Mehr Frauen für MINT-Berufe gewinnen – so kann es gehen!
Camila Cruz Durlacher, Chemikerin mit einem Master in Polymerwissenschaften und globaler Operations Lead für Forschung und Entwicklung bei 3M, arbeitet seit über 20 Jahren in führenden Positionen im Bereich Forschung und Entwicklung des Multitechnologiekonzerns. Sie ist seit 2019 am europäischen Forschungsstandort von 3M in Neuss tätig und engagiert sich für die Förderung von Frauen in MINT-Berufen. Darüber sprechen wir heute in diesem Interview.
Frage: Können Sie uns Ihren beruflichen Werdegang und die wichtigsten Stationen Ihrer Karriere kurz skizzieren?
Antwort Camila Cruz Durlacher: Nach dem Chemiestudium und einem Master in Kunststofftechnik habe ich im Jahr 2000 meine berufliche Laufbahn bei 3M in Brasilien begonnen. Dort hatte ich die ersten 10 Jahre unterschiedliche Rollen im Bereich Forschung und Entwicklung inne. Danach war ich für kurze Zeit in den USA für Produkte im Bereich Atemschutz tätig. 2014 bin ich nach Argentinien gezogen, um die Leitung des Labors für Entwicklung, Qualität und Regulierungen in Argentinien zu übernehmen. Nach einem Jahr ging es für mich zurück in die Heimat, nach Brasilien. Dort habe ich den gesamten Bereich Forschung und Entwicklung für das Unternehmen geführt. Seit 2019 lebe ich in Deutschland. Zunächst, um für Europa, den Mittleren Osten und Afrika die Forschung und Entwicklung zu leiten. Heute bin ich der globale Operations Lead für Forschung und Entwicklung.
Sind Ihnen in Ihrer Laufbahn geschlechtsspezifische Klischees oder Vorurteile begegnet? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?
Nein. Durch Vorgesetzte oder Führungskräfte habe ich glücklicherweise keine Vorurteile erlebt. Allerdings hat mich während meiner Schwangerschaft einmal eine US- Kollegin gefragt, ob ich nun aufhören wolle zu arbeiten. Das fand ich sehr unangebracht. Denn für mich ist es völlig normal als Frau zu arbeiten und gleichzeitig eine Familie zu haben.
Vorbilder in der MINT-Karriere
Hatten Sie in Ihrer Karriere Vorbilder oder Mentoren, die Sie inspiriert und unterstützt haben? Welche Rolle spielten diese in Ihrem beruflichen Werdegang?
Ich hatte keine konkreten Karriere-Vorbilder, denen ich nacheifern wollte. Für mich ist meine Mutter die größte Inspiration. Sie war immer für ihre Familie da und hat gleichzeitig ihre Karriere nie aus den Augen verloren. Als geschiedene Frau war das nicht einfach, aber sie ist unabhängig und selbstständig geblieben. Dadurch habe ich früh gelernt, wie wichtig es ist, für mich selbst sorgen zu können.
Später gab es immer wieder Begegnungen und Kontakte, die mich inspiriert haben: So hatte ich einen Chemielehrer, der mich in meinem Interesse an der Naturwissenschaft besonders bestärkt hat. Und durch einen Freund, der damals in einem deutschen Chemieunternehmen gearbeitet hat, bin ich erst darauf gekommen, Chemie zu studieren. In den vergangenen Jahren bei 3M gab es aber auch viele unterschiedliche Menschen, die mir geholfen haben, die mich inspiriert haben oder von denen ich gelernt habe.
Insgesamt früh das Interesse für MINT-Themen wecken
Welche Initiativen und Maßnahmen halten Sie für besonders wirksam, um mehr Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen und zu fördern?
Für den wissenschaftlichen Fortschritt sehen wir bei 3M eine vielfältige Belegschaft als elementaren Baustein. Wir sollten deshalb insgesamt früh das Interesse für MINT-Themen wecken. Mit 3M sind wir zum Beispiel dieses Jahr wieder beim Türöffner-Tag der Sendung mit der Maus vertreten, wo wir auch schon vor der Pandemie regelmäßig aktiv waren. Dabei können Kinder spielerisch Technologie entdecken.
In unserem eigenen Workshop-Format „Science is Fun“ begeistern unsere Mitarbeitenden Schülerinnen und Schüler mit Experimenten für Naturwissenschaften. Und gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels im MINT-Bereich fördert 3M insbesondere Mädchen und Frauen in der Wissenschaft. So engagiert sich 3M in Initiativen wie dem Girls’Day, einem bundesweiten Berufsorientierungstag für Mädchen.
Was halten Sie vom sogenannten Scully Effect, der Theorie, dass weibliche Vorbilder in Medien Frauen dazu inspiriert haben, MINT-Karrieren zu verfolgen? Haben Sie selbst ein solches Vorbild gehabt?
Sichtbare Vorbilder sind immens wichtig, vor allem für weniger repräsentierte Gruppen, wie für Frauen. In der Wissenschaft herrschte zum Beispiel lange das Klischee vom nerdigen, männlichen Wissenschaftler. Um diese Vorurteile auszuräumen, sind auch etwa Influencerinnen im Bereich Science eine Möglichkeit. Ich selbst hatte kein Vorbild, sondern bin immer meinen eigenen Weg gegangen. Gerade deshalb, freue ich mich jetzt für andere ein Vorbild zu sein.
Internationale Unterschiede in der Arbeitskultur
Sie haben Labore in verschiedenen Ländern geleitet. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten haben Sie in der Arbeitskultur und im Umgang mit Vielfalt und Inklusion zwischen Brasilien, Argentinien, den USA und Deutschland festgestellt?
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Arbeitnehmerschutz unterscheiden sich zum Teil sehr stark: In den USA gibt es kaum oder nur sehr kurze Möglichkeiten für Mutterschutz oder Elternzeit und diese sind in der Regel unbezahlt. Im Gegensatz zu Deutschland. Hier ist Mutterschutz ein wichtiges Thema. Aber die Familienplanung hat auch hier Konsequenzen für die Situation von Frauen, etwa durch geringeres Einkommen während der Schwangerschaft und niedrigere Rentenbezüge durch vermehrte Teilzeitarbeit nach dem Mutterschutz. Das ist eine Schwierigkeit für Frauen in Deutschland. Das hat mich überrascht, nachdem ich hierhergezogen bin.
Welche konkreten Maßnahmen und Programme bei 3M, wie z.B. das Technical Women’s Leadership Forum oder der Girls Day, haben sich Ihrer Meinung nach als besonders effektiv erwiesen?
Bei 3M haben sich zwei Initiativen als besonders wertvoll erwiesen: zum einen das Technical Women’s Leadership Forum. Hier kommen Frauen aus technischen Berufen für Diskussionen und gegenseitige Unterstützung zusammen. Dabei müssen die Teilnehmerinnen nicht unbedingt Leadership Funktionen innehaben, Hauptsache, sie bringen sich ein. Dieses Netzwerk bietet auch Mentoring an. Daneben organisieren wir noch sogenannte Lean-In-Circles, die den Austausch zwischen Frauen fördern. In den Circles kommen circa zehn Frauen zusammen, um individuelle Erfahrungen zu teilen und sich in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
„Man kann alles schaffen, wenn man es will!“
Welche Entwicklungen und Trends sehen Sie in den nächsten Jahren im Bereich Frauen in MINT-Berufen? Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, um die Beteiligung von Frauen weiter zu steigern?
Es ist wichtig und richtig, dass wir zunehmend über das Thema sprechen. Sei es bei 3M, in der Politik, in der Kultur, oder in der Erziehung – es gibt einen Diskurs darüber, wie wir mehr Frauen für den MINT-Bereich begeistern können. Auch die Gesetzgebung trägt ihren Teil dazu bei: Durch die seit 2016 verpflichtende Quote von 30 Prozent von Frauen in Aufsichtsräten von voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen werden jetzt und auch künftig mehr Frauen auf Top Positionen vorbereitet.
Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben, die eine Karriere in einem MINT-Bereich anstreben? Welche Fähigkeiten und Einstellungen sind besonders wichtig?
Mein Rat ist: Man kann alles schaffen, wenn man es will! Aber man muss dafür arbeiten und gut vorbereitet sein.
Wie schaffen Sie es, die Balance zwischen Ihrer anspruchsvollen beruflichen Tätigkeit und Ihrem Privatleben zu halten? Welche Strategien oder Unterstützungen helfen Ihnen dabei?
Die perfekte Balance ist nicht immer möglich, aber ich bemühe mich. Es ist mittlerweile einfacher, zwischen Berufs- und Privatleben eine Balance zu halten als noch zu Beginn meiner Karriere. Hier hat sich viel getan. Beides miteinander zu vereinbaren, wird heutzutage positiver bewertet und ist gesellschaftlich akzeptiert. Und gerade durch die Pandemie hat sich viel verändert: Flexible Arbeitszeitmodelle, wie unser 3M Work your Way, erlauben mir, mehr Zeit zuhause zu verbringen und gleichzeitig die volle Leistung abzurufen. Ich habe auch einen tollen Partner an meiner Seite. Wir teilen unsere familiären Pflichten gleichmäßig auf. Denn: Familie ist nicht nur ein Frauenjob, dazu gehören beide Elternteile.
Vielen Dank für das Interview!
Camila Cruz Durlacher ist eine angesehene Chemikerin mit einem Master in Polymerwissenschaften, den sie an renommierten brasilianischen Universitäten erworben hat. Seit über 20 Jahren ist sie bei 3M tätig und leitet heute von Neuss aus die globalen Forschungsaktivitäten von 3M. Ihre beeindruckende Karriere bei 3M umfasst Tätigkeiten in Produktentwicklung, geistigem Eigentum, Qualität und behördlichen Angelegenheiten, sowie die Leitung von Laboren in Brasilien, Argentinien und den USA.
Im Jahr 2019 zog Camila mit ihrer Familie nach Deutschland und ist seither am europäischen Forschungsstandort von 3M in Neuss tätig. Neben ihrer beruflichen Expertise setzt sich Cruz Durlacher leidenschaftlich für Vielfalt und Inklusion ein, mit besonderem Fokus auf die Förderung von Frauen in MINT-Berufen. 3M unterstützt diese Initiativen durch das interne Netzwerk Technical Women’s Leadership Forum und die Teilnahme am Girls Day, um weibliche Führungskräfte im technischen Bereich zu fördern.
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