Den Werkvertrag für Ingenieure vom Arbeitsvertrag abgrenzen
Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem in den Medien nicht das Thema illegale Leiharbeit und Scheinselbständigkeit diskutiert wird. Vermehrt müssen sich auch große Unternehmen wie Daimler mit der Problematik auseinander setzen. So wurde laut Medienberichten gegen Daimler-Chef Zetsche und Daimler-Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm bereits Strafanzeige aufgrund einer angeblich illegalen Arbeitnehmerüberlassung gestellt.
Vielfach werden echte Arbeitsverträge von Arbeitgebern als unflexibel und teuer empfunden. Um die „Nachteile“ eines Arbeitsvertrages zu vermeiden, schließen sie oftmals stattdessen einen Werk- oder Dienstvertrag ab. Vorteil dieser Verträge ist, dass der Unternehmer nicht verpflichtet ist, Sozialabgaben zu zahlen. Auch der für einen Großteil der Arbeitnehmer anwendbare Kündigungsschutz gilt für die Werk- und Dienstvertragsparteien nicht. Möchte sich der Arbeitgeber daher von dem Auftragnehmer trennen, kann er dies unter Beachtung der vereinbarten Regelungen, ohne dass er einen Kündigungsgrund benötigt. Beispielsweise werden so gesamte Teilabschnitte des Herstellungsprozesses mittlerweile an Fremdfirmen vergeben. Diese Drittfirma erbringt das „Werk“ mit eigenen Mitarbeitern, für die der Auftraggeber nicht verantwortlich ist. In anderen Fällen schließen Unternehmer mit einzelnen Selbständigen Verträge ab, wonach bestimmte Werk- oder Dienstleistungen erbracht werden sollen. Ob jedoch in diesen Fällen tatsächlich ein Werk-/Dienstvertrag vorliegt, hängt stets vom Einzelfall ab. Eine Fehleinschätzung kann gravierende Folgen bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen für die handelnden Personen nach sich ziehen.
Viele Unternehmer stellen sich daher in letzter Zeit vermehrt die Frage, ob die von ihnen eingesetzten Werkunternehmer auch wirklich als solche einzustufen sind. Im Gegenzug hinterfragen Selbständige und im Rahmen von Werkverträgen vom Fremdunternehmen eingesetzte Arbeitnehmer immer häufiger die Vertragsbeziehungen. Auch die Rechtsprechung beschäftigt sich in letzter Zeit immer öfter mit diesem Themenkreis. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) erst im September dieses Jahres der oben beschriebenen Umgehungspraxis der Arbeitgeber erneut eine Abfuhr erteilt.
I. Neueste Entscheidung des BAG
In dem vom BAG entschiedenen Fall (BAG, Urteil vom 25. September 2013 – 10 AZR 282/12) hatten die Vertragsparteien mit Unterbrechungen bereits seit 2005 insgesamt zehn Werkverträge abgeschlossen. Der Kläger war insbesondere mit der Erfassung von Bodendenkmälern beschäftigt. Hierfür begab er sich täglich von 7:30 bis 17:00 Uhr in die Dienststellen seines Auftraggebers und nutzte den ihm hierfür vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Computer. In der Entscheidung betonte das Gericht erneut, dass die Qualität des jeweiligen Rechtsverhältnisses stets anhand einer Gesamtwürdigung des Einzelfalles zu ermitteln ist. Liege ein Widerspruch zwischen der konkreten Vereinbarung und der tatsächlichen Durchführung vor, sei die tatsächliche Durchführung entscheidend. Im Ergebnis stellte das Gericht fest, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen war. Dies begründete das Gericht mit einer „Kumulation und Verdichtung der Bindung des Klägers“. Hierbei dürften die Tatsachen, dass der Kläger in der Dienststelle des Auftraggebers und unter Nutzung von dessen Computer tätig wurde, eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die in der Pressemitteilung des Gerichts enthaltenen Grundsätze sind zwar nicht neu, sie verdeutlichen jedoch noch einmal einen neuen Trend in der Rechtsprechung. Die Gerichte sind bestrebt, Arbeitnehmerschutzlücken zu schließen und die Umgehungspraxis der Unternehmen einzudämmen.
So hatte erst kürzlich das LAG Stuttgart in Sachen Daimler entschieden, dass ein als Werkvertrag abgeschlossener Vertrag tatsächlich als illegale Leiharbeit zu qualifizieren ist. In dem Fall hatten zwei Arbeitnehmer der Fremdfirma auf Feststellung geklagt, dass zwischen ihnen und der Daimler AG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Sie waren bei der Fremdfirma angestellt, jedoch über einen Zeitraum von zehn Jahren als IT-Kräfte bei Daimler eingesetzt. Das LAG schloss sich der Auffassung der Kläger an und stellte fest, dass ein Arbeitsverhältnis mit Daimler zustande gekommen war. Entscheidend sei die gelebte Praxis. Im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung sei von einem Scheinwerkvertrag/-dienstvertrag auszugehen.
II. Abgrenzung Werkvertrag /Arbeitsvertrag
In der Praxis ist eine Abgrenzung zwischen einem Werk-/Dienstvertrag einerseits und illegaler Leiharbeit andererseits oftmals äußerst schwierig. Entscheidend ist die Eingliederung in die Betriebsstruktur und die Weisungsmöglichkeiten des Unternehmers. Obliegt dem Auftraggeber das Direktionsrecht, liegt in der Regel eine versteckte Arbeitnehmerüberlassung vor. Zudem sind die Risikoverteilung und die Vergütungsstruktur zu berücksichtigen. Trägt der Beauftragte tatsächlich ein unternehmerisches Risiko, wird er also beispielsweise in auftragsschwachen Zeiten nicht beschäftigt, spricht dies für einen Werkvertrag. Wie das oben zitierte BAG-Urteil zeigt, kann auch die Verwendung von Betriebsmitteln des Auftraggebers ein Indiz für einen Arbeits- bzw. versteckten Arbeitnehmerüberlassungsvertrag sein. Die fehlende eigene Geschäftstätigkeit des Auftragnehmers im Bereich des Auftraggebers deutet auf eine Scheinselbständigkeit hin.
III. Weitere Verschärfungen der Rechtsprechung
Wie bereits dargelegt, beschäftigt sich die Rechtsprechung bereits seit längerer Zeit sehr intensiv mit dem Thema. In den vergangenen Monaten hat das BAG weitere Entscheidungen getroffen, die zeigen, dass sich die Rechtsprechung in diesem Bereich zunehmend verschärft. So hat das BAG zu Beginn dieses Jahres bestimmt (BAG, Urteil vom 24. Januar 2013 – 2 AZR 140/12), dass Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der für die Entstehung des Kündigungsschutzes relevanten Mitarbeiterzahl eines Unternehmens zu berücksichtigen sind, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht. Erst ab einer Mitarbeiterzahl von in der Regel mehr als zehn Beschäftigten greift der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. In vielen Kleinbetrieben kann dies dazu führen, dass die relevante Schwelle des § 23 KSchG, anders als zuvor, nunmehr durch die kontinuierliche Beschäftigung von Leiharbeitnehmern überschritten wird. Aus Arbeitnehmersicht bedeutet dies eine erhebliche Einschränkung der Flexibilität, da für eine Kündigung eines Stammmitarbeiters nunmehr ein Kündigungsgrund erforderlich ist.
Dieselbe Wertung ist in einer weiteren Entscheidung des BAG (BAG, Beschluss vom 13. März 2013 – 7 ABR 69/11) zu erkennen, die auch für die im nächsten Jahr anstehende Betriebsratswahl von Bedeutung sein wird. Auch bei den Schwellenwerten des § 9 BetrVG sind nach der Entscheidung „regelmäßig“ in einem Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer mitzuzählen. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich die Anzahl der Betriebsratsmitglieder, die dem Betriebsrat angehören. Je höher die Anzahl der Beschäftigten, umso höher die Anzahl der Betriebsratsmitglieder. Dies wird in einigen Betrieben dazu führen, dass sich der Betriebsrat künftig vergrößert.
