Auch Leiharbeiter dürfen den Betriebsrat wählen
Noch bis Ende Mai werden in vielen Unternehmen die Mitarbeiter wieder an die Wahlurnen gerufen. Auch solche, die eigentlich ganz woanders angestellt und nur auf längere Zeit an das Kundenunternehmen ausgeliehen worden sind – nämlich Leiharbeiter. Doch deren Interesse am fremden Betriebsrat hält sich offenbar in Grenzen.
Rund 2000 Ingenieure, Techniker und Kaufleute sind beim Bremer Projektdienstleister Brunel angestellt. Eine Arbeitnehmervertretung nach dem Betriebsverfassungsgesetz gibt es dort nicht. Dennoch dürfen viele Brunel-Mitarbeiter bei den diesjährigen Betriebsratswahlen abstimmen. Bedingung: Die Wahl findet in einem Kundenunternehmen statt, in das sie seit mehr als drei Monaten für ein Projekt oder zur Abdeckung von Auftragsspitzen ausgeliehen sind.
In diesem Fall, so meint nämlich der Gesetzgeber, sollten Leiharbeitnehmer das Recht haben, über die Zusammensetzung des Betriebsrates vor Ort zu entscheiden. Schließlich habe der in vielen Belangen ein Wörtchen mitzureden, von denen nicht nur die Festangestellten betroffen seien. Nur sich selbst dürfen sie nicht zur Wahl stellen, denn das passive Wahlrecht steht Mitarbeitern auf Zeit nicht zu. Überdies unterliegen sie einer weiteren Einschränkung: Obwohl sie bei einer längeren Beschäftigungsdauer an der Betriebsratswahl des Fremdbetriebs teilnehmen dürfen, zählen sie bei der Ermittlung der für die Größe dieses Gremiums maßgeblichen Belegschaftsstärke nicht mit. Das hat das Bundesarbeitsgericht 2006 entschieden.
Den Entleihbetrieben, ob Personalvermittler, Projekt- oder Engineeringfirmen ist das Wahlrecht ihrer zum Kunden entsandten Mitarbeiter entweder gänzlich unbekannt oder sie haben dazu keine Meinung. Das hat eine telefonische Umfrage unter Ingenieurdienstleistern deutlich gemacht. Man weiß auch nicht, ob die eigenen Mitarbeiter wissen, dass sie einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Kunden-Betriebsrats haben.
„Die Mitbestimmungsrechte von Leiharbeitnehmern im Entleihbetrieb sind gesetzlich klar geregelt und spiegeln den Wunsch wider, Stamm- und Leiharbeitnehmer weitestgehend gleichzustellen“, zeigt sich Veysi Karaca, CEO der Ingenieur-Projektgesellschaft Case4de in Hamburg informiert. „Ob und in welchem Umfang Leiharbeitnehmer von diesem Recht Gebrauch machen, hängt meiner Meinung nach nicht zuletzt von jedem Leiharbeitnehmer selbst sowie der Qualität der Betriebsratsarbeit im Entleihbetrieb ab. Aus Unternehmersicht möchte ich in diesem Zusammenhang jedoch die gemeinsame Verantwortung von Ver- und Entleihbetrieb hervorheben, die die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte entscheidend unterstützen können.“
Seiner Erfahrung nach kommen Verleihbetriebe oftmals nur ihrer gesetzlichen Mindestpflicht nach und verteilen das von der Bundesagentur für Arbeit publizierte Merkblatt. Das findet Karaca bedauerlich. „Das persönliche Gespräch zwischen Mitarbeiter und Arbeitgeber, in dem wesentliche Eckpunkte erläutert sowie offene Fragen beantwortet werden können, entfällt leider allzu häufig, sodass Leiharbeitnehmer im Zweifel ihre Rechte nur ungenügend kennen.“ Träfe diese Unkenntnis im Entleihbetrieb auf einen eher passiven Betriebsrat und eine dürftige Informationspolitik seitens der Geschäftsführung, so sei es fast aussichtslos, dass Leiharbeitnehmern ihre gesetzlichen Rechte gewährt werden.
In einer Hinsicht ist die gleichgültige Haltung der Dienstleister verständlich: Sie selbst haben weder einen Vor- noch einen Nachteil davon, wenn ihre Mitarbeiter an der Betriebsratswahl des Kunden teilnehmen. Andere denken allerdings ein Stück weiter. „Klar freuen wir uns, wenn unsere beim Kunden eingesetzten Mitarbeiter zur Wahl gehen“, versichert Eckhard Holtmann, Personalleiter bei Brunel, „schon wegen der größeren Identifikation mit dem Kundenunternehmen.“ Dabei setzt er natürlich voraus, dass die Identifikation mit dem eigenen Betrieb unvermindert bestehen bleibt. In welchem Maße Techniker und Ingenieure von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, weiß Holtmann aber auch einzuschätzen. Das Gefühl, gestützt auf seine Kenntnis der eher sachorientierten Zielgruppe, sagt ihm indes: „Die wenigsten werden sich an den Betriebsratswahlen beteiligen.“
Das bestätigt eine Erfahrung aus der zurückliegenden Wahlsaison vor vier Jahren: Selbst wenn sie es dürfen, beteiligen sich ausgeliehene Arbeitnehmer höchst selten an Betriebsratswahlen im Beschäftigungsbetrieb. Den Gewerkschaften bereitet das Kopfschmerzen. Denn nicht nur in Konzernen geht die Wahlbeteiligung der Arbeitnehmer seit Jahren zurück. Über die Ursachen sind sich die Fachleute uneins. Manche führen die Lustlosigkeit der Mitarbeiter auf die grassierende Frustration innerhalb der Belegschaften zurück. Andere machen die steigende Zahl der Leiharbeitskräfte dafür verantwortlich. Sicher ist nur eines: Je mehr festangestellte Arbeitnehmer von Leihkräften ersetzt werden, desto schwächer werden die Betriebsräte – zumindest, was die Zahl ihrer zu wählenden Mitglieder angeht.
CHRISTINE DEMMER
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