Wann gilt welcher Tarifvertrag für Ingenieure?
Aspekte wie Gehalt, Urlaubszeit und Kündigungsfristen sind teilweise in Tarifverträgen geregelt. Doch wann ist ein Unternehmen überhaupt tarifgebunden? Und was bedeutet „angelehnt an den Tarifvertrag“?
In diesem Artikel lesen Sie:
- Mantel-, Gehaltstarifvertrag & Co.
- Tarifbindung von Unternehmen
- „In Anlehnung an den Tarifvertrag“
- Tarifvertrag vs. Arbeitsvertrag
- Tarifverträge des öffentlichen Dienstes
- Tarifverträge der Privatwirtschaft
Tarifverträge sind ein extrem wichtiges arbeitsrechtliches Instrument und dienen in erster Linie dem Schutz der Arbeitnehmer. Geschlossen werden Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Der Zusammenschluss der Arbeitnehmer in Gewerkschaften führt dazu, dass die früher einseitige Machtstellung der Arbeitgeber ausgeglichen wird. Angestellte erreichen auf diese Weise also eine bessere Verhandlungsposition. Das trifft natürlich nur zu, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist.
Im Jahr 2017 waren allerdings nur noch 27 % der Betriebe in Deutschland tarifgebunden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung (Drs. 19/5853) auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor. Demnach arbeiten momentan etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten zu den Bedingungen eines Tarifvertrages, Tendenz: „anhaltende Talfahrt“.
Formen von Tarifverträgen
Es gibt verschiedene Formen von Tarifverträgen:
Manteltarifverträge beinhalten allgemeine Vereinbarungen zu den Arbeitsbedingungen, die auf lange Sicht gelten und teilweise betriebsverfassungsrechtliche Themen umfassen.
Rahmentarifverträge schaffen – wie der Name schon sagt – einen Rahmen für detailliertere Regelungen. Dort sind etwa die Länge der Probezeit, Arbeitszeiten – auch an Wochenenden und nachts, Kündigungsfristen und Urlaubsansprüche festgelegt. Auch die Eingruppierung der Beschäftigten in Lohn-, bzw. Gehaltsgruppen, die sich nach den jeweiligen Arbeitsinhalten richtet, wird in Rahmentarifverträgen festgehalten. Der Rahmentarifvertrag ist normalerweise mehrere Jahre gültig.
Die Begriffe Manteltarifvertrag und Rahmentarifvertrag werden allerdings nicht immer in dieser klaren Abgrenzung voneinander verwendet und sind teilweise als Synonyme gebräuchlich. Ein Beispiel ist der Bundesrahmentarifertrag für das Baugewerbe (BRTV), der unter anderem auch Regelungen über Arbeitszeiten und Kündigungsfristen enthält und nach diese Definition eigentlich ein Manteltarifvertrag wäre.
Lohn- und Gehaltstarifverträge drehen sich ums Materielle im Detail, also um die exakte Höhe des Gehalts, die Zahl der Urlaubstage, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Arbeitszeit. Eine fundierte, kriterienbasierte Arbeitsbewertung soll hier eine gerechte Entlohnung sicherstellen. Die Verträge berücksichtigen auch Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Berufsjahre und Betriebstreue. Sie haben in der Regel eine verhältnismäßig kurze Laufzeit.
Verbandstarifvertrag: Er wird zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeberverband geschlossen.
- Bezieht er sich zusätzlich nur auf eine bestimmte Region, etwa ein Bundesland, spricht man von einem Flächentarifvertrag.
- Gilt er für einen gesamten Wirtschaftszweig, handelt es sich um einen Branchentarifvertrag. Typische Beispiele sind die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (TVöD) beziehungsweise für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).
Der Verbandstarifvertrag sorgt für ähnliche Arbeitsbedingungen in den Unternehmen einer bestimmten Branche oder Region. Grundsätzlich sind Verbandstarifverträge leicht zu handhaben. Trotzdem verhandeln immer mehr Arbeitgeber Haustarifverträge, die sich besser an wirtschaftliche Entwicklungen anpassen lassen.
Firmen- oder Haustarifvertrag: Unternehmen, die nicht an einen Verbandstarifvertrag angeschlossen sind, können mit ihrer eigenen Belegschaft einen sogenannten Firmentarifvertrag aushandeln. Er regelt nur die Arbeitsbedingungen eines speziellen Unternehmens. Meistens handelt es sich um Anerkennungsverträge, die sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – dem Flächentarifvertrag unterwerfen. So genannte Öffnungsklauseln im Flächentarifvertrag ermöglichen, den Haustarifvertrag der individuellen Situation des Unternehmens anzupassen.
Unter welchen Umständen sind Unternehmen tarifgebunden?
Dass ein Tarifvertrag für das Baugewerbe existiert, heißt jedoch nicht, dass ein Bauingenieur sich automatisch auf die dort ausgehandelten Regelungen berufen kann. Es hängt davon ab, ob der Tarifvertrag für ein Unternehmen und die dortigen Beschäftigten wirksam ist. Diese Tarifgebundenheit liegt vor, wenn der Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband ist und der Bauingenieur Mitglied in der zuständigen Gewerkschaft. Ein Unternehmen hat theoretisch die Möglichkeit zur sogenannten Tarifflucht. Das heißt, es weicht den Regeln im Tarifvertrag aus, indem es den Arbeitgeberverband verlässt und auf diese Weise die Tarifgebundenheit auflöst. In diesem Fall wäre es lediglich durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) auf politischer Ebene möglich, eine Tarifgebundenheit zu erzwingen.
Die AVE bedeutet: Der Bundesarbeitsminister kann gemeinsam mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären. In diesem Fall gilt er für alle Arbeitgeber und Beschäftigten des jeweiligen Geltungsbereichs, unabhängig davon, ob sie Mitglied im entsprechenden Arbeitgeberverband beziehungsweise in der relevanten Gewerkschaft sind. Weil die Ablehnung vonseiten der Arbeitgeber in den letzten Jahren zunahm, gibt es kaum noch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen.
Was bedeutet die Formulierung „in Anlehnung an den Tarifvertrag“?
Viele Unternehmen sind weder an einen Tarifvertrag angebunden, noch haben sie einen firmeneigenen Tarifvertrag mit ihren Mitarbeitern geschlossen. Stattdessen wählen sie in Arbeitsverträgen die Formulierung: „in Anlehnung an den Tarifvertrag XY“. Ein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen ergibt sich daraus nicht. Zunächst handelt es sich bei der Anlehnung an einen Tarifvertrag nur um eine Absichtserklärung des Arbeitgebers.
Er kann also beispielsweise nicht grundsätzlich Pflichten und Leistungen beim Arbeitnehmer einfordern, die im individuellen Arbeitsvertrag nicht festgelegt, dafür aber im Tarifvertrag aufgeführt sind, an den sich der Vertrag anlehnen soll. Umgekehrt steht es ihm natürlich frei, zusätzliche Leistungen in Anlehnung an den Tarifvertrag zu gewähren, die über den Arbeitsvertrag hinausgehen, etwa die Auszahlung von Weihnachtsgeld.
Nur wegen der Formulierung „in Anlehnung an den Tarifvertrag“ könnte der Arbeitnehmer solche Zusatzleistungen, die nicht in seinem Arbeitsvertrag stehen, aber auch nicht einfordern. Anders sieht die Situation aus, wenn in diesem Beispiel das Weihnachtsgeld jahrelang ausbezahlt wurde und der Arbeitgeber diese Leistung nun einstellen möchte. Dann könnte nämlich der juristische Terminus der „betrieblichen Übung“ an Bedeutung gewinnen. Demnach führt eine regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers dazu, dass der Arbeitnehmer davon ausgehen darf, dass es bei diesem Verhalten bleibt. Die betriebliche Übung entfaltet ihre Wirksamkeit aber ganz unabhängig davon, ob die Handlung ursprünglich ausgeführt wurde, weil sie als Anlehnung an den Tarifvertrag gedacht war.
Unterm Strich besteht bei einem Unternehmen, das nicht tarifgebunden ist, also nur ein Rechtsanspruch gegenüber den konkreten Inhalten des Arbeitsvertrags. Im Einzelfall sollten Ingenieure bei Unklarheiten unbedingt einen Anwalt hinzuziehen.
Was gilt: Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag?
Selbst wenn Unternehmen und Arbeitnehmer tarifgebunden sind, heißt das nicht automatisch, dass Arbeitsverträge in allen Punkten den Vorgaben im Tarifvertrag entsprechen müssen. Der Arbeitgeber darf selbstverständlich von den Vereinbarungen der Tarifpartner Gewerkschaft und Arbeitgeberverband abweichen, wenn dies zugunsten des Arbeitnehmers geschieht. Wenn er beispielsweise ein höheres Gehalt zahlen oder zusätzliche Urlaubstage gewähren möchte. Hier gilt der Grundsatz, dass im Zweifel die vorteilhaftere Regelung für den Arbeitnehmer zum Tragen kommt. Das ist unter anderem wichtig, wenn durch Tarifverhandlungen Änderungen der bestehenden Verträge anstehen – keinesfalls setzen sie bessere Regelungen aus Arbeitsverträgen außer Kraft. Ein gutes Beispiel sind hier Kündigungsfristen. Was für den Arbeitnehmer günstiger ist, hat Bestand. Das ist in der Regel die längere Kündigungsfrist.
Das heißt: Im Normalfall haben Ingenieure trotz Tarifvertrag großen Verhandlungsspielraum für ihren Arbeitsvertrag. Das gilt besonders, wenn es sich bei ihnen um gefragte Fachkräfte handelt. Eine Besonderheit sind hier allerdings die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (TVöD, TV-L, TV-H). In ihnen ist der Urlaubsanspruch ebenso definiert wie das Gehalt, das in Entgeltgruppen und Erfahrungsstufen unterteilt ist. Der Gestaltungsspielraum ist entsprechend gering.
Was bedeuten die Tarifverträge TVöD, TV-L, TV-H für Ingenieure?
Ingenieure, die an Hochschulen oder Forschungseinrichtungen tätig sind, befinden sich in einer besonderen Situation. Denn sie arbeiten für Körperschaften beziehungsweise Anstalten öffentlichen Rechts, insofern es sich nicht um private Einrichtungen handelt. Daher gelten für die Beschäftigten dort die Tarifverträge des öffentlichen Diensts. Sie werden selbstverständlich auch während der Phase einer Promotion mit entsprechender Anstellung angewendet. Für den öffentlichen Dienst gibt es insgesamt drei Tarifverträge:
- Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD): Er legt die Regeln für Beschäftigte des Bundes und der Kommunen fest.
- Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L): Er gilt für Beschäftigte der deutschen Bundesländer. Ein gutes Beispiel sind Angestellte von staatlichen Hochschulen, die unter die Verantwortung der Länder fallen.
- Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H): Hessen ist nicht Mitglied der Tarifgemeinschaft der Länder und hat daher einen eigenen Tarifvertrag.
