direkte, oft harte Ratschläge, die bei Berufseinsteigern auf Skepsis stoßen – doch seine Erfahrung spricht für sich.
Berufswelt als Haifischbecken
Frage/1:
So, nun möchte ich mich auch einreihen in die lange Liste derjenigen, die Ihnen sehr dankbar sind für Ihre Zeit und Arbeit, die Sie seit Jahrzehnten für die Karriereberatung aufwenden.
Während des Studiums, so um 1986, habe ich zum ersten Mal Ihre Serie gelesen. Ich war damals geschockt von Ihren Antworten und dachte mir, was für ein harter und gnadenloser Mensch Sie doch sind. Ihre harten Aussagen waren für mich nicht nachvollziehbar. Nein, das konnte nicht die Berufswelt sein, in dieses Haifischbecken wollte ich nicht springen. Während meiner Werkstudentenzeit habe ich jedoch viel gelernt und habe langsam angefangen, die Inhalte Ihrer Beratung zu verstehen. Ja, der Lernprozess fiel mir schwer.
Nur wegen Ihrer Karriereberatung hatte ich nach dem Start in mein Berufsleben die VDI nachrichten abonniert und auch Ihre Bücher gelesen. Ihre Serie ist ohne Beispiel und ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen für Ihren unermüdlichen Einsatz, um den Menschen, egal ob jung oder alt, die Spielregeln des Arbeitslebens zu erklären. Bitte bleiben Sie so wie Sie sind – und gesund.
Skepsis jüngerer Menschen
Antwort/1:
Das Problem mit der teilweise sehr starken Skepsis jüngerer Menschen gegenüber meinen Aussagen habe ich noch heute. Zwar gibt es auch begeisterte und dankbare Leser aus diesem Kreis, aber in der Regel läuft unsere „Beziehung“ so ab wie bei Ihnen geschildert: Sie beginnt mit z.T. radikaler Skepsis gegenüber meinen Aussagen.
Ich führe das u. a. darauf zurück, dass ich überwiegend Probleme zu lösen versuche, von deren Existenz die jungen Leute noch gar nichts wissen – ja die sie sich nicht ein-mal vorstellen können.
Wie auch Sie, geehrter Einsender, hier schreiben: Mit jedem Tag, den diese Leser dann tiefer in die Praxis einsteigen, steigt die Bereitschaft, meine Aussagen eventuell doch irgendwie für möglich zu halten. Ich habe noch kein Rezept gefunden, wie ich diese anfängliche Ablehnung – die, siehe Ihre Zuschrift, später oft in große Zustimmung umschlägt – vermeiden kann. Mir bleibt nur, an Lehrer, Eltern und Professoren zu appellieren, den jungen Leuten ein zumindest halb-wegs realistisches Bild des Berufslebens zu zeichnen. Was offenbar heute nicht immer der Fall ist.
Natürlich will ich den jungen Menschen auch nicht allzu brutal die Hoffnung zerschlagen, im Berufsleben sei, wenn schon nicht alles, dann aber doch vieles ihren Wünschen und Vorstellungen gemäß eingerichtet. Und als Trost für mich: Noch habe ich von keinem Studenten gehört, der nach dem Lesen meiner Beiträge entsetzt sein Vorhaben aufgegeben und eine Existenz etwa als Schafzüchter in Neuseeland gesucht hat.
Zwei Überlegungen bewegen mich in diesem Zusammenhang: Man kann schon während des Studiums (Fachrichtung, Dauer, Noten) und gerade auch in den ersten Jahren danach (erster Arbeitgeber, Tätigkeitsrichtung, Verweildauer, Verhältnis zum Chef/ Zeugnis) sehr viele Fehler machen, die fast alle vermeidbar gewesen wären, wenn man mir von Anfang an „vorsichtshalber“ geglaubt hätte (auch in Ihrem weiter unten vorgestellten Lebenslauf sprechen Sie selbst einige dieser Fehler an).
Appell an die jungen Skeptiker
Der andere Punkt, der mich bewegt, ist der Appell an die jungen Skeptiker: Würde eine so renommierte Fachzeitung ihren berufs- und lebenserfahrenen Lesern über Jahrzehnte Informationen in dieser Serie anbieten, die völlig praxisfremd sind? Hätten diese im Berufsleben stehenden Leser nicht längst protestiert und sich diesen „Unsinn“ verbeten, der ihnen da geboten wird? Schon die pure Logik gebietet gerade dem noch unerfahrenen Leser etwa so zu denken: „Ich finde das unmöglich – aber nach Lage der Dinge könnte und müsste doch wohl etwas dran sein. Also beschäftige ich mich vorsichtshalber (da ist das Wort wieder) damit.“ Ist das zu viel verlangt?
Zu Ihrer Anmerkung, die Serie sei ohne Beispiel: Tatsächlich, und darauf bin ich durchaus ein bisschen stolz, war die Idee dazu 1984 exklusiv für Deutschland. Ich habe später einmal einen Versuchsballon gestartet und hier behauptet, das wäre weltweit exklusiv gewesen – widersprochen hat niemand, bewiesen ist es damit nicht. Und wer jetzt sagt, diese Autoren seien eitel, trägt Eulen nach Athen. Nur wer irgendwie auch ein wenig „besonders“ ist, schreibt 40 Jahre lang zu diesem Thema, das allerdings zum Glück sehr viele Facetten hat – und praktisch niemals erschöpft ist.
Gegen die Mell’schen Regeln verstoßen
Frage/2:
Zu meinem Werdegang: Sie hatten in allem recht; ich habe mehrfach gegen die Mell’schen Regeln verstoßen und keine Karriere gemacht. Aber ich habe mich damit abgefunden. Denn ich arbeite bei einem der renommiertesten Konzerne und dank Ihrer Informationen schaffe ich es, dabei keinen Schiffbruch zu erleiden. Herzlichen Dank dafür.
Vor ca. 28 Jahren startete ich nach einem nur durchschnittlichen Abitur (Bequemlichkeit) und einem zu langen TU-Studium (private/persönliche Gründe), das ich mit der Note „gut“ abschloss, bei einem Ingenieurdienstleister. Da blieb ich, typischer Fehler, nur einige Monate. Ich hatte ein Angebot von einer Institution des öffentlichen Dienstes, dort in einem auf drei Jahre befristeten Projekt zu arbeiten. Nach ca. 1,5 Jahren musste ich wieder wechseln, weil das Projekt gestrichen wurde.
Ich fand eine Anstellung bei einem Zulieferer meiner heutigen Branche. Nach zwei Jahren folgte ich meinem Chef zu einem Branchenverband, der nach 1,5 Jahren den entsprechenden Geschäftsbereich auflöste.
Anschließend war ich ca. fünf Jahre bei einem Ingenieurdienstleister, in dieser Zeit war ich externer Mitarbeiter im F&E-Zentrum meines heutigen Arbeitgebers. Dann wurde ich von meinem Gruppenleiter im Konzern aufgefordert, mich um eine Festanstellung in seiner Abteilung zu bewerben. Das war leider erfolglos, der Abteilungsleiter wollte mich wegen meiner überlangen Studiendauer nicht nehmen.
Misserfolge und Fehler
Antwort/2:
Warum breite ich diesen ja keineswegs außergewöhnlichen Werdegang so breit aus? Weil er ein wunderbares Beispiel abgibt für den Wert der Befolgung der Regeln und für die bei Missachtung zu erwartenden Risiken. Und weil hier so schön deutlich wird, wie beim Aufbau eines beruflichen Werdeganges die einzelnen Elemente nahezu zwangsläufig ineinandergreifen.
Ich muss hier einfach mit dem klassischen Zitat beginnen, denn prägnanter kann man es nicht sagen: „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.“ (Schiller, Wallenstein, Die Piccolomini).
Es bedeutet: Nur allzu leicht zieht ein Fehler Misserfolge nach sich, die wiederum … – das kann sich über viele Jahre lang hinziehen; letztlich kann ein kleiner, damals kaum ernst genommener Regelverstoß später auch anspruchsvolle Pläne zu Fall bringen.
Fangen wir beim hier vorgelegten Beispiel vorne an: Am Anfang steht das entgegen der Begabung nur durchschnittliche Abitur – aus Bequemlichkeit. Wenn letztere erst einmal in das persönliche Verhalten eingesickert ist, folgt nur zu leicht der nächste Akt: Das Studium an der anspruchsvollen TU läuft, auf der Basis eines nur mittleren (zur Routine gewordenen) Leistungsniveaus und der sicher immer noch geltenden Bequemlichkeit, nicht so richtig und dauert übermäßig lange. Das steht dann lebenslang in den Papieren. Die gute Abschlussnote zeigt, dass Potenzial vorhanden, aber nicht genutzt worden war. Verstoß gegen die Regel „Herausholen, was drinsteckt“.
Die großen Arbeitgeber mögen keine Berufseinsteiger mit überlangem Studium, also der Job beim Dienstleister. Dort nicht so furchtbar glücklich gewesen und damit anfällig für ein externes „Angebot“. Das war ohnehin befristet (gefährlich!), flog dem Einsender aber schon nach der halben Zeit um die Ohren. Jetzt war er durch ein zu langes Studium und zwei zu kurze Dienstzeiten „belastet“. Verstoß gegen die Warnung: „Jedes neue Engagement kann schiefgehen – also sorge man möglichst in der Vergangenheit für ein solides Fundament im Lebenslauf.“
Dann hatte es noch einmal geklappt (Zulieferer), aber man folgte der Versuchung, nach wiederum zu kurzer Zeit zu einem sehr speziellen Arbeitgeber zu wechseln. Der strich diese Aktivitäten („Jedes neue Engagement kann schiefgehen“).
Jetzt blieb dann fast nur noch der Dienstleister – der immerhin den Einsatz bei einer Nr. 1 des Arbeitsmarktes bot. Dort wollte man den Einsender aber nicht übernehmen – man stieß sich an dem viele Jahre zurückliegenden überlangen Studium (und sicher auch an dem dadurch ausgelösten Werdegangchaos danach).
„Risiken müssen nicht zu Problemen führen“
Nachahmer seien gewarnt! Risiken müssen nicht zu Problemen führen, sie können es aber – und hier haben sie geführt.
Aber es gibt in diesem Falle trotz allem ein Happy End: Ein anderer Abteilungsleiter gab dem Einsender eine Chance, er ist jetzt seit vielen Jahren Projektleiter in der F&E des Konzerns – und relativ glücklich und zufrieden.
Abschließend schreibt er dann noch: „Einmal bot mir ein Abteilungsleiter den Wechsel in den AT-Bereich an, aber sein Chef hat das verhindert. Über die Gründe kann ich nur spekulieren …“ Es hört also niemals auf …
Ich bedanke mich sehr für dieses lehrbuchhafte Beispiel und Ihre offene Schilderung. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen Leser dabei, ähnliche Fehler zu vermeiden.
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