Vor Publikum sprechen 15.03.2025, 10:16 Uhr

Virtuelle Plattform soll die Angst vor öffentlichen Reden nehmen

Nicht jeder ist ein geborener Redner, vielen fällt es sogar schwer, vor Publikum zu sprechen. Eine VR-Plattform der Universität Cambridge soll die Angst nehmen.

Redner

Vor Publikum sprechen zu können ist in vielen Berufen wichtig, doch nicht jeder ist ein geborener Redner. Eine VR-Plattform soll helfen.

Foto: Panthermedia / kasto (YAYMicro)

Die Angst vor dem Sprechen vor Publikum ist weit verbreitet und kann berufliche wie private Chancen einschränken. Wer unsicher vor einer Gruppe spricht, riskiert, weniger überzeugend zu wirken oder sogar berufliche Nachteile zu erleiden. Forschende des Immersive Technology Labs der Universität Cambridge haben nun eine innovative Lösung entwickelt. Eine Virtual-Reality-(VR)-basierte Plattform ermöglicht es, das Reden vor Publikum realistisch zu simulieren und gezielt zu trainieren. Durch interaktive Übungen können Nutzende ihre Rhetorik verbessern, selbstbewusster auftreten und besser mit Lampenfieber umgehen.

Dr. Chris Macdonald, Leiter des Projekts, erklärt: „In der physischen Realität kann man eine Präsentation alleine im Schlafzimmer üben, aber auf unserer VR-Plattform erlebt man das Gefühl, vor einem anspruchsvollen Publikum zu sprechen.“ Die Plattform bildet unterschiedliche Szenarien nach – von kleinen Meetings über große Konferenzen bis hin zu öffentlichen Reden in Hallen mit Tausenden von Zuhörenden.

Technologie macht die Plattform für alle zugänglich

Ein entscheidender Aspekt der Entwicklung war die Zugänglichkeit. Viele Menschen besitzen kein teures VR-Headset, jedoch fast jeder ein Smartphone. Um das Problem zu lösen, hat das Team eine Methode entwickelt, mit der Smartphones in VR-Headsets umgewandelt werden können. Mithilfe einer speziellen Halterung verwandelt sich das Mobilgerät in ein einfaches VR-Headset. Während professionelle VR-Brillen oft mehrere Hundert oder Tausend Euro kosten, ist eine solche Halterung schon für kleines Geld erhältlich.

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Diese kostengünstige Lösung stellt sicher, dass die Plattform für nahezu alle zugänglich ist. Die VR-Erfahrung ist dabei nicht auf High-End-Hardware angewiesen. Nutzende erhalten unabhängig von der genutzten Technologie ein einheitliches und immersives Erlebnis.

Wissenschaftlich belegte Wirksamkeit

Dass die Plattform funktioniert, zeigen wissenschaftliche Studien. Eine in der Fachzeitschrift Frontiers veröffentlichte Untersuchung ergab, dass bereits eine 30-minütige Sitzung mit der VR-Plattform das Selbstvertrauen deutlich steigern kann. In einer Studie mit Studierenden der Universitäten Cambridge und UCL berichteten 100 % der Teilnehmenden von positiven Effekten. Sie fühlten sich nach dem Training besser vorbereitet, weniger ängstlich und souveräner im Umgang mit herausfordernden Situationen.

Besonders bemerkenswert: Die Plattform half den Teilnehmenden auf verschiedene Weise. Manche verbesserten ihre Anpassungsfähigkeit, andere lernten, besser mit Nervosität umzugehen. Viele berichteten, dass sie sich nach wenigen Trainingseinheiten sicherer fühlten und sogar Freude am öffentlichen Reden entwickelten. Die Ergebnisse sollen auf einer internationalen psychologischen Konferenz in Oxford präsentiert werden.

Realistische Simulation für effektives Training

Ein Schlüsselelement der Plattform ist die Simulation realer Szenarien. In klassischen Rhetorikseminaren üben Teilnehmende oft vor einer kleinen Gruppe, die meist wohlwollend reagiert. Das wahre Leben stellt jedoch höhere Anforderungen: Zuhörende könnten abgelenkt sein, Fragen stellen oder skeptisch schauen.

Genau hier setzt die VR-Plattform an. Statt alleine vor dem Spiegel zu üben, können Nutzende in virtuellen Konferenzsälen, bei Bewerbungsgesprächen oder sogar in großen Stadien mit Tausenden von Zuschauern trainieren. Durch Ablenkungen wie Kamera-Blitze, Umgebungsgeräusche oder spontane Fragen wird die Realität nachgebildet. Diese sogenannte Overexposure Therapy hilft, sich besser auf echte Herausforderungen vorzubereiten.

Dr. Macdonald erläutert: „Viele Menschen üben ihre Präsentationen in einer stark kontrollierten Umgebung. Erst wenn sie vor Publikum stehen, werden sie mit unvorhersehbaren Reaktionen konfrontiert. Unsere Plattform ermöglicht es, genau das zu trainieren.“

Von 50.000 Testnutzern erprobt

Die Plattform wurde in einem iterativen Prozess entwickelt und bereits von mehr als 50.000 Testnutzenden erprobt. Um die Software zu optimieren, fanden zahlreiche Live-Tests statt. Diese wurden nicht nur auf wissenschaftlichen Konferenzen, sondern auch an unerwarteten Orten durchgeführt: auf lokalen Märkten, in Bibliotheken, Gemeindezentren und sogar in Wohnzimmern privater Haushalte.

„Unser Labor darf nicht isoliert arbeiten“, betont Dr. Macdonald. „Nur durch direkten Kontakt mit den Menschen, die unsere Plattform nutzen, können wir sicherstellen, dass sie wirklich hilfreich ist.“

Zukunftsperspektiven und Weiterentwicklung

Neben dem allgemeinen Präsentationstraining bietet die Plattform spezialisierte Umgebungen. So können Nutzende beispielsweise das Ablesen eines Teleprompters in einem virtuellen Fernsehstudio üben oder sich auf schwierige Fragen in einem Vorstellungsgespräch vorbereiten.

Ein integrierter KI-Coach analysiert die Vorträge und gibt gezieltes Feedback. Dies soll dabei helfen, nicht nur an der Aussprache und Stimme zu arbeiten, sondern auch an Gestik und Körpersprache.

Langfristig plant das Team eine weitere Verbreitung der Plattform – etwa in der Therapie für stotternde Kinder oder zur Schulung von medizinischem Personal. Besonders Menschen mit starken Redeängsten oder sozialen Phobien könnten von einer gezielten Nutzung profitieren.

Ein zentraler Punkt für die Weiterentwicklung ist die Finanzierung. „Mit der richtigen Unterstützung können wir Millionen von Menschen helfen, ihre Angst zu überwinden und ihr Potenzial voll auszuschöpfen“, so Macdonald.

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Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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