Mehr Frauen auf den Bau!
In der Baubranche sind Ingenieurinnen bislang wenig vertreten. Doch der Wandel der Männerdomäne hat begonnen.
So manches Vorurteil hält sich hartnäckig, selbst wenn die Realität es längst überholt hat. Das gilt auch für die Idee, dass Frauen, kurz gesagt, auf dem Bau nichts zu suchen hätten. Lange galt die Arbeit dort generell als hart, schmutzig und schwer, der Ton rau – reine Männersache also, oder?
Erst vor 30 Jahren, im Jahr 1994, so berichtet Klara Geywitz, die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, in ihrer Rede „Bauen und Frauen: ,Der Kulturwandel auf dem Bau muss weitergehen‘“, sei es Frauen in den alten Bundesländern erlaubt worden, auf dem Bau zu arbeiten. Mal abgesehen davon, dass die Branche schon immer mehr zu bieten hatte als nur Schleppen, Stemmen und Wuchten, zeigt die aktuelle Datenlage, wie langsam sich traditionelle berufliche Strukturen ändern: Erst 13 % der Beschäftigten im gesamten Baugewerbe sind laut dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) weiblich. Aber ein differenzierter Blick lohnt sich, denn Bau ist nicht gleich Bau, wichtige Rahmenbedingungen haben sich geändert und Frauen sind zunehmend gefragt.
Die meisten Frauen arbeiten in den Bereichen Architektur und Planung
Schülerinnen und Schüler, die sich bei einer Berufsberatung für ein Studium oder eine Ausbildung in einem Bauberuf interessieren, dürfte überraschen, wie viele unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten sie haben: im Hoch- und Tiefbau, der Bauplanung, bei vorbereitenden Baustellenarbeiten, Ausbau- und Installationsarbeiten, in der Baumaschinenentwicklung und -produktion, der Baustoffindustrie – und die Auflistung ist noch nicht einmal vollständig.
Das „Frauennetzwerk-Bau“ des HDB
- wurde 2023 gegründet
- hat Bundesbauministerin Klara Geywitz als Schirmherrin
- soll Frauen aller baubezogenen Tätigkeiten als Forum des Austauschs und der Förderung dienen
- bietet Workshops, Veranstaltungen und Webinare an
- entwickelt Mentoring-Programme für weiblichen Führungs- und Fachkräftenachwuchs, Studentinnen und weibliche Auszubildende
Der aktuelle Anteil der weiblichen Beschäftigten variiert je nach Einsatzbereich stark. Nach Angaben des HDB arbeiten die meisten Frauen in den Bereichen Architektur und Planung: Ihr Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt in den Architekturberufen bei 52,7 %, in der Stadt- und Raumplanung sogar bei 54,6 %, in der Bauabrechnung und -kalkulation bei 30 % und in der Bauplanung und -überwachung bei 27,2 %. Ganz anders sieht es dagegen bei den gewerblichen Berufen im Rohrleitungsbau, Kanal- und Tunnelbau sowie dem Beton- und Stahlbeton aus: Hier liegt der Frauenanteil bei weniger als 1 %.
Frauen sind besonders gut qualifiziert
Der Blick in die HDB-Statistik zeigt, dass Frauen erstens vor allem in solchen Berufen der Baubranche arbeiten, die eine höhere Qualifikation erfordern, und zweitens, dass sie für ihre Arbeit besonders gut qualifiziert sind. Dahinter steht nach Beobachtungen des Bauindustrieverbandes NRW auch die Vorstellung, mehr leisten zu müssen als männliche Kollegen, und dies wird bereits in den Fachstudiengängen sichtbar: Studentinnen fallen bei Prüfungen seltener durch als Studenten und die Abschlussnoten der Absolventinnen sind besser als die der Absolventen.
Doch im Arbeitsalltag geht es um mehr als die formale Qualifikation. Beate Wiemann, Hauptgeschäftsführerin des Bauindustrieverbands NRW, sieht den Vorstoß weiblicher Fach- und Führungskräfte in die traditionell männlich geprägte Unternehmenskultur als enormen Vorteil: „Frauen sind ohne Frage ein großer Gewinn für die Bauindustrie, denn sie bringen wertvolle Kompetenzen und frische Perspektiven ein, die den Wandel der Branche voranbringen. Mit ihrer strukturierten Herangehensweise und ihrem Blick für Details leisten sie einen entscheidenden Beitrag zur Qualität und Sicherheit von Bauprojekten. Zudem fördern ihre Kommunikationsstärke und Teamorientierung die Zusammenarbeit und stärken das Miteinander im Projektalltag – ein Vorteil für alle Beteiligten.“
Wiemann betont neben den eher „typisch weiblichen“ Verhaltensweisen einen weiteren Aspekt, den sie als großen Pluspunkt wertet: „Durch ihre Offenheit für technologische Innovationen und Nachhaltigkeit unterstützen Frauen die Bauindustrie dabei, zukunftsfähig und attraktiv für kommende Generationen zu bleiben.“
Flexible Arbeitszeitmodelle gewünscht
In der Baubranche sieht es nicht anders aus als in anderen Branchen, die gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt eine entscheidende Rolle. Beate Wiemann betont: „Gerade im Bereich der Bauplanung und -überwachung bieten viele Unternehmen flexible Arbeitszeitmodelle und die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert. Es entstehen außerdem zunehmend neue Tätigkeitsfelder, die gut auch remote oder in Teilzeit ausgeübt werden können.“
Ganz oben in der Bauindustrie ist die Luft für weibliche Beschäftigte extrem dünn. Um nur drei Beispiele zu nennen: Bei der Strabag SE sind vier von vier Vorstandsposten männlich besetzt, bei der Bauer AG zwei von zwei, bei der Hochtief AG drei von vier.
Hinzu kommt, nicht überraschend, der Gender-Pay-Gap in der Branche. Ein Blick auf die Architekturberufe zeigt: Frauen verdienen deutlich weniger als Männer. Je nach Berechnungsmethode, die entweder Aspekte wie Berufserfahrung, zum Beispiel einige geringere Berufserfahrung durch eine Teilzeitbeschäftigung, die Unternehmensgröße und die Position im Unternehmen einbezieht, ergeben sich Einkommensunterschiede von einem Zehntel bis über einem Viertel.
„Gleichstand der Geschlechter“?
Angesichts des Gender-Pay-Gaps und traditioneller Branchenstrukturen stellt sich auch bei neuen Rahmenbedingungen die Frage, ob es jemals zu einem „Gleichstand der Geschlechter“ im Bauwesen kommen wird.
Beate Wiemann zeigt sich, wenn auch ein wenig verhalten, optimistisch. „Das ist schwer vorherzusagen. Die Branche hat sich jedoch das klare Ziel gesetzt, den Frauenanteil kontinuierlich zu steigern. Die zunehmenden Zahlen von Frauen im Bauingenieurstudium sind ein ermutigendes Zeichen und die Bauindustrie bietet beispielsweise auch Quereinsteigern in der zweiten Karrierehälfte attraktive Möglichkeiten zum beruflichen Neustart.“
Heute sei der Umgang auf Baustellen deutlich kollegialer und respektvoller als früher, sagt Wiemann. „Durch Innovationen wie Robotik, neue Bauverfahren und Digitalisierung wird das Berufsspektrum breiter und vielseitiger – ideale Voraussetzungen für eine diversere Belegschaft in der Zukunft.“
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