Spezialist bleiben oder um den Aufstieg kämpfen oder promovieren?
Karriereweg wählen: Spezialist bleiben, aufsteigen oder promovieren? Karriereberater Heiko Mell gibt wertvolle Tipps für die richtige Entscheidung.

Karriereweg wählen: Spezialist bleiben, um den Aufstieg kämpfen oder promovieren – welcher Pfad führt zum Erfolg?
Foto: PantherMedia / Dirk Ercken
3.284. Frage:
Wir hatten in den vergangenen 35 Jahren mehrfach Kontakt: Zuerst fragte ich bei Ihnen als Student an, dann als ich in der Industrie war und zuletzt als Professor an einer FH. Ihre Antworten waren immer inspirierend für mich.
Nun möchte ich eine Frage nicht für mich stellen, sondern als Mentor für einen ehemaligen Studenten von mir (1). Er hat es nach einer Berufsausbildung (2) über den Bachelor zu einem Doppel-Masterabschluss gebracht (Deutschland und GB, Gesamtnote 1,3). Zwar hat die Ausbildung etwas lange gedauert, am Ende war er 29, aber insbesondere auf den Master aus UK ist er sehr stolz.
Seine Abschlussarbeit hatte er bei einem führenden Unternehmen der XY-Technik gemacht. Dort bot man ihm anschließend einen Vertrag zum Einstieg als Spezialist an (3). Obwohl diese Tätigkeit nicht ganz seinen Wünschen entsprach – ihm liegt eher Projektmanagement mit dem Ziel, Führungskraft zu werden – nahm er die Stelle an (4). Nun ist er seit drei Jahren dort tätig und 33 Jahre alt. Sein Vorgänger in dieser Spezialistenfunktion hatte diesen Job mehrere Jahrzehnte lang gemacht, nach seinem Weggang ist mein Ex-Student der einzige Mitarbeiter im Unternehmen, der sich in diesem Spezialgebiet auskennt (5). Nun sieht es so aus als möchten seine Vorgesetzten ihn unbedingt auf dieser Stelle halten. Es gibt gutes Feedback, eine sehr gute Gehaltsentwicklung, aber ansonsten keinerlei Weiterentwicklung oder Perspektiven (6).
Er hat bei Gelegenheit, nicht zu oft, aber dann mit leichtem Druck, darauf hingewiesen, dass er sich zumindest mittel bis langfristig eine Perspektive wünscht. Auch nach Weiterbildungsmaßnahmen in Richtung Führung hatte er gefragt. Mittlerweile hält er dieses Nachfragen für einen Fehler. Er hat das Gefühl, die Vorgesetzten meiden ihn seitdem. Ich denke aber, er hat seine Wünsche angemessen kommuniziert (7). Es sieht nach einer Sackgasse aus (8). Dabei hält mein Ex-Student das Unternehmen für sehr gut und möchte gerne auch langfristig dort bleiben. Dennoch fehlt ihm eine Perspektive (9).
Ich sehe folgende Möglichkeiten:
a) Er könnte sich mit der Situation abfinden („gutes Geld, überschaubare Arbeit“); ich denke, dafür ist er nicht der Typ.
b) Prinzip Hoffnung: Er wartet auf eine geeignete interne Stellenausschreibung. Die Chancen sind aber sehr gering.
c) Er wechselt nach insgesamt drei Jahren Firmenzugehörigkeit zu einem anderen Unternehmen. Das könnte bei der derzeitigen Wirtschaftslage schwierig werden – und er dürfte sich nicht noch einmal bei der Stellenbeschreibung vertun.
d) Er hätte z. B. auch an einer Promotion Interesse, wäre dann nur recht alt.
Analyse der gemachten Fehler
Antwort:
Die ganze Geschichte ist von Anfang an „verkorkst“. Aber vielleicht können wir mit einer Analyse der gemachten Fehler zumindest potenzielle Nachahmer abschrecken (die in Kammern gesetzten Ziffern habe ich eingefügt, so ist der Bezug leichter herzustellen).
Zu 1: Ihr Engagement für den Ex-Studenten in Ehren. Aber wie sollte noch einmal die künftige Führungskraft „gestrickt“ sein? Dynamisch, zupackend, zielstrebig, entscheidungsfreudig usw. usw. Also dann: Warum wendet sich die hier im Mittelpunkt stehende Person nicht selbstt an mich? Der Weg steht ihr doch uneingeschränkt offen! So geht auf dem Umweg über Sie ganz sicher das eine oder andere Detail verloren – und ich hätte die Chance gehabt, aus den eigenen Formulierungen des jungen Mannes noch den einen oder anderen Schluss zu ziehen.
Zu 2: Man kann Werdegänge unterschiedlich aufbauen, aber es gibt einige Regeln, z. B. diese: Lehre vor und Promotion nach dem Studium passen grundsätzlich nicht zueinander. Einmal liegen sie vom Anspruch her zu weit auseinander, dann kosten sie in Summe zu viel Zeit (das ist die kostbarste aller „Währungen“ in Werdegang-Betrachtungen).
Ich gehe einmal davon aus, dass es hier keine klassische Schullaufbahn mit Abitur am Gymnasium von mindestens etwa 2,0 gegeben hat – obwohl der spätere Masterabschluss mit 1,3 beweist, dass das Potenzial vorhanden war. Eltern, Lehrer in den unteren Klassen und auch der Betroffene selbst müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, hier etwas nicht rechtzeitig erkannt zu haben – eine Begabung, die später bis zur Promotion reicht, zeigt sich erfahrungsgemäß schon sehr früh – und sie gehört gefördert (bzw. die Förderung gehört erkämpft).
Zu 3 + 4: Jedes Angebot eines Unternehmens an einen Mitarbeiter ist gut – für das Unternehmen. Ob es auch ebenso gut ist für den Mitarbeiter, steht auf einem völlig anderen Blatt (und ist übrigens gar nicht so furchtbar wahrscheinlich). Der Betroffene wusste, dass der Vorgänger „mehrere Jahrzehnte“ in dieser Spezialistenfunktion tätig gewesen war. Also darf er sich nicht wundern. Die Annahme des Angebots war hier nach Lage der Dinge eine klare Fehlentscheidung.
Zu 5 + 6: Jetzt ist er dort auch noch unentbehrlich – und er kann überhaupt nicht befördert werden, schon weil es dafür gar keine organisatorischen Voraussetzungen gibt.
Zu 7: Man soll zwar seine Wünsche nach einer Weiterentwicklung beim Arbeitgeber „anmelden“, aber man darf seine Chefs damit nicht nerven. Das gilt besonders dann, wenn der eigene Job in einer dafür extrem negativen Tradition steht („Jahrzehnte als Spezialist“) und es organisatorisch gar keine infrage kommenden Aufstiegspositionen in dem Unternehmen gibt.
Zu 8: Die Diagnose „Sackgasse“ ist absolut korrekt.
Zu 9: Er muss Prioritäten setzen – und dann knallhart danach handeln: Ein Unternehmen, das seinen dringenden Wunsch nach Weiterentwicklung nicht erfüllen kann oder will, muss verlassen werden, es ist eben nicht „gut“ (für ihn).

Karriereberater Heiko Mell.
Klarheit über eigene Fähigkeiten und Ziele gewinnen
Zu Ihren Alternativen a + b: Die beiden Möglichkeiten würde ich verwerfen. Er hat noch 30 Berufsjahre vor sich, das steht er nicht durch, ohne Schaden an seiner Psyche zu nehmen.
Zu c: Das ist grundsätzlich der Weg, den man in einem solchen Fall einschlägt.
Ich gehe davon aus, dass die Führungsqualifikation bei dem Betroffenen gar nicht so übermäßig stark ausgeprägt ist. Er kann also durchaus noch einmal auf eine rein ausführende Position bei einem anderen Unternehmen wechseln – bei dem aber der weitere Weg in der absehbaren Zukunft nicht von Anfang an verbaut, sondern offen ist. Dort kann er sich mit Kollegen bei der Realisierung von Aufstiegschancen messen, Klarheit über seine eigenen Fähigkeiten und Ziele gewinnen, Hoffnungen pflegen und ggf. begraben. Heute denkt er nur, die fehlende Entwicklung läge an der speziellen organisatorisch-fachlichen Konstruktion in seinem Unternehmen. Vielleicht kommt er unter anderen Umständen zu ganz anderen Erkenntnissen.
Zu d: Im Rahmen der hier gegebenen Gesamtkonzeption würde ich den Gedanken an eine – wenn auch sehr späte – Promotion ausnahmsweise weiter verfolgen. Da ist die zu vermutende Herkunft aus einem nichtakademischen Elternhaus – bei dieser Basis sucht man gern nach „vorzeigbaren“, auch für das persönliche und berufliche Umfeld unübersehbaren Ausbildungsabschlüssen. Dann ist da das erkennbare Potenzial (Master 1,3) und da ist die Freude über den Doppelmaster mit UK-Abschluss. .
Ich halte es für sehr gut denkbar, dass dieser junge Mann für seine eigene persönliche Erfolgsbilanz mehr von einem „Dr.“ vor dem Namen als von einem „Abteilungsleiter“ im Arbeitsvertrag hätte. Wobei ich, s. o., die Führungsbegabung ohnehin für noch nicht bewiesen halte.
Zur Realisierung schlage ich vor: Er nimmt den Weg gemäß c, sucht sich eine Position weiterhin ohne Führung, aber mit allgemeinen weiteren Chancen, wie es sie grundsätzlich in jedem größeren Unternehmen gibt. Und dann sucht er sich eine Chance zur nebenberuflichen Promotion – ob mit dem Wissen des neuen Arbeitgebers oder in Geheimhaltung vor diesem, muss man sehen.
Damit keine Zweifel aufkommen: Für eine Managementkarriere nützt das praktisch gar nichts (mehr), der Betroffene wird beim Promotionsabschluss viel zu alt sein. Aber ich sehe eine gute Chance, dass er auf diesem Wege glücklicher wird. Und ist nicht „Zufriedenheit mit dem Erreichten der Güter höchstes“? (Was allerdings selbst unter den diversen Schöpfern dieses Zitats höchst umstritten zu sein scheint.)
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