Im Juli dieses Jahres hat der 7. Senat des BAG (BAG, Beschluss vom 11. Juli 2013 – 7 ABR 91/11) darüber hinaus eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Bislang war es in Unternehmen nicht unüblich, über Jahre hinweg bestimmte Stellen letztlich unbefristet mit Leiharbeitnehmern zu besetzen. Dieser Praxis dürfte die Rechtsprechung nunmehr einen Riegel vorgeschoben haben. Viele Betriebsräte betrachteten diese Vorgehensweise schon länger als kritisch und versagten nicht selten in diesen Fällen die Zustimmung zur Beschäftigung der Leiharbeitnehmer. Ein unbefristeter Einsatz widerspreche dem Gesetz, das in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG von einem „vorübergehenden“ Einsatz spricht. Ein „unbefristeter“ Einsatz sei gerade kein „vorübergehender“. Der 7. Senat ließ offen, wie lange der Einsatzzeitraum sein darf, damit er noch als „vorübergehend“ zu qualifizieren ist.
IV. Folgen eines missbräuchlichen Werkvertrages
Der Einsatz von Werkverträgen kann schwerwiegende Folgen in einer Vielzahl von Rechtsbereichen haben. Der vermeintlich sichere Hafen Werkvertrag kann sich daher auch als rechtliches Eigentor entpuppen, wie der Fall Daimler eindrucksvoll belegt: Gegen Daimler-Chef Zetsche und Daimler-Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm wurde laut Medienberichten eine Strafanzeige aufgrund einer angeblich illegalen Arbeitnehmerüberlassung gestellt. Externe Mitarbeiter waren im Rahmen eines offiziell als Werkvertrag bezeichneten Vertragsverhältnisses im Unternehmen tätig und wurden letztlich angeblich aber wie Leiharbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert. Der Vorwurf basiert auf der in der ARD ausgestrahlten Reportage „Hungerlohn am Fließband“. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück, dürfte intern aber die Praxis der Werkverträge intensiv hinterfragen.
Ebenso ist hinsichtlich der möglichen Folgen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung zu bedenken, dass es zur Annahme eines fingierten Arbeitsvertrages kommen kann. Der Auftraggeber hat somit unter Umständen plötzlich ungewollt deutlich mehr Arbeitnehmer als geplant. Das „entleihende“ Unternehmen müsste den Leiharbeitnehmern die unternehmensübliche Vergütung zahlen. Eine Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg bejaht im Falle einer nicht mehr vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung genau diese für den Entleiher missliche Rechtsfolge (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Januar 2013 – 15 Sa 1635/12).
Nicht nur aus arbeitsrechtlicher, sondern auch aus sozialrechtlicher Hinsicht ist die Bejahung eines fingierten Arbeitsvertrages von Bedeutung. Die Vergütungszahlung aufgrund des fingierten Arbeitsverhältnisses führt dazu, dass ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1, 14 Abs. 1 SGB IV vorliegt. Liegen auch die weiteren Voraussetzungen vor, entsteht hierdurch eine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Der Arbeitgeber haftet dann nach §10 Abs. 3 AÜG, § 28e Abs. 2 S. 2, 3 SGB IV für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, der Arbeitgeber muss also letztlich sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmerbeitrag für den gesamten Zeitraum der Beschäftigung nachentrichten. Dies kann schnell zu relevanten Summen führen und so für finanziell angeschlagene Unternehmen ein echtes Problem darstellen.
Auch in den Fällen, in denen ein einzelner „Werkunternehmer“ als Scheinselbständiger entlarvt wird, haftet der Arbeitgeber aufgrund des tatsächlich bestehenden Arbeitsverhältnisses für die Sozialversicherungsbeiträge.
V. Fazit
Es ist zu erwarten, dass – sofern der Gesetzgeber nicht tätig wird – die Rechtsprechung sowohl die Umgehungspraxis als auch den kontinuierlichen Einsatz von Leiharbeitnehmer weiter erschweren wird. Aus Arbeitgebersicht ist es daher zu empfehlen, die abgeschlossenen Verträge zu überprüfen und bei der künftigen Vertragsgestaltung Vorsicht walten zu lassen. Es ist davon auszugehen, dass Arbeitgeber zukünftig wieder öfter Tätigkeiten vollständig outsourcen bzw. vermehrt befristete Arbeitsverträge abschließen werden. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund der politischen Dimension, da die Einstellung von Leiharbeitnehmern bzw. der Abschluss von Werkverträgen sowohl rechtlich als auch in Bezug auf die Außenwirkung nicht unproblematisch sind.
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