Heiko Mell 07.09.2024, 07:27 Uhr

Studium: Ein „kein Standard-Student“ sucht Wege zum (falschen?) Ziel

In diese Ausgabe unterstützt Heiko Mell einen Maschinenbaustudenten dabei, klare Ziele zu definieren, um langfristig eine erfolgreiche Karriere aufzubauen. Er hilft ihm, seine Stärken zu erkennen und gezielt einzusetzen, um berufliche Chancen optimal zu nutzen.

Studium

Im Studium klare Ziele setzen.

Foto: PantherMedia / DragonImages

Frage:

Ich bin 26 Jahre alt und absolviere derzeit ein Maschinenbaustudium an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften.

Ich bringe eine Berufsausbildung zum Konstruktionsmechaniker und ein Jahr entsprechende Berufspraxis mit, wurde dann Maschinenbautechniker mit weiteren zwei Jahren Praxis als Konstrukteur im Sondermaschinenbau und habe danach das Bachelorstudium begonnen.

Wenn alles nach Plan funktioniert, habe ich den zusätzlich angestrebten Masterabschluss mit ca. 30 Jahren.

Mein persönliches Ziel ist es, später eine Führungsposition in einem Konzern zu besetzen. Diese sollte im Bereich der Forschung und Entwicklung o. Ä. sein. Später möchte ich Führungspositionen übernehmen. Ein technischer Bezug in meiner späteren Tätigkeit ist mir wichtig. Meine Fragen:

  1. Wie wichtig sind die Bausteine Praktika und Abschlussarbeiten für das Erreichen meiner Ziele oder spielen diese eine eher untergeordnete Rolle?
  2. Welchen Master sollte ich anstreben: einen mit hohem Fachbezug oder einen mit hohem Managementbezug oder am besten beides?
  3. Ist es von Bedeutung, den Master entweder an einer Universität, technischen Universität oder an einer (Fach-) Hochschule zu machen?
  4. Ist für den Lebenslauf ein Standortwechsel für das Masterstudium entscheidend – um z. B. die eigene Flexibilität hervorzuheben und um weitere persönliche Erfahrungen zu machen?
  5. Welche Kriterien sind für eine solche Zielposition besonders wichtig und wie kann ich für einen Konzern dahingehend attraktiv werden?
  6. Mit welchen Einstiegsmodellen kann mein Ziel bestmöglich erreicht werden: mit einem Traineeprogramm, einem normalen Einstieg als Junior-Ingenieur oder über eine Werkstudentenstelle?

Vergangenheit und Zukunft unter einen Hut  bringen

Antwort:
Sie haben schon jetzt (das bestandene Bachelor-Examen unterstelle ich einmal) einiges vorzuweisen – aber nun hakt es erkennbar bei dem Versuch, Vergangenheit und Zukunft unter einen Hut zu bringen. Ich will versuchen, den „Gordischen Knoten“ in Ihrer Angelegenheit ähnlich überzeugend „aufzudröseln“ wie es einst Alexander der Große so eindrucksvoll vorgeführt hat, indem ich einen ganz neuen Lösungsansatz präsentiere.

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Im Führungskräfte-Team eines Großkonzerns müssen Sie mit solchen Beispielen („Gordischer Knoten“), auch mit klassischen Zitaten von nationalen und internationalen Dichtern und Philosophen oder auch lateinischen Aussprüchen aller Art rechnen. Für die Standard-Akademiker dort (Abitur, Uni-Studium mit Auslandssemestern + Promotion) ist so etwas keine Bildungsprotzerei, sondern –auch – Alltagssprache. Und: Niemand hat eine Lehre, niemand war Techniker. Überlegen Sie bitte sehr genau, ob das letztlich eine Umgebung für Sie ist, in der Sie sich wohlfühlen und hoffen dürfen, von den anderen Führungskräften respektiert zu werden. Vielleicht unterschätze ich Sie ja, aber ich ziehe meine Schlüsse aus Ihrer Lehre und der darauf aufbauenden Techniker-Ausbildung.

Zum Hintergrund meiner Lösung: Es gab im Altertum an einem Wagen des Königs Gordios einen kunstvoll geknüpften Knoten. Und ein Orakel prophezeite, dass über Asien herrschen solle, wer den Knoten lösen konnte. Große und weniger große Männer scheiterten daran. Um 330 v. Chr. kam Alexander der Große, besah sich das Problem, zog sein Schwert, durchschlug den Knoten – und herrschte über Asien.
Ich habe sonst nichts, was mich mit Alexander auf eine Stufe stellen würde. Außerdem wurde er nur 32 Jahre alt, was mir weniger attraktiv zu sein scheint.

Heiko Mell

Karriereberater Heiko Mell.

Nun zu Ihnen und Ihren Plänen: Sie brauchen m. E. keine besonders ausgeklügelte Zielerreichungs-Strategie, sondern schlicht ein anderes Ziel: Ihre ganze praxisorientierte Berufsbasis „schreit“ geradezu nach einer anspruchsvollen technischen Karriere als späterer Master in größeren Mittelstandsunternehmen. Dort ist auch der eventuelle technische Leiter oder Geschäftsführer noch so nahe an der Basis des Unternehmens, dass er Erfahrungen aus der Facharbeiter- und Technikerzeit harmonisch mit dem 
Wissen aus dem nachfolgenden Studium verbinden und ständig 
anwenden kann.

Ziel, technischer Leiter oder technischer Geschäftsführer eines namhaften Mittelständlers zu werden

Für den Konzern sind Sie hingegen – vielleicht – ein zu alter Master mit einem Unterbau, den Sie für F&E ohnehin nicht brauchen, dafür fehlt es Ihnen an der Promotion, die Konzerne im F&E-Bereich sehr gern sehen (und, um entsprechenden „Ideen“ Ihrerseits vorzubeugen; für die Sie nun wirklich zu alt wären).

Sie dürften aus einem nichtakademischen Elternhaus kommen und begabt sein – daraus ergibt sich dann oft ein besonders ausgeprägtes Streben nach möglichst weit „oben“ – in Ihrem Fall in der Firmengröße, in der Tätigkeit („Forschung“) und vielleicht auch in der Ausbildungs-/Studienfrage. Das ist absolut verständlich und nicht zu beanstanden, sollte aber von Ihnen als Basis möglicher Probleme akzeptiert werden.

Ich definiere die Kindheits-Prägung, die man erfahren hat, wie einen Pflock, der irgendwo eingeschlagen wurde. An dem hängt der Mensch wie an einem Gummiseil. Je nach seinen individuellen Kräften gelingt es dem Einzelnen, dieses Seil zu dehnen, z. T. erstaunlich weit. Aber in der Regel geht das nicht endlos, der „Pflock“ am anderen Seilende setzt Grenzen.

Mein Vorschlag und seine Konsequenzen:

  1. Sie fixieren sich auf das Ziel, technischer Leiter oder technischer Geschäftsführer eines namhaften Mittelständlers von etwa 500 bis 5000 Mitarbeitern zu werden. Dann gilt:
  2. Wählen Sie Praktika in (so großen wie möglich) Unternehmen des Zieltyps, wobei auch ein Hineinschnuppern in einen Konzern nicht schaden kann (Zielunternehmen würdigen i. d. R. Erfahrungen aus einem größeren Hause und achten solche aus gleichgroßen Häusern, sind aber über solche aus kleineren Firmen weniger glücklich). Auf der Basis Ihrer Konstruktionserfahrungen als Techniker sind Praktika in Ihrem Fall nicht mehr so wichtig wie für Abiturienten ohne jeden Praxisbezug.
    Die Abschlussarbeiten sollten Sie vom Thema her auf die Zielfirmen und Ihre bevorzugte erste Tätigkeit dort ausrichten (z. B. Entwicklung; Forschung hat der Mittelstand praktisch nicht). Das Thema dieser Arbeiten ist oft der Türöffner für den Einstieg (also wählen Sie nicht ein Thema aus der Raumfahrt für einen späteren Einstieg beim Hersteller von Lagerlogistik und keines aus der Kunststofftechnik, wenn Sie zum reinen Metallverarbeiter streben).
  3. Wählen Sie den Master mit Fachbezug.
  4. Eher nein. Es spricht kaum etwas dagegen, das Masterstudium an Ihrer vertrauten (Fach-) Hochschule zu absolvieren. Der Mittelstand ist in dieser Frage offener, Konzerne bevorzugen schon einmal Universitätsabschlüsse (z. T. sogar solche von bestimmten Unis) – und sie haben oft Altersgrenzen.
  5. Der meist „standorttreue“ Mittelstand ist auch in dieser Frage offener und erwartet keinen Ortswechsel beim Studium.
  6. Das ist Teil des Problems: Die Konzerne, zu denen sehr viele Berufsanfänger „strömen“, erwarten einen noch jungen Einsteiger, in F&E möglichst mit Promotion, bevorzugen oft bestimmte Universitäten und haben z. T. spezielle Einstiegshürden (Assessmentcenter o. ä.). Im Mittelstand fängt man auf Sachbearbeiterebene an und qualifiziert sich. Im Konzern ist der Einstieg über ein Traineeprogramm der Karriere förderlich – sofern das Unternehmen eines anbietet.

Zwei Anmerkungen noch dazu:

Wenn Sie erst irgendwo eingestiegen sind – als Standard-Berufsanfänger oder als Trainee, in einem Mittelstandsunternehmen oder im Konzern – verlieren alle von Ihnen gestellten Detailfragen an Bedeutung. Dann sind Sie schon nach ein paar Monaten nur noch der „Herr Müller“, der lediglich nach dem beurteilt wird, was er fachlich leistet, was er als Persönlichkeit mitbringt und für die Zukunft verspricht. Permanente Unzuverlässigkeit oder „Schwierigkeiten im Umgang mit Autoritätspersonen“ werden nicht durch die allerfeinste Herkunftsuni ausgeglichen. Und fehlendes Durchsetzungsvermögen wird nicht durch Auslandspraxis + Promotion aufgewogen.

Ich weiß, dass ich mich hier an mehreren Stellen auf glattes Eis wage. Das aber geschieht mit der ausschließlichen Absicht, Ihnen zu helfen. Auf dem Weg dorthin gehe ich auch das eine oder andere Risiko ein, wie ich wohl weiß. Seien Sie versichert, dass es viele erfahrene Leser gibt, die mir von Herzen zustimmen werden. Aber natürlich kann man auch anderer Meinung sein.

Im Grunde haben wir es mit einer ganz einfachen, wenn auch ungewöhnlichen Konstellation zu tun: Sie haben sich bisher ein ganz spezielles Ziel vorgenommen, das bei Ihrer nun einmal gegebenen Ausgangssituation zahlreiche Fragen aufwirft. Statt diese zu beantworten, sage ich: „Nehmen Sie sich ein anderes Ziel vor, dann lösen sich Ihre Probleme fast von selbst.“ Man muss – wie der „große Alexander“ – nur darauf kommen.

Gestaltungsspielraum und Verantwortungsumfang

Und als Trost: Der technische Leiter eines Mittelstandsunternehmens hat im Normalfall einen viel größeren Gestaltungsspielraum und Verantwortungsumfang als der in etwa vergleichbare Bereichsleiter auf der zweiten Führungsebene eines Konzerns. Der hat natürlich auch eine eindrucksvolle Position – aber „seine“ Entscheidungen fallen in streng-formaler Abstimmung in allen möglichen Gremien und natürlich im Rahmen einer Vorgabe des Vorstands. Wenn dann noch ein Konzern-Hauptquartier jenseits des großen Wassers existiert, dann setzen Sie fast nur noch Vorgaben um und „reporten“ den lieben langen Tag. Aber: Status und Titel sind eindrucksvoll, auch das muss man sehen.

Vielleicht kennen Sie eine meiner dazu passenden Kernaussagen noch nicht: Sie sind in einer Karriereposition entweder etwas Interessantes oder Sie tun etwas Interessantes – aber nur selten fällt beides zusammen. Es ist doch schön, dass auf diese Weise „für jeden etwas dabei ist“ – und man die Wahl hat. Sie zumindest haben sie derzeit noch.

Wenn Sie mögen, dann schreiben Sie mir gelegentlich, ob Sie das überzeugt hat und wie Sie sich entschieden haben. Ich werde Ihre Wahl unbedingt respektieren.

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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