Arbeitsrecht 17.11.2015, 01:00 Uhr

Die rechtlichen Konsequenzen von Lügen im Bewerbungsprozess

Ob in Lebensläufen oder im Rahmen des Bewerbungsgesprächs – kleinere Schummeleien oder auch große Lügen sind sicherlich nicht ganz selten im Bewerbungsprozess. Problematisch wird das Vorspiegeln falscher Tatsachen, wenn der Arbeitgeber es entdeckt.

Bewerbungsgespräch: Welche Fragen müssen beantwortet werden?

Bewerbungsgespräch: Welche Fragen müssen beantwortet werden?

Foto: panthermedia.net/Kzenon

Vor kurzem hat sich das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 4. August 2015 – 3 Sa 46/14) mit einem Fall beschäftigt, in dem der Arbeitnehmer in seinem Lebenslauf eine 14-jährige Vorbeschäftigung angab, die in seinem Leben schlichtweg nicht stattgefunden hat. Es war in diesem speziellen Fall davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer, der eine Forschungseinrichtung bei dem jetzigen Arbeitgeber leitete, nicht ohne die vorgespiegelte Vorbeschäftigung eingestellt worden wäre, da er über praktisch keine Berufserfahrung, sondern nur über einen 17 Jahre zurück liegenden Studienabschluss verfügte.

Derartige Lügen sind zwar selbstverständlich nicht der Regelfall, durchaus aber nicht ganz selten in der Arbeitswelt. Daher stellt sich die Frage, wie der Arbeitgeber agieren kann, wenn er die Unrichtigkeit maßgeblicher Angaben des Mitarbeiters herausfindet.

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Situation im Bewerbungsgespräch

In der Situation des Bewerbungsgesprächs gibt es auf der einen Seite Offenbarungspflichten des künftigen Mitarbeiters und auf der anderen Seite ein ausdifferenziertes Fragerecht des Arbeitgebers. Derartige Auskunftspflichten im Einstellungsgespräch stellen das Ergebnis einer Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an einer möglichst umfassenden Information über den Bewerber und des Persönlichkeitsrechts des Bewerbers dar.

Offenbarungspflicht

Bezüglich bestimmter Tatsachen existiert eine Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers. Hier ist er von sich aus verpflichtet, Angaben zu machen, ohne, dass der Arbeitgeber ihn darauf anspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist Voraussetzung für eine selbstständige Auskunftspflicht des Bewerbers, dass die fraglichen Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder jedenfalls sonst für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind (BAG, Urteil vom 21. 2. 1991 – 2 AZR 449/90). Die Offenbarungspflicht des Bewerbers unterliegt deutlich engeren Grenzen als das Fragerecht des künftigen Arbeitgebers.

Letztlich sind in diesem Rahmen tatsächlich nur Umstände zu offenbaren, die die Arbeitsleistung unmöglich machen, wie beispielsweise ein baldiger Haftantritt oder eine derart schwere Krankheit, die ebenso eine Erbringung der Arbeitsleitung dauerhaft verhindert oder aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht zumutbar ist. Entschieden wurde beispielsweise auch, dass eine Offenbarungspflicht bei einem alkoholsüchtigen Kraftfahrer besteht. Ebenso ist der Bewerber verpflichtet – insbesondere bei befristeter Beschäftigung – mitzuteilen, falls er sich bei Dienstantritt in einer Kur befindet. Weiterhin besteht eine Offenbarungspflicht im Fall der Schwerbehinderung – dies jedoch ausschließlich dann, wenn der Bewerber aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage ist, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Hinsichtlich einer Schwangerschaft besteht keine Offenbarungspflicht. Auch Vorstrafen sind grundsätzlich nicht zu offenbaren. Lediglich dann, wenn sich aufgrund der Vorstrafe die generelle Ungeeignetheit des Bewerbers für die Tätigkeit ergibt. In der arbeitsrechtlichen Literatur wird das Beispiel eines wegen Sittlichkeitsdelikten vorbestrafter Erziehers angeführt. Von sich aus muss der Bewerber auch auf bestehende Wettbewerbsverbote hinweisen, da daraus unter Umständen erhebliche Beeinträchtigungen der geschuldeten Arbeitsleistung folgen können.

