IG Metall erteilt „überstarken“ Lohnerhöhungen eine Absage
Die IG Metall fordert im Wahljahr von der Politik eine „neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“ zur Eindämmung prekärer Beschäftigung. In einem Bericht Leiharbeit sollen Unternehmen benannt werden, die Branchenzuschläge unterlaufen. Zudem nimmt sie Werkverträge ins Visier, die tarifvertraglich nicht geregelt sind.
Die IG Metall hat „überstarken“ Lohnerhöhungen eine Absage erteilt. Damit distanzierte sich Berthold Huber, Erster Vorsitzender der Gewerkschaft, von Empfehlungen von Ökonomen, die Löhne in Deutschland kräftig anzuheben, um Druck von den Ländern Südeuropas zu nehmen.
Huber räumt zwar wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Nord- und Südländern in der Eurozone ein, hält aber nichts davon, die Wettbewerbsposition der deutschen Metall- und Elektroindustrie durch die Lohnpolitik zu verschlechtern.
In einem Pressegespräch, in dem der IG-Metall-Vorstand am Dienstag eine Bilanz für 2012 zog und den Kurs für das laufende Jahr absteckte, bekräftigte Huber, dass bei der im Frühjahr beginnenden Lohnrunde die alte Tarifformel gelten soll: Lohnverhandlungen orientieren sich an der Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Produktivität, die deutlich niedriger ausfällt als die in der Metall- und Elektroindustrie, am Anstieg der Verbraucherpreise und an einem Umverteilungsfaktor.
Diese Umverteilungskomponente soll dafür sorgen, dass den Beschäftigten zulasten der Gewinne ein größerer Teil am Volkseinkommen zufließt. Im vergangenen Jahr betrug dieser Faktor nach Angaben von Huber „aufgrund einer Sondersituation“ zwischen 1,8 % und 2 %. In diesem Jahr dürfe er aber nicht so hoch ausfallen.
Die Arbeitgeber lehnen die Lohnformel der Gewerkschaft ab. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt verweist darauf, dass jede Lohnerhöhung, die über das Produktivitätswachstum hinausgehe, Arbeitsplätze vernichte. Er schätzt das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum in diesem Jahr auf höchstens 0,7 %.
Die IG Metall ist optimistischer, was die wirtschaftlichen Aussichten betrifft. Sie geht, wie auch OECD, Bundesbank und Bundesregierung, nach dem ersten Quartal 2013 von einer leichten Erholung aus. Allerdings bleibe die Situation im Euro-Raum labil, sodass der Konsum in Deutschland als dem größten Land in der Währungsunion das Wachstum treiben müsse. Dabei, so Huber, falle der Lohnpolitik eine wichtige Aufgabe zu: Sie müsse für angemessene Entgelterhöhungen sorgen.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bewertet Huber als „insgesamt stabil“. So gebe es in der Metall- und Elektroindustrie aktuell gut 3,7 Mio. Beschäftigte, mehr als vor der Krise. Allerdings sei auch die Leiharbeit wieder auf altem Stand. Insgesamt ist der „säkulare Trend hin zu prekärer Beschäftigung nicht gebrochen“. Fast jeder vierte Beschäftigte in Deutschland arbeite im Niedriglohnsektor. „Das ist der größte Anteil in Europa.“ Die IG Metall will das nicht hinnehmen. Sie fordert von der Politik eine „neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“. Die Zukunft der Arbeit macht die Gewerkschaft im Wahljahr zum Maßstab für alle Parteien.
Problematisch aus Sicht der Gewerkschaft sind Leiharbeit und Werkverträge. Während für den Arbeitgeberverband Gesamtmetall Leiharbeit mit dem 2012 geschlossenen Tarifvertrag über Branchenzuschläge „befriedet“ sein sollte, enthält dieses Thema für die IG Metall noch Konfliktstoff.
Die Gewerkschaft beobachtet, so ihr Zweiter Vorsitzender Detlef Wetzel, dass diese Zuschläge von den Verleihfirmen oft nicht gezahlt würden. Im Frühjahr soll ein Report erscheinen, in dem, unter Nennung von Namen, aufgezeigt werden soll, wie Unternehmen diese Zuschläge umgehen. Sollte sich herausstellen, dass es nicht einzelne schwarze Schafe gibt, werde das „weitreichende politische Folgen haben“, kündigte Wetzel an. Dann müsste die Politik, um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, gesetzlich eingreifen.
Neben der Leiharbeit nimmt die IG Metall auch Werkverträge ins Visier. In dieser Vertragsform sieht Wetzel ein Einfallstor für Auslagerungen, die, anders als Leiharbeit, nicht von Tarifverträgen erfasst und reguliert seien. „Diese Unternehmensstrategien akzeptieren wir nicht.“ Rückendeckung bekommt die Gewerkschaft dabei von der Kanzlerin, die angekündigt hatte, dass sich die Regierung stärker um Missbrauch bei Werkverträgen kümmern wolle.
Die IG Metall gibt sich demonstrativ selbstbewusst. Ein Grund: die Zahl der Mitglieder steigt und damit auch die Beitragseinnahmen (siehe Kasten). Die Jahrzehnte währende, enge Bindung an die SPD ist zwar nicht gekappt, aber lockerer geworden – auch im Jahr der Bundestagswahl. Huber: „Die IG Metall wird mit jeder Regierung leben müssen.“
Die Versuche zur Re-Industrialisierung stark kapitalmarktabhängiger Länder wie Großbritannien, Irland oder den USA beurteilt Huber skeptisch. Auch wenn in den USA die Preise für Energie und Rohstoffe durch eigene Ressourcen sinken sollten, würde das die Chancen für die Industrie nicht nachhaltig verbessern. Entscheidend sei, dass qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Huber bezweifelt, dass diese Kräfte schnell gefunden oder ausgebildet werden könnten, weil in den USA ein gutes System der beruflichen Bildung fehle.
Um eine De-Industrialisierung in Europa zu verhindern, plädiert Huber für ein Investitionsprogramm, das auf den Ausbau der industriellen Wertschöpfung in Europa gerichtet ist. Alleine in Deutschland hingen mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der industriellen Produktion ab. Wenn solche Arbeitsplätze verloren gegangen sind, seien sie kaum noch zurückzuholen. HARTMUT STEIGER
Ein Beitrag von: