Beratung 27.10.2017, 00:00 Uhr

Work-Life-Balance für Ingenieure – Kleine Glücksmomente genießen

Wir vernachlässigen unser Privatleben für die Arbeit. Wünschen uns Work-Life-Balance und leben nicht danach. Dabei wäre es leicht möglich, beides zu vereinen und auch in stressigen Zeiten zumindest für Momente den Kopf frei zu bekommen, sagt die erfahrene Karrieretrainerin Renate Eickenberg.

Besonders in kleinen Glücksmomenten sind wir im Einklang mit uns selbst.

Besonders in kleinen Glücksmomenten sind wir im Einklang mit uns selbst.

Foto: panthermedia.net/GeneGlavitsky

„Die Arbeit läuft nicht davon, während du einem Kind den Regenbogen zeigst. Aber der Regenbogen wartet nicht.“
(Paul Heyse)

„Endlich Ferien und ganz viel Zeit zum Spielen“, das haben vor einigen Wochen unsere Kinder gesagt und getan. Sie wissen, was Work-Life-Balance ist, haben gespielt, selbstvergessen und mit ganz viel Freude, und wir haben gesagt: „In den Ferien, da gehen wir aber zusammen schwimmen, da zelten wir mal und legen uns ein paar Würstchen auf den Grill.“ Gute Vorsätze, durchaus ernst gemeint, nur irgendetwas kommt immer dazwischen.

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Das Angebot muss unbedingt raus, der Chef hat uns ein großes Projekt übertragen, und wir wollen die Sache für ihn und für uns gut machen. Zu allem auch noch eine Reklamation, die uns richtig viel Geld kosten kann. Da muss die Work-Life-Balance auch bei Ingenieurinnen und Ingenieuren zurückstehen. Zum Glück ist es für die Kinder nicht schlimm, dass wir wieder nicht eher aus dem Büro rauskommen, sie sind zwar ein bisschen enttäuscht, aber sie spielen auch ohne uns. Schlimm ist es nur, wenn es immer wieder passiert. In diesen Ferien, in den nächsten und im letzten Urlaub war es auch schon so.

Work-Life-Balance von den Kindern lernen

Und plötzlich, wir sind total überrascht, sind die Kinder groß und wollen nicht mehr mit uns schwimmen, finden es peinlich, mit ihren Eltern zu zelten. Aus dem Alter sind sie längst raus! Und jetzt sind wir enttäuscht. Von wem? Von den Kindern, von uns selbst oder von unserer Work-Life-Balance? Haben wir es richtig gemacht oder hätten wir uns doch hin und wieder Zeit nehmen sollen?

Die Zeit, die wir mit unseren Kindern verbringen, erscheint uns manchmal als eine Zeit, in der wir nichts Sinnvolles tun, nichts, das uns in unserer aktuellen Lebenssituation nach vorne bringt oder uns dabei hilft, unseren Lebensunterhalt und den der Familie zu sichern. Aber vielleicht irren wir uns, wenn wir so denken. Vielleicht ist die Zeit, die wir mit unseren Kindern verbringen, genau die Zeit, in der wir am meisten lernen, in der wir ein paar Nachhilfestunden in Sachen Hingabe, Freude, Begeisterung, Interesse an der Welt und Staunen bekommen – denn das gehört zu einem ausgewogenen Arbeitsleben dazu.

Das Empfinden von Glück ist sehr individuell, aber wenn es um das langfristige Glück geht, gehört für die meisten Menschen dazu, dass sie lieben und geliebt werden, gesund sind, keine großen finanziellen Sorgen haben und gelassen bleiben, wenn es gerade mal nicht so gut geht.

Durch kleine Glücksmomente ins Gleichgewicht finden

Dieses Glück ist uns aber oft erst dann bewusst, wenn es uns verlässt. Dagegen gibt es das kleine Glück, das unmittelbar zu guten Gefühlen führt und das wir auch sofort als Glück identifizieren können: Bei einem spannenden Spiel die Zeit zu vergessen, nach einer Bergwanderung auf einem Gipfel zu stehen und die Aussicht zu bestaunen, einen Rieseneisbecher vor sich zu haben oder sich auf einer Luftmatratze liegend im Wasser treiben zu lassen. So schaffen wir einen Ausgleich, echte Work-Life-Balance für Ingenieure.

Während dieser kleinen Glücksmomente sind wir zumeist im Einklang mit uns selbst, mit dem Geist und mit dem Körper. In der Regel haben wir in solchen Momenten keine Beschwerden, sondern nur ein wohliges Gefühl. Der französische Chirurg René Leriche hat diese Momente als „das Schweigen der Organe“ bezeichnet. Das heißt, körperlich ist alles unauffällig, es meldet sich nichts im Körper, was uns Ungemach verursacht und damit tragen diese kleinen Glücksmomente, wie der perfekte Regenbogen, den wir einem staunenden Kind zeigen, auch zu unserer körperlichen Gesundheit, zur Work-Life-Balance und damit unserer langfristigen Belastbarkeit bei.

Intuitive Work-Life-Balance und falscher Druck

Kinder machen all das intuitiv, solange bis wir, die Erwachsenen, es ihnen abgewöhnen. Wir sitzen bei wunderschönem Sommerwetter auf der Terrasse, trinken einen Kaffee und könnten einfach mal die schöne Aussicht genießen, Work-Life-Balance leben. Aber nein, wir denken schon wieder, dass wir es uns eigentlich nicht erlauben können, jetzt hier zu sitzen, sondern dass der Keller aufgeräumt werden muss, dass das nervige Schreiben für die Schwiegermutter, die sich von einem Anbieter von Gesundheitspillen hat über den Tisch ziehen lassen, unbedingt aufgesetzt werden muss. Den Moment der Selbstvergessenheit, der kreativen Langeweile ist dann vorbei.

Wir haben uns ihn selbst genommen durch unsere vorauseilenden Gedanken. Aber nicht nur, dass wir jetzt Druck empfinden, nein, wir geben ihn gleich weiter an unsere Kinder, als würden wir ihnen ihre freie Zeit nicht gönnen. „Sagt mal, wollt ihr nicht langsam mal aufräumen? Guckt mal, wie das hier aussieht?“ „Jetzt sind es auch nur noch zwei Wochen bis die Schule wieder anfängt, wollt ihr nicht langsam mal anfangen, euch darauf vorzubereiten?“ Wie soll die nächste Generation irgendwann das können, was wir uns wünschen, nämlich Work-Life-Balance?

Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben ist eine Frage der Einstellung

Aber wir setzen unser Kinder nicht nur unter Druck, wenn sie in die Schule kommen, wir erhöhen ihn sogar noch, nehmen ihnen gleich von Anfang an die Chance, ihre eigenen Erfahrungen zu machen, Work-Life-Balance zu erfahren. „Du wirst sehen, jetzt beginnt der Ernst des Lebens!“ Die Kinder wissen noch nicht genau, was „der Ernst des Lebens“ eigentlich ist, aber sie hören doch, dass da etwas mitschwingt, das nach Veränderung klingt, es verheißt nichts Gutes. Wie ernst ist das Leben denn wirklich? Vielleicht wäre manches viel einfacher und schöner, wenn wir uns bei unseren Kindern abgucken würden, dass das Leben manchmal nichts anderes als ein Spiel ist.

Zugegeben, wir haben Verantwortung, wir stehen manchmal unter Druck, aber durch unsere Sichtweise erhöhen wir ihn, auch da, wo es gar nicht sein muss. Apropos „muss“: „Ich muss noch den Grill saubermachen“, „ich muss noch die Würstchen einkaufen“. So viel „ich muss noch“ den lieben langen Tag, da bleibt der Spaß natürlich auf der Strecke. Wie viel einfacher wäre es zu sagen: „Ich mache gleich den Grill sauber, kaufe Würstchen ein, für mich noch ein leckeres Bier und dann machen wir uns einen richtig schönen Abend.“ So sieht Work-Life-Balance für Ingenieure aus.

Work-Life-Balance für Ingenieure bedeutet Offenheit für neue Wege

„Ich muss“, macht deshalb so viel Druck, weil wir uns dadurch selbst das Gefühl geben, fremdbestimmt zu sein. Alles, was wir freiwillig, aus eigenem Antrieb tun, machen wir mit viel mehr Freude. Das leben uns unsere Kinder vor. Neulich hatte ich ein Gespräch mit meinem mittlerweile volljährigen Sohn, den ich bitten wollte, etwas weniger Energie in übermütige Partys und dafür etwas mehr in sein Studium zu stecken. Darauf entgegnete er: „Ich bin jetzt jung und die Partys, die ich jetzt nicht feiere, feiere ich nie wieder. Wenn ich erst im Beruf bin, kann ich nicht mehr nächtelang durchfeiern, weil ich morgens fit sein muss. Aber die Partys, das Zusammensein mit den Freunden, das ist auch etwas fürs Leben!“ Er weiß, was Work-Life-Balance ist.

Im ersten Moment war ich geneigt zu sagen, dass er um Ausreden noch nie verlegen war, aber dann habe ich geschwiegen. Vielleicht ist es auch nur mein Frust, dass ich solche Partys nicht gefeiert habe, sondern das ehrgeizige Ziel hatte, möglichst schnell mein Studium abzuschließen. Vielleicht hat er mit seiner Sichtweise genauso Recht wie ich mit meiner, vielleicht irren wir beide? Sicher ist, ich habe nicht das Recht, ihm die Freude am Augenblick und damit seine Work-Life-Balance zu nehmen.

Work-Life-Balance für Ingenieure beginnt heute

Auch wenn die Ferien zu Ende sind, wird es noch viele Regenbögen geben, Naturschauspiele, die sich in ihrer Schönheit nur einen kurzen Moment offenbaren. Diesen Moment heißt es zu genießen, ganz ohne Reue. Das Angebot wird eine Viertelstunde später fertig, na und?

Kennen Sie auch Menschen, die sich über nichts mehr freuen, nichts mehr genießen können? Bei den meisten scheint sich zu bewahrheiten: Wer nichts mehr genießen kann, wird irgendwann ungenießbar. Das wollen wir alle nicht, deshalb ist der beste Tag, dem Alltag ein Schnippchen zu schlagen HEUTE. Schöne Augenblicke hängen nicht an sechs Wochen Sommerferien, hängen nicht an Wochenenden. DAS ist Work-Life-Balance für Ingenieure.

Ein Beitrag von:

  • Renate Eickenberg

    Renate Eickenberg ist Coach, Beraterin sowie Autorin. Sie prüft für Ingenieure und Ingenieurinnen Bewerbungsunterlagen und gibt in Ihren Artikeln Karrieretipps.

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