Fragerecht

Weiterhin kann ein Fragerecht des Arbeitgebers bestehen. Dieses hat sich im Laufe der Zeit zu einem sehr ausdifferenzierten System entwickelt. Die Zulässigkeit setzt grundsätzlich voraus, dass ausschließlich arbeitsplatzbezogene Fragen gestellt werden. In datenschutzrechtlicher Hinsicht gilt gemäß § 32 BDSG der Grundsatz der Erforderlichkeit

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG wird dem Arbeitgeber ein Fragerecht nur insoweit zugestanden, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat. Das Interesse des Arbeitgebers muss dabei objektiv so stark sein, dass dahinter das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktreten muss (BAG, Urteil vom 11.11.1993 – 2 AZR 467/93). Hier ist in jedem Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen.

Auch hier lassen sich unzählige Beispiele aus der Rechtsprechung anführen. Wir beschränken uns im Folgenden auf die häufigsten Fragen.

  • Fragen nach dem bisherigen beruflichen Werdegang und der konkreten Erwartung des Arbeitnehmers hinsichtlich des neuen Arbeitsplatzes und seiner beruflichen Entwicklung können jederzeit gestellt werden.
  • Fragen nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers sind nur insoweit zulässig, wie sie die Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz betreffen. Dabei kann regelmäßig nach akuten Erkrankungen gefragt werden. Fragen nach häufig wiederkehrenden, chronischen Erkrankungen können eventuell behinderungsrelevant und damit unzulässig sein (vgl EuGH 11.7.06 – C 13/05).
  • Eine etwaige Gewerkschaftszugehörigkeit darf bei der Einstellung vom Arbeitgeber nicht abgefragt werden (BAG, Urteil vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99). Auch im laufenden Arbeitsverhältnis ist ein auf Offenlegung der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer gerichtetes Auskunftsverlangen während laufender Tarifverhandlungen unzulässig, da es die gewerkschaftliche Koalitionsbetätigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt. (BAG, Urteil vom 18.11.14 – 1 AZR 257/13).
  • Nach einer Religions- oder Parteizugehörigkeit darf der Arbeitgeber grundsätzlich ebenfalls nicht fragen, es sei denn, es handelt sich um eine konfessionelle oder parteipolitische Institution, vgl. § 9 AGG.
  • Die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft darf selbst im Rahmen eines befristeten Arbeitsplatzes nicht gestellt werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Beschäftigung von vornherein ein Beschäftigungsverbot entgegensteht. Damit verbleibt ein Fragerecht allenfalls bei kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen soweit sie für ihre gesamte Dauer von einem Beschäftigungsverbot erfasst werden.
  • Die Zulässigkeit der Frage nach einer Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers ist bisher höchstrichterlich ungeklärt. Nach dem sechsmonatigen Bestehen des Arbeitsverhältnisses ist diese Frage zur Vorbereitung einer Kündigung zulässig. Innerhalb der ersten sechs Monate bzw. vor Abschluss des Arbeitsvertrages erscheint eine derartige Frage unzulässig. Unabhängig davon kann jedoch wegen der konkreten Anforderungen des zu besetzenden Arbeitsplatzes einem besonderen Informationsbedürfnis durch zulässige Fragen nach der Erfüllung arbeitsplatzbezogener Anforderungsprofile Rechnung getragen werden (LAG Hamm 19.10.06 – 15 Sa 740/06).
  • Die Zulässigkeit der Frage nach der bisherigen Vergütung ist in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung umstritten. Das BAG differenziert nach der Relevanz der Frage für die angestrebte Tätigkeit. Nur wenn die bisherige Vergütung für die begehrte Stelle aussagekräftig ist oder der Bewerber sie von sich aus als Mindestvergütung gefordert hat, soll die Frage berechtigt sein (BAG, Urteil vom 19.5.1983 – 2 AZR 171/81).
  • Nach den Vermögensverhältnissen des Bewerbers darf nur dann gefragt werden, wenn diese Frage durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers aufgrund der zu besetzenden Position gedeckt ist. Dies ist nur bei besonderen Vertrauensverhältnissen der Fall.

Rechtliche Folgen von Falschangaben

Problematisch gestaltet sich die unrichtige Beantwortung einer zulässigen Frage oder die Falschangabe im Lebenslauf erst dann, wenn das Arbeitsverhältnis eingegangen wurde und sich Angaben später als falsch herausstellen. Der Arbeitsvertrag ist bereits vollzogen und damit stellt sich die Frage ob und wie das Arbeitsverhältnis wieder beendet werden kann.

Liegt der Fall derart, dass der Bewerber im Bewerbungsgespräch einen offenbarungspflichtigen Umstand nicht von sich aus mitteilt oder eine zulässige Frage des Arbeitgebers wahrheitswidrig beantwortet hat, so berechtigt dies den Arbeitgeber regelmäßig zur Anfechtung des Arbeitsvertrages gemäß § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung, wenn die Täuschung für dessen Abschluss ursächlich war (BAG, Urteil vom 6.9.12 – 2 AZR 270/11). Das Recht zur Anfechtung wird nicht durch das Kündigungsrecht verdrängt. Die Anfechtung hat gemäß § 142 BGB die rückwirkende Nichtigkeit des Arbeitsvertrages zur Folge (BAG, Urteil vom 3.12.98 – 2 AZR 754/97), es sei denn, die wahrheitswidrige Beantwortung ist offensichtlich und es fehlt daher an der Täuschung des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 18.10.2000 – 2 AZR 380/99 offensichtliche Schwerbehinderung). Einzelne Vertragsbestandteile, wie zB die Gehaltsvereinbarung, die aufgrund einer wahrheitswidrigen Angabe des bisherigen Verdienstes des ArbN zustande gekommen ist, können nicht isoliert angefochten werden (LAG Düsseldorf, Urteil vom 29.4.1966 – 4 Sa 8/66).

Allerdings ist das Arbeitsverhältnis nicht rückabzuwickeln. Es ist allgemein anerkannt, dass die Regelwirkung der Anfechtung, die Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses, bei einem in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnis nicht greift. In diesem Fall würden sich erhebliche Probleme ergeben – die erbrachte Gegenleistung des Arbeitnehmers in Form der Arbeitskraft kann nicht zurück gewährt werden. Ebenfalls wird der Arbeitnehmer im Zweifel nicht das gesamte Entgelt zurückzahlen können.

Demgegenüber darf der Arbeitnehmer unzulässige Fragen wahrheitswidrig beantworten, da die bloße Nichtbeantwortung der Frage einer Negativauskunft gleichkäme und das Frageziel damit gleichwohl erreicht würde (BAG, Urteil vom 15.11.12 – 6 AZR 339/11). Das gilt auch für Fragen, die ein Merkmal des § 1 AGG betreffen. Stellt sich also später heraus, dass der Arbeitnehmer derartige Fragen wahrheitswidrig beantwortet hat, so lässt sich daraus bezüglich des Arbeitsverhältnisses keine rechtliche Konsequenz ableiten.

Bei Falschangaben im Lebenslauf ist hingegen fraglich, welcher Grad an „Falschheit“ vorliegt und ob dieser zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigt. In dem vom LAG Baden-Württemberg zu entscheidenden Fall berechtigte die erfundene 14jährige Zuvorbeschäftigung in der angegebenen Position den Arbeitgeber zur Anfechtung und damit zur sofortigen Vertragsauflösung. Derartige Rechtsstreitigkeiten werden jedoch im Zweifel stets Einzelfallentscheidungen bleiben, sodass hier kein einheitlicher Maßstab angelegt werden kann. Es wird darauf ankommen, ob das Festhalten an dem Vertrag für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Hier wird es ganz entscheidend auf die „Art der Lüge“ und auf die im Unternehmen bekleidete Position des Arbeitnehmers ankommen. Hier werden sicherlich bei Arbeitnehmern in einer Vertrauensposition strengere Maßstäbe angelegt, als bei Arbeitnehmern, die keine besonders verantwortungsvolle Aufgabe bekleiden.

Wird das Arbeitsverhältnis hingegen nicht eingegangen und macht der Bewerber die Überschreitung der Grenzen des Fragerechts wegen einer damit unter Umständen verbundenen Persönlichkeitsrechtsverletzung geltend, so kann dies zu einer Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers führen. Mangels Quantifizierbarkeit des Schadens dürfte dies in der Praxis jedoch kaum Bedeutung erlangen.

Fazit

Angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Fallgestaltungen lässt sich in diesem Zusammenhang selten eine belastbare Prognose abgeben. Das Feld der zulässigen und unzulässigen Fragen sowie der kleinen oder größeren Falschangaben im Lebenslauf ist sehr weit. Im Übrigen lässt sich durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), die bei uns Einzug gehalten hat, nunmehr noch seltener etwas vorhersagen. Der EuGH legt ein großes Augenmerk auf die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer, sodass sich noch weitere Fragen künftig als unzulässig erweisen können.

 

Ein Beitrag von:

  • Dr. Arno Frings

    Dr. Arno Frings ist Jurist und Gründer von fringspartners. Er gilt als einer der führenden Arbeitsrechtler in Deutschland.

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