Ingenieure gehen bei Bosch häufig in Elternzeit
Männer in Führungspositionen scheinen unabkömmlich zu sein. Nicht nur Teilzeitbeschäftigung ist unter männlichen Führungskräften wenig verbreitet. Auch bei der Inanspruchnahme von Elternzeit stehen sie in vielen Unternehmen nicht gerade Schlange. Es gibt aber auch Vorbilder, die zeigen, wie Elternzeit und das Arbeiten im Home-Office mit einer hohen Verantwortung im Job vereinbart werden können. Die Tendenz, dass auch Führungskräfte in Elternzeit gehen, ist jedenfalls steigend.
Im zweiten Halbjahr 2009 haben in der Bosch-Gruppe Deutschland rund 1000 Männer Elternzeit genommen. Bei den Führungskräften besteht allerdings noch „Aufholbedarf“, meint Heidi Stock, Leiterin Chancengleichheit bei Bosch. Nur 6 % der Väter in Elternzeit sind dort außertarifliche Mitarbeiter.
In anderen Unternehmen dürfte die Lage ähnlich sein. Dabei mangelt es bei Bosch längst nicht mehr an Vorbildern, zumindest nicht bei den tariflichen Mitarbeitern und auch nicht in bestimmten Funktionsbereichen. „Viele Väter, die Elternzeit nehmen, sind Ingenieure“, sagt Stock. Möglicherweise seien Ingenieure im Hinblick auf ihr familiäres Rollenverständnis besonders innovativ. Die Inanspruchnahme von Elternzeit habe unter den Ingenieuren jedenfalls einen „Ermutigungseffekt“ zur Folge, der andere animiere, Gleiches zu tun.
Wenn Väter Elternzeit nehmen, sei das schlecht für die Karriere, ist häufiger in Väter-Blogs zu lesen. Das kann Stock für Bosch pauschal nicht bestätigen, auch was die Führungskräfte angeht. „Mit zunehmender Verantwortung steigt die Identifikation mit der Arbeit“, sagt Stock. Es falle den Führungskräften einfach noch schwer, sich mit einem veränderten Rollenverständnis anzufreunden und zur Entscheidung durchzuringen, in Elternzeit zu gehen. Wie die umsetzbar ist, leben den Führungskräften indes die eigenen Mitarbeiter vor.
„Es werden nicht auf Biegen und Brechen rechtliche Ansprüche durchgesetzt“, sagt Stock. Mitarbeiter, Führungskraft und Kollegen würden im Vorfeld gemeinsam überlegen, wie eine Elternzeit arbeitsorganisatorisch am sinnvollsten gestaltet werden könne. Das sei das eigentliche „Erfolgsrezept“ für den Aufschwung der Elternzeit von Vätern bei Bosch, meint Stock.
Nach der Elterngeld-Statistik des Statistischen Bundesamtes nehmen 65 % der Väter ihre Elternzeit für ein bis zwei Monate. Bei Bosch hingegen geht über die Hälfte der Väter länger als ein halbes Jahr in Elternzeit, ein Viertel sogar länger als ein Jahr. Viele Väter würden die Elternzeit mit Teilzeit und Telearbeit kombinieren, erläutert Stock. An manchen Bosch-Standorten gebe es mehr als 100 Teilzeitmodelle, um das realisieren zu können.
Dass man sich aber auch als Führungskraft Zeit für das eigene Kind nehmen kann, lebt Alfred Lukasczyk, Head of Employer Branding bei der Evonik Industries AG in Essen, vor. Im Frühjahr war Lukasczyk zwei Monate in Elternzeit. Jetzt, nach dem Ende der Elternzeit, bringt er an drei Tagen in der Woche seine zweijährige Tochter in die Evonik-Kindertagesstätte und arbeitet an einem Tag in der Woche in Anwesenheit seiner Tochter im Home-Office. „Für mich war wichtig, nicht nur über die Elternzeit zu reden, sondern das Thema umfassender, und damit über die Elternzeit hinaus, zu behandeln“, erklärt zu der Vereinbarung Walter Weimer, Leiter Entwicklungs- und Besetzungsmanagement bei Evonik, als Vorgesetzter von Lukasczyk. In dieser Form als Führungskraft mit einem großen Aufgabenbereich während einer Arbeitswoche Verantwortung für die Kindererziehung wahrnehmen zu können, sei Ausdruck eines unbürokratischen Verständnisses von Familienfreundlichkeit meint Weimer.
Für Lukasczyk liegt es in der Regel nicht an den Unternehmen, sondern an der Courage des Einzelnen, wenn Führungskräfte die Möglichkeit nicht nutzen würden, in Elternzeit zu gehen. „Auch ich habe mich zunächst gefragt, ob es Gründe gibt, die dagegen sprechen.“ Um die zweimonatige Elternzeit zu ermöglichen, hat der Personalmarketingleiter gemeinsam mit seinem Vorgesetzten wichtige Projekte so gestaltet, dass während seiner Abwesenheit nichts „Dramatisches“ passieren kann. Strategische Aufgaben wurden von Kollegen in der Abteilung übernommen und andere von operativen Einheiten. Im Prinzip seien Führungskräfte ersetzbar, meint Lukasczyk. In laufenden Projekten sei der Einzelne allerdings bedingt durch die Vernetzung untereinander und die hohen kommunikativen Anforderungen zuweilen unentbehrlich. Wenn Führungskräfte in Elternzeit gehen wollten, müssen diese arbeitsorganisatorisch gut vorbereitet werden.
„Das geht nicht parallel“, berichtet Lukasczyk zu seinen Erfahrungen, die er in der Elternzeit gemacht hat. Anfangs habe er noch versucht, tagsüber eine Telefonkonferenz mit Kollegen in Schanghai zu bewerkstelligen. Die habe er aber in Anwesenheit seiner Tochter fünfmal unterbrechen müssen. „Man muss den Worten Taten folgen lassen“, sagt Lukasczyk. Wenn Väter in Elternzeit gingen, müssten sie sich darauf konzentrieren. So habe er beispielsweise seine Netzwerkaktivitäten deutlich reduziert. Und noch einen Tipp hat Lukasczyk parat. „Ich empfehle Vätern, allein in Elternzeit zu gehen.“ Nur so könnten sie sich in der Partnerschaft gleichberechtigt in die Kindererziehung einbringen.
Noch gehen wenige Personalmanager in Elternzeit, berichtet Lukasczyk aus seinem persönlichen Netzwerk. Die Tendenz sei aber steigend. Die Ökonomin Nora Reich vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) hat in ihrer Studie über Determinanten der Inanspruchnahme von Elternzeit festgestellt, dass unter den Vätern viele mit einem geringen und viele mit einem hohen Einkommen sind. Ganz entscheidend sind aber auch der Status und das Einkommen der Partnerin. Kann die nach der Geburt eines Kindes wieder erwerbstätig sein, steigt die Chance, dass die Väter Elternzeit beantragen. Die Wahrscheinlichkeit ist dann besonders hoch, wenn die Arbeitsplätze beider Partner vergleichsweise sicher sind oder die Frau das höhere Einkommen erzielt.
RAINER SPIES
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