Ist meine Karriereplanung zu langfristig angelegt?
Wie geht man eigentlich mit der langfristigen Karriereplanung um? Lohnt es sich? Und was muss man´dabei bedenken? Heiko Mell weiß Bescheid und beantwortet Fragen seiner Leserinnen und Leser.
Karriereplanung: Mit Mitte 30 Abteilungsleiter?
3.207. Frage:
Ich lese regelmäßig und mit großem Interesse die Artikel in den VDI Nachrichten, insbesondere aber Ihre schonungslose Karriereberatung. Ihre Empfehlungen und Analysen sind für mich auch stets zu beachtende Leitlinien bei meinen beruflichen Entscheidungen. Ihre Sichtweisen zu den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen der Industrie kann ich nach zehn Berufsjahren in einem großen deutschen Konzern größtenteils genau so bestätigen.
Meine Karriere hatte ich von Beginn an forciert und die entsprechend notwendigen Schritte und Bausteine mit ausreichend langer Vorlaufzeit geplant. So bin ich zwischenzeitlich mit Mitte 30 Abteilungsleiter in einem operativen technischen Bereich.
Mein Berufseinstieg gelang mir im Geschäftsbereich XY am Standort A. Dort genoss ich eine sehr gute Ausbildung in den technischen Grundlagen. Nach verschiedenen Sachbearbeiter-Positionen innerhalb dieses Bereichs übernahm ich am Standort A auch eine erste leitende Position.
- Die Regelungen des Konzerns sehen als Grundlage für weitere Karriereschritte den Wechsel an ausländische Standorte oder in einen anderen Geschäftsbereich vor. Einen solchen Wechsel in einen anderen Bereich habe ich vollzogen und bin seit kurzer Zeit in der oben erwähnten Abteilungsleiterposition am Standort B des Geschäftsbereichs Z, der technisch ganz anders als der XY-Bereich ausgerichtet ist.
- Mit dem Wechsel war auch ein Umzug in die Region B verbunden. Meine Partnerin und ich führen seitdem eine Wochenendbeziehung. Nach reiflicher Überlegung sind wir zu dem Entschluss gekommen, perspektivisch unseren gemeinsamen Lebensmittelpunkt im Umfeld des Standortes A zu sehen.
Ich kenne Ihre Sichtweise zu der Standortwahl und der Abwägung privater vs. beruflicher Belange – gleichwohl überwiegen für uns in A derzeit die Vorteile von Eltern und Schwiegereltern in der näheren Umgebung.
Kurz bis mittelfristig strebe ich daher einen Wechsel zurück an den Standort A an. Auch würde ich gerne noch ein bis zwei Leitersprossen nach oben steigen. - Dieser Standort A bietet zwar weiterhin attraktive Aufgaben und Karrieremöglichkeiten. Allerdings erwarte ich dort durch den Wegfall ganzer Technologiebereiche (die in A heute absolut dominieren) aufgrund zwingender EU-Vorgaben in den nächsten Jahren starke strukturelle Veränderungen. Wenn das alles realisiert wird, werde ich Mitte 40 sein und dann auch nicht mehr unbeschwert an neue Standorte wechseln wollen.
- Dennoch wäre der Wechsel an den Standort A eine mögliche Option. Dort wären voraussichtlich weitere Karriereschritte zeitnah umsetzbar – das Umfeld und die Technik sind mir ja vertraut.
- Eine andere Möglichkeit wäre der Wechsel raus aus dem bisherigen Konzern zu einem anderen Unternehmen. Damit wäre aus meiner Sicht das Risiko verbunden, auf der Karriereleiter vorerst nicht weiter nach oben steigen zu können, man möchte den Neueinsteiger erst einmal kennenlernen und ihm die Chance geben, sich fachlich zu beweisen.
Wie schätzen Sie folgende Gedanken ein: - Sind meine heutigen Überlegungen bereits zu weit in die Zukunft gegriffen? Sollte ich in meiner Planung einen Horizont von max. fünf Jahren berücksichtigen? Dann wäre der Wechsel an den Standort A des Konzerns eine Option. Danach ein weiterer Aufstieg im Unternehmen – und wenn es dann so weit ist, wird sich innerhalb oder außerhalb des Unternehmens eine weitergehende Option auftun.
- Oder sind meine Überlegungen im Hinblick auf einen externen Wechsel gerade jetzt richtig vor dem Hintergrund der zu erwartenden Umwälzungen/Einschränkungen innerhalb der den Standort A beherrschenden Technologie XY? Ist vor dem Hintergrund meines aktuellen Alters und meiner Karriereambitionen ein externer Wechsel besser früher als später anzugehen?
Antwort:
Ich freue mich sehr über diese geschlossene Darstellung des Problems. Daher habe ich die Einsendung bewusst nicht in einzelne Fragen und Antworten aufgeteilt. Dafür habe ich die wichtigsten Absätze durchnummeriert, so kann ich leichter Bezug auf etwaige Details nehmen.
Ein kluger Berater sollte nicht nur wissen, was er in der jeweiligen Situation empfehlen müsste, er sollte auch erkennen, was der Ratsuchende hören will. Je mehr der Rat genau dorthin tendiert, desto größer ist die Chance, dass er gern und freudig gehört wird. Was also will unser Einsender? Die Antwort springt uns aus seiner Schilderung förmlich an: Er will nach A!
Das allein wäre noch nicht einmal so schlimm. Allein er will noch mehr: Es soll noch einige Karrierestufen über den Abteilungsleiter hinausgehen und mittelfristig muss er den Geruch der ganz sicher sterbenden Technologie XY aus seinem Werdegang so weit wie möglich loswerden.
Zusammen ist das ein bisschen viel, insbesondere der definierte Wunsch-Standort und die weiteren Karriereambitionen „beißen sich“, wenn man sie gleichberechtigt behandelt. Hier wird eine Entscheidung über die Rangfolge fällig.
Gehen wir die Dinge der Reihe nach durch:
Eigentlich war unser Einsender in seiner ersten leitenden Position am Standort A mit der Technologie XY recht glücklich. Aber es konnte so nicht bleiben:
- Der Konzern verlangte (siehe Abs. I) als Basis für den angestrebten weiteren Aufstieg einen Wechsel des Einsatzlandes oder des Geschäftsbereichs. Der wurde vollzogen, heraus kam der Standort B im Technologiebereich Z in der höheren Rangstufe eines Abteilungsleiters.
- Mittel bis langfristig war die Laufbahn in A wegen des auf höchster Ebene beschlossenen Endes der Technologie XY ohnehin nicht zu halten. Zwar ist das endgültige Aus erst in einigen Jahren festgeschrieben, aber man weiß doch, was das konzernintern bedeutet: In die sterbende Technologie wird nicht mehr investiert, viele Mitarbeiter orientieren sich neu, es muss mit dem Ende des ganzen Standortes gerechnet werden.
So wie der Einsender formuliert (s. Abs. II), darf ich unterstellen: Er setzt den Standort A an die erste Stelle, der weitere Aufstieg steht damit „automatisch“ auf einer nachgeordneten Stufe der Prioritätenskala.
Ungewisse Zukunft bei der Karriereplanung in Kauf nehmen?
Ein von ihm ins Spiel gebrachter Lösungsansatz (s. Abs. III und IV) sieht vor: konzerninterne Rückkehr nach A, Wiedereinstieg in die sterbende Technik XY, Mitnahme der gerade jetzt dort zu vermutenden Aufstiegschancen (wer geht sonst jetzt noch dort hin?) – und ein Zurückstellen der Überlegungen im Hinblick auf die dort eher düstere Zukunft.
Das sehe ich als ziemlich kritisch an: Bei dieser Variante wird eine höchst ungewisse Zukunft in Kauf genommen, um das Ziel Standort A zu realisieren, komme was da wolle.
Ich könnte verstehen, dass jemand, der heute und seit Jahren in A und damit im Fachgebiet XY tätig ist, erst einmal noch dort bleibt, die besonderen Chancen rund um ein sterbendes Produkt mitnimmt und weitere Konsequenzen für einige Jahre aufschiebt. Aber unser Einsender ist bereits raus aus der zukunftsarmen XY-Technologie, er beschäftigt sich heute mit völlig anderen Industrieprodukten. Auf dieser Basis nun wieder in die alte, sterbende Branche zurückzugehen, scheint mir nicht ratsam zu sein.
Nun hat sich der Einsender selbst schon mit der Variante „Verlassen des Konzerns“ beschäftigt (siehe Abs. V). Sein Denkansatz, man würde bei anderen Unternehmen externen Bewerbern keine Aufstiegschance geben, weil man sie erst kennenlernen müsste, ist falsch! Es ist durchaus üblich, dass ein Bewerbungsempfänger einen bisherigen Abteilungsleiter sofort als Bereichsleiter einstellt – wenn er eine Bedingung zwingend und die zweite idealerweise erfüllt.
Wichtig ist, dass dieser Bewerber mindestens etwa drei Jahre zur absoluten Zufriedenheit seines bisherigen Arbeitgebers in der bisherigen Position gearbeitet hat. Er wird dort auf eigenen Wunsch ausscheiden, wird also nicht entlassen und kommt aus einem ungekündigten, möglichst unbelasteten Arbeitsverhältnis. Dann hat er möglichst auch noch ein halbwegs aktuelles, natürlich sehr gutes Zwischenzeugnis aus der heutigen Position (ein Endzeugnis kann er zum Bewerbungszeitpunkt ja noch nicht haben).
Außerordentlich förderlich für das Aufstiegsanliegen des Bewerbers wäre es darüber hinaus, wenn das Zielunternehmen der Bewerbung eine ganze Stufe kleiner wäre als der heutige Arbeitgeber. Das folgt der Aufstiegsgrundregel bei Arbeitgeberwechsel: in der Firmengröße eine Stufe hinunter, dafür in der Hierarchieebene eine Stufe hinauf. Damit nutzt man als Kandidat die Schubkraft, die der „große Name“ des heutigen Unternehmens der ganzen Bewerbung in den Augen des Bewerbungsempfängers verleiht.
Zur Realisierung dieses Schrittes fehlen dem Einsender nur noch etwa zwei erfolgreiche Jahre im Abteilungsleiterjob, seine bisherige Dienstzeit dort ist als Aufstiegsbasis zu kurz. Desgleichen seine Erfahrungen außerhalb der XY-Technologie.
Mein Vorschlag: Der Einsender bleibt noch mindestens ein ganzes Jahr am Standort B und beginnt dann langsam mit Bewerbungen bei kleineren neuen Arbeitgebern in der Region A. Seine Basis wären dann fundierte Konzernerfahrungen, die fachlich im XY-Bereich beginnen, aber aktuell aus einem Standard-Industriebereich kommen. Er wäre das Image einer sterbenden Technologie weitgehend los und hätte alle Chancen, den Hauptwunsch A und vielleicht sogar den zusätzlich angestrebten Aufstieg zu realisieren.
Der Preis dafür: noch etwa zwei Jahre in der Wochenendbeziehung zu leben, um die mit der heutigen Position verbundenen Chancen richtig nutzen zu können. Aber „umsonst“ ist im (Berufs-) Leben kaum etwas zu haben.
Zu den konkret gestellten Fragen:
Absatz VI: Ich würde nicht wieder „sehenden Auges“ in die sterbende Technologie XY zurückgehen. Bedenken Sie auch, wie viele Mitbewerber Sie dann eines Tages hätten, die zwangsläufig auch von XY weg- und irgendwo anders hingehen möchten.
Absatz VII: Im Prinzip ja, eigentlich je früher, desto besser. Aber so früh (jetzt sofort) nun auch wieder nicht. Es muss heißen: so früh wie nach den entsprechenden Regeln möglich. Und diese Regeln sehen vor: Eine Bewerbung erfolgt im Idealfall frühestens etwa drei Jahre nach der letzten Beförderung/Ernennung.
Man kann das auch anders ausdrücken: Die erst kürzlich ausgesprochene Beförderung eines Bewerbers kann (!) einen Bewerbungsempfänger dazu bewegen, die Qualifikation des Kandidaten für eine weitgehend gleiche Führungsposition als wahrscheinlich gegeben anzunehmen. Sie ist aber in keinem Fall eine Basis, um den Bewerber ohne Bewährung in jener bisherigen Ebene sofort eine Stufe höher einzusetzen.
Da Bewerbungen ganz kurz nach einer Beförderung nicht üblich sind, würde in solchen Fällen der Begründung des Bewerbers für seinen geplanten Schritt besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden (Überforderung?). Nach etwa drei Jahren erfolgreicher Praxis im aktuellen Job sieht das anders aus – und eine rein sachliche Begründung für den angestrebten Wechsel findet sich dann auch noch.
Ein interessantes Detail am Rande. Soll der Einsender, wenn er z. B. meiner Empfehlung folgt, dann die wahre Motivation für den angestrebten Wechsel in der späteren Bewerbung nennen (Standort)?
Gegenüber Konzernunternehmen aller Art macht man das besser nicht. Einmal schmückt einen künftigen Bereichsleiter der Standort als Priorität Nr. 1 seiner Zielsetzung nicht gerade, dann hat vermutlich auch dieses Unternehmen so seine Gepflogenheiten und Regeln, wie sie in Abs. I beschrieben werden. Der Bewerbungsempfänger im Konzernverbund könnte denken: „Diese Führungskraft will unbedingt hier her und geht dann nie wieder hier weg; wir wollen doch international expandieren, da passt das nicht zu uns.“
Ein mittelständisches Familienunternehmen am Standort A jedoch, das aus Tradition standorttreu ist und auch weiterhin so denkt, könnte den Standortwunsch geradezu als Empfehlung auffassen. Da auch die Inhaber und die meisten Führungskräfte dort geboren wurden und aufgewachsen sind, versteht man die Vorliebe für die Region absolut.
Habe ich nun dem Herzenswunsch des Einsenders im Hinblick auf Standort A als Priorität Nr. 1 in etwa entsprochen? Nun ich bin dem immerhin nahe gekommen. Vorsichtshalber weise ich noch auf eine besondere Gefahr hin: Menschen mit einer so dominierenden Zielpriorität wie unser Einsender laufen bei der Abwägung in oder externer Angebote Gefahr, die gebotene sachliche Basis ihrer Entscheidung aus den Augen zu verlieren: „Es ist in A!“ – das überstrahlt allzu leicht jedes damit verbundene Risiko, deckt alle möglichen Nachteile zu. Und wenn dem Einsender dann noch die Partnerin um den Hals fällt („A!“), dann akzeptiert er eventuell Angebote, die er an völlig anderen Standorten nicht mit der Zange angefasst hätte. Glauben Sie mir: alles schon dagewesen.
100 Tipps für den Erfolg im Beruf
Nr. 35: Mit einem antrainierten/eingeübten Verhalten im Vorstellungsgespräch kann man gerade deswegen scheitern – oder eine Position erringen, aus der man noch in der Probezeit entlassen wird. Es gibt hier nicht „das“ eine richtige Verhalten – vielleicht war der potenzielle Chef nie in einem Seminar für „richtige“ Vorgesetzten-Maßstäbe und liebt Ursprünglichkeit.
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