Sollte man als Arbeitnehmer regelmäßig ein Zwischenzeugnis anfordern?
Frage:
Ich arbeite seit fast zwanzig Jahren bei einem international tätigen Automobilzulieferer. Heute bin ich Entwickler in der Vorentwicklung mit AT-Vertrag.
Meine Frage an Sie wurde durch eine aktuelle Umstrukturierung ausgelöst. Ich frage mich, ob es für mich wichtig ist, ein Zwischenzeugnis zu erhalten. Zwei Gruppen wurden nun in einer Abteilung zusammengeführt, gleichzeitig wurden mehrere Untergruppen definiert. Ich habe einen neuen Vorgesetzten.
Nur am Rande: Ich fühle mich in diesem Umfeld und mit meinen Aufgaben vollkommen zufrieden. Ich genieße eine hohe Reputation in der Firma, bin Ansprechpartner für die Serienentwicklung und andere Abteilungen, wenn es um mein Fachgebiet und neue Technologien für diese Systeme geht. Ich führe externe Vorentwicklungen für Kunden durch und stelle unsere Ideen und Konzepte bei in- und externen Partnern vor. Die Vielfältigkeit meiner Aufgaben ist Herausforderung und Motivation zugleich. Ich genieße es zu sehen, wie eine Idee reift, sich entwickelt, Kunden vorgestellt wird und es letztlich in die Serienentwicklung schafft.
Antwort:
Dies ist ein Beispiel, das ich gern abdrucke: Ein rundum hochzufriedener Ingenieur in der durchaus hektischen und fordernden Welt der Automobilbranche. Er hat allerdings auch – aus Instinkt oder mit Glück – einen Fachbereich gewählt (den ich hier nicht nenne, um die Anonymität zu wahren), der immer gebraucht wird, solange es überhaupt Fahrzeuge gibt. Weder Dieselskandal noch Feinstaubprobleme, weder batteriebetriebene (sind das nicht eigentlich Akkumulatoren?) noch per Brennstoffzelle mit Strom versorgte Autos haben eine Chance, sein Fachgebiet zu gefährden:
Ob sie selbst fahren oder durch Menschen gelenkt werden, ob voll vernetzt oder total individuell fahrend – sie alle brauchen das Produkt, das unser Einsender entwickelt. Beneidenswert. Das ist Fortüne in ihrer reinsten Form!
Zum Zwischenzeugnis: Es ist ein schwierig zu handhabendes Instrument, bei Mitarbeitern und Vorgesetzten unterschiedlich beliebt. Beginnen wir mit der Einschätzung durch die Arbeitgeberseite, der Vergleich mit dem Endzeugnis hilft beim Verständnis der Argumente:
1. Das Endzeugnis (EZ) wird – mit Rechtsanspruch – einmalig zum klar definierten Zeitpunkt des letzten Arbeitstages fällig. Der Aufwand ist für den Arbeitgeber kalkulierbar, ab Kündigungszeitpunkt weiß er, dass diese Zusatzarbeit ansteht.
Das Zwischenzeugnis (ZZ) wird entweder in zwanzig Beschäftigungsjahren nie oder mit etwas Pech alle zwei bis drei Jahre angefordert. Vorgesetztenwechsel, Aufgabenveränderungen oder Beförderungen, die für den Vorgesetzten ohnehin viel Zusatzarbeit mit sich bringen, sind „beliebte“ Zeitpunkte. Die ganze Geschichte ist schon wegen des vorher schwer einzuplanenden Aufwands ausgesprochen lästig.
2. Einem besonders tüchtigen und beliebten Mitarbeiter würde man als Chef solch ein Papier ja noch gönnen. Aber schon spricht sich das herum, und sie kommen alle. „Ich habe 25 Mitarbeiter. Wenn die alle ein ZZ erwarten, kann ich wochenlang dafür Überstunden machen. Also wehret den Anfängen.“ So denkt mancher Chef.
3. Ein EZ-Empfänger ist nach Erhalt des Dokuments weg. Er verlässt das Haus. Was der Chef dort ins Zeugnis schreibt, hat in der Regel keine Konsequenzen für ihn bzw. das Unternehmen. Außerdem darf man unangenehme Wahrheiten ohnehin nicht hineinschreiben (z. B. „Er war faul, fauler geht es kaum“), also formuliert man etwas Nettes. Es kommt ja nicht darauf an – Papier ist geduldig. Und so sind EZse fast immer geschönt – wie das Gesetz es befahl.
Ein ZZ-Empfänger ist jedoch nach der Ausfertigung des Dokumentes noch da, das macht die Angelegenheit zusätzlich kompliziert. Ein – vielleicht tatsächlich verdientes – zurückhaltend formuliertes Dokument könnte den Mitarbeiter unnötig demotivieren; vielleicht macht er auch noch Ärger, reklamiert die Bewertung, beschwert sich bei der Geschäftsleitung oder läuft zum Betriebsrat.
Und ein betont wohlwollend formuliertes, also „geschöntes“ ZZ nimmt der Mitarbeiter gern als Begründung für die nächste Gehalts-Forderung oder als Basis seiner internen Bewerbung um eine Aufstiegsposition oder als Beweis, dass eine demnächst erfolgende arbeitgeberseitige Kündigung völlig unberechtigt war („hier steht, dass ich sehr gut gearbeitet und viele Verdienste um die Firma habe“).
4. Wofür, fragt sich so mancher Chef, braucht der Mitarbeiter ein Zwischenzeugnis? Doch höchstens um sich extern zu bewerben. Der will also weg – gut zu wissen.
Diesen Gedanken will nun wieder der Mitarbeiter nicht auslösen, also ist er hin- und hergerissen.
Aus der Sicht des Mitarbeiters sieht das Problem Zwischenzeugnis etwa so aus:
- a) Wenn sich sehr viele Dienstjahre bei diesem Arbeitgeber angesammelt haben, über die es bisher kein ZZ gibt, kann das eines Tages fällig werdende externe Bewerbungen erschweren. Das beginnt vielleicht schon nach fünf, spätestens jedoch nach zehn Dienstjahren dort.
Regelmäßige Beförderungen während dieser Zeit mildern den Druck in Richtung eines ZZ („die hätten ihn ja nicht befördert, wenn er nicht hervorragend wäre“), solche arbeitgeberseitigen Anerkennungen (die dem Bewerber auch ohne Bescheinigung geglaubt werden; er muss ja eines Tages ein Endzeugnis nachliefern) ersetzen durchaus das eine oder andere ZZ.
Umgekehrt erhöhen sehr lange Beschäftigungszeiten in unverändert gebliebener Sachbearbeiter-Position den Druck, bei externen Bewerbungen ein ZZ vorzulegen.
- b) Wenn der Vorgesetzte wechselt, besteht die Gefahr, dass die Leistungen des Mitarbeiters und die vielleicht auch bisher erfolgte Anerkennung seiner persönlichen Vorzüge durch diesen Chef schlicht verloren sind. Wer sich von alten Vorgesetzten anerkannt fühlen konnte, aber mit dem neuen gar nicht „kann“, ist besonders betroffen. Hier hilft ein ZZ des alten Chefs.
- c) Etwa ein bis (vielleicht) drei Jahre lang ist ein Arbeitgeber beim Ausstellen eines EZ an die grundsätzliche Bewertung eines ZZ gebunden, sonst müsste er schon Gründe angeben. Das ZZ gibt also dem Mitarbeiter die weitgehende Gewissheit, innerhalb dieser Frist mit einem adäquaten EZ rechnen zu können, falls eines fällig wird.
- d) Manche Mitarbeiter sind naiv, sie machen sich Illusionen hinsichtlich der Einschätzung ihrer Leistungen und/oder ihrer Persönlichkeit durch ihren Chef. Ein erteiltes ZZ kann hier Maßstäbe zurechtrücken und Impulse im Hinblick auf notwendige Veränderungen geben.
Also, geehrter Einsender: In Ihrem Falle spricht alles für die Bitte um ein ZZ. Bringen Sie schon bei der Formulierung Ihres Anliegens eine Aufstellung der Faken mit, von den persönlichen Daten über Eintritts- und Veränderungsdaten bis hin zu Positions- und Abteilungsbezeichnungen und den – in der Bedeutung meist überschätzten – Aufgabendetails. Besonders wichtig sind aufgelistete Erfolge Ihrer Tätigkeit, dafür gibt es in modernen Zeugnissen heute einen eigenen Erfolgsabsatz. Die Aufgaben sagen ja nur, was Sie hätten tun sollen, jedoch nicht, was dabei herausgekommen ist.
Übrigens: So manche Personal‧abteilung schickt dem Mitarbeiter erst einmal einen noch nicht unterschriebenen Entwurf – und hört sich dann mehr oder minder genervt seine Verbesserungsvorschläge an.
Service für Querleser
Während Endzeugnisse in der Regel vom Arbeitgeber bereitwillig erstellt werden, sind Zwischenzeugnisse aus der Sicht der Chefs eher lästig bis unangenehm. Dazu trägt entscheidend bei, dass der Mitarbeiter nach Aushändigung noch im Unternehmen verbleibt und vielleicht aus sehr guten Beurteilungen Ansprüche ableitet.
Insbesondere Mitarbeiter mit längeren Dienstzeiten und eher gleichgebliebener Tätigkeit / Position sollten darum bemüht sein, evtl. spätere Bewerbungen durch Zwischenzeugnisse unterstützen zu können.
Beliebte und allgemein akzeptierte Zeitpunkte für die Ausstellung von Zwischenzeugnissen sind Vorgesetztenwechsel, größere Umstrukturierungen, Versetzungen. Bei diesen Anlässen vermeidet der Mitarbeiter den Verdacht, er wolle sich mit dem Zwischenzeugnis demnächst bewerben.
Frage-Nr.: 3.004
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 14
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2019-04-05
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