Fehlbetrag – Haften Ingenieure für Eigentum des Arbeitgebers?
Immer wieder geht es in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen um Fälle, in denen Eigentum des Arbeitgebers verschwunden ist. Hier stellt sich die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen interessante Frage, inwiefern der Arbeitnehmer hierfür haftet. Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer beispielsweise wirksam verpflichten, dass dieser für jeden Fehlbetrag verschuldensunabhängig haftet? Die gesamte Problematik wird auch als sogenannte „Mankohaftung“ bezeichnet.
Unter Manko ist die Differenz zwischen dem Ist- und dem Sollbestand zu verstehen. Grundsätzlich existieren vier Fallgruppen, die unter dem Begriff der Mankohaftung zusammengefasst werden:
- Fehlbeträge in einer vom Arbeitnehmer geführten Kasse,
- Fehlbeträge in den dem Arbeitnehmer anvertrauten Warenbeständen,
- Nichtauslieferung von Gegenständen, die dem Arbeitnehmer zum Transport übergeben worden sind sowie
- Fehlbestände bei den dem Arbeitnehmer zur Ausführung der Arbeit überlassenen Gegenständen.
Das Kernproblem der Arbeitnehmerhaftung liegt darin, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien meistens Uneinigkeit über die Ursache des Fehlbestandes besteht, da der Sachverhalt häufig nicht aufgeklärt werden kann. Aus Arbeitgebersicht besteht an dieser Stelle daher ein erhebliches Beweisproblem. Teilweise enthalten Arbeitsverträge daher besondere Mankoabreden, in denen gesondert festgelegt wird, wofür der Arbeitnehmer einzustehen hat.
1. Gesetzliche Haftung
Haben die Vertragsparteien keine gesonderte Regelung getroffen, gilt das allgemeine Arbeitnehmerhaftungsregime. Hiernach ist für eine Haftung stets eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers erforderlich. Der Arbeitnehmer haftet, wenn das Manko von ihm pflichtwidrig, kausal und schuldhaft herbeigeführt worden ist. Grundsätzlich haftet der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber nur eingeschränkt. Jahrzehntelang hat es die Rechtsprechung allerdings abgelehnt, dem Arbeitnehmer im Fall der Mankohaftung die Grundsätze über diese eingeschränkte Arbeitnehmerhaftung und die damit einhergehenden Haftungsprivilegierungen zugutekommen zu lassen. Lange Zeit war nach der Rechtsprechung eine sogenannte „gefahrgeneigte Tätigkeit“ Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Haftungsbeschränkungen des Arbeitnehmers. Die Haftungsprivilegierungen kamen somit nur zur Anwendung, wenn die Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Arbeit es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, dass auch einem sorgfältigen Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die für sich allein betrachtet zwar jedes Mal vermeidbar wären, mit denen aber angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit als mit einem typischen Abirren der Dienstleistung erfahrungsgemäß zu rechnen ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner jüngeren Rechtsprechung nunmehr das Kriterium der gefahrgeneigten Tätigkeit aufgegeben und wendet die Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich jetzt auch auf die Fälle der Mankohaftung an.
Das BAG hat entschieden, dass die Grundsätze der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung nicht zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien stehen, sondern vielmehr „einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht“ darstellen. Das bedeutet, dass die Vertragsparteien nicht zu Lasten des Arbeitnehmers hiervon abweichen dürfen.
Die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung beinhalten ein dreistufiges Haftungssystem für den Fall, dass der Arbeitnehmer sich infolge einer betrieblichen Tätigkeit schadensersatzpflichtig gemacht hat.
- Bei einfacher Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers entfällt der Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers komplett.
- Eine Quotelung analog § 254 BGB findet bei mittlerer Fahrlässigkeit statt, ausgehend vom Verschulden des Arbeitnehmers
und dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers. - Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit führen zu einer vollen Haftung des Arbeitnehmers. Anerkannt ist allerdings die
Möglichkeit der Haftungsbeschränkung bei grober Fahrlässigkeit, wenn aufgrund des Schadenersatzanspruchs eine
Existenzgefährdung des Arbeitnehmers vorliegt. Erforderlich dafür ist, dass ein deutliches Missverhältnis zwischen
Verdienst und Höhe des Schadens vorliegt, sowie eine Bedrohung der Existenz des Arbeitnehmers, wenn er den Schaden
alleine tragen muss.
Die gleichen Grundsätze gelten auch, wenn der Arbeitnehmer bei der Ausübung seiner Tätigkeit einen betriebsfremden Dritten schädigt. Zwar haftet der Arbeitnehmer nach außen gegenüber dem Dritten voll. Ihm steht aber gegebenenfalls im Umfang der oben genannten Grundsätze ein Freistellungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber zu. Damit die eingeschränkte Arbeitnehmerhaftung überhaupt zur Anwendung gelangt, muss ein innerer Zusammenhang der den Schadensersatzanspruch auslösenden Tätigkeit zum Betrieb des Arbeitgebers bestehen. Spielt der Produktionsmitarbeiter beispielsweise in der Werkshalle Fußball und beschädigt er hierbei aus Versehen Ware, greift das eingeschränkte Haftungsregime nicht ein.
1.2. Mitverschulden
Zu bedenken ist auch, dass häufig ein Mitverschulden des Arbeitgebers vorliegt, woraufhin der Haftungsanspruch gegen den Arbeitnehmer gemindert oder ausgeschlossen ist. Ein Mitverschulden können beispielsweise Organisationsmängel, Unterlassen persönlicher Mitwirkungspflichten durch den Arbeitgeber selbst oder seiner Beauftragten, mangelnder Verschluss der Gegenstände, Unterlassen regelmäßiger Kontrollen bzw. Sicherungsmaßnahmen oder Inventurmaßnahmen, betriebliche Mängel, Nichtabschluss einer Versicherung, Überforderung oder mangelnde Überwachung der Arbeitnehmer begründen. Hat der Arbeitnehmer nachweislich vorsätzlich gehandelt, ist allerdings eine Berufung auf das Mitverschulden des Arbeitgebers nicht möglich.
2. Vertragliche Mankoabrede
Grundsätzlich sind Abreden über die Haftung für Fehlbestände aufgrund der auch im Arbeitsrecht geltenden Privatautonomie zulässig. Zu unterscheiden ist jedoch zwischen solchen Mankoabreden, die dem Arbeitnehmer lediglich eine Prämie dafür gewähren, dass bei ihm keine Fehlbestände auftreten, die jedoch die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung nicht berühren, und solchen Vereinbarungen, die eine verschärfte Haftung des Arbeitnehmers begründen.
Erstere sind unproblematisch zulässig. Der Arbeitnehmer wird keiner weiteren Haftung unterworfen, sondern er wird lediglich dafür belohnt, dass er sorgfältig ist.
Die Zulässigkeit einer Abrede, bei der der Arbeitnehmer einer verschärften Haftung unterliegt – etwa weil er verschuldensunabhängig für jedes Manko in seinem Arbeitsbereich haftet – wird jedoch einer strengen Kontrolle durch die Rechtsprechung unterzogen. Eine vom Verschulden unabhängige Garantiehaftung des Arbeitnehmers kann nicht wirksam vereinbart werden, wenn hierdurch zu Lasten des Arbeitnehmers von den zwingenden Grundsätzen der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung abgewichen wird. Solche Abreden sind nur dann zulässig, wenn das vom Arbeitnehmer zusätzlich übernommene Haftungsrisiko dadurch gemildert wird, dass er einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich („Mankogeld“) erhält. Dieser ist so zu bemessen, dass schlimmstenfalls das gesamte Manko abgedeckt werden kann. Ist dies nicht der Fall, liegt eine unverhältnismäßige Benachteiligung vor, da der Arbeitnehmer ein grundsätzlich dem Arbeitgeber zuzuordnendes Risiko übernimmt, ohne hierfür einen gleichwertigen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten. Der Umfang der Einstandspflicht beschränkt sich auf die Höhe des in einem bestimmten Abrechnungszeitraum tatsächlich bezogenen Mankogeldes. Der Arbeitnehmer soll kurz gesagt nur mit dem zusätzlichen Mankogeld, nicht aber mit seinem sonstigen Vermögen für Risiken haften, die von der Rechtsordnung dem Arbeitgeber zugewiesen werden.
Sogar Abreden, die dem Arbeitnehmer eine von ihm rechtlich oder tatsächlich nicht beherrschbare verschuldensunabhängige Haftung für von Dritten verursachte Mankos, also eine Gefährdungshaftung, auferlegen, können wirksam sein. Allerdings gilt dies nur, sofern die Haftung auf das tatsächlich bezogene Mankogeld begrenzt ist. Übersteigt der Mankoschaden das als Risikoprämie zu bewertende Mankogeld, wurde die Vereinbarung nach früherer Rechtsprechung regelmäßig dahin ausgelegt, dass der Arbeitnehmer jedenfalls im Umfang der erhaltenen Mankogelder haftet. Nach Einführung der §§ 305 ff BGB dürfte diese Reduzierungen auf das zulässige Maß allerdings nicht mehr möglich sein. Insofern bliebe es dann bei der Unwirksamkeit der Klausel, da der sich gesetzeswidrig verhaltende Arbeitgeber nicht privilegiert werden darf.
3. Beweislastverteilung
Wie bereits dargelegt, spielt gerade in diesem Bereich des Arbeitsrechts die Beweislastverteilung eine bedeutsame Rolle. Verlangt der Arbeitgeber Schadenersatz vom Arbeitnehmer, trifft den Arbeitgeber grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für ein Verschulden des Arbeitnehmers, § 619a BGB.
Gerade in Mankofällen lassen sich häufig Pflichtverletzungen, Ursächlichkeit des Arbeitnehmerverhaltens und ein mögliches Verschulden nicht beweisen. Allerdings kommen dem Arbeitgeber Beweiserleichterungen zugute, weil in diesen Fällen das schädigende Ereignis regelmäßig eher in der Sphäre des Arbeitnehmers als des Arbeitgebers angesiedelt ist. Der Arbeitnehmer hat sich im Sinne einer gestuften Darlegungslast substantiiert zu äußern, muss also durch Tatsachen begründen, dass er nicht in Haftung genommen werden darf. So muss er beispielsweise detailliert darlegen, wo er ein abhanden gekommenes Werkzeug aufbewahrt und wo er es das letzte Mal verwendet hat. Vom Arbeitgeber vorgetragene Indizien, die auf ein haftungsbegründendes Verschulden des Arbeitnehmers hinweisen, sind sorgfältig zu würdigen.
Vertragliche Vereinbarungen über die Beweislast sind gemäß § 309 Nr. 12 BGB unwirksam, sofern es sich um vorformulierte Klauseln handelt, was bei Arbeitsverträgen regelmäßigder Fall ist. Ein Verschulden des Arbeitnehmers bedarf keines Nachweises, wenn ausdrücklich eine verschuldensunabhängige (Garantie-) Haftung vereinbart ist. Besteht eine Mankoabrede, muss der Arbeitgeber neben der Wirksamkeit der Mankovereinbarung zusätzlich die alleinige Verfügungsgewalt und den alleinigen Zugang des Arbeitnehmers zu der verwalteten Kasse oder den verwalteten Waren beweisen. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Abrede auch für von Dritten verursachte Fehlbestände haftet. Ferner muss der Arbeitgeber darlegen, dass tatsächlich ein Manko eingetreten ist, das nicht auf anderen Ursachen beruht. Fehlt eine besondere Mankoabrede, hat der Arbeitgeber grundsätzlich die Pflichtwidrigkeit des Arbeitnehmers, einen durch den Arbeitnehmer verursachten Schaden sowie ein Verschulden des Arbeitnehmers zu beweisen. Das Verschulden muss mindestens den Grad der mittleren Fahrlässigkeit erreichen, da unterhalb dieser Schwelle die Haftung nach den oben dargestellten Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs ausgeschlossen ist. Die alleinige Beherrschbarkeit eines Geld- oder Warenbestandes ist ein Indiz, das auf eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers hindeuten kann. Kann der Arbeitgeber einen ausreichenden Verschuldensgrad des Arbeitnehmers darlegen, muss der Arbeitnehmer wiederum einen Geschehensablauf darlegen, aus dem sich ergibt, dass der Fehlbestand nicht durch einen entsprechenden Verschuldensgrad entstanden ist.
4. Bewertung
Die Beweisproblematik hat nicht nur Auswirkungen auf einen möglichen Schadensersatzprozess des Arbeitgebers. Auch in einem sich gegebenenfalls anschließenden Kündigungsschutzprozess ist die Beweisfrage von entscheidender Bedeutung. Auch das bloße Auftreten höherer Mankobeträge führt nicht automatisch zur fristlosen Kündigung.
Vielmehr muss stets im Einzelfall bewiesen werden, worauf sie zurückzuführen sind. Dies ist jedoch, wie aufgezeigt, oftmals gerade problematisch. Allerdings kommt – unter den strengen Voraussetzungen der Rechtsprechung – eine Verdachtskündigung in Betracht.
Selbst wenn der Arbeitnehmer nachweisbar für den Fehlbestand verantwortlich ist, ist eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zwingend gerechtfertigt. Es ist stets auch zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer unter hohem Zeitdruck und massenweise an der Kasse oder im Warenbestand arbeitet. Kommt es zu einem erheblichen Fehlbestand, weil der Arbeitnehmer mit der Verantwortung überfordert ist, so kann eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommen. Im Zuge der „Emmely-Rechtsprechung“ hat das BAG noch einmal klargestellt, dass es keine absoluten Kündigungsgründe gibt. Auch bei (geringwertigen) Vermögensdelikten muss eine Interessenabwägung und -betrachtung im Einzelfall erfolgen, sodass eine Kündigung an einer fehlenden vorherigen Abmahnung scheitern kann. Seit dieser Entscheidung ist eine Vielzahl an instanzgerichtlichen Urteilen ergangen, die die Unsicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Kündigungen fördert. Fest steht jedoch, dass auch weiterhin bei Vermögensdelikten ein strenger Maßstab gilt und eine Einzelfallentscheidung zu treffen ist.
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