Studium: Wie komme ich von BWL zur Technik?
Ein Studium der BWL ist weniger techniklastig, doch wie kommen Studierende dorthin? Heiko Mell weiß Rat und beantwortet die Fragen der BWLer.
Frage 1:
Nach meinen sehr erfolgreichen Schulabschlüssen (Realschule 1,0, Wirtschaftsgymnasium 1,1) entschied ich mich relativ schnell für das duale Studium zum „B.A. BWL-Industrie“ in einem renommierten & zukunftsfähigen Unternehmen in der Umgebung. Aus diversen Gründen war die Wahl dieser Studienform und -richtung für mich gesetzt.
In Summe habe ich mir im Laufe meines Studiums einen guten Namen in der Firma gemacht, ein gutes Netzwerk aufgebaut und viele Einblicke gewonnen. Jedoch hat mich das Studium persönlich nicht ausgefüllt, die fachliche Tiefe blieb aus.
Lesen Sie auch: BWL-Know-how steigert Karrierechancen
Antwort/1:
Ich begegne öfter einmal Absolventen des dualen Studiums, die mit einer Einser-Schulabschlussnote dort hineingingen und hinterher nach „mehr und tiefergehenden“ Studieninhalten fragten.
Ich gönne diesen grundsätzlich sehr interessant positionierten Hochschulen auch ihre Einserstudenten. Aber realistisch gesehen müsste die erhebliche zusätzliche praktische Komponente des Studiums eigentlich schon von der Mengenbetrachtung her (wo ein spezielles Element hinzukommt, muss ein anderes dafür weichen) dazu führen, dass der wissenschaftliche Tiefgang hinter dem eines klassischen Universitätsstudiums zurückbleibt.
Wie kann ein Ingenieur betriebswirtschaftliche Kenntnisse erwerben?
Folgerichtig habe ich noch nie von Uni-Absolventen mit Einserabitur gehört, sie fühlten sich in ihrem Studium vom Anspruch her nicht ausgelastet.
Nach der Mell’schen Regel „Herausholen, was drinsteckt“ darf ein Einserabiturient zwar jederzeit jede denkbare Hochschule besuchen – aber er darf sich bei manchen seiner Entscheidungen nicht wundern, wenn er letztlich „ausbleibende fachliche Tiefe“ beklagen muss. Sagen wir es vorsichtshalber so: Wer als Einserschüler (hier: 1,1) auf eine Ausbildungsrichtung mitnennenswerter praktischer Komponente trifft, hätte selbst vermuten können, dass dort schon aus Kapazitätsgründen nicht „volles Uni-Niveau + Praxis“ gelehrt werden kann.
Eigentlich war das schon Ihr zweiter Fehler, wobei den ersten Ihre Eltern verantworten müssen: Bei einem Kind, das die Realschule mit 1,0 abschließt, hätte man eigentlich schon vorher eine das Gymnasium rechtfertigende Qualifikation erkennen sollen (falls nicht ganz besondere individuelle Umstände vorgelegen haben). Zwar hat dieser spezielle Weg bei Ihnen zum Erfolg geführt, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass er Sie anders geprägt hat als die Standardschullaufbahn für begabte Kinder dies getan hätte.
Leider ist das noch nicht alles, das zentrale Problem folgt erst noch.
Frage/2:
Bei mir kommen auch erste Selbstzweifel über den eingeschlagenen Weg auf. Mir wurde klar, dass mich eine klassische kaufmännische Tätigkeit nicht ausfüllt. Vielmehr reizen mich schnittstellenübergreifende Tätigkeiten, immer wieder neue Herausforderungen und die Einarbeitung in immer neue Themen.
Nach nun bald zwei Jahren in meiner Tätigkeit als Prozessberater möchte ich meinem persönlichen Ehrgeiz und meinem Interesse nach einem Masterstudium nachgehen. Jedoch mit welchem Studium stelle ich die richtige Weiche? Ich möchte mir einen Weg in einen unserer technischen Produktbereiche öffnen und z. B. im Projektmanagement, Change Management, Leadership Management, Innovations- & Technologiemanagement, in der Digitalisierung oder im Organisationsmanagement arbeiten. Ein technisches Studium, kombiniert mit wirtschaftlichen Inhalten wäre ideal. Jetzt komme ich aber aus einem breit aufgestellten wirtschaftlichen Studium und habe somit eine große technische Hürde zu nehmen.
Folgende Rahmenbedingungen gelten für mich: Ich bleibe im Unternehmen, ich werde keinen Bachelor (in einer neuen Fachrichtung) nachziehen, ich werde noch einen Master machen und zwar berufsbegleitend. Welchen Rat können Sie mir geben? Über eine offene und ehrliche Antwort von Ihnen freue ich mich sehr!
Lesen Sie auch: Wirtschaftsingenieur und Betriebswirt: Wo ist der Unterschied?
Antwort/2:
Glauben Sie tatsächlich, Sie könnten einen Berater mit jahrzehntelanger Praxis dadurch beeinflussen, dass Sie vorab aufzählen („Rahmenbedingungen“), was Sie nicht hören wollen?
Ich war gerade mit der Auflistung der von Ihrer Seite zu verantwortenden Fehler beschäftigt, da mache ich dort erst einmal weiter:
Nach der Schule war bei Ihnen u. a. die Entscheidung über eine Studienrichtung fällig. Sie haben BWL gewählt, jetzt schwärmen Sie mehr für die Technik. So etwas passiert, ist aber klar ein weiterer Fehler Ihrerseits.
Und dann („Herausholen, was drinsteckt“) ist absolut klar, dass ein junger Mensch, der ein Gymnasium mit 1,1 abschließt, im folgenden Studium irgendwann nach der höchsten erreichbaren Abschlussstufe streben wird. Das ist mindestens ein Master, eventuell sogar eine darauf aufbauende Promotion. Wo das nicht geboten wird, da geht er besser gar nicht erst hin. Oder er lebt klaglos mit den aus seinen Entscheidungen resultierenden Einschränkungen.
Zum zentralen Thema: Jetzt streben Sie also einen Master in Technik, also in einer der Ingenieurwissenschaften an. Ich bin ganz sicher, dass Sie in einem rein technischen Ingenieurstudiengang keine Chance hätten, überhaupt zum Masterstudium zugelassen zu werden, Sie hätten wegen fehlender technischer Wissensbasis vermutlich auch keine Freude daran.
Für die von Ihnen genannten späteren Zielaufgabengebiete bietet sich der Wirtschaftsingenieur an. Ich weiß nicht, ob Sie mit Ihrer bisherigen Basis eine Zulassung bekämen – und ob man Ihnen eine Chance einräumt, ggf. durch dieses Masterstudium zu kommen. Das Hauptwort des Wirtschaftsingenieurs ist halt auch wieder „Ingenieur“ – und Sie haben bisher keinerlei entsprechende Grundlagen. Ich bin auch hier skeptisch, würde mich aber belehren lassen, wenn man Sie irgendwo zulässt und Ihnen damit eine reale Chance einräumt.
Mein mit Überzeugung gegebener Rat ist ein anderer: Sie sind 24, die heutige Situation beruht nicht auf Schicksalsschlägen, sondern auf selbst gemachten Fehlern. Vom Alter her kämen Sie gerade noch irgendwie hin. Also könnten Sie ein rein technisches Studium über Bachelor und Master (nebenberuflich) durchziehen – und hätten dann in Kombination mit Ihrer schon vorhandenen BWL-Ausbildung eine Topqualifikation. Vielleicht gibt es ja auch irgendwo auch einen für Sie erreichbaren Masterabschluss in Technischer Betriebswirtschaft, was dem Wirtschaftsingenieur dann wenigstens nahekäme.
Als Warnung: Im Augenblick fühlen Sie sich wohl bei Ihrem Arbeitgeber und wollen dort keinesfalls weg. Das kann sich sehr schnell ändern! Und dann wollen Sie unbedingt oder müssen Sie dringend externe Bewerbungen schreiben.
Für Ihre heutige vertraute Umgebung sind Sie „der Herr Müller“, den man kennt, der etwas kann und seine vorzeigbaren Erfolge hat – und bei dem sich praktisch niemand dafür interessiert, was er früher einmal im Detail gelernt (studiert) hat. Ihre jeweils aktuelle Leistung, Ihre derzeitige Reputation überstrahlt das alles, überstrahlt auch einen eventuell falsch oder unvollkommen wirkenden, nicht zur aktuellen Position passenden Ausbildungsgang.
Bachelor und Master: Warum junge Menschen ihr Studium abbrechen
Wenn Sie sich aber extern bewerben, sind Sie beim Bewerbungsempfänger eine unbekannte Größe, bei der alles Punkt für Punkt auf den Prüfstand gestellt wird. „Was hat er für Schulen besucht, was hat er studiert, wie waren seine Noten, deckt sich das mit unseren Standarderwartungen? Können wir uns darauf verlassen, dass man ihm jenes Studienwissen vermittelt hat, das wir bei unserer offenen Position voraussetzen? Würde er als Chef von den zehn unterstellten Ingenieuren akzeptiert werden?“
Genau für diese einzuplanende (!) Situation gilt die Empfehlung, eine Standardausbildung anzustreben, die im Rahmen der Erwartungen eines durchschnittlichen Bewerbungsempfängers liegt. Das gilt vor allem bei Positionen auf ausführender (fachorientierter) Ebene oder im unteren Führungsbereich. Wenn Sie es einmal so weit gebracht haben, dass Sie für einen Vorstandsposten im Gespräch sind, hat sich dieser Aspekt wieder erledigt.
Erschienen in VDI nachrichten 27/28-2021
Ein Beitrag von: