Die Grenzen zwischen Leiharbeit und Werkvertrag sind oft fließend
Das Weisungsrecht unterscheidet zwar Leiharbeit von Dienst- und Werkverträgen, dennoch lassen sich diese Beschäftigungsformen nicht immer klar abgrenzen. Der DGB fordert deshalb vom Gesetzgeber eine konsequente Regelung, die Arbeitgeber sehen keinen Handlungsbedarf.
Ein Informatiker programmiert eine neue Software für ein Unternehmen. Macht er das in Eigenregie, mit eigenen Betriebsmitteln, auf eigenes Risiko und wird er am Ende nur für das neue Programm bezahlt, liegt ein Werkvertrag mit Gewährleistungspflicht vor. Unterstützt der gleiche Informatiker den gleichen Betrieb bei einem Internetprojekt und wird nicht für ein genau festgelegtes Produkt bezahlt, sondern für die geleistete Arbeitszeit, arbeitet er auf der Basis eines Dienstvertrages. Die Gewährleistung für das Endprodukt entfällt dann, die Haftung für verschuldete Pflichtverletzungen besteht in beiden Fällen. Werden die Arbeiten in persönlicher Abhängigkeit vom Auftraggeber erbracht, kann ein Arbeitsverhältnis vorliegen.
„Entscheidend für die Unterscheidung von Werk- und Dienstverträgen auf der einen und Arbeitsverhältnissen auf der anderen Seite ist das Weisungsrecht“, erklärt der Vizepräsident des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt, Rudi Müller-Glöge. Unterliegt also der Informatiker auch hinsichtlich seiner persönlichen Arbeitsbedingungen den Direktiven des auftraggebenden Betriebs, liegt ein Arbeitsverhältnis vor.
Entscheidend ist nach den Worten des Arbeitsrechtlers dabei nicht nur, was im Vertrag schriftlich vereinbart wird, sondern auch die Arbeitsrealität. „Widersprechen sich beide“, erklärt Müller-Glöge, „ist die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgebend.“ Gleiches gelte für die Abgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung. Eine Reinigungskraft also, die bei einem Personaldienstleistungsunternehmen beschäftigt ist und an einen Privathaushalt vermittelt wird, ist Leiharbeiterin, wenn der Haushalt vorgibt, mit welcher Düse das Parkett gesaugt und mit welchem Putzmittel das Waschbecken gereinigt werden soll. Kommen die gleichen Arbeitsanweisungen jedoch vom Dienstleister, kann in Wahrheit ein Werkvertrag vorliegen.
Die Grenzen zwischen den flexiblen Beschäftigungsverhältnissen sind manchmal so fließend, dass selbst Experten sich schwertun, die feinen Unterschiede zu erklären. Bis zu 2 % der Konflikte, mit denen die Erfurter Richter sich befassen müssen, drehen sich um den Status einer Arbeitskraft. Das scheint für sich genommen nicht viel. Kommt ein solcher Fall jedoch beim Bundesarbeitsgericht an, umfassen laut Müller-Glöge allein die Vorakten manchmal an die 1000 Seiten.
Um Problemen vorzubeugen, empfiehlt der Experte, den Arbeitsvertrag so präzise wie möglich zu formulieren. In ihren mehrseitigen Durchführungsanweisungen zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz versucht auch die Bundesagentur für Arbeit (BA), die Grenzen zwischen den einzelnen Vertragsformen möglichst genau zu ziehen, etwa wenn es um die Personalgestellung als Nebenleistung geht. Wenn also z. B. beim Kauf oder der Anmietung einer Spezialbaumaschine der Fahrer mit zur Verfügung gestellt wird, liegt laut BA „in aller Regel“ keine Arbeitnehmerüberlassung vor, solange der wirtschaftliche Wert der Maschine erheblich höher ist als der Wert der Arbeitsleistung. Bei der Vermietung einer Schreibmaschine mit Personal hingegen müsse ein Leiharbeitsverhältnis angenommen werden.
Immer mehr Zeitarbeitsunternehmen bieten als Personaldienstleister auch Werkverträge an, soweit dies rechtlich möglich ist. „Kunden wünschen das vermehrt“, erklärt Adrian Hurst, Autor des Praxishandbuchs „Tarifverträge in der Zeitarbeit“. Die Abwicklung sei oftmals einfacher und es bestehe eine umfangreichere Haftung des Personaldienstleisters. Die Personalbeschaffung für ganze Produktionsstraßen, den Vorarbeiter eingeschlossen, kann nach den Worten des Experten heutzutage über Werkverträge abgewickelt werden. In solchen Fällen sei der Disponent gehalten, sich die Situation vor Ort genau anzuschauen um rechtlichen Unklarheiten vorzubeugen. Auch die BA prüfe diese Arbeitsverhältnisse sehr genau.
Entscheidet sich ein Unternehmer für einen Werkvertrag, stehen nach Hursts Beobachtung weniger finanzielle Erwägungen im Vordergrund als der Wunsch, Flexibilität zu sichern, Arbeitgeber-Pflichten zu vermeiden und das unternehmerische Risiko zu minimieren. Denn bei einem Leiharbeitsverhältnis gehen die arbeitsplatzbezogenen Rechte und Pflichten auf den Kunden des Personaldienstleisters über. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn Unternehmen und Zeitarbeitsfirma einen Werkvertrag miteinander abschließen. Die entsandten Mitarbeiter gelten dann als „Erfüllungsgehilfen.“ In beiden Fällen aber stehen die Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis mit der Leiharbeitsfirma.
Die manchmal schwierige Gemengelage zwischen Leiharbeit und Werkverträgen beobachtet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit Sorge. „Das zunehmende Outsourcing über Werkverträge ist ein riesiges Problem“, sagt DGB-Arbeitsmarktexperte Johannes Jakob. Oftmals seien die klassischen Merkmale eines Werkvertrags nicht erfüllt. Würde die Rechtsprechung die Abgrenzungsmerkmale der beiden Vertragsformen immer konsequent anwenden, so der DGB in seiner Stellungnahme zum kürzlich verabschiedeten Gesetz zur Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung, seien viele der existierenden Werkverträge als illegale Leiharbeit zu qualifizieren.
„Der Gesetzgeber muss sich dieser Frage annehmen und eine klare Abgrenzung schaffen“, fordert Jakob. Die Arbeitgeberseite indes sieht in diesem Punkt keinen Handlungsbedarf. Ein gesetzlicher Änderungsbedarf zur Abgrenzung von Zeitarbeit zu anderen drittbezogenen Personaleinsätzen bestehe nicht, erklärt ein Sprecher der Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA). Die BDA halte die Regelungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, die Rechtsprechung und die Geschäftsführungsanweisungen der BDA für hinreichend, um eine präzise Abgrenzung vorzunehmen. Johannes Jakob sieht das etwas anders: „Auf dem Papier klingt alles ganz logisch“, sagt er mit Blick auf die BA-Anweisungen, „aber die Umsetzung in die Praxis funktioniert nicht.“ J. WITTE
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