Arbeitsrecht in der Praxis 17.08.2019, 08:30 Uhr

Sonderurlaub: Wann steht er Ingenieuren zu?

Bringen Hochzeit, Geburt oder Umzug einen freien Tag inklusive Lohnfortzahlung? So einfach ist es nicht. Beim Thema Sonderurlaub müssen Ingenieure viele Aspekte beachten, um ihren Anspruch zu klären. Denn die Gesetze sind recht allgemein formuliert.

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Foto: panthermedia.net/Wieslaw Jarek

Sonderurlaub ist ein Oberbegriff für verschiedene Situationen, in denen der Arbeitnehmer davon befreit ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Gemeinsam ist den verschiedenen Fällen von Sonderurlaub, dass sie nicht einseitig vom Arbeitgeber ausgesprochen werden – eine Freistellung nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber wird deshalb nicht als Sonderurlaub bezeichnet. Außerdem handelt es sich bei der freien Zeit nicht um den vertraglich festgelegten Erholungsurlaub. Sonderurlaub heißt also, der Arbeitnehmer darf der Arbeit fernbleiben, ohne dass sein gesetzlicher Urlaubsanspruch deswegen reduziert wird.

Der Begriff Sonderurlaub sagt zunächst einmal nichts darüber aus, ob dieser Zeitraum bezahlt wird oder ob der Ingenieur damit rechnen muss, dass ihm die Tage, an denen er Sonderurlaub hatte, vom Lohn abgezogen werden. Ähnlich kompliziert ist es mit einem Rechtsanspruch auf Sonderurlaub. Denn obwohl der Gesetzgeber Situationen vorsieht, in denen der Arbeitgeber ihn gewähren sollte, kann dieser den Anspruch in vielen Fällen ausschließen.

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In welchen Situationen muss Sonderurlaub genehmigt werden?

Es gibt einige wenige Sonderfälle, in denen der Arbeitgeber einer Freistellung von der Arbeit unbedingt zustimmen muss. Die wichtigsten sind:

  • Betreuung, Beaufsichtigung oder Pflege eines Kindes, das erkrankt, behindert oder anderweitig auf Hilfe angewiesen ist. Vorausgesetzt, das Kind ist maximal 12 Jahre alt und es besteht nicht die Möglichkeit, dass eine andere Person im Haushalt die Betreuung übernimmt. In vielen Tarifverträgen ist in diesem Fall übrigens die Lohnfortzahlung für einen begrenzten Zeitraum vorgesehen. Andernfalls springt unter Umständen die Krankenkasse durch die Zahlung von Kinderkrankengeld Die Zahl der Tage für diesen Sonderurlaub ist auf 10 Tage pro Elternteil begrenzt. Alleinerziehende können 20 Tage geltend machen. Die genauen Regelungen für diesen Sonderurlaub sollten individuell geklärt werden.
  • Ähnlich sieht die Situation aus, wenn ein Ingenieur kurzfristig die Pflege eines nahen Angehörigen, beispielsweise der Eltern, übernehmen, organisieren oder sicherstellen muss. Auch in diesem Fall hat er einen Anspruch auf einen unbezahlten Sonderurlaub von bis zu 10 Tagen. Gegebenenfalls sehen hier Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen sogar eine Lohnfortzahlung vor. Andernfalls kann Anspruch auf eine Lohnersatzleistung, das sogenannte Pflegeunterstützungsgeld, bestehen. Mehr zur Pflegezeit für Angehörige
  • Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sieht außerdem die Möglichkeit vor, dass sich Arbeitnehmer bis zu 6 Monate lang freistellen lassen können, um einen nahen Angehörigen zu pflegen. Einen Rechtsanspruch auf diese Pflegezeit gibt es allerdings nur in Betrieben, die mindestens 15 Mitarbeiter beschäftigen.

Sonderurlaub: Was sagt das Gesetz?

Zum Thema Sonderurlaub herrscht unter vielen Arbeitnehmern große Unsicherheit. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist der betreffende Passus nach § 616 BGB sehr allgemein formuliert. Einzelfälle sind nicht aufgeführt, was Interpretationsspielraum lässt. Eine Orientierung bei einem Rechtsstreit bieten daher vor allem bisherige Urteile. Zum anderen ist der Anspruch nach § 616 BGB dispositiv. Das heißt: Er kann durch Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge und Arbeitsverträge individuell vereinbart – oder sogar vollständig ausgeschlossen werden. Hier wird darüber hinaus vielfach festgelegt, ob die freie Zeit bezahlt oder der Lohn entsprechend verringert wird. Ingenieure müssen also zunächst die sie betreffenden Vereinbarungen und Verträge sichten, ehe sie beurteilen können, wie ihr individueller Anspruch aussieht. Wenn es einen Betriebsrat gibt, kann dieser dabei behilflich sein.

Was aber steht nun in diesem Sonderurlaubs-Paragraphen? Dort werden 3 Bedingungen aufgeführt, die für einen Anspruch auf zusätzliche freie Tage erfüllt sein müssen:

  • Der Zeitraum muss „verhältnismäßig nicht erheblich“ sein. Mit anderen Worten: Das angestrebte Zeitfenster hängt von der Situation ab. Es kann sich um nur wenige Stunden handeln, ist aber eigentlich nie größer als maximal wenige Tage. In den meisten Fällen werden 1 oder 2 Tage als angemessen angesehen.
  • Der Grund muss in der Person liegen. Damit sind Ereignisse wie zum Beispiel ein Unwetter oder eine gesperrte Autobahn ausgeschlossen.
  • Die Ursache hat der Mitarbeiter nicht selbst verschuldet. Dieser Punkt dürfte zunächst zu Irritationen führen. Denn einen Termin wie eine Hochzeit hat ein Arbeitnehmer natürlich selbst herbeigeführt. Gemeint ist damit jedoch ein Verschulden im zivilrechtlichen Sinne. In erster Linie wäre das eine vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung von Vertragspflichten des Ingenieurs gegenüber seinem Arbeitgeber. Das lässt sich gut am Beispiel eines wichtigen Arzttermins erklären. Lässt sich dieser auf einen Zeitpunkt außerhalb der Arbeitszeit legen, besteht kein Anspruch darauf, für ihn zusätzliche freie Stunden zu erhalten. Denn, wenn er trotz der Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers während der Arbeitszeit stattfinden soll, hat dieser die Situation vorsätzlich gewählt.

Sind alle 3 der oben genannten Voraussetzungen erfüllt, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Sonderurlaub ohne Verlust seiner Vergütungsansprüche. Die Zeit, in der er der Arbeit fernbleiben durfte, wird also nicht vom Lohn abgezogen, wenn keine anderweitigen Regelungen vereinbart wurden.

Gibt es Sonderurlaub bei Hochzeit, Umzug oder Todesfällen?

Typische Fälle, für die Sonderurlaub beantragt werden kann, sind die eigene Hochzeit, die Geburt des eigenen Kindes (für den Vater), der Todesfall eines nahen Angehörigen oder ein berufsbedingter Umzug. Wichtig: Es gibt vom Gesetzgeber keine Festlegung oder gar eine Liste zu Einzelfällen oder der angemessenen Zeit für einen Sonderurlaub. Bei Grenzfällen orientiert sich die Rechtsprechung daher an der individuellen Situation sowie an vorangegangenen Urteilen. Eine Orientierung bietet jedoch der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), der für viele Situationen den Sonderurlaub festlegt, unter anderem:

  • Niederkunft der Ehefrau beziehungsweise der Lebenspartnerin im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes: 1 Arbeitstag.
  • Tod der Ehegattin beziehungsweise des Ehegatten, der Lebenspartnerin beziehungsweise des Lebenspartners im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes, eines Kindes oder Elternteils: 2 Arbeitstage.
  • Umzug aus dienstlichem oder betrieblichem Grund an einen anderen Ort: 1 Arbeitstag.

Übrigens: Viele Arbeitnehmer sind über das Thema Umzug nicht genau informiert und versuchen, für einen privaten Umzug einen Tag Sonderurlaub zu erhalten. Den muss ein Arbeitgeber unter normalen Umständen jedoch nicht gewähren. Weitere mögliche Gründe für Sonderurlaub können sein:

  • ehrenamtliche Tätigkeit (zum Beispiel im Rettungsdienst oder als Schöffe),
  • Bewerbungsgespräch (nach erfolgter Kündigung),

Letztlich können Ingenieure einen Rechtsanspruch mit Bezug auf § 616 BGB jedoch nur geltend machen, wenn sichergestellt ist, dass dieser von keiner anderslautenden Vereinbarung ausgeschlossen wird.

Wonach werden Dauer und Zeitpunkt des Sonderurlaubs festgelegt?

Da es im Gesetz keine Festlegung zur Dauer eines Sonderurlaubs bei Hochzeit, Geburt oder Todesfall gibt, ist es sinnvoll – insofern ein Rechtsanspruch besteht – von einer geringen Dauer auszugehen. In den meisten Fällen ist das 1 Tag. Für die Häufigkeit des Sonderurlaubs gibt es hingegen keine Begrenzung. Wer also beispielsweise Hochzeit, Geburt und Todesfälle naher Angehöriger innerhalb weniger Monate erlebt, hat jedes Mal Anspruch auf Sonderurlaub. Der Arbeitgeber darf diesen nicht mit Verweis auf die Häufigkeit verweigern.

Der Sonderurlaub ist nicht als zusätzliche Erholung gedacht. Vielmehr soll erden Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht entbinden, wenn diese aus Sicht des Gesetzgebers nicht zumutbar ist. Das heißt: Sonderurlaub wird nur im direkten Zusammenhang mit dem auslösenden Ereignis gewährt. Wird beispielsweise ein Kind am Samstag geboren, kann der Ingenieur für den Montag in der Regel keinen Sonderurlaub beantragen. Der theoretische Anspruch verfällt dann in der Praxis. Es hat allerdings auch schon Fälle gegeben, in denen ein Gericht anders geurteilt hat. Aus dem gleichen Grund ist es nicht möglich, während des normalen Erholungsurlaubs Sonderurlaub zu beantragen – die Arbeitspflicht ist während des Urlaubs ja ohnehin bereits aufgehoben.

Was gilt es bei der Beantragung des Sonderurlaubs zu beachten?

Unabhängig davon, ob Geburt, Hochzeit oder Todesfall die Ursachen sind, Sonderurlaube müssen Ingenieure in jedem Fall offiziell beantragen. Selbst bei einem überraschenden Ereignis ist es nicht rechtens, dem Arbeitsplatz ohne Erlaubnis fernzubleiben und den Arbeitgeber erst im Nachhinein zu informieren. Sonderurlaub muss beantragt und genehmigt werden.

Falls möglich, sollten Arbeitnehmer den gewünschten Sonderurlaub möglichst lange im Vorfeld besprechen und grundsätzlich absegnen lassen. Bei einem schlecht planbaren Ereignis wie einer Geburt wird dann nur noch der jeweilige Tag kurzfristig durchgegeben. Tritt ein überraschendes Ereignis wie ein Todesfall ein, muss der Sonderurlaub selbstverständlich trotzdem vom Chef genehmigt werden. Auf keinen Fall darf ein Ingenieur ohne Absprache der Arbeit fernbleiben und somit seinen Vertrag nicht erfüllen. Das könnte arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Unter welchen Umständen ist Sonderurlaub als Sabbatical möglich?

Die letzten Monate waren hart, es liegt genug Geld auf dem Sparkonto – jetzt wäre eine Freistellung von der Arbeit wünschenswert? Selbst wenn diese unbezahlt erfolgen soll, haben Arbeitnehmer auf solch einen Sonderurlaub keinen Rechtsanspruch. Denn es handelt sich dabei faktisch um ein Sabbatical. Für Ingenieure im öffentlichen Dienst gibt es klare Regeln für solch eine Auszeit, weil sie im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) beziehungsweise im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) festgelegt sind.

Alle anderen sollten ebenfalls einen Blick in einen eventuell gültigen Tarifertrag werfen und sich erkundigen, ob es entsprechende Beispiele im Unternehmen gibt. Dann könnten sie bei Bedarf auf die sogenannte betriebliche Übung verweisen. In diesem Fall hieße das: Hat ein Arbeitgeber bereits mehrfach unbezahlten Sonderurlaub eines Mitarbeiters genehmigt, kann ein Kollege davon ausgehen, dass ihm diese Freistellung ebenfalls gewährt wird, falls sich die Umstände ähneln. Ist dies nicht der Fall, bleibt die Option, sich individuell mit dem Arbeitgeber zu einigen. Der Ingenieur ist in diesem Fall von dessen Wohlwollen abhängig.

 

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Ein Beitrag von:

  • Nicole Lücke

    Nicole Lücke macht Wissenschaftsjournalismus für Forschungszentren und Hochschulen, berichtet von medizinischen Fachkongressen und betreut Kundenmagazine für Energieversorger. Sie ist Gesellschafterin von Content Qualitäten. Ihre Themen: Energie, Technik, Nachhaltigkeit, Medizin/Medizintechnik.

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