Mensch-Maschine-Interaktion neu gedacht: Myriam Erath ist ‚Young Engineer Woman‘ 2025
Die Auszeichnung „Young Engineer Woman“ 2025 würdigt junge Ingenieurinnen, die mit ihrem Fachwissen, Innovationskraft und Engagement maßgeblich zur Weiterentwicklung der Branche beitragen. Diese Anerkennung geht in diesem Jahr an Myriam Erath. Die Auszeichnung wurde im Rahmen der Hannover Messe beim Femworx-Kongress vergeben.

Technik mit Feingefühl – Myriam Erath denkt Mensch-Maschine-Interaktion neu und wird als "Young Engineer Woman 2025" ausgezeichnet.
Foto: Alexandra Ilina
Sie ist Mechatronik-Ingenieurin mit Schwerpunkt Sozio-Informatik und engagiert sich seit 2016 als Leiterin des Arbeitskreises Young Engineers im VDI. 2024 gründete sie Erath-CWO und die CWO GmbH, die KI-basierte Lösungen zur Automatisierung von Bestellprozessen im Maschinenbau entwickeln. Ihre Technologie optimiert unstrukturierte Bestellungen und integriert diese in ERP-Systeme.
Neben ihrer unternehmerischen Tätigkeit veröffentlichte Myriam Erath eine wissenschaftliche Arbeit zur IT-Entwicklung und wird 2025 eine neue Studie zur Schnittstelle zwischen Beratungs- und Softwareindustrie im Springer Verlag publizieren.
All das hat Myriam zu einer Vorreiterin im MINT-Bereich gemacht. Ihr Innovationsgeist und ihr Engagement in Wissenschaft, Wirtschaft und Ehrenamt setzen ein deutliches Zeichen und zeigen jungen Frauen, dass sie in technischen Berufen erfolgreich sein können. Herzlichen Glückwunsch Myriam Erath zum „Young Engineer Woman“ Award!
Myriam, was inspirierte Sie, Ingenieurin zu werden?
Rückblickend war es wahrscheinlich so, dass ich schon immer ein gutes Gefühl für Mathe und Physik hatte und dadurch früh wusste, dass ich etwas Technisches machen möchte. In den Bereich Mechatronik bin ich eher zufällig geraten – ich hatte mich für ein duales Studium beworben, und die Firma hat einfach gepasst: die Atmosphäre, das Team, und mein erster Chef, Lars Wegmann, war großartig. So bin ich quasi in diesen Bereich „hineingerutscht“.
Die eigentliche Begeisterung für Technik ist dann aber erst im Studium gewachsen. Mit der Zeit habe ich gemerkt, wie spannend es ist, Technik nicht nur zu verstehen, sondern auch aktiv mitzugestalten. Besonders fasziniert hat mich schließlich der Übergang vom klassischen Maschinenbau und der Elektrotechnik hin zur Informatik – speziell zur Mensch-Maschine-Interaktion und Sozio-Informatik.
Mich begeistert heute vor allem die Schnittstelle zwischen Technik und Mensch. Also die Frage: Wie können wir hoch entwickelte technische Produkte so gestalten, dass sie sich wirklich gut anfühlen in der Anwendung? Dass sie nicht nur funktionieren, sondern Spaß machen, intuitiv bedienbar und effizient sind. Mein Eindruck ist oft, dass gerade im technischen Bereich die letzten 20 % – also der Feinschliff in der Nutzererfahrung – von Männern nicht konsequent mitgedacht werden. Die Produkte funktionieren, ja – aber im Alltag spürt man, dass es noch besser gehen könnte. Genau in dieser Lücke sehe ich mein Potenzial: Technik zu entwickeln, die nicht nur funktioniert, sondern sich auch wirklich gut anfühlt.
Mensch-Maschine-Interaktion auf ein neues Niveau bringen
Können Sie erklären, was Sie mit den „letzten 20 %“ genau meinen?
Zum Beispiel, wenn ich vor einer großen Anlage mit SPS-Programmierung stehe, gibt es ja meist eine visuelle Oberfläche, über die man die Anlage bedienen kann. Solche Anlagen kosten locker 8 Mio. € – aber diese Benutzeroberflächen sind in der Regel nicht durchdacht. Man sieht die komplexen Anlagendaten nicht klar und eindeutig, bekommt keine vernünftigen Auswertungen. Und genau das ist für mich Mensch-Maschine-Interaktion. Das ist das, was mich begeistert: dort mehr Effizienz reinzubringen, damit die Maschinen im täglichen Doing nicht nur funktionieren, sondern auch gerne und intuitiv genutzt werden.
Können Sie an einem Beispiel erklären, wie es in Ihrem Unternehmen, der CWO GmbH, abläuft?
Wir automatisieren Bestellungen im B2B-Bereich, vor allem im produzierenden Gewerbe bei Losgrößen von etwa 1 bis 5.
Der aktuelle Prozess ist oft noch ganz altmodisch: Da schreibt jemand eine E-Mail mit dem Inhalt „Ich brauche diese und jene Ersatzteile, diese Schrauben, passend zur technischen Zeichnung, zum Zylinder, zum Kompressor“ – wie auch immer.
Das ist im Moment extrem mühsam zu bearbeiten, weil man genau herausfinden muss: Welcher Kompressor ist das? Welche Schraube ist gemeint? Dabei sind all diese Informationen eigentlich schon vorhanden. Und genau da setzen wir mit KI an: Wir analysieren die bestehenden Kunden- und Artikeldaten, erkennen, was der Besteller wirklich meint, und legen die Bestellung automatisch an. Und plötzlich macht es viel mehr Spaß – sei es beim Produzieren der Schraube oder beim Versenden.

Auszeichnung für die Ingenieurinnen von morgen – Der „Young Engineer Woman“-Award 2025 feiert Innovationskraft, Engagement und Vorbilder im MINT-Bereich.
Foto: Alexandra Ilina
Heiko Mell inspiriert junge Generation
Wie sind Sie zu VDI Young Engineers gekommen?
Das ist eine lustige Geschichte. Es fing damit an, dass die Young Engineers bei uns in der Vorlesung waren. Unser Mathematik-Professor, Herr Professor Stelzle, hatte immer die VDI nachrichten gelesen, speziell den Karriere-Blog von Heiko Mell, in dem auch regelmäßig Artikel zu verschiedenen Themen rund um den Ingenieurbereich erschienen. Am Ende der Vorlesung, wenn wir ein bisschen früher fertig waren, weil wir gut gerechnet hatten, las Professor Stelzle oft einen Artikel von Heiko Mell vor, und so bin ich auf die VDI nachrichten aufmerksam geworden. Die Texte von Heiko Mell waren eher auf die ältere Generation ausgerichtet, und wir, die Studierenden, haben uns immer amüsiert.
Warum?
Wir haben dann immer darüber diskutiert: Ist das noch so? Hat sich das geändert? Wie sehen wir das heute? Die Artikel waren ja oft humorvoll geschrieben, was die Diskussionen zusätzlich auflockerte. Wir haben das dann meistens kurz und mit einem Lächeln besprochen, bevor die Vorlesung zu Ende war.
Dann kamen Vertreter des Young Engineers-Ortsverbands in die Vorlesung und haben uns eingeladen, auch Mitglied bei den Young Engineers zu werden – genau das habe ich dann auch gemacht. Der VDI und insbesondere die Young Engineers boten uns jungen Ingenieuren jedoch eine großartige Gelegenheit zum Netzwerken und Austausch.
Wie vereinbaren Sie Ihre Tätigkeit als Unternehmerin und Ingenieurin mit Ihrem Engagement für VDI Young Engineers?
Das ist eigentlich ganz einfach, weil mir die Arbeit im VDI viel Spaß macht. Die Vorstandssitzungen finden oft abends oder nachmittags statt, sodass es sich gut mit meinem Arbeitsalltag als Unternehmerin vereinbaren lässt. Für mich ist die Tätigkeit im VDI zudem äußerst wertvoll, da ich dadurch tiefere Einblicke in die Branche und den Maschinenbau bekomme. Bei Firmenbesichtigungen und im Austausch mit Fachleuten aus verschiedenen Abteilungen kann ich viel lernen. Ich treffe dort Menschen, die in der Praxis tätig sind, und kann mich direkt mit ihnen über ihre Herausforderungen und Bedürfnisse austauschen. Das hilft mir als Unternehmerin enorm, da ich so besser verstehe, was in der Branche wirklich bewegt wird und wo ich mit meinem Unternehmen ansetzen kann.
Unterstützung von Mentoren
Welche Tipps würden Sie jungen Ingenieurinnen und Ingenieuren geben, die eine ähnliche Karriere anstreben?
Das Ingenieurfeld ist unglaublich breit. Man kann in so vielen unterschiedlichen Bereichen arbeiten – von Biologie und Chemie über Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik bis hin zum Aerospace-Bereich, der noch mal ganz eigene Herausforderungen bietet.
Deshalb würde ich empfehlen, sich wirklich die verschiedenen Ingenieurbereiche anzusehen und herauszufinden, was einen wirklich inspiriert. Wo hat man Freude daran, zu arbeiten? Es geht darum, richtig motiviert zu sein und an Projekten zu arbeiten, die einen begeistern.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, sich Unterstützung von Mentoren zu holen – von Menschen, die bereits einen oder mehrere Karriereschritte weiter sind. Der Austausch mit ihnen und das Vernetzen kann unglaublich wertvoll sein.
Für mich war der VDI ein großer Vorteil: Durch den Deutschen Ingenieurtag und kleinere Veranstaltungen habe ich viele Führungskräfte aus kleinen und mittelständischen Maschinenbauunternehmen kennengelernt. Dadurch konnte ich direkt mit ihnen in Kontakt treten – sei es, um Feedback zu einem Produktprototypen zu bekommen oder um nach neuen Geschäftsmöglichkeiten zu fragen. Oft reicht es, jemanden über LinkedIn zu kontaktieren oder kurz anzurufen, und sie helfen gerne, weil man sich schon bei einer Veranstaltung begegnet ist. Dieser persönliche Kontakt ist extrem wertvoll, weil man schnell Feedback erhält und sich gegenseitig unterstützt.

Myriam Erath automatisiert Bestellprozesse und macht Mensch-Maschine-Interaktion intuitiv.
Foto: Alexandra Ilina
Wie stellen Sie sich Ihre Rolle als Ingenieurin in 20 Jahren vor?
Das ist eine interessante Frage, über die ich noch nicht intensiv nachgedacht habe, weil ich oft im Hier und Jetzt agiere. Aber wenn ich mir die Zukunft vorstelle, könnte ich mir gut vorstellen, dass ich in den Bereich Haushaltsroboter und Mensch-Maschine-Interaktion gehe. Gerade diese Themen wie Haushaltsroboter, Paketlieferung und alles, was mit der Revolution von Haushaltstechnik zu tun hat, haben enormes Potenzial.
Wenn ich an die nächsten 20 Jahre denke, könnte ich mir vorstellen, ein weiteres Unternehmen zu führen, das sich auf Haushaltsroboter spezialisiert – nicht nur in Bezug auf ihre Funktionalität, sondern auch darauf, wie sie sich in Familienumfeldern verhalten. Wie kann ein Roboter, der in seiner Aufgabe gut ist, so programmiert werden, dass er für eine angenehme Atmosphäre sorgt? Zum Beispiel in einer Familiensituation, wo der Roboter nicht nur effizient arbeitet, sondern auch sozial integriert wird.
Ein Beispiel, das mir immer wieder auffällt, ist meine Nichte, die Angst vor dem Staubsaugerroboter hat. Sie ist zwei Jahre alt und der Roboter kann nicht eingeschaltet werden, wenn sie im Raum ist, weil sie ihn fürchtet. Das ist für mich als Ingenieurin traurig, weil der Roboter an sich technisch hervorragend ist – aber er verhält sich in Bezug auf Kleinkinder nicht optimal.
Ich denke, es ist wichtig, genau solche Situationen zu analysieren und zu verstehen, was ein Roboter braucht, um für Kinder und Familien angenehm zu sein. Diese Details – die letzten 20 % – machen den Unterschied. Der Roboter saugt zwar gut, aber er muss sich auch im Familienumfeld gut einfügen. Genau hier sehe ich einen großen Bedarf, der oft von Männern übersehen wird.
Das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie für beide Geschlechter
Wie können mehr Frauen für technische Berufe begeistert und motiviert werden?
Es gibt zwei wichtige Ansätze, um mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern.
Erstens denke ich, dass es entscheidend ist, von klein auf keine stereotypischen Rollenbilder zu vermitteln. In meiner Familie durfte jedes Geschlecht alles machen. Ich hatte Lego, eine Kugelbahn, Autos und konnte mit allem spielen. Ich glaube, es ist wichtig, Mädchen die Freiheit zu geben, sich das Spielzeug auszusuchen, mit dem sie sich anfreunden wollen, und ihnen auch technische Spielzeuge anzubieten. Es geht darum, Vielfalt zu ermöglichen und den Raum zu schaffen, dass sich jeder unabhängig vom Geschlecht für Technik begeistern kann.
Zweitens sehe ich oft, dass viele talentierte Ingenieurinnen nach der Schwangerschaft nicht in ihren Beruf zurückkehren, weil die Männer nicht genug Verantwortung im Haushalt und bei der Kinderbetreuung übernehmen. Hier müssen wir als Gesellschaft und auch in den Unternehmen mehr tun. Wenn Frauen ihre Karriere fortsetzen wollen, bedeutet das nicht, dass die Familie zurückstecken muss. Es bedeutet, dass Männer mehr Care-Arbeit übernehmen sollten, damit Frauen sich zutrauen, wieder in den Job einzusteigen, und das auch in einer angemessenen Position. Das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie muss für beide Geschlechter möglich sein.
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