Wir sind nicht multitaskingfähig
„Du warst doch den ganzen Tag im Büro und ich weiß, dass dein Handy immer auf dem Schreibtisch liegt. Wieso liest und beantwortest du meine Whatsapp dann erst Stunden später?“, fragt mich mein Freund und der Vorwurf in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
„Weil ich nicht multitaskingfähig bin und nicht konzentriert Seminare und Vorträge vorbereiten kann und gleichzeitig darüber nachdenken kann, was wir heute Abend essen.“ Er hält mir vor, dass ich doch eine Frau sei und man Frauen ja grundsätzlich nachsage, sie seien multitaskingfähig. Wie gut, dass ich mich intensiv mit dem Gehirn, seinen Fähigkeiten und seinen Grenzen beschäftige und so kann ich ihm erklären, dass und wieso weder Mann noch Frau mehrere Dinge gleichzeitig erledigen können. Richtig, wir haben zwei Gehirnhälften und diese Gehirnhälften können sich zwei Aufgaben teilen. Ich kann also ein Telefonat führen, bei dem ich mäßig konzentriert sein muss und gleichzeitig kann ich mal eben prüfen, ob die Pflanze auf der Fensterbank mal wieder Wasser braucht. Denke ich aber konzentriert über Inhalte, über Formulierungen nach, reißt mich jede Störung, wie der Signalton einer hereinkommenden Nachricht, aus meiner Konzentration und ich brauche eine Weile, um meine Gedanken wieder in Fluss zu bringen. Nach unserem Gespräch denke ich aber ein weiteres Mal darüber nach, ob Whatsapp wirklich nur Vorteile hat. Mein Sohn hat noch ein ganz anderes Argument dafür, die schnelle und kostenlose Kommunikationsapp von seinem Handy zu löschen: „Manchmal lese ich eine Nachricht, habe aber in diesem Moment keine Zeit oder auch einmal keine Lust gleich zu antworten. Dann muss ich mich aber vor meinen Freunden rechtfertigen, weil sie gesehen haben, wann ich die Nachricht gelesen habe. Da entsteht ein unglaublicher Kontroll- und Rechtfertigungszwang, dem ich mich nicht aussetzen will.“
Wir verbringen mehr Zeit mit Unterbrechungen als mit unserer eigentlichen Arbeit
Sie als Ingenieur wissen wahrscheinlich genau, wovon ich spreche. Wir sind permanent erreichbar und damit auch permanenten Unterbrechungen ausgesetzt. Die Informatikerin Gloria Mark hat in einer Studie errechnet, dass Menschen, die vornehmlich in Büros arbeiten, alle 11 Minuten bei ihrer Primärtätigkeit unterbrochen werden. Wie viele Mails bekommen Sie am Tag abzüglich der Spams und Werbemails? 50? 100? Nach Mark ist etwa ein Drittel der Mails, die wir bekommen und lesen oder die wir beantworten (müssen) für unsere Arbeit nicht relevant. Wir könnten das wahrscheinlich weiterführen. Viele unserer Anrufe und Handy-Nachrichten sind für unsere Arbeit nicht relevant. Wir sind den ganzen Tag enorm beschäftigt, haben aber abends das Gefühl nichts geschafft zu haben. Kurzfristig führt das dazu, dass wir immer gestresster sind, langfristig haben wir noch mit ganz anderen Konsequenzen zu rechnen: Wenn wir unsere Aufmerksamkeit permanent breit streuen anstatt uns auf das zu fokussieren, was jetzt gerade ansteht, verlieren wir die Fähigkeit uns zu konzentrieren.
Sich mit den Gedanken anderer beschäftigen, heißt weg von der eigenen Gedankenwelt sein
Nach getaner Arbeit setzen wir uns dann durch Facebook und Twitter neuem Kommunikationsstress aus. Wir haben das Gefühl, etwas zu versäumen, wenn wir dort nicht präsent sind. Dabei verpassen wir wahrscheinlich nichts oder wenigstens nichts wirklich Wichtiges, wenn wir uns dort nicht virtuell blicken lassen. Was wir aber tun: Wir belegen wertvolle Informationsplätze in unserem Gehirn. Dagegen können wir uns nicht wehren und unser Gehirn kann es auch nicht. Es kann nicht darüber entscheiden, welche Informationen abgelegt werden und welche nicht, es ist einfach ein guter Dienstleister und vergibt Speicherkapazitäten, die aber natürlich nicht unbeschränkt zur Verfügung stehen. Innerhalb der sozialen Kontaktmedien folgen wir meist den Gedanken anderer, schauen uns Bilder ihrer neuen Haustiere an, beneiden sie um ihren Urlaub in Südafrika oder schmunzeln über das witzige Video, das sie eingestellt haben. Die Welt rückt enger zusammen und wir verbringen diese wenigen freien Stunden am Tag, in denen wir regenerieren könnten, damit, die geistigen Ergüsse anderer zu lesen. Das heißt gleichzeitig, dass wir ganz weit weg von unserer eigenen Gedankenwelt sind und so niemals in uns ruhen können. Am nächsten Tag geht für den Ingenieur das Arbeit-Störungs-Arbeit-Störungs-Dilemma von Neuem los und nur die Aussicht auf die Wochenenden oder den nächsten Urlaub halten uns irgendwie aufrecht.
Der Unterschied liegt in der Persönlichkeit
Und doch gibt es sie, die Menschen, die alles unter einen Hut bekommen, denen kein Tempo zu hoch ist, die permanent Spitzenleistungen bringen, immer ihre Ziele erreichen, dabei nie ihren Hochzeits-tag vergessen, die Zeit haben für die Einschulung der Kinder und die überdies meistens gut gelaunt sind. Es sind die Menschen, für die die neue Volkskrankheit „Burn-out“ immer ein Begriff im Duden bleiben wird. Stellt sich die Frage: Was machen diese Menschen anders als die immer Gestressten, die dauernd der Zeit hinterher laufen ohne sie je einzuholen? Wir überlegen gleich, ob sie fleißiger sind, besser strukturiert oder einfach ein besseres Zeitmanagement haben, aber damit liegen wir falsch. Vielleicht arbeiten sie genauso viel wie wir, vielleicht sind wir genauso gut strukturiert, vielleicht haben wir ähnlich viele Verpflichtungen und doch sind die einen gestresst und die anderen sind es nicht. Ganz sicher ist: Sie sind nicht permanent erreichbar. So wie alle Menschen es nicht sind, die es auf der einen oder anderen Ebene zu etwas gebracht haben, ob sie nun Angela oder Dalai heißen. Wenn aber das Handeln nicht allesentscheidend ist für das Gestresst- oder Nichtgestresstsein, für Erfolg oder weniger Erfolg, dann bleibt ja nur noch die Persönlichkeit. Und genau da liegt der Unterschied.
Klasse statt Masse
Ein sehr schönes Beispiel sind zwei erfolgreiche deutsche Fußballtrainer: der eine heißt Vogts, der andere Beckenbauer. Der eine hat’s durch die typisch deutschen Tugenden geschafft, der andere durch Charisma. Wer autoritativ ist (nicht autoritär ist, sondern Autorität ausstrahlt), der verliert weniger Zeit, weil Menschen eher bereit sind, ihm zu folgen, weil sie mehr Respekt und Achtung genießen. Wer souverän ist, gelangt mit weniger Aufwand schneller an die Spitze. Das liegt schon ein wenig in der Bedeutung des aus dem lateinischen stammenden Wortes: Souveränität bedeutet „sich darüber befinden“, „überlegen sein“, „über den Dingen schwebend“. Wer sich nicht in Details verliert, sondern den großen Überblick, den Blick von oben auf das Gesamtbild behält, kann ganz in Ruhe im richtigen Moment reagieren. Er weiß, dass nicht der der Erfolgreichere ist, der verbissen alle Dinge richtig tun will, sondern der, der die richtigen Dinge tut. Übertragen auf unsere Sozialkontakte heißt das womöglich: Man kann 500 Freunde bei facebook haben, die viel Zeit in Anspruch nehmen und einen nicht weiterbringen, während der andere mit 1 Freund Golf spielt und dort ein großes Geschäft abschließt. Es scheint im Leben immer wieder darauf hinauszulaufen, ganz gleich ob für Sie als Ingenieur oder für mich als Kommunikationstrainerin: Zum langfristigen Erfolg führt uns Klasse und nicht Masse!
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