Jahresgespräch – lästige Pflicht oder ein Dialog mit Mehrwert?
Kurz vor dem Jahresende stehen berufliche Jahresgespräche in vielen Unternehmen vor der Tür. Sowohl Mitarbeitende als auch ihre Führungskräfte müssen den Dialog suchen und sich darauf vorbereiten.
Was ist ein Jahresgespräch?
Das Thema „Jahresgespräch“ bewegt viele, obwohl viele diese Gespräche schon längst für ein Relikt aus alten Zeiten halten. Liest man die Kommentare im Netz, scheint es, dass weder Vorgesetzte noch ihre Mitarbeitenden sich darauf freuen und es eher für eine Pflichtveranstaltung halten, etwa wie einen Zahnarztbesuch. Aber wohl oder übel muss man es über sich ergehen lassen. Denn bei diesen Jahresgesprächen oder Mitarbeitergesprächen, oder auch Feedbackgespräche genannt, steht einiges auf dem Spiel. Und zwar sowohl für das Unternehmen als auch für Mitarbeitende.
Mit Offenheit ins Jahresgespräch gehen
Ein Termin mit der Betreffzeile „Jahresgespräch“ kann leicht Aufregung und auch Unbehagen verursachen. Wie bereitet man sich vor? Was wird bei einem Jahresgespräch besprochen? Wie geht man mit der Kritik um? Nicht zuletzt bereiten vielen diese Gespräche schon im Voraus Bauchschmerzen. Man erfährt die gegenseitigen Erwartungen und Wünsche, aber auch Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge. Wenn es richtig läuft…
Aber immer wieder stellen sich Situationen ein, durch die einiges schief gehen kann. Man hört, welch tollen Job man macht. Eigentlich. Und das ist der kritische Punkt. Denn eine Beförderung oder eine Gehaltserhöhung kann leider nicht immer angeboten werden, weil der Mitarbeitende doch noch diverse Schwächen hat und daran arbeiten muss. So der Chef. Doch ist derartige Kritik tatsächlich konstruktiv?
Das Feedback kann möglicherweise im Fiasko enden
Vieles hängt von den Führungseigenschaften der Vorgesetzten ab. Das Gespräch gleicht eher einem Monolog, in dem der Vorgesetzte in unzähligen Dauerschleifen diverse Themen und Sachverhalte wiederholt, bloß um das Thema Gehaltserhöhung zu umgehen. Immer wieder werden auch Arbeitsanweisungen als Ziele im Gespräch verpackt, um Defizite anzudeuten. Das Feedback kann dadurch in einem Fiasko enden, was Frustration von allen Seiten generiert.
Deshalb müssen diese Gespräche von beiden Seiten inhaltlich gut vorbereitet sein.
Schließlich dient das Jahresgespräch als wichtiges Führungsinstrument und ist in erster Linie für die Förderung und Motivation der Mitarbeitenden von Bedeutung. Wird ein solches Gespräch, insbesondere von den Führungskräften, nicht richtig geführt, kann nur das Gegenteil der Ziele erreicht werden: Frustration, Unzufriedenheit und gegebenfalls Kündigung sind die Folge. Verlässt ein erfahrener Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin das Unternehmen, muss dieses sich neue eventuell unerfahrene Fachkräfte akquirieren, was in Zeiten des Fachkräftemangels viel Zeit und damit Geld kostet.
Was wird im Jahresgespräch besprochen?
Eigentlich laufen diese Gespräche immer nach einem festen Muster ab. Am Anfang des jeweiligen Gespräches sollten Anlass, Zielsetzung, Ablauf und Zeitrahmen skizziert werden.
Es wird ein Status quo protokoliert, indem man solche Aspekte wie Zufriedenheit, Bedürfnisse, Arbeitsklima anspricht und eine Art „Ist Analyse“ der beruflichen Situation durchführt. Wichtig dabei ist auch das Ansprechen von Problemen und Konflikten sowie das gemeinsame Finden von Lösungen.
Danach kann eine neue Zielvereinbarung für das neue Jahr getroffen werden. Nicht selten werden konkrete Zahlen dazu vereinbart und für das nächste Jahr fixiert. Liegt das Protokoll eines ähnlichen Gespräches aus dem letzten Jahr vor, kann man die Entwicklung eines Mitarbeiters nachverfolgen und konstruktiv weiter entwickeln. Hat er oder sie die vereinbarten Ziele erreicht? Hat er oder sie seine Projekte erfolgreich durchgeführt?
Dadurch wird es Führungskräften erleichtert, die Leistungen zu bewerten und festzustellen, ob Mitarbeitenden Gehaltserhöhungen oder Beförderungen zustehen. Abschließend muss das aktuelle Gespräch dokumentiert werden und das Protokoll unterzeichnet werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Jahresgespräch ist der Wunsch der Mitarbeitenden nach beruflicher Weiterbildung und Weiterentwicklung im Unternehmen.
Typische Fragen bei einem Jahresgespräch:
- Was ist seit dem letzten Jahresgespräch passiert?
- Welche Projekte liefen gut? Welche nicht?
- Wie hat sich der Mitarbeitende weiterentwickelt?
- Was hat der Mitarbeitende daraus gelernt?
- Welche speziellen Herausforderungen hatte der Mitarbeitende gemeistert?
- Wie geht es dem Mitarbeitenden in seinem Job, insbesondere auch in der Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitenden?
- Wie können der Mitarbeitende und sein Chef zu einer Verbesserung beitragen?
- Wie will der Mitarbeitende im Unternehmen vorankommen?
- Welche Aufgaben bereiten Mitarbeitenden Freude, welche sorgen eher für Stress oder schlechte Laune?
- Wie kommen Mitarbeitende mit Homeoffice klar?
Zusätzlich kann ein Bewertungsbogen für den Vorgesetzten hilfreich sein, in dem die Mitarbeitenden anhand von diversen Kriterien beurteilt werden. Mit einer Scala von 1 bis 5 können u.a. folgende Skills bewertet werden: Auffassungsgabe, Fachwissen, Kundenorientierung, Teamfähigkeit, Qualität der Leistung, Engagement, Verantwortung und Zuverlässigkeit. Auch hier kann es zu Diskrepanzen kommen, wenn sich die Mitarbeitenden und die Chefs bei der Bewertung und der Begründung nicht einig sind. Hilfreich zur Einigung sind dann konkrete Beispiele und eine offene Diskussion.
Denn: Wenn viel kritisiert wird oder wenn man mit einer Bewertung nicht einverstanden ist, sollte man mit offenen Fragen nachhaken oder direkt nachfragen, wie es zu dieser Bewertung kommen konnte. Diese Gespräche müssen immer auf Offenheit und Vertrauen basieren.
Jahresgespräche: Pflicht zum Abhaken?
Es ist klar, dass die Jahresgespräche immer nur eine Momentaufnahme darstellen. Für Führungskräfte bedeutet es, sich die Sorgen und Nöte, die Gedanken und die Ängste von Mitarbeitenden anzuhören und daraus Personalentscheidungen abzuleiten. Das kann zu einer positiven Entwicklung des Unternehmens beitragen. Doch viele kritisieren die Vorgehensweise, denn häufig haben die „Alibigespräche“ keine Konsequenzen und werden als lästige und sinnlose Pflichtübung abgetan. Vieles von dem, was besprochen wurde, ist in der folgenden Woche schon wieder vergessen.
Es wäre für alle Beteiligten besser, wenn die Feedbackrunden nicht nur einmal pro Jahr stattfänden, sondern ständig, auch in einem unregelmäßigen Rhythmus. Genau wie im Leben. Man sagt dem Ehemann oder Ehefrau nicht einmal im Jahr, was man voneinander hält und was in den letzten 12 Monaten gut oder falsch lief. Vielleicht ist dieser Vergleich ein wenig skurril, aber dass die Kritik und das Feedback zeitnah erfolgen sollte, ist kaum wegzudiskutieren.
Zeitnahe Feedbackrunden statt „The same procedere as every year“
Konstruktive Kritik zu einem Vorfall oder einer beruflichen Situation, die Monate zurückliegt, ist kaum möglich. Von daher ist eine offene zeitnahe Feedback-Kultur im ganzen Unternehmen eine wichtige Basis für den Erfolg.
Sonst werden die Jahresgespräche nach wie vor mit den Schlussätzen wie: „War doch nett, mal wieder zu reden“ oder „Das muss besser werden“ und „Das war gut, muss aber trotzdem noch besser werden“ enden und zu nichts führen. Jedes Jahr aufs Neue. Wie in dem Sketch „Dinner for one“, nur statt Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom, die bei Miss Sophie „sitzen“, wird bei so einem Gespräch nicht zugeprostet, sondern werden die gleichen Fragen gestellt. Bis das nächste Jahr kommt. Bis wieder ein Jahresgespräch im Kalender steht. Und man wieder ein mulmiges Gefühl im Bauch hat und wieder über die gleichen Fragen stolpert: The same procedere as every year.
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