Karriere 12.12.2024, 08:00 Uhr

Überlastung am Arbeitsplatz: Genug ist genug

Die Arbeitsverdichtung nimmt für viele Beschäftigte zu. Wann es zu viel wird und wie Ingenieurinnen und Ingenieure reagieren können.

Überlastung führt zu schlechten Ergebnissen und sollte daher tunlichst vermieden werden. Foto: panthermedia.net/Diego Cervo

Überlastung führt zu schlechten Ergebnissen und sollte daher tunlichst vermieden werden.

Foto: panthermedia.net/Diego Cervo

Es ist ein altes Phänomen. Wer tüchtig ist, bekommt noch mehr Arbeit aufgedrückt. „Gerade Menschen, die Karriere machen und sich beruflich weiterentwickeln möchten, finden es meist gut, wenn ihnen der Vorgesetzte etwas zutraut“, meint dazu Oliver Haag, Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Konstanz und Autor des Buchs „Arbeitsrecht für Dummies“. Wir alle könnten eine Zeit lang Vollgas geben, aber irgendwann sei der Akku leer. Es kommt zu Konzentrationsstörungen und es schleichen sich immer mehr Fehler ein. Selbst in der Freizeit drehen sich alle Gedanken nur um die Arbeit. Haag rät, spätestens dann ein Gespräch mit dem Vorgesetzten zu führen.

Wenn das nicht hilft, wäre der nächste Eskalationsschritt die Überlastungsanzeige, auch um sich von einer möglichen Haftung zu befreien. Angestellte profitieren zwar von der Arbeitnehmer-Haftungsprivilegierung, das heißt, wenn sie auf der Arbeit Fehler begehen, haften sie grundsätzlich nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. „Sie sind aber in der Pflicht, Ihrem Arbeitgeber mitzuteilen, wenn Sie sich in einer erheblichen Überlastungssituation befinden, damit dieser reagieren kann.“

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Es gibt dafür zwar keine Formvorschrift. Haag empfiehlt aber, zu Dokumentations- und Beweiszwecken eine E-Mail zu schreiben. Diese sollte folgende Punkte enthalten: Was löst die Überlastungssituation aus? Warum ist sie eingetreten? Warum ist man nicht in der Lage, sie zu beseitigen? Welche Risiken können daraus entstehen? Am Ende wird der Arbeitgeber dazu aufgefordert, Abhilfe zu schaffen. „Nach einer formalen Überlastungsanzeige muss er aktiv werden“, so Haag. Ansonsten würde er selbst in eine Haftungssituation geraten. „Damit machen Sie sich natürlich nicht immer beliebt“, gibt er unumwunden zu.

Mit einer Gefährdungsbeurteilung gesundheitliche Belastungen erkennen

Es sei aber auch eine wichtige Statusmeldung an den Arbeitgeber, dass Personal fehlt und bestimmte Aufgaben nicht erfüllt werden können. Laut § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sollte es erst gar nicht so weit kommen. Demnach müssen Arbeitgeber – je nach Art der Tätigkeit – ermitteln, welchen Gefährdungen ihre Arbeitnehmer ausgesetzt sind und daraus entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen ableiten. Dazu gehören nach Abs. 3 Nr. 6 auch psychische Belastungen. „Mit der Gefährdungsbeurteilung sollen gesundheitliche Belastungen erkannt und bereits im Vorfeld verhindert werden“, kommentiert Axel Kowalski. Der Diplom-Psychologe ist Inhaber der Firma GeBeGe, die solche psychologischen Gefährdungsbeurteilungen für Unternehmen umsetzt. „Eine psychische Gefährdungsbeurteilung kann helfen, die Gründe zu objektivieren.“

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Die Symptome und Probleme könnten sich somit bestimmten Tätigkeitsfeldern zuordnen lassen. Dazu führt er u. a. Mitarbeiterbefragungen durch und bespricht das Ergebnis mit den zuständigen Kollegen. Gemeinsam suchen sie nach Lösungen, um die betroffenen Arbeitnehmer zu entlasten. Die könnten zum Beispiel darin bestehen, dass Mitarbeiter mit freien Kapazitäten angelernt oder bestimmte Prozesse umstrukturiert werden. „Ingenieure haben den großen Vorteil, dass sie von Haus aus Probleme logisch strukturieren können und sehr lösungsorientiert vorgehen“, erklärt Kowalski. Diese Ressource sollten sie nutzen.

Jeder Mensch hat individuelles Stressempfinden

Dabei können oft Kleinigkeiten viel bewirken. So wie die Führungskraft, die offenbar nichts so sehr fürchtete wie den Missbrauch des Etikettendruckers. „Da er stets im Bilde sein wollte, wer das Gerät nutzt, hat er es in seinem Büro aufgestellt“, erinnert sich Kowalski. Leider war er meist beschäftigt. Die Mitarbeiter durften dann den Raum nicht betreten und konnten ihre Etiketten nicht ausdrucken. Bis man auf die Idee kam, den Rechner des Entscheidungsträgers an die Ausgabe anzubinden, damit er auch zwei Räume weiter den vollen Einblick hatte. Die Lösung lag eigentlich auf der Hand.

„Manchmal muss man jedoch aus der täglichen Denkroutine ausbrechen, um auf den Trichter zu kommen.“ Viele Unternehmen veranstalten dazu Brainstormings. Aber Achtung. „Viele gute Lösungsansätze werden bereits im Keim erstickt, weil jemand meint, dass das nicht geht“, warnt Kowalski. Er empfiehlt, den Gedanken erst einmal weiterzuspinnen, ohne direkt auf die Ausführbarkeit zu achten. Und dann zu überlegen, was sich im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten umsetzen lässt.

Zurück zum Thema Überlastung. „Machen Sie sich als Führungskraft deutlich, dass jeder Mensch ein individuelles Stressempfinden hat.“ Daher sollte man es tunlichst vermeiden, von sich auf andere zu schließen. Er rät den Mitarbeitern vorurteilsfrei zuzuhören, ohne gleich das Problem direkt lösen zu wollen, und das Ganze einfach einmal sacken zu lassen. „Am Ende sollten Sie gleich das nächste Gespräch in Aussicht stellen.“ Bis dahin habe man sich vielleicht schon ein paar Gedanken gemacht und könne dann nach einer gemeinsamen Lösung suchen. „Eine Führungskraft ist natürlich kein Psychologe“, gibt Kowalski zu bedenken. Oft sei auch sie mit der Situation überfordert und würde daher den Dialog mit gefährdeten Mitarbeitenden meiden. „Wenn ein Problem aber nicht angegangen wird, dann wird es irgendwann riesengroß.“

Mit der Katastrophisierungsskala Überlastung vermeiden

In vielen Fällen können die Betroffenen einfach nicht Nein sagen und bekommen aus diesem Grund immer mehr Arbeit aufgelastet. „In diesem Fall sollten Sie sich fragen, warum Sie keine Grenzen setzen können, und versuchen, die Ursachen anzugehen“, meint dazu Kowalski. Oft würden die Betroffenen glauben, dass dann etwas Schlimmes passiert. In diesem Fall empfiehlt er die Übung der Katastrophisierungsskala: „Malen Sie sich das schlimmste Szenario aus, das Ihnen im Leben – beruflich und privat – geschehen könnte.“ Dann solle man überlegen, was passieren würde, wenn man Nein zu der neuen Aufgabe sagt. Das Ganze setzt man in Relation zueinander. „Wer möchte, kann auf einer Skala Punkte vergeben“, so Kowalski. Wenn das allerschlimmste Horrorszenario zehn Punkte hat und das Nein-Sagen z. B. drei Punkte, würde man ganz schnell erkennen, dass ein Nein doch nicht so furchtbar sei.

Ein Beitrag von:

  • Sabine Philipp

    Sabine Philipp arbeitet seit 2004 als freie Journalistin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Technik, Industrie und Wirtschaft.  In ihren Artikel befasst sie sich gerne mit der praktischen Umsetzung von innovativen Technologien und Gesetzesvorgaben.

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