Recruiting: So wird man im Job unabdingbar
Viel hilft viel? Im Recruiting wird leider oft auf bloßen Headcount geschaut. Sprich: Wie viele Personen fehlen in welchem Team? Doch die rasanten Entwicklungen und Innovationen im technischen Bereich machen deutlich: Nur die Richtigen helfen viel.
Elise Müller, Vice President People & Culture beim Softwareunternehmen Spryker, sagt, wie man richtig rekrutiert – und wie man sich unverzichtbar macht.
Ingenieur.de: Wie macht man sich als Ingenieurin oder Ingenieur unverzichtbar?
Elise Müller: Die heutige Arbeitswelt verändert sich viel schneller als noch in früheren Generationen. Gerade in technischen Berufen sind durch neue Technologien oft auch neue Kompetenzen gefordert. Mitarbeitende, die hier Offenheit und Neugier für Innovationen zeigen und in der Lage sind, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten, sind für Unternehmen sehr wertvoll. Wir sehen das aktuell beim großen Trendthema Künstliche Intelligenz. Hier gibt es noch keine formalen Ausbildungsmöglichkeiten. Wer sich auf so einem relevanten Gebiet aus intrinsischer Motivation Kompetenzen aneignet und sich selbst befähigt, Wissen an andere im Unternehmen weiterzugeben, kann sich unverzichtbar machen.
Agil und anpassungsfähig sein
Was sind die neuen Kernkompetenzen – gerade im technischen Bereich?
Lern- und Entwicklungsfähigkeit sind ganz zentral. Dazu gehört die angesprochene Offenheit gegenüber neuen Technologien. Es geht grundsätzlich um einen konstruktiven Umgang mit sich verändernden Gegebenheiten. Ich kann Veränderungen als störend oder bedrohlich empfinden, weil sie meine Gewohnheiten und sicheren Routinen durchbrechen. Oder ich kann mich fragen: Wie kann mir diese Neuerung dabei helfen, meinen Job besser zu machen? Wie können wir als Unternehmen profitieren? Menschen, die in ihrem Denken agil und anpassungsfähig sind, kommen mit sich verändernden Umfeldern besser zurecht. Um neue Themen effizient und strukturiert anzugehen, braucht es dann noch gewisse Projektmanagement-Kompetenzen.
Ihre Tipps: Wie macht man möglichst geschickt auf die eigenen Fähigkeiten aufmerksam?
Indem man zum Beispiel bei der Vergabe von Projekten, Zuständigkeiten und Themen aktiv die Hand hebt, anstatt darauf zu warten, dass man angesprochen wird. Indem man aus eigenem Antrieb die eigenen Fähigkeiten gewinnbringend einbringt – und sein Wissen und Können nicht nur für sich behält, sondern bereitwillig im Team und gerne auch zum Beispiel auf dem persönlichen LinkedIn-Profil teilt.
Es muss ein Umdenken im Recruiting stattfinden
Was läuft im Recruiting schief?
Unternehmen achten zu oft auf Kapazitäten und nicht auf Fähigkeiten. Sie legen den Fokus auf Rollen und nicht auf Kompetenzen. Es werden oftmals nicht die richtigen Talente eingestellt, weil nicht nach den richtigen Kompetenzen gesucht wird. Es muss ein Umdenken stattfinden. Die Frage ist nicht: Was für Fähigkeiten brauche ich heute? Viel wichtiger ist: Was brauche ich morgen? Unternehmen müssen transparenter und authentischer über ihre Arbeitgebermarke kommunizieren, um die eigene Attraktivität zu steigern. Markenbotschafter aus den eigenen Reihen machen dabei oft den Unterschied. Aber in Zeiten des Fachkräftemangels kann ich mich als Unternehmen auch nicht nur auf meine Attraktivität verlassen, sondern muss selbst aktiv werden und geeignete Kandidat:innen ansprechen.
Wie spricht man Top-Kräfte an?
Die Stellenanzeige darf nicht nach 0815-Job klingen, das Gehaltspaket muss attraktiv sein und die Benefits müssen einen Unterschied machen. Außerdem hört man noch zu häufig von schlechten Kandidatenerfahrung im Recruitingprozess. Lange Wartezeiten auf Rückmeldungen, wenig wertschätzende Kommunikation und sogar „Ghosting“, bei dem Kandidat*innen gar keine Rückmeldungen mehr bekommen. Dabei können sich Unternehmen sowas eigentlich gar nicht mehr erlauben. Der Markt ist so schnelllebig, dass Talente aktiv aus schlechten Recruitingprozessen aussteigen, weil sie mehrere Angebote gleichzeitig haben. Im schlimmsten Fall machen es schlechte Bewertungen auf sozialen Plattformen noch schwerer, überhaupt an Talente heranzukommen.
Inwiefern verschärft der Fachkräftemangel die Lage?
Nicht mehr nur die wirklich guten Leute können aus verschiedenen Angeboten wählen, sondern nahezu alle Fachkräfte. Die Konkurrenz der Unternehmen um Arbeitskräfte ist also noch größer. Deshalb ist es ganz wichtig, sich als Unternehmen klar darüber zu sein, was mich gegenüber anderen absetzt und auszeichnet. Und das muss ich den Kandidat*innen dann auch klar kommunizieren. Wichtig ist hierbei, unbedingt authentisch zu bleiben. Ich habe nämlich nichts davon, wenn eine Person aufgrund falscher Versprechungen zu mir kommt und dann nach kurzer Zeit unzufrieden ist, weil die Realität nicht den Erwartungen standhält. Ein weiterer wesentlicher Punkt: Die sogenannte Retention, also das Halten von Mitarbeitenden, wird durch den Fachkräftemangel immer wichtiger. Denn in diesen Zeiten gute Leute zu verlieren, tut ganz besonders weh, weil es einfach schwierig, aufwendig und teuer ist, gleichwertigen Ersatz zu finden. Darum ist es wichtig in die Mitarbeitenden zu investieren, etwa in Form von Weiterentwicklungsmöglichkeiten und ansprechenden, sinnvollen Benefits.
Die Expertin
Elise Müller ist Vice President People & Culture beim Softwareunternehmen Spryker. Ihre Mission ist es, eine Unternehmenskultur und Atmosphäre zu schaffen, in der Talente gern und mit besonderem Antrieb arbeiten. Gemeinsam mit ihrem Team arbeitet sie an der Weiterentwicklung von HR-Prozessen, der globalen Talentakquise und einer ausgeprägten Feedback- und Lernkultur. Elise Müller ist verantwortlich für den Change-Prozess der Unternehmenskultur und beschäftigt sich dazu intensiv mit der neuen Arbeitswelt in der Digitalwirtschaft.
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