Jobglück finden und Jobfrust verscheuchen – so geht es
Der Idealzustand ist, wenn man zufrieden und glücklich seiner Arbeit nachgeht. Doch Jobglück ist nicht selbstverständlich und Jobfrust schleicht sich schnell in den Arbeitsalltag ein. Wie man da wieder rauskommt, weiß Coach Julia Augenstein. Wer Sie erleben möchte und Rat braucht, kann an unserem kostenfreien Webinar am 8. Mai teilnehmen. Hier stellen wir ihre Ideen und Methoden vor.

Julia Augenstein ist Coach und weiß, wie man im Job wieder glücklich wird. Am 8. Mai ist sie Dozentin bei unserem kostenfreien Webinar.
Foto: Nina Grigo
Alle sind gestresst. Da stellt sich die Frage: Gibt es Jobglück? Wie würden Sie das definieren?
Julia Augenstein: Ja, Jobglück gibt es – und es ist mehr als ein gutes Gehalt oder ein nettes Büro. Für mich bedeutet Jobglück, dass ich mich an meinem Arbeitsplatz wohlfühle, mit meinen Talenten am richtigen Ort bin und das Gefühl habe, mit meiner Arbeit etwas Sinnvolles beizutragen. Es geht darum, Teil eines Ganzen zu sein, das für mich Bedeutung hat. Ob das gelingt, hängt stark von der eigenen Persönlichkeit ab – aber auch von der Teamdynamik und den Rahmenbedingungen im Unternehmen. Und nicht zuletzt, ob mein Wertesystem zur Unternehmenskultur und dem der Führungskräfte passt.
Jobglück bedeutet nicht Traumarbeitsplatz
Hat jeder Mensch ein anderes Jobglückslevel und wie sieht es mit der Korrelation zum allgemeinen Glückslevel aus?
Julia Augenstein: Glück hängt stark von unserer eigenen Perspektive ab – also davon, wie wir mit Stress und innerem Druck umgehen. Oft sind es nicht die äußeren Umstände, sondern unsere inneren Stressoren, die uns das Gefühl von Zufriedenheit rauben. Schon kleine Auslöser können genügen, um uns emotional aus dem Gleichgewicht zu bringen. Trotzdem bin ich überzeugt: Jeder gesunde Mensch kann lernen, seinen inneren Glückszustand aktiv zu beeinflussen. Menschen, die im Gleichgewicht sind, sind nicht automatisch an ihrem Traumarbeitsplatz – sie haben oft einfach Werkzeuge gefunden, um sich selbst gut zu regulieren. Bewegung, Kommunikation, klare Grenzen – das alles hilft. Natürlich: Wenn das Umfeld toxisch ist, braucht es mehr. Aber grundsätzlich lässt sich Glück trainieren.
Wie entsteht das Gegenteil – Jobfrust? Und wie definieren Sie ihn?
Julia Augenstein: Jobfrust entsteht oft schleichend – wenn Leistung und Anerkennung nicht mehr im Verhältnis stehen, wenn ich mich überfordert oder dauerhaft fehl am Platz fühle. Besonders kritisch wird es, wenn ich mich im Team ausgegrenzt fühle oder nicht integriert bin. Das ist ein echter Produktivitätskiller – denn jeder Mensch braucht das Gefühl, anerkannt zu sein und gesehen zu werden. Frust ist für mich das Gefühl, in einem System festzustecken, das nicht mehr zu mir passt. Wenn ich das Gefühl habe, nur noch zu funktionieren, aber innerlich längst ausgestiegen zu sein. Dann kippt die Motivation – und es entsteht eine innere Leere. Arbeitsglück ist das Gegenteil: Ich freue mich auf den Montag, darauf, meine Kollegen und Kolleginnen zu sehen, und auf meine Aufgaben – nicht, weil sie leicht sind, sondern weil sie mich fordern, ohne mich zu überfordern. Dieses produktive Stretching ist wichtig – aber ich darf nicht dauerhaft in der Panikzone sein.
Jobglück versus Jobfrust – wenn das Lebensgefühl „in den Keller geht“
Was sind die ersten Anzeichen?
Julia Augenstein: Erste Warnzeichen sind oft subtil: Gereiztheit, Schlafprobleme, ein dauerndes Gefühl von „Ich kann nicht mehr“. Viele meiner Klienten und Klientinnen berichten von Erschöpfung, Lustlosigkeit, sogar Zynismus. Ein sehr ernst zu nehmendes Signal ist auch das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören – wenn ich mich ausgeschlossen oder übersehen fühle. Das nagt am Selbstwert und lähmt auf Dauer die Leistungsfähigkeit. Wenn der Sonntagabend zum emotionalen Tiefpunkt wird oder man sich im Job zunehmend wie in einem Hamsterrad fühlt – dann lohnt es sich, hinzuschauen. Auch ein schwaches Immunsystem kann ein Indikator sein, wie auch ein Rückzug von Freunden und Familie oder Hobbys. Das Lebensgefühl geht immer mehr „in den Keller“.
Welche Rolle spielen Erwartungen an mich selbst? Und die Erwartungen der anderen?
Julia Augenstein: Eine sehr große. Viele Menschen, gerade in verantwortungsvollen Positionen, tragen einen hohen Selbstanspruch in sich. Dazu kommen oft unausgesprochene Erwartungen aus dem Umfeld – von Vorgesetzten, Team, Familie. Diese Mischung kann toxisch werden, wenn ich sie nicht bewusst hinterfrage. In meiner Arbeit geht es oft darum, Erwartungen zu sortieren: Was ist wirklich mein Maßstab? Was treibt mich – und was darf ich auch mal loslassen?
Spielen auch biografische Elemente mit hinein?
Julia Augenstein: Absolut – unsere Vergangenheit ist oft die unbewusste Blaupause für unser heutiges Verhalten im Job. Viele Menschen wissen gar nicht, wie stark biografische Prägungen mitwirken. Wir alle streben nach Anerkennung – das ist ein menschliches Grundbedürfnis. Aber wie sehr uns dieser Antrieb im Job lenkt, hängt oft von früh übernommenen Mustern ab. Leider lernen wir in der Schule nicht, unsere inneren Antreiber und Werte zu hinterfragen. Viele übernehmen unreflektiert, was in der Kindheit oder Jugend funktioniert hat – merken aber nicht, wann diese Mechanismen anfangen, ungesund zu wirken. Oft reinszenieren wir unbewusst alte Beziehungsmuster im heutigen Arbeitsleben. So kommt es vor, dass wir immer wieder versuchen, einer schwierigen Kollegin zu gefallen – selbst wenn sie uns ständig Steine in den Weg legt. Statt klarer Abgrenzung oder Konflikt gehen wir in den alten Reflex. Einfach, weil wir es nie anders gelernt haben. Diese Muster sitzen tief – im unbewussten Teil unseres Gehirns, verknüpft mit unserem Gefühlshaushalt. Der Verstand allein reicht nicht, um das zu durchbrechen – aber mit gezielter Arbeit kann man das ändern.
Fürs Jobglück ist das Ziehen von Grenzen essenziell
Welche Rolle spielt das Setzen von Grenzen im Job – und im Privatleben?
Julia Augenstein: Eine zentrale. Gerade in der westlichen Welt werden wir so sozialisiert, dass wir individuelle Ziele erreichen sollen. In Unternehmen treffen aber viele Ziele aufeinander – die des Unternehmens, der Teams und der Einzelpersonen. Oft sind uns diese Zielkonflikte nicht einmal bewusst – und wenn ich nicht klar weiß, was mir wichtig ist, was meine Werte sind und wie ich mich abgrenze, fühle ich mich zerrissen oder orientierungslos. Viele Menschen tun sich schwer damit, Nein zu sagen – aus Angst, jemanden vor den Kopf zu stoßen oder Wertschätzung zu verlieren. Das liegt tief in uns. Evolutionsbiologisch war es überlebenswichtig, zur Gruppe zu gehören. Wer ausgeschlossen wurde, war gefährdet. Diese Angst wirkt heute noch – nur dass sie uns oft blockiert, wenn es um klare Kommunikation und gesunde Konflikte geht. Menschen, die keine Grenzen setzen können, neigen dazu, sich zu überlasten – und landen schnell in der People-Pleaser-Falle. Sie sagen zu allem Ja, brennen innerlich aber aus. In meiner Praxis sehe ich oft, dass diese Muster biografisch geprägt sind – aus der Suche nach Anerkennung, die irgendwann begonnen hat. Berufliches und privates Verhalten ähneln sich dabei oft zu 85 %, nur mit anderen Etiketten. Für mich persönlich – und in meiner Arbeit mit Klienten und Klientinnen – ist klar: Ich habe ein begrenztes Energiereservoir. Ich muss wissen, was meine Energiefresser sind, beruflich und privat. Wer das für sich klar hat, kann besser abschichten, sich abgrenzen – und eine stabile Basis für Zufriedenheit schaffen. Glück ist ein flüchtiges Gefühl, das nicht dauerhaft da ist. Aber wer regelmäßig in Flow kommt, z. B. im Lieblingsprojekt, erlebt genau das: echtes Arbeitsglück.
Bemerken Sie einen Unterschied zwischen den Generationen?
Julia Augenstein: Ja – ich nehme vor allem Unterschiede in der Erwartungshaltung und im Kommunikationsstil wahr. Vor allem die Generationen Y und Z sind, wenn man das verallgemeinern will, konfliktbereiter – und zwar im positiven Sinne. Sie wollen Feedback, echte Einbindung und Transparenz. Jüngere Mitarbeitende fordern aktiver mitzugestalten, was ich grundsätzlich als sehr wertvoll empfinde. Allerdings: Die wissenschaftliche Evidenz aus Untersuchungen spricht gegen starke, kohärente Unterschiede zwischen den Generationen. Vieles, was wir als „generational“ wahrnehmen, ist eher ein Mix aus Lebensphase, Rollenbildern und gesellschaftlichem Wandel. Jede Generation tut sich schwer mit der davor – das ist ein klassischer Generationeneffekt. Babyboomer etwa sind stark hierarchisch geprägt. Viele definieren sich über ihren beruflichen Erfolg – und wenn diese Leistung nicht mehr gesehen oder wertgeschätzt wird, kann das zu Konflikten führen. Gerade wenn jüngere Kolleg:innen mehr Mitbestimmung einfordern. Was ich außerdem beobachte: Die Themen, mit denen Menschen zu mir ins Coaching kommen, verschieben sich. Junge Frauen und auch Väter kommen häufiger mit Fragen rund um Vereinbarkeit – gerade in oder nach der Elternzeit. Frauen mittleren Alters beschäftigen sich oft mit Gesundheit, Stress und Belastbarkeit. Da zeigt sich, wie sehr Lebensphase und Generation zusammenwirken.
Die Selbstwirksamkeit zurückzuholen ist wichtig
Wann merke ich, dass es keine Phase ist, ein schlechter Tag, und dass ich etwas ändern sollte?
Julia Augenstein: Es gibt typische Warnsignale, die zeigen: Das ist nicht mehr nur Stress – das ist ein Zustand, der sich festgesetzt hat. Viele Betroffene berichten, dass sie morgens ohne Antrieb aufwachen oder am liebsten liegen bleiben würden. Oft kommen Schlafprobleme dazu, ständige Erschöpfung, ein geschwächtes Immunsystem – und das Gefühl, selbst nach Urlaub nicht wirklich erholt zu sein. Auch sozial zieht man sich zurück: Man verliert das Interesse an Hobbys, an Freunden, an der Familie. Gereiztheit und Stimmungsschwankungen nehmen zu, Konflikte mit Partner, Kindern oder Kolleg:innen häufen sich. Im Job entsteht das Gefühl, festzustecken – ohne Perspektive, ohne Entwicklung, manchmal auch ohne Sinn. Wenn solche Symptome über Wochen anhalten, sollten die inneren Alarmglocken angehen. Spätestens nach vier bis sechs Monaten ist es Zeit, aktiv zu werden – und sich professionelle Unterstützung zu holen. Denn aus solchen Zuständen kommt man selten allein wieder heraus.
Was kann ich dann tun, wenn ich aus dem „Loch“ nicht mehr herauskomme?
Julia Augenstein: Ein erster, oft unterschätzter Schritt ist das Schreiben – klassisches Journaling. Es hilft, die Gedanken zu ordnen und gibt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zurück. Ich empfehle, erst einmal alles aufzuschreiben, was belastet – ohne Filter. Schon das schafft oft Erleichterung. Danach kann man tiefer gehen: Was sind meine größten Stressoren – im Job und im Privatleben? Was müsste passieren, damit es noch schlimmer wird? Und im nächsten Schritt: Was müsste sich ändern, damit ich in dieser Situation wieder glücklich wäre? Allein ist das nicht immer leicht. Manchmal reicht ein gutes Gespräch mit einem Freund oder einer Freundin, manchmal braucht es mehr. Viele meiner Klientinnen und Klienten nutzen Selbstcoaching-Methoden wie Achtsamkeit, gezieltes Atmen, Meditation oder Entspannungstechniken. Denn wenn das Nervensystem im Dauerstress ist, ist klares Denken kaum möglich. Es gibt auch unterstützende Tools – etwa Vibrationsgeräte wie das „Sensate“, das über das Brustbein eine beruhigende Wirkung entfalten kann. Oder in Absprache mit Ärztinnen und Ärzten auch pflanzliche Mittel wie Lasea, die über das Nervensystem wirken. Wenn man wieder klar denken kann, ist der nächste Schritt: Analyse. Und dabei hilft es enorm, kurzzeitig mit jemandem zu arbeiten, der nicht Teil des eigenen Systems ist – ein neutraler Blick von außen kann den entscheidenden Unterschied machen.
Fürs Jobglück reicht manchmal schon ein Abteilungswechsel
Was ist, wenn es die Umstände sind, ein schlechter Chef oder so etwas – wie komme ich generell in den Modus mich zu verändern?
Julia Augenstein: Bei einem wirklich toxischen Chef gibt es für mich nur eine Lösung: raus. Das heißt nicht automatisch, dass ich das Unternehmen verlassen muss – manchmal reicht schon ein Abteilungswechsel. Aber: Der Punkt ist erst dann erreicht, wenn ich versucht habe, die Situation im Gespräch zu klären – und dieser Versuch mehrfach gescheitert ist. Grundsätzlich gibt es für mich drei Optionen: Love it, change it or leave it. Wenn keine Veränderung möglich ist, muss ich mir selbst treu bleiben. Das heißt auch, meinen eigenen Wert wieder in den Blick zu nehmen. Ein erster Schritt kann sein, sich extern zu bewerben – einfach um den eigenen Marktwert zu spüren. Oder ich starte ein Erfolgstagebuch, in dem ich stichwortartig meine Stärken und Erfolge notiere. Das kann eine gute Grundlage für eine interne Bewerbung sein. Wichtig ist auch: Hol dir Rückmeldung von einer vertrauenswürdigen Person – etwa aus dem HR-Bereich. Oft sieht man selbst nicht mehr klar, wenn man mitten in einer belastenden Dynamik steckt. Ein offenes Gespräch kann hier viel bewirken – oder zumindest den nächsten Schritt klären.
Wie gehen Sie auf Ihre Klienten zu? Wie ist der Einstieg?
Julia Augenstein: Zunächst gibt es für mich ein Chemiegespräch, in dem wir klären, ob wir zusammen arbeiten möchten. Der Klient oder die Klientin braucht ein Vertrauensgefühl. Oft arbeiten wir dann gleich weiter. Das Chemiegespräch ist bei mir honorarfrei. Zuerst erarbeiten wir dann die Zielstellung: Was soll sich unbedingt ändern? Was stört die Klientin oder den Klienten? Wie soll es sich anfühlen? Es reicht aus, dass man sich festgefahren fühlt und nicht so genau weiß, was man will. Dazu bin ich die Prozessbegleiterin. Danach entscheiden wir gemeinsam, ob es zunächst eine organisatorische Analyse gibt oder ob wir z. B. gleich mit Neurocoaching oder einem anderen Werkzeug einsteigen.
Auf welchen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen beruht das Vorgehen?
Julia Augenstein: Unser Körper ist evolutionär nicht auf den modernen Arbeitsalltag im Büro ausgelegt. Wir sind eigentlich für Bewegung und Natur gemacht – nicht für stundenlanges Sitzen und Dauerstress durch E-Mails, Druck oder unterschwellige Konflikte. Unser System reagiert nach wie vor mit uralten Mustern: Kampf, Flucht oder Erstarren. Früher haben wir das durch Bewegung – im Schnitt etwa 10 km am Tag – wieder ausgeglichen. Heute bleiben diese Stresshormone oft im Körper stecken. Das größte Missverständnis ist: Dass man Probleme einfach „wegreden“ kann. Unsere belastenden Emotionen sind tief im limbischen System gespeichert – das ist der Teil des Gehirns, der für Gefühle und unbewusste Reaktionen zuständig ist. Der Neocortex, der für Denken und Sprache zuständig ist, kommt da allein nicht ran. Deshalb reicht es oft nicht, über Probleme zu sprechen – es braucht andere Wege, die auf dieser tieferen Ebene wirken. Ich arbeite zum Beispiel mit Methoden wie Eye Movement Desensitization and Reprocessing, kurz EMDR. oder Wingwave – die helfen, emotionale Blockaden direkt im Nervensystem zu verarbeiten. „Glück beginnt im Kopf“ heißt für mich deshalb: Ich muss verstehen, wie mein Gehirn tickt – und wie ich es gezielt unterstützen kann, um aus dem Stressmodus in die Balance zu kommen.
Fürs Jobglück müssen emotionale Blockaden beseitigt werden
Was heißt das, was steckt beispielsweise hinter EMDR?
Julia Augenstein: Häufig starte ich mit systemischen Fragen – wir klären gemeinsam: Was genau belastet, welche Zusammenhänge gibt es, und was soll sich verändern? Sobald das Ziel klar ist und ich ein gutes Bild von der Lebens- und Arbeitssituation habe, arbeiten wir – je nach Bedarf – mit verschiedenen Methoden. Sehr wirkungsvoll ist dabei EMDR. Es hilft, emotionale Blockaden zu lösen – von Flugangst über Wut auf den Chef bis hin zu diffusen Gefühlen von Minderwertigkeit oder Angst. Dabei geht es um das limbische System, also den Teil des Gehirns, der für emotionale Reaktionen zuständig ist. EMDR nutzt bilaterale Stimulation – durch Augenbewegungen, Klopfen oder Musik – um das sogenannte Lösungsnetzwerk im Gehirn zu aktivieren. Wichtig ist: EMDR ist wissenschaftlich sehr gut untersucht. Die Methode stammt ursprünglich aus der Traumatherapie und wird inzwischen erfolgreich im Coaching eingesetzt. Studien belegen die Wirksamkeit – besonders bei emotional tief verankerten Themen. Das klingt technisch, ist aber ein natürlicher Prozess. Etwas Vergleichbares passiert auch beim Gehen – der Rhythmus hilft uns, emotional zu verarbeiten. Beim EMDR kommen gezielt gespeicherte Emotionen und innere Bilder dazu, die im Körper abgelegt sind. Diese können durch die Methode quasi „überschrieben“ werden. Und: Wenn viel Scham oder Unsicherheit im Spiel ist, arbeite ich auch verdeckt – der Klient muss dann nicht ins Detail gehen. Das macht die Methode besonders sanft und trotzdem sehr effektiv.
Wie gehen Sie vor?
Julia Augenstein: Es gibt immer eine Art Anamnese und dann eine Analyse mit der Frage: Was möchte der Klient, was soll sich ändern? Jeder Mensch ist individuell. Manche Klienten und Klientinnen wollen erst erzählen und wissen selbst nicht, wo das Problem liegt. Dann höre ich intensiv zu, stelle Fragen, begleite wie eine „geistige Hebamme“. Die Lösung liegt im Klienten selbst. Ich unterstütze beim Finden, glätte schwierige Emotionen und helfe, Ressourcen zu entdecken. Manchmal geht es auch um eine rein organisatorisch-analytische Beratung – z. B. mit Persönlichkeitsassessments.
Wie lange dauert eine Veränderung?
Julia Augenstein: Veränderung ist ein neurologischer Prozess – sie braucht Wiederholung und die Bildung neuer Verbindungen im Gehirn. Oft wird gesagt, dass es im Schnitt 66 Tage dauert, bis eine neue Gewohnheit greift. Aber das ist nur ein Richtwert. In der Praxis reicht die Spanne von etwa 18 Tagen bei sehr einfachen Routinen bis hin zu mehreren Hundert Tagen bei komplexeren Veränderungen. Entscheidend ist: Wie attraktiv ist das Ziel? Wie hoch ist meine Motivation? Und: Habe ich ein unterstützendes Umfeld? All das wirkt direkt auf die Veränderungsgeschwindigkeit. Nach einer EMDR-Sitzung berichten viele Klienten und Klientinnen, dass bestimmte Veränderungen plötzlich viel leichter fallen – weil emotionale Blockaden gelöst sind und dadurch neue Ressourcen verfügbar werden. Man hat dann wieder Zugang zu Handlungsfähigkeit, die vorher wie „eingefroren“ war. Das macht den Weg deutlich einfacher – und oft auch schneller.
Wie ich im Alltag besser klar komme
Wie kann ich das Erlernte in den Arbeitsalltag integrieren?
Julia Augenstein: Im Coaching machen wir am Ende immer einen sogenannten Ökologie-Check. Das heißt: Wir prüfen gemeinsam, wie das, was wir im Coaching gelöst oder freigelegt haben, konkret in den Alltag übertragen werden kann. Es bringt ja nichts, wenn es nur „im Raum“ wirkt – entscheidend ist die Umsetzung im echten Leben. Dazu entwickeln wir oft kleine Aufgaben, die der Klient mitnimmt – mit klarer Zielsetzung und Zeitrahmen: Was möchte ich bis wann umsetzen? Ich gebe auch gern Selbstcoaching-Werkzeuge mit – zum Beispiel eine bestimmte Musik, mit der wir vorher gearbeitet haben, Achtsamkeitsübungen, kurze Visionsimpulse oder stärkende Sätze für herausfordernde Situationen. Und manchmal braucht es im Alltag einfach noch mal ein kurzes Innehalten oder eine Erinnerung: Dann spreche ich dem Klienten etwas per Sprachnachricht ein oder stehe punktuell auch mal über Whatsapp zur Verfügung. Das Coaching endet für mich nicht an der Tür – es soll im Leben wirksam sein.
Wie schaffe ich, die Balance und das Glücksgefühl über einen langen Zeitraum zu halten?
Julia Augenstein: Ich glaube, wir können nur dann glücklich sein, wenn wir uns immer wieder neu überprüfen und auf unsere leisen Gefühle hinhören, wenn etwas nicht stimmt. Ich sollte wissen: Wie ticke ich als Persönlichkeit, was sind meine Werte, was brauche ich für ein Umfeld? Ich glaube, es dient uns mehr, immer wieder Seelenhygiene zu machen. Da muss ich nicht unbedingt zum Coach, das kann ich auch alleine, wenn ich ehrlich zu mir bin und mich traue hinzusehen. Wenn es mir einmal jemand gezeigt hat. Das ist natürlich nicht gerade bequem. Ein bisschen wie Zahnreinigung: Manchmal nervt es, ist aber höchst effizient! Zudem brauche ich einige Werkzeuge wie ich es oben schon beschrieben habe. Das muss auch nicht mal Geld kosten: Wenn ich gelernt habe, was mir hilft, kann ich es konstant anwenden. Ich brauche nur Disziplin. Doch sobald ich Neuronenautobahnen im Gehirn entwickelt habe, geht es fast von alleine. Was ich unbedingt empfehle, ist ein Dankbarkeitstagebuch immer mal wieder über einige Wochen zu schreiben oder einfach drei einfache, kleine Dinge vor dem Schlafengehen aufzuschreiben, die mich am Tag (kurz) glücklich gemacht haben. Meine Haltung ist: 10 % ist das, was passiert, und 90 %, wie du damit umgehst! Uns geht es von den äußeren Umständen meist sehr gut (hier in Deutschland). Das hilft nicht, wenn unsere inneren Umstände uns unglücklich machen. Das gilt es aufzulösen. Wichtig ist meiner Meinung nach: ein soziales, stabiles und freudvolles Gefüge, in das ich eingebettet bin, und sinnhafte Tätigkeit, in der ich sein will und in der ich meine Talente entfalten kann. Last, but not least: Meine Umstände können sich immer wieder ändern, das Leben ist ein Fluss und es gilt, sich immer wieder die Fragen zu stellen.
Coach Julia Augenstein hat ihr Jobglück gefunden
Muss ich manchmal auch die Konsequenz ziehen und kündigen?
Julia Augenstein: Das ist keine einfache Entscheidung. Ich empfehle, zunächst das Umfeld abzuklopfen. Ich würde Vorgesetzte oder hierarchisch höher stehende Kollegen fragen: Wo siehst du mich in drei Jahren? Was sind meine Stärken? Wie nimmst du meine Kommunikation wahr? Wenn ich Klarheit habe, mir etwas in Aussicht gestellt wird und trotzdem ein bis zwei Jahre nichts passiert, ist externes Bewerben ein sinnvoller nächster Schritt. Man kann auch mit einem Angebot in die Verhandlung mit dem Vorgesetzten gehen, ohne mit Kündigung zu drohen. Wenn die Unternehmenskultur nicht mehr passt, sollte man gehen – besonders, wenn sich über sechs bis zwölf Monate nichts ändert. Wichtig: Prüfe vorher, ob deine Werte zum Unternehmen passen – das ist mehr als die halbe Miete.
Sie sind Volljuristin und haben viel Erfahrung als Führungskraft im Mittelstand und in Konzernen. Was hat Sie dazu bewogen in den Coaching-Bereich zu gehen. Waren Sie selbst gefrustet? Wenn ja, wie haben Sie damals herausgefunden?
Julia Augenstein: Ich bin über Umwege wieder bei dem gelandet, was mich schon in der Schulzeit fasziniert hat: systemisches Denken. Ich war früh begeistert von existenzialistischer Philosophie und Denkern wie Habermas, der damals an der Uni Bielefeld lehrte. Das systemische Coaching greift viele dieser Ansätze auf – es betrachtet den Menschen im Kontext seiner Beziehungen, Rollen und Muster. Das hat mich nie losgelassen. Das Jurastudium war eine gute Schule – strukturiert, analytisch. Aber ich merkte bald, dass mir die konfliktorientierte Ausrichtung nicht liegt. Ich wollte lösungsorientierter arbeiten, direkter mit Menschen. Mein Herz schlug immer stärker für Coaching und Training – und ich spürte, dass genau dort mein eigentliches Talent liegt. Den Schritt in die Selbstständigkeit hatte ich schon länger im Blick. Ich war im Vertrieb tätig, unsere Kinder waren noch klein – die Selbstständigkeit bot mir damals Flexibilität und Gestaltungsspielraum. Mein Arbeitgeber hat mich in diesem Schritt sogar unterstützt. Ich kenne das Konzernspiel gut: die oft unsichtbaren Allianzen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die übersehen werden, die gegenläufigen Interessen – auch in der Führungsebene. Gleichzeitig habe ich großen Respekt vor Konzernen: Sie sind hochprofessionell, bieten Lernkurven, die ihresgleichen suchen. Für viele ist das eine exzellente Schule. Aber ich verstehe auch, wenn Menschen sich nach mehr Agilität sehnen – die findet man oft eher im Mittelstand. Heute bin ich angekommen – ich arbeite mit Menschen, begleite echte Veränderung und kann meine Fähigkeiten und Erfahrungen aus Konzern, Mittelstand und Coaching sinnvoll verbinden. Und das fühlt sich genau richtig an.
Julia Augenstein ist zertifizierter Coach und blickt auf 16 Jahre Führungserfahrung (fachlich und disziplinarisch) im Vertrieb & HR zurück. Sie ist Volljuristin und hat Personalmanagement-Ökonomie studiert.
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