Die Tarifverträge im öffentlichen Dienst sind bindend, eine Hochschule kann also in den einzelnen Arbeitsverträgen nicht davon abweichen. Auch das Gehalt lässt wenig Spielraum zu. Im öffentlichen Dienst gibt es in allen drei Tarifverträgen (TVöD, TV-L, TV-H) grundsätzlich 15 Entgeltgruppen. Sie sind unterteilt in sechs verschiedene Stufen. Diese richten sich wiederum nach der Berufserfahrung. Das heißt: Auch ohne Verhandlung können Mitarbeiter im öffentlichen Dienst im Laufe der Jahre in regelmäßigen Abständen eine Aufstockung ihres Gehalts erwarten. So sehen die Zeiträume der Gehaltssprünge in den relevanten Entgeltgruppen für Ingenieure in den Tarifverträgen (TVöD, TV-L, TV-H) aus:
Stufe 1 | Stufe 2 | Stufe 3 | Stufe 4 | Stufe 5 | Stufe 6 |
bei Einstellung | nach 1 Jahr in Stufe 1 |
nach 3 Jahren in Stufe 2 |
nach 4 Jahren in Stufe 3 |
nach 4 Jahren in Stufe 4 |
nach 5 Jahren in Stufe 5 |
Stufe 6 würde dementsprechend erst nach insgesamt 15 Jahren Berufserfahrung erreicht. Entscheidend ist, dass die Berufserfahrung nicht ausschließlich im öffentlichen Dienst gesammelt werden muss. Wer als Ingenieur einige Jahre in der Industrie arbeitet und anschließend an die Hochschule zurückkehrt, wird von vornherein entsprechend seiner Berufserfahrung in eine höhere Stufe eingeordnet. Diese Einordnung ist übrigens zum Teil Abwägungssache und daher einer der wenigen Punkte, wo bei öffentlichen Arbeitgebern Verhandlungsgeschick gefragt ist.
Klar festgelegt ist darüber hinaus der Anspruch auf Urlaub: Derzeit liegt der Urlaubsanspruch für Vollzeitbeschäftigte im öffentlichen Dienst bei 30 Kalendertagen, bezogen auf eine 5-Tage-Woche und zwar in allen drei Tarifverträgen, also TVöD, TV-L und TV-H. Frühere Regelungen, die einen höheren Urlaubsanspruch für ältere Mitarbeiter vorsahen, wurden gekippt, um Diskriminierungen aufgrund des Alters auszuschließen.
Welche Tarifverträge gelten für Ingenieure in Wirtschaft und Industrie?
Welche Tarifverträge Anwendung finden, hängt zum einen von der Branche ab, in der ein Ingenieur tätig ist. Zum anderen stellt sich die Frage, ob der jeweilige Arbeitgeber einen firmeneigenen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Diese Frage kann der Betriebsrat beantworten. Ihm würde ein entsprechender Haustarifvertrag vorliegen.
Selbstverständlich hat der Betriebsrat eines Unternehmens auch Kenntnis über Verbandstarifverträge, sodass Ingenieure diese dort einsehen oder gezielt Fragen dazu stellen können. Eine andere Anlaufstelle ist die jeweils zuständige Gewerkschaft. Sie kann den Tarifvertrag aushändigen. Teilweise werden gezielte Informationen oder auch der komplette Text online gestellt. Das handhabt jedoch jede Gewerkschaft anders.
Die wichtigsten Tarifverträge für Ingenieure sind:
- Eisen und Stahl (ausgehandelt von der IG Metall)
- Holz und Kunststoff (IG Metall)
- Metall und Elektro (IG Metall)
- Textil und Bekleidung (IG Metall)
- Chemie (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie – IG BCE)
- Bauhauptgewerbe (IG Bau)
- Energie- und Versorgungswirtschaft (IG BCE und ver.di)
- Kraftfahrzeuggewerbe (IG Metall)
Natürlich sind Tarifverträge auch für Ingenieure interessant, die selbst in keiner Gewerkschaft organisiert sind. Denn an ihnen lässt sich gut vergleichen, was für Gehälter, Urlaubstage, Kündigungsfristen und Ähnliches in der Branche üblich sind. So bilden sie eine gute Grundlage für Verhandlungen zum individuellen Arbeitsvertrag. Falls ein Tarifvertrag online nicht verfügbar sein sollte, kann er bei bestimmten Behörden eingesehen werden. Zum Teil ist auf Anfrage auch ein Online-Versand per PDF möglich. Mögliche Anlaufstellen für die Einsicht in einen Tarifvertrag sind:
- Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Villemombler Str. 76, 53123 Bonn
- Die jeweiligen Landesministerien für Arbeit, Gesundheit und Soziales
- Die Bibliotheken der Arbeits- und Sozialgerichte
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