Mehr Rechte für Whistleblower
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs verbessert den Schutz von Whistleblowern in Unternehmen und kritisiert die Rechtsprechung in Deutschland. Experten und Politiker erwarten nun eine erneute Diskussion um ein Whistleblower-Gesetz.
In Deutschland gibt es keine eigenen Mechanismen, um Hinweise auf Missstände oder Anzeigen von Arbeitnehmern zu untersuchen, kritisieren die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einem weitreichenden Urteil.
In dem Fall ging es um die Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die 2004 das Management eines Pflegeheims auf mangelhafte Zustände hingewiesen hatte. Heinisch beklagte eine personelle Unterausstattung, die zu schlechten hygienischen Zuständen sowie zu einer mangelhaften Versorgung der Heimbewohnter geführt hatte. Ein Jahr zuvor hatte dies auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen festgestellt. Das Management lehnte es jedoch ab, die Missstände zu beheben. Die Altenpflegerin erstattete daraufhin Anzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Betrug und Untreue. Dies begründete sie damit, dass die Firma Leistungen zusage und abrechne, diese jedoch nicht zureichend umsetze.
Whistleblower weist auf mangelhafte Zustände in Pflegeheimen hin
Der Betreiber kündigte der Altenpflegerin 2005 wegen wiederholter Krankheit – ohne von der Strafanzeige zu wissen. Im anschließenden Arbeitsgerichtsprozess wurde die Anzeige bekannt, woraufhin der Betreiber eine sofortige Kündigung aussprach. Durch die Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht gaben alle Gerichte dem Betreiber Recht. Das Bundesverfassungsgericht wies den Fall zurück.
Der Gerichtshof stellte nun fest, dass die Strafanzeige gegen den Arbeitgeber vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt war. Die Klägerin war zur Anzeige berechtigt, da sie zu den Wenigen gehörte, die die Missstände erkennen konnte. Aufgrund des Loyalitätsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei jedoch immer zuerst die zuständige Stelle des Arbeitgebers zu benachrichtigen. Nur als letzte Möglichkeit sei der Gang an die Öffentlichkeit berechtigt. Zudem sei das öffentliche Interesse generell weit auszulegen.
Whistleblower-Netzwerk e.V. sieht Rechte von Whistleblowern gestärkt
Guido Strack, Vorstand des Whistleblower-Netzwerk e.V. sieht in dem Urteil eine „deutliche Stärkung der Position und Chancen von Whistleblowern vor Gerichten in Deutschland und Europa“. Er verweist aber darauf, dass für Hinweisgeber weiterhin Unsicherheiten bestünden: „Was gilt, wenn der Arbeitgeber Abhilfe verspricht – wie lange muss ein Arbeitnehmer dann abwarten, dass auch wirklich etwas passiert?“ Auch sei unklar, welches Recht gelte, „wenn der Arbeitgeber zwar nicht kündigt, aber Karrieren blockiert, Whistleblower in leere Büros oder abgelegene Filialen versetzt oder sich sonstiger Mobbingtechniken bedient.“ Guido Strack bezweifelt, dass das Urteil daher geeignet ist, Menschen zu ermutigen, Missstände offen anzusprechen und auf Änderungen zu dringen. Das Urteil sei außerdem nicht geeignet, Altfälle zu rehabilitieren, sondern sei nur für anhängige und künftige Verfahren relevant.
Die offenen Fragen könnte eine künftige Whistleblower-Gesetzgebung beantworten. Ein erster Anlauf, den der ehemalige Bundesverbraucherminister Horst Seehofer nach dem Aufdecken des Gammelfleischskandals durch einen Lkw-Fahrer unternommen hatte, war am Widerstand des Arbeitgeberlagers gescheitert. Unionspolitiker hatten in der damaligen Debatte Hinweisgeber als „Blockwarte“ und „Denunzianten“ bezeichnet. Die bislang bei dem Thema zurückhaltend agierende FDP zeigt sich bereits aufgeschlossen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Scharrenberger (FDP) erwartet eine Wiederbelebung der Diskussion.
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gegen mehr Rechte für Whistleblower
Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, forderte denn auch bereits mit Blick auf ein kommendes Whistleblowergesetz die Bundesregierung auf, „sorgfältig zu prüfen“, ob sie nicht gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen solle. Jedes Unternehmen müsse seinen eigenen Weg gestalten können, um Probleme im Betrieb zunächst intern regeln zu können. Die Gewerkschaften DGB und Ver.di, die Organisation Transparency International sowie Vertreter von Grüne und Linke begrüßten hingegen das Urteil.
Ein Beitrag von: