Keine Fehler in der Probezeit – und trotzdem raus
Es gibt viele Tipps und Ratschläge, wie die Probezeit erfolgreich gemeistert werden kann. Natürlich hatte der relativ junge Automatisierungsingenieur alle diese Informationen gelesen und trat hoch motiviert die Probezeit bei seinem neuen Arbeitgeber an.
Probleme in der Probezeit ? Nach einer mehrjährigen Verweilzeit in seiner ersten Firma hatte er sich längere Zeit nach einer besser dotierten und einflussreicheren Position als Projektmanager umgesehen. Wenige Monate später wurde er bei der Stellensuche fündig. Ein bekannter Player der Branche suchte einen Ingenieur seines Formats. Nach der Bewerbung kam es zu den üblichen persönlichen Kontakten. Die Vorstellungsrunden mit dem Personalreferenten, dem Teamleiter (sein späterer Vorgesetzter) liefen hervorragend und herzlich. Der Abteilungsleiter (Chef des Teamleiters) war nur kurze Zeit dabei.
Er machte auf den Automatisierungsprofi einen eher neutralen und sehr distanzierten Eindruck. Der Manager fragte den Bewerber lediglich, wann er das letzte Mal programmiert habe. Wahrheitsgemäß beantwortete der Ingenieur die Frage, dass er in seiner aktuellen Position mit Projektleitungsaufgaben betraut ist und die Code-Erstellung seit Jahren nicht mehr zu seinem Aufgabenspektrum gehöre. Ein Problem für die Probezeit?
Noch vor der Probezeit umgezogen
Wie verabredet meldete sich der Personalreferent einige Tage später mit der freudigen Nachricht, dass man kein Hindernis sähe, ihn zu engagieren. Die Sektkorken knallten und der Ingenieur begann postwendend in der 500 Kilometer entfernten Stadt eine Wohnung für seine Familie zu suchen. Auch dies verlief reibungslos. Somit hatte er ideale Voraussetzungen geschaffen und startete drei Monate später in die Probezeit.
Doch schon am ersten Tag staunte er nicht schlecht. Die Abteilungs-Assistentin teilte ihm mit, dass sein Teamleiter mehrere Wochen wegen Krankheit ausfällt und er jetzt vom Chef persönlich eingearbeitet würde. Der Projektmanager wurde noch mit dem modernsten Equipment ausgestattet und los ging die Probezeit. Wenige Tage später erfuhr der Neuling beiläufig, dass er einen neuen Ansprechpartner in der Personalabteilung habe. Der Personalreferent, der ihn seinerzeit interviewte und einstellte, wäre zwischenzeitlich in eine andere Gesellschaft abgewandert.
Keine Übernahme nach der Probezeit
Soweit so gut. Das erste Angebots-Projekt kam und wurde von dem neuen Mann während der Probezeit mit aller Professionalität über Wochen vorbereitet. Gemeinsam fuhr er mit seinem Chef zum Kunden. Während der Anfahrt erwies sich der Abteilungsmanager als echter Morgenmuffel und zeigte wenig Dialogfreude. Beim Pitch glänzte unser Ingenieur und gewann mit seiner Präsentation den Kunden und einen Auftrag mit erheblicher Umsatzbedeutung für den neuen Arbeitgeber.
Selbst der Geschäftsführer der Konkurrenz gratulierte und meinte, einen solchen Mann würde er sich auch an Bord wünschen. Die Sektkorken knallten abermals. Nicht schlecht staunte unser Automatisierungsingenieur allerdings wenige Tage vor Beendigung der Probezeit. Der Betriebsrat rief an. Es gab ein Vieraugengespräch. Das Unheil nahm seinen Lauf. Man wolle sich von ihm trennen und bat um seine Stellungnahme. Am nächsten Montag blieb unser Ingenieur dann schon zu Hause.
Fehler in der Probezeit
In der Probezeit alles richtig gemacht und dennoch „geflogen“ – kann das überhaupt sein? Wie gelesen: Ja, solche Fälle gibt es, sind schwer nachvollziehbar und im Grunde nicht zu vermeiden. Was kann daraus gelernt werden? Vermied der Ingenieur wirklich alle Fehler? Tatsächlich ist der Fall etwas komplexer, wesentliche Fehler können dem Kandidaten tatsächlich nicht nachgewiesen werden. In den Vorstellungsrunden hätte ein erfahrener Kandidat möglicherweise einen intensiveren Austausch mit dem Abteilungsmanager gesucht, um die Bedeutung der Programmierkenntnisse zu erfahren. Erinnern wir uns: Um diese ging es ja in der einzigen Frage, die der Manager an den Bewerber im Vorstellungsgespräch hatte. Da der Abteilungsleiter nicht sein direkter Vorgesetzter werden würde, unterließ der Ingenieur hier das Nachhaken.
Im Freudentaumel kann schon einmal die Vorsicht verloren gehen! Wenig Erfahrung zeigte der Kandidat auch beim Thema Umzug seiner Familie. Obwohl er zur Probezeit noch gar nicht angetreten war, zieht er mit Sack und Pack 500 Kilometer um. Er ist sich seiner Sache offensichtlich ganz sicher! Besser wäre es gewesen vor Antritt des neuen Jobs durchzuatmen und den Kopf frei zu bekommen, die Konzentration ganz und gar auf das neue Engagement zu legen. Stattdessen mußte Wohnraum gesucht und vorbereitet werden, die Gewöhnung der Familie mit Kleinkind an ein neues soziales Umfeld war zu leisten usw. Und, was heute zum Glück sehr selten vorkommt, was hätte der Kandidat getan, wenn der Arbeitgeber schon vor Dienstantritt sein Interesse an ihm verloren hätte?
Schluss nach der Probezeit – reine Formsache
Bleibt noch die Klärung, warum unser Ingenieur auf der Streck blieb. Hatte er die berühmten silbernen Löffel gestohlen, seine Kollegen beleidigt, die Dienstzeiten in der Probezeit nicht eingehalten oder weißes Pulver im Aktenkoffer? Nichts dergleichen. Er war unter Kollegen und bei Kunden sehr beliebt. Einige Kollegen solidarisierten sich sogar mit ihm und drohten dem Betriebsrat mit eigenen Konsequenzen, wenn die Kündigung vollstreckt würde.
Doch gegen Eitelkeiten von Führungskräften ist schwer anzugehen. Der Ingenieur wurde damals vom Teamleiter und Personalreferenten gegen die Empfehlung (nicht gegen die Anweisung) des Abteilungsleiters eingestellt, was letzterem überhaupt nicht schmeckte. Er sah schlichtweg nicht die Notwendigkeit, einen reinen Projektmanager einzustellen, der nicht direkt programmieren kann. Aufgrund seines hohen Stellenwertes im Unternehmen („bester EBIT“ im ganzen Unternehmen und damit von immenser Wichtigkeit für die Geschäftsführung des Unternehmens) hatte der Abteilungsleiter wenig Skrupel, dem Teamleiter ordentlich die Leviten zu lesen. Der Teamleiter sprang zwar nicht gleich aus dem Fenster des Hochhauses, erkrankte jedoch ernsthaft. Auch der Personalreferent entging der Axt im Walde nicht. Der Rest, den neuen Mann in der Probezeit wieder loszuwerden, war nur noch reine Formsache für einen eiskalten Manager.
Dem Betriebsrat sind in der Probezeit die Hände gebunden
Der Betriebsrat zeigte mehr Rückgrat, entschuldigte sich bei dem Ingenieur und sorgte noch für eine angemessene Prämie für das eingefahrene Projekt. Er betonte aber auch, dass ihm leider in der Probezeit die Hände gebunden wären – und ein solcher Fall im Unternehmen einmalig sei. Schlecht gelaufen für den Kandidaten, dennoch blieb ihm das Glück des Tüchtigen. Der Geschäftsführer des Konkurrenzunternehmens stellte ihn umgehend zu unwesentlich schlechteren Bedingungen ein. Er hatte ihn ja in der Präsentation beim Kunden erlebt und war von ihm begeistert. Diesmal blieben die Sektflaschen aber für die nächsten 6 Monate im Kühlschrank!
Auf das Glück einer schnellen Anschlussbeschäftigung nach einer verpatzten Probezeit kann nicht jeder bauen. Das zeigt allemal wie wichtig es ist, in den Vorstellungsrunden alle Sensoren auszufahren, um sprichwörtlich das Gras wachsen zu hören, und nur wenig dem Zufall überlassen. Insbesondere, wenn Aufgaben, Anforderungen u.ä. angesprochen werden oder gar die Erwartungshaltungen der verschiedenen Ansprechpartner im Unternehmen differieren, muss Klarheit her. Nur so kann entschieden werden, ob man letztlich zu dem neuen Arbeitgeber passt oder nicht.
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