Haftung – auch bis hin zur Haft?
VDI nachrichten – Ingenieure können für Konstruktionsmängel und deren Folgen zur Verantwortung gezogen werden. Bereits eine anteilige Haftung ist möglich. In vielen Unternehmen wird diese Gefahr jedoch noch immer unterschätzt, warnen Experten. Dabei werde die Zahl der Ermittlungsverfahren in den kommenden Jahren steigen, meinen Fachanwälte.
Auch Unternehmer werden manchmal erst durch Schaden klug: Zweimal innerhalb von kurzer Zeit wurden Arbeiter im vergangenen Jahr durch den gleichen Maschinentyp verletzt, zweimal wurde der Hersteller, ein deutsches Maschinenbauunternehmen, von den Unfällen informiert – und zweimal passierte einfach nichts. Erst als beim dritten Unfall ein Arbeiter aufgrund des offensichtlichen Konstruktionsfehlers ums Leben kam, weil er wie bereits seine Kollegen zuvor durch eine entstandene Gummischlaufe ins Gerät gezogen worden war, interessierte sich der Hersteller plötzlich für die Sicherheit seines Produktes – zwangsläufig. Denn vor der Tür stand die Staatsanwaltschaft, die wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung Ermittlungen gegen zwei Konstrukteure aufgenommen hatte. „Die schlafen zur Zeit nicht besonders gut“, untertreibt ein Anwalt, der in den Fall involviert ist.
„Ingenieure unterschätzen die Gefahr, selbst zur Verantwortung gezogen zu werden“, warnt Thomas Klindt von der Großkanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz in München. „Erst recht, wenn es um strafrechtliche Haftung geht.“ Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Über Strafverfahren gegen Ingenieure ist in den Zeitungen kaum jemals etwas zu lesen. Die mehr oder weniger brisanten Verfahren enden häufig mit einem Strafbefehl ohne Hauptverhandlung (in leichteren Fällen) oder sie werden gegen Auflagen eingestellt. „In einer Hauptverhandlung wäre ein Ingenieur atmosphärisch verloren, wenn er da einer Witwe oder einem Arbeiter mit abgetrennten Gliedmaßen gegenübersäße“, sagt Klindt.
Einer der wenigen öffentlichkeitswirksamen Fälle, der tatsächlich vor Gericht kam, war das Verfahren um das ICE-Unglück von Eschede, bei dem 1998 wegen eines gebrochenen Radreifens 101 Menschen ums Leben kamen.
Der Prozess gegen drei an der Entwicklung maßgeblich beteiligten Konstrukteure wurde schließlich im vergangenen Jahr gegen eine Zahlungsauflage von jeweils 10 000 € eingestellt.
Klindt glaubt, dass die Zahl der Ermittlungsverfahren in den nächsten Jahren noch ansteigen wird. Mehr Opfer als früher seien an der strafrechtlichen Verfolgung von Fehlverhalten interessiert. Und die Opferanwälte nutzen die Verfahren zusätzlich zur Einsicht in die Strafakten – um zivilrechtliche Schadensersatzklagen gegen Verantwortliche von Unfällen besser vorbereiten zu können. Überhaupt seien Staatsanwaltschaften in diesem Bereich sensibilisiert und ermittelten umfangreicher, so seine Beobachtung.
Anders als im Bereich des zivilen Schadenersatzrechts wird im Strafrecht immer der jeweilige Schädiger persönlich zur Verantwortung gezogen, eine Unternehmenshaftung ist hier nicht möglich. Weil sich Geschäftsführer und technische Leiter in der Regel entlasten können, richteten sich die Ermittlungen dann häufig gegen einzelne Konstrukteure. „In vielen Fällen sind für Unfälle keine Schuldigen auszumachen“, sagt ein Kölner Staatsanwalt. „Doch oft genug gibt es hinreichenden Tatverdacht für eine Straftat – sei es wegen Konstruktionsmängeln oder der Nichteinhaltung von Sicherheitsvorschriften.“
Auch im Zivilrecht ist die Gefahr für Ingenieure, persönlich haften zu müssen, absolut realistisch. „Wenn es in Unternehmen wirtschaftlich nicht mehr so rund läuft, wird in Schadensfällen natürlich verstärkt überlegt, beim Verursacher unmittelbar Rückgriff zu nehmen“, hat Thomas Klindt von Nörr beobachtet. Zwar gilt nach wie vor der vom Bundesarbeitsgericht aufgestellte Grundsatz, dass Angestellte nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz voll zur Verantwortung gezogen werden können. Doch ist grobe Fahrlässigkeit, also die Außerachtlassung dessen, was eigentlich jedem hätte einleuchten müssen, im Zweifelsfall nicht allzu schwer nachzuweisen.
Unternehmen haften bekanntermaßen für Ansprüche, die Dritte (also z. B. Kunden) gegen sie geltend machen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Arbeitgeber jedoch Rückgriff bei seinen Angestellten nehmen. Denn Arbeitnehmer haben aus dem Arbeitsvertrag die Pflicht, in ihrem Aufgabenbereich Schäden vom Unternehmen abzuwenden.
Grundsätzlich haften Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Mögliche Anspruchsgrundlagen für eine Haftung des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber können dabei der Vertrag oder gesetzliche, und zwar insbesondere deliktische Ansprüche aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sein.
Vertragliche Schadensersatzansprüche können aus der Nicht- oder Schlechterfüllung der Arbeitspflicht oder von Nebenpflichten resultieren. Würden Arbeitnehmer aber die volle Haftung für diese Verpflichtung tragen, wäre ein Teil des Unternehmerrisikos auf sie abgewendet. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb, soweit es sich um eine betrieblich veranlasste Tätigkeit des Arbeitnehmers handelt, Grundsätze zur Haftung der Arbeitnehmers aufgestellt, durch die die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregeln nur abgestuft zur Anwendung kommen.
Gegenüber Dritten ergeben sich für Arbeitnehmer mangels vertraglicher Beziehung allein gesetzliche Ansprüche. Auch hier sind deliktische Ansprüche vorstellbar.
Was Unternehmen häufig vom Regress gegen ihre eigenen Mitarbeiter abhält, ist entweder die Höhe des Schadens, den ein Angestellter allein ohnehin nicht wiedergutmachen kann (wie etwa bei Rückrufaktionen, bei denen schnell Kosten in Millionenhöhe entstehen), oder die Angst vor Industriespionage durch vergrätzte Mitarbeiter. Ohnehin wird von der Rechtsprechung in der Regel die Haftungshöchstgrenze bei einem Jahresgehalt gezogen.
Aus dem Strafgesetzbuch
Einschlägige Vorschriften:
§ 222 StGB: Fahrlässige Tötung
Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 229 StGB: Fahrlässige Körperverletzung
Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. kw
Unabhängig von der zivilrechtlichen Haftung droht Arbeitnehmern, die sich schwere Konstruktionsmängel o. ä. zuschulden kommen lassen, die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Ist für eine fahrlässige Tötung oder Körperverletzung ein einzelner Mitarbeiter verantwortlich, so hat grundsätzlich er persönlich, und nicht der Arbeitgeber dafür einzustehen.
Nicht ganz unwahrscheinlich ist für Ingenieure daneben die anteilige Haftung, die sie leisten müssen, wenn sie sich mittlere Fahrlässigkeit zu schulden kommen lassen. Auch wenn kein Unternehmen und vor allem auch kein Ingenieur gern darüber spricht: „Das kommt in der Praxis, wenn auch selten, vor, wobei der Arbeitnehmer in der Regel mit einem geringeren Anteil haftet“, sagt Corinna Verhoek aus dem Kölner Büro der Großkanzlei Linklaters. Entscheidend für die Höhe dieser Haftung sind Faktoren wie das Vorverhalten des Arbeitnehmers, der Verdienst oder die Versicherbarkeit der Arbeitsaufgabe. Einzig bei leichter Fahrlässigkeit entfällt die Haftung vollständig.
Wenn Ingenieuren auch der Gang zum Gericht oder die finanzielle Haftung erspart bleibt – ganz ungeschoren kommen sie in der Regel trotzdem nicht davon. „Die Karriere ist nach einem schweren Konstruktions- oder Überwachungsfehler am Ende“, warnt Thomas Klindt. Dabei seien Fehler häufig überflüssig: „Viele Ingenieure kennen einfach die für ihren Fachbereich einschlägigen deutschen und europäischen Rechtsvorschriften nicht. Hier wären die Arbeitgeber gefragt, die mit regelmäßigen Schulungen nachhelfen müssten. Der Fisch stinkt immer vom Kopf her.“
Was auch für den oben genannten Maschinenhersteller gilt. Denn in diesem konkreten Fall wird jetzt neben den Konstrukteuren auch gegen die Geschäftsleitung ermittelt – weil diese die Unfallmeldungen vor dem Todesfall monatelang schlichtweg ignoriert hatte.
Ein Beitrag von: