Kettenbefristung: Vertretungsbedarf muss geprüft werden
Das Befristungsrecht wird auch nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 6. April 2011 heftig diskutiert. Nachdem das BAG in der genannten Entscheidung seine Rechtsprechung zu sachgrundlosen Befristungen grundsätzlich geändert hatte, entschied am 26. Januar 2012 auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Verfahren (Az.: C-586/10) über die Zulässigkeit von Kettenbefristungen. Diese Thematik stellt sich üblicherweise eher im Zusammenhang mit sachgrundlosen Befristungen. Der EuGH hat sich im vorliegenden Fall jedoch mit der Zulässigkeit von aneinander gereihten Befristungen mit Sachgrund beschäftigt. Aufgrund der großen Praxisrelevanz des Befristungsrechts ist dies ein Anlass, um in diesem Beitrag den rechtlichen Hintergrund und die Bedeutung der Entscheidung für die Praxis zu erläutern.
Sachverhalt
Eine deutsche Justizangestellte war nach Abschluss ihrer Ausbildung zur Justizangestellten aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen in der Zeit von 1996 bis 2007 in der Geschäftsstelle der Zivilprozessabteilung des Amtsgerichts Köln beschäftigt. Den befristeten Verträgen lag jeweils der Sachgrund der Vertretung wegen einer vorübergehenden Beurlaubung (z. B. Elternzeit) unbefristet eingestellter Kollegen zugrunde. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass bei 13 unmittelbar aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen innerhalb von 11 Jahren ein vorübergehender Bedarf an Vertretungskräften nicht mehr gegeben sei. Sie hielt daher die letzte Befristung für unwirksam und machte vor dem Arbeitsgericht Köln den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses geltend.
Das BAG hat nun im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH eingeleitet. Konkret wollte das Gericht wissen, ob ein Arbeitgeber, bei dem wiederkehrend und ständig Vertretungsbedarf besteht, vor dem Hintergrund des EU-Rechts wirksam Befristungen mit dem Sachgrund der Vertretung abschließen kann, obwohl der Vertretungsbedarf auch gedeckt werden könnte, wenn der betreffende Arbeitnehmer unbefristet eingestellt und ihm die jeweilige Vertretung eines der regelmäßig ausfallenden Arbeitnehmer übertragen würde.
Rechtlicher Hintergrund
Nach deutschem Recht ist eine Befristung gem. § 14 Absatz 1 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG)
grundsätzlich stets zulässig, wenn für die Befristung ein Sachgrund vorliegt. Gem. § 14 Absatz Nr. 3 TzBfG liegt ein Sachgrund
beispielsweise dann vor, wenn der Mitarbeiter zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Typische Beispiele hierfür sind die Vertretung während der Elternzeit oder des Mutterschaftsurlaubs. Das Gesetz enthält, anders als im Rahmen der sachgrundlosen Befristung, keine zeitliche Höchstbegrenzung. Werden mehrere Befristungen nacheinander vereinbart, ist für die Frage nach der Wirksamkeit stets nur die letzte Befristung zu prüfen. Abzustellen ist auf die Umstände, die bei Abschluss der Befristungsabrede vorlagen. So ist es beispielsweise grundsätzlich nicht relevant, wenn während der Laufzeit des Vertrages der ursprünglich vorliegende Sachgrund entfällt. In Bezug auf den Sachgrund der Vertretung muss im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine Prognose bestehen, dass der vertretene Mitarbeiter zurückkehrt und mit der Rückkehr der Vertretungsbedarf wegfällt. Zwar war bereits bislang eine Dauervertretung nicht zulässig. Das BAG hat bislang aber die Auffassung vertreten, dass mehrfache Befristungen mit dem Sachgrund der Vertretung nacheinander möglich sind, solange jeweils im Einzelfall die Voraussetzungen des § 14 Absatz 1 Nr. 3 TzBfG vorliegen.
Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat entschieden, es könnte nicht zwangsläufig der Abschluss unbefristeter Verträge verlangt werden, wenn die Größe des betroffenen Unternehmens oder der betroffenen Einrichtung und die Zusammensetzung des Personals auf einen wiederholten und ständigen Vertretungsbedarf schließen ließe. Allein aus der Tatsache, dass ein Vertretungsbedarf auch durch den Abschluss unbefristeter Verträge gedeckt werden könnte, könne nicht automatisch auf einen Missbrauch geschlossen werden, wenn ein Arbeitgeber stattdessen befristete Verträge abschließt. Das EU-Recht verpflichte den Arbeitgeber nicht dazu, die Umwandlung befristeter in unbefristete Arbeitsverträge vorzunehmen. Allerdings hat der EuGH betont, dass stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen sei, bei der alle mit der Befristung verbundenen Umstände zu berücksichtigen seien. Aus diesen Umständen könnten sich Hinweise auf einen Missbrauch ergeben. Zu betrachten seien insbesondere die Zahl und die Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder -verhältnisse.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung bestätigt die bisherige nationale Rechtsprechung und ist begrüßenswert, da eine pauschale Missbrauchsannahme nicht sachgerecht wäre. Oftmals tritt ein Vertretungsbedarf unvorhergesehen auf, den es sodann kurzfristig zu decken gilt. Insbesondere die zunehmenden gesetzlichen Regelungen zur Ermöglichung der Vereinbarung von Familie und Beruf (z. B. Elternzeit, Pflegezeit, Familienpflegezeit) erfordern oftmals kurzfristig die Einstellung einer Vertretungskraft. An einer Vorhersehbarkeit für den Arbeitgeber fehlt es oftmals. Arbeitgeber sind nach der Entscheidung zukünftig im Falle von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen verstärkt gehalten, sehr genau zu prüfen, ob es Anhaltspunkte für einen Missbrauchsverdacht gibt